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Literatur & MedienFortsetzung (Nachgehende Autorinnen- und Autorenbefragung) Akademisches Monografien über Summerhill und Neill nach dessen Tod
AkademischesIn diesem Abschnitt soll die Präsentation von Monographien über Neill und Summerhill, wie sie parallel zur Biographie Neills bereits stattgefunden hat, erneut aufgegriffen werden. Sie werden von nun an in chronologischer Abfolge bis in die Gegenwart kurz beschrieben. Mit einzelnen der Autoren, die Bücher oder Dissertationen über Neill und Summerhill veröffentlicht haben, konnte Kontakt aufgenommen werden. Sie waren bereit, sich einer kleinen standardisierten Befragung zu stellen, deren Ergebnisse im Anschluß präsentiert werden. Abschließend werden Aufsätze in Sammelbänden und wissenschaftlichen Zeitschriften jeweils chronologisch, beginnend mit den ersten zugänglichen Aufsätzen und wo dies möglich war oder sich anbot auch nach Ländern sortiert, dargestellt und bewertet. Zwischen den jeweiligen Abschnitten wird kurz resümiert, welche Entwicklung die Behandlung des Themas in den unterschiedlichen Medien genommen hat. Die Überschrift "Akademisches" deutet bereits an, daß es in den folgenden Veröffentlichungen vorwiegend um eine zumeist wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Neill und Summerhill geht. Daß diese Auseinandersetzung von unterschiedlichen Wissenschaftskulturen geprägt ist, verwundert bei einer international bedeutsamen Persönlichkeit wie Alexander Neill nicht. Gleichwohl erweist sich - wie zu zeigen sein wird - der Gegenstand "Neill und Summerhill" vielfach als sperrig und auf der Grundlage falscher Vorannahmen als wenig geeignet für eine akademische Behandlung. Praktische Nachahmerinnen und Nachahmer dagegen dokumentieren ihre Schulversuche vielfach nicht. Über derartige Bestrebungen liegen kaum Quellen vor, die sich unmittelbar auf Neill und Summerhill beziehen. Allenfalls die Berichterstattung über Neills Schule in der Zeit nach dessen Tod könnte in diese Kategorie eingeordnet werden. Neben der akademischen Literatur werden auch einige erzählerische Werke behandelt, die sich Neill und Summerhill zum Thema genommen haben. Ihre Beschäftigung mit diesem Thema kreist um ähnliche und z.T. gleiche Aspekte wie die eher wissenschaftliche Auseinandersetzung. Insofern ist ihre Einordnung in diesen abschnitt der Arbeit gerechtfertigt und es erübrigt sich ein Exkurs wie der über die künstlerische Beschäftigung mit Neill. Monografien über Summerhill und Neill nach dessen TodZunächst geht es um die Bücher und wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten, die nach Neills Tod über ihn und seine Schule erschienen sind. Es handelt sich dabei fast zu gleichen Teilen um Buchveröffentlichungen und umfangreichere wissenschaftliche Arbeiten, die der Öffentlichkeit nicht unmittelbar zugänglich sind. Besonders diese wissenschaftlichen Arbeiten sind als Zufallsauswahl anzusehen. Ich habe mich bemüht, so viele Arbeiten wie möglich zu Neill und Summerhill zusammenzutragen. Einige Autorinnen und Autoren wandten sich während der Entstehung ihrer Arbeit mit Fragen oder Hinweisen an mich, so daß ich sie bitten konnte, mir nach Abschluß ihrer Arbeit ein Exemplar zuzusenden. In einer späteren Phase der Recherche war mir das expandierende Internet eine große Unterstützung. Gleichwohl bleiben sicher vor allem viele Diplom- und Magisterarbeiten unberücksichtigt, die möglicherweise in ihrer Qualität und Originalität den hier vorgestellten entsprechen oder sie sogar übertreffen. Die Veröffentlichungen werden zunächst beschrieben und in einer anschließenden Zusammenfassung wird dargestellt, welche Entwicklung die Themenschwerpunkte dieser Arbeiten genommen haben und wie in diesem Prozeß jeweils die Wirkung von Neills Erziehungsidee von den Autorinnen und Autoren eingeschätzt wurde.
Nach einer historischen und biographischen Einleitung, über deren Mängel bereits Martin KAMP [1995, S.307] hinlänglich viel gesagt hat, richtet KARG den Fokus auf unterschiedliche Begründungsansätze für Erziehungsnormen, denen er Neills Position gegenüber stellt. Neill sei in der Begründung der Erziehungsnormen in Summerhill "konventionalistisch" vorgegangen, indem er auf Normen verwiesen habe, die sich bereits bewährt haben. Er habe sich so zeitraubende und sich permanent wiederholende Rechtfertigungsvorgänge erspart [S.144]. KARG hebt hervor, daß so gebildeten Normen kein statisches Kostrukt darstellen, sondern in einem kommunikativen Prozeß gebildet, ergänzt und erweitert werden. "Neills Normenbegründung kann also als konventionskommunikative bezeichnet werden." [S.147] Anschließend führt KARG seinen so entwickelten konventionskommunikativen Theorieansatz weiter aus und exemplifiziert ihn am Beispiel Neills. In einer abschließenden Bewertung des Ertrags dieser Betrachtungsweise für die Erziehungswissenschaft und Erziehungspraxis beschreibt KARG die Bedeutung einer Einbeziehung der Schülerinnen und Schüler in die Normenbildung und die grundsätzliche Notwendigkeit, Normen zu entwickeln, die über den Erziehungsprozeß hinaus "lebenslange Reichweite" [S.252] haben. In einfachen Worten geht es Hans Hartmut KARG darum, demokratische Strukturen in Schulen zu etablieren [S.265] und Bürokratie und Administration von ihnen fernzuhalten [S.266]. Sein Abschlußsatz lautet: "Trotz aller Schaffung von Bedingungen für die Pädagogik durch die Bildungspolitik muß es vorrangige Leistung unserer Demokratie bleiben, Innovationsschritte nicht auf einer Verwaltungsebene zu planen, sondern auf und in der Schule selbst. Dazu will Neills Normengebung ein Beispiel sein" [S.267]. KARGS Arbeit versteht sich als philosophische Abhandlung und erschließt sich philosophisch wenig vorgebildeten Leserinnen und Lesern nur schwer. Die Frage bleibt offen, ob Menschen mit mehr Fachkenntnissen einen größeren Ertrag aus dieser Arbeit ziehen können.
Wells kommt zu dem Schluß, daß Neill sich stets der schottischen Tradition und Kultur verpflichtet sah und sich mit ihr zeitlebens auseinandersetzte ("did Neill ever leave Scotland - mentally and culturally?" [Wells 1985, S.2]). Neill habe großen Einfluß auf die Schule im allgemeinen und die schottischen Schulen im besonderen gehabt und seine Botschaft böte fortwährend Anregungen zur Verbesserung der Schulwirklichkeit.
Es werden im Verlauf des Buches noch weitere Einzelheiten über Neill bekannt. So z.B. Aspekte, die von Neills Biographie nicht bestätigt werden wie daß er im späteren Leben gute Schüler bevorzugt und unordentliche Kinder getadelt habe. Oder auch Begebenheiten, die tatsächlich stattgefunden haben wie z.B. Besuche in den USA, bei denen er Wilhelm Reichs Orgonakkumulator benutzt. Neill habe Jacques' Vater besuchen wollen um zu erfahren, warum dieser seine Pädagogik abgelehnt hatte, sei aber nur noch bei dessen Beerdigung erschienen. Der Roman von François Gravel ist in weiten Teilen grob konstruiert. Die Informationen über die Erfahrungen des Vaters in Summerhill kommen erst im Verlauf des Buches zu Tage und ein Bezug zu den geschilderten aktuellen Geschehnissen um den Sohn kann nicht immer hergestellt werden. Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Erziehungsstilen als Thema des Romans macht ihn für die pädagogische Forschung zu einem interessanten Gegenstand. Als Beitrag zur Rezeption Neills (und auch als Bettlektüre) scheint der Roman eher ungeeignet. Die vergleichende Studie von Harald Hirschfeld sollte im 200. Todesjahr Rousseaus erscheinen. Dieses Ziel konnte aufgrund der schweren Erkrankung und dem folgenden Tod Hirschfelds nicht realisiert werden. Seine Witwe hat die Arbeit geraume Zeit später schließlich veröffentlicht. So kann nicht mehr recht nachgezeichnet werden, ob Harald Hirschfeld die Möglichkeit gehabt hat, z.B. Jonathan CROALLS Standardwerk zu lesen oder zumindest die Doktorarbeit Hans Hartmut KARGS. In Hirschfelds Literaturliste werden Werke über Neill auf alle Fälle höchst spärlich aufgeführt. Harald Hirschfeld definiert zunächst Übereinstimmungen und Unterschiede in den pädagogischen Konzeptionen Neills und Rousseaus. (Abschließend zweifelt er an, daß bei Neills Vorstellungen überhaupt von einer Konzeption die Rede sein könnte [S.370].) Anschließend wendet er sich "Freiheit als zentralem Aspekt des pädagogisch Feldes" zu und handelt die "Situation und das Wirken des Erziehers" ab. Schließlich stellt Hirschfeld fest, daß Neill und Rousseau eigentlich nicht vergleichbar sind: "Die wesentlichen Differenzen zwischen Rousseau und Neill beginnen demnach in einer fundamentalen Schicht. Das macht sie genaugenommen auch in allem folgenden unvergleichlich." [S. 375]. Harald Hirschfeld gesteht in seiner Arbeit von vorn herein ein, daß er die in den frühen siebziger Jahren geradezu hysterische Begeisterung für Neill nicht teilt, dessen Werk "augenscheinlich überhaupt erst durch das Echo in der pädagogisch dilettierenden Öffentlichkeit und durchaus nicht schon an sich selber die Aufmerksamkeit der Fachkundigen erregte" [S.8], und diese kritisch ablehnende Haltung durchzieht die Arbeit. Die "Autopsie zweier pädagogischer Ideale" - so der Untertitel der Arbeit von Harald Hirschfeld - diagnostiziert gewissermaßen den partiellen Tod ihres Forschungsgegenstands. Es ist dem Autor nicht recht gelungen, festzustellen, warum der Geist seiner pädagogischen Leichname fortlebt. Er konstatiert lediglich, daß es sich um zwei unterschiedliche Geisteshaltungen handelt.
Ausgehend von einer historischen und biographischen Herleitung (La vie et loeuvre) stellt SAFFANGE der Kritik an der traditionellen Schule die Kritik der zeitgenössischen École nouvelle gegenüber, wie sie Neill betrieben hat. SAFFANGE zieht aus beiden Herangehensweisen ein optimistisches Resümee, das er mit "Vers l'impossibilité d'éduquer" betitelt. Hieran anschließend beschreibt er detailliert die Pädagogik Neills am Beispiel der Schule in Summerhill. Dabei gilt sein Hauptinteresse dem Self-government der Schule. Weiterhin beschäftigt er sich intensiv mit dem Menschenbild Neills, das er dem Homer Lanes gegenüberstellt. Abschließend widmet SAFFANGE ein umfangreiches Kapitel der Kritik an Neill und seinem Erziehungskonzept. Er teilt diese Kritik in eine pädagogische, eine psychologische und eine politisch motivierte Kritik auf. Er kommt zu dem Schluß, daß es Neills Verdienst sei, die bisherige Erziehungspraxis bloßgestellt zu haben. Neill habe dazu beigetragen, daß die Natur des Kindes und der Wert der Kindheit einen höheren Stellenwert beigemessen bekämen. Seine Ideen seien in die allgemeine pädagogische Praxis eingeflossen. Dabei müsse festgestellt werden, daß Neill es versäumt habe, eine entwicklungsfähige Theorie zu formulieren. Summerhill habe zwar die Pädagogik bereichert, könne aber auf Dauer nicht ohne Neill weiterbestehen und habe - bis auf die Lewis-Wadham-School Herb Snitzers [74] - keine Nachahmer gefunden. Die anfängliche Begeisterung für Neills Erziehungsidee sei schnell abgeflaut und werde heute - da Neill überwiegend auf den Begriff "Freiheitspädagogik" reduziert werde - vielfach als Irrweg in der Pädagogik betrachtet. Neill sei als "träumerischer Theoretiker" gleichzusetzen mit pädagogischen Herausforderern wie Pestalozzi und Makarenko [S.204]. Die Arbeit von SAFFANGE nimmt einige Feststellungen späterer Arbeiten kongenial vorweg. Sie wird in ihnen nicht wieder aufgegriffen. Auch in der pädagogischen Diskussion Frankreichs scheint sie keinen nennenswerten Einfluß gehabt zu haben. Gleichwohl ist es sicher ein Verdienst, in einem Land, daß für seinen recht rigiden Erziehungsstil bekannt ist, eine Würdigung Alexander Neills zu verfassen.
Harald Hirschfeld definiert zunächst Übereinstimmungen und Unterschiede in den pädagogischen Konzeptionen Neills und Rousseaus. (Abschließend zweifelt er an, daß bei Neills Vorstellungen überhaupt von einer Konzeption die Rede sein könnte [S.370].) Anschließend wendet er sich "Freiheit als zentralem Aspekt des pädagogisch Feldes" zu und handelt die "Situation und das Wirken des Erziehers" ab. Schließlich stellt Hirschfeld fest, daß Neill und Rousseau eigentlich nicht vergleichbar sind: "Die wesentlichen Differenzen zwischen Rousseau und Neill beginnen demnach in einer fundamentalen Schicht. Das macht sie genaugenommen auch in allem folgenden unvergleichlich." [S. 375]. Harald Hirschfeld gesteht in seiner Arbeit von vorn herein ein, daß er die in den frühen siebziger Jahren geradezu hysterische Begeisterung für Neill nicht teilt, dessen Werk "augenscheinlich überhaupt erst durch das Echo in der pädagogisch dilettierenden Öffentlichkeit und durchaus nicht schon an sich selber die Aufmerksamkeit der Fachkundigen erregte" [S.8], und diese kritisch ablehnende Haltung durchzieht die Arbeit. Die "Autopsie zweier pädagogischer Ideale" - so der Untertitel der Arbeit von Harald Hirschfeld - diagnostiziert gewissermaßen den partiellen Tod ihres Forschungsgegenstands. Es ist dem Autor nicht recht gelungen, festzustellen, warum der Geist seiner pädagogischen Leichname fortlebt. Er konstatiert lediglich, daß es sich um zwei unterschiedliche Geisteshaltungen handelt.
Themenschwerpunkte der Arbeit SCHMIDt-Herrmanns sind Neills Auseinandersetzung mit den psychoanalytischen Ansätzen Homer Lanes und Wilhelm Reichs, das Menschenbild Neills und die daraus resultierende Erziehungspraxis - aus der Schmidt-Herrmann eine "antiautoritäre Führungstheorie" ableitet [S.151ff], die Mittel entwickele, auf Kinder ohne Zwang und Unterdrückung einzuwirken. Sie konstatiert, daß Neill in seiner Pädagogik kognitive Aspekte gegenüber emotionalen vernachlässigt habe [S.187] und kritisiert aus diesem Grund seine Bildungsvorstellungen. Neill konzentriere sich auf Beobachtungslernen und vernachlässige systematische Aspekte der Wissensaneignung, das er als gering zu schätzendes "Bücherwissen" abtue. Trotz der Konzentration auf emotionale Aspekte vermißt SCHMIDT-HERRMANN in der Pädagogik Neills Anteile, die Kinder und Jugendliche befähigen, empatisch zu handeln [S.194ff.]. Neills Einschätzung, daß die Freiheit des einzelnen da endete, wo sie die Freiheit anderer einschränke, wird von ihr gewissermaßen mechanistisch interpretiert - der einzelne lerne diese Einschränkung nicht von selber zu bemerken, sondern sei und bleibe auf die Reaktion der anderen angewiesen. "Richtungsweisungen des Erziehers, die Gefühle des Mitleids oder Helfenwollens zu wecken suchen, nennt er [Neill] keine, weil er sie nicht in positiver Beziehung zum Individuum zu setzen weiss." [S.199] Ihre Schlußbetrachtung über die "Bedeutung Neills für die Pädagogik" faßt SCHMIDT-HERRMANN in vier Punkte zusammen:
(Ergänzung JG: Diss. Uni Zürich (1987): Ute Schmidt-Herrmann, Ute: A. S. Neill und seine Schule Summerhill : als Beispiel aus der Geschichte der antiautoritären Erziehung, 243 S.) KAHLO 1991(?) (unveröffentlicht)
Die Darstellung vermittelt den Eindruck, daß Danë GOODSMANN der Insider-Sicht - trotz aller in der Arbeit diskutierten Implikationen dieses Standpunkts - den Vorrang gegenüber außenstehender Betrachtung gibt ("Summerhill creates Summerhillians" [S.221]). Als sie nämlich in einem wesentlich kürzeren Abschnitt auf die Sichtweise von "Outsidern" eingeht (sie analysiert zu diesem Zweck eine recht große Auswahl von Texten über die Schule [75]) kommt sie zu dem Schluß, daß die Betrachter in der Schule überwiegend ihre eigenen Vorstellungen widerspiegeln. Sie schreibt zusammenfassend über Summerhill: "I made the claim that it has never been subject to research." [S.219]
Die Qualität der Arbeit von Danë GOODSMANN liegt zweifellos in der differenzierten Beschreibung der Schulwirklichkeit aus Sicht einer ehemaligen Schülerin. In ihrer Kritik der Perspektive Außenstehender begibt sie sich auf schwankenden Grund: Wäre eine Betrachtung von außen unzulässig, könnte über keine Schule oder Institution vergleichend oder auch nur beschreibend Bericht erstattet werden. Danë GOODSMANN unterbewertet die Fähigkeit Außenstehender, von ihren Positionen aus zu abstrahieren. Sie gesteht den Autorinnen und Autoren keine kritische Distanz zu ihren eigenen Positionen zu (und mag dabei in Einzelfällen Recht haben) und will gleichzeitig mit ihrer Arbeit unter Beweis stellen, daß eine wissenschaftliche Ausbildung Menschen zu kritischer Selbstdistanz befähigt. Damit ist ein Paradoxum konstruiert, aus dem sich Danë GOODSMANN in ihrer Arbeit nicht befreien kann. Über die außenstehende Betrachtungsweise schreibt sie: "Summerhill was viewed as the embodiment on an ideology, not simply as a school. I argued that writings about Summerhill tend to reflect quite directly the values and concerns of their authors. People find the Summerhill they seek." [GOODSMANN 1992, S.226] "It tends to be interpreted as a reflection of what people want it to be rather than what it is." [S.227] BLEIWEIS 1995 (unveröffentlicht)
Birgit BLEIWEIS hat 1995 eine Diplomarbeit vorgelegt, in der sie Summerhill mit der Glockseeschule in Hannover vergleicht. Dabei konzentriert sie sich zunächst auf Unterrichtsmethoden, die unterschiedlichen Konzepte der Selbstregierung, die Geschlechtererziehung, die Einbeziehung von Eltern und die Schichtzugehörigkeit der Kinder, die die Schulen besuchen. Anschließend wendet sie sich den Erziehungszielen der Schulen zu und analysiert einzelne Aspekte dieser Ziele wie z.B. "Glück" bei Neill. Bei ihren Vergleichen spricht sie der Glockseeschule eine bessere Position zu. Sie habe bei Aspekten wie Unterrichtsmethoden, Geschlechtererziehung, Elternbeteiligung und Schichtenverteilung einen höheren Entwicklungsstand. Lediglich bei der Selbstbestimmung der jungen Menschen schneidet Summerhill besser ab. Abschließend behandelt sie einerseits den Vorwurf der Inselpädagogik an derartigen Modellschulen [76] und andererseits die Möglichkeit der Übertragung von Alternativschulmethoden auf die Regelschule. Im Rahmen dieser Fragestellung resigniert Birgit BLEIWEIS vor der Politik, der sie eine nahezu unbeschränkte Entscheidungsgewalt für den Schulbereich zuspricht.
Insbesondere die "Nachbemerkung" meines Buches von 1995 ist in Zusammenhang mit der hier vorliegenden Arbeit von Bedeutung [78]. Darin hebe ich hervor, dass Neill durch die enorme Popularität seiner Bücher in den Köpfen der Menschen viel bewegt hat. Heute sind Zwangsmittel in der Erziehung verpönt und es besteht ein Konsens darüber, daß demokratische und emanzipatorische Ziele in der Erziehung einen hohen Stellenwert haben. Darüber, ob Neills Schriften herzu beigetragen haben oder deren Popularität eine Folge dieses Trends war, kann nur spekuliert werden. Gleichwohl können wenig Auswirkungen freiheitlicher Pädagogik im Sinne Neills im staatlichen Schulwesen nachgewiesen werden. Deshalb sind Neills Ansichten fortwährend für Reformbestrebungen im Erziehungswesen von Bedeutung [vgl. KÜHN 1995, S.132f]. ZELLINGER 1996 (Internetveröffentlichung auf summerhill.paed.com)
So verwendet Margit ZELLINGER einen großen Teil ihrer Arbeit auf die Beschreibung von Neills Leben (als Österreicherin beschreibt sie besonders differenziert das Jahr 1923, als die Schule auf dem Sonntagberg war) und die Schulwirklichkeit heute mit den sie umgebenden Strukturen (das englische Schulsystem, Förderinstitutionen). Die 15 von ihr befragten ehemaligen Schülerinnen und Schüler stammen aus unterschiedlichen Altersgruppen und waren zu unterschiedlichen Zeiten und unterschiedlich lang in Summerhill. Die Ergebnisse ihrer Befragung stellt Margit ZELLINGER denen Emanuel BERNSTEINS von 1968 gegenüber. Die Hälfte der Befragten (sieben) kamen deshalb an die Schule, weil sie in der vorhergehenden Schule Schwierigkeiten entwickelt hatten. Andere wurden an die Schule geschickt, weil die Eltern auf ein Internat angewiesen waren, und nur ganz wenige wurden nach Summerhill geschickt, weil ihre Eltern eine Vorliebe für Neills Pädagogik hatten oder bei der Beschäftigung mit der Philosophie der Schule entwickelten. Die Befragten berichteten, daß sie nur wenig Heimweh bekommen hätten und schnell Beziehungen zu anderen (vor allem älteren) Kindern aufgebaut hätten. Viele der Kinder blieben - unabhängig von vorhergehenden Schulerfahrungen - lange Zeit dem Unterricht fern. Trotzdem legten zwei Drittel aller Befragten gegen Ende ihrer Schulzeit reguläre Abschlußprüfungen ab und erlangten einen qualifizierten Schulabschluß. Kritik wurde an den schlechten Unterrichtsmethoden geübt, während gleichzeitig die kleinen Lerngruppen, der individuelle Lernstil und das freundschaftliche Lehrende/Lernende-Verhältnis geschätzt wurden. Abschließend stellten zwei Drittel der Befragten fest, daß sie von ihrer Schulzeit in Summerhill persönlich profitieren konnten, vier waren unsicher in dieser Frage und einer meinte, ihm habe der Besuch der Schule geschadet. Als wichtigste Aspekte des Schullebens wurde die Selbstverwaltung durch die Kinder und Erwachsenen sowie die Freiheit, den Spieltrieb auszuleben, angeführt. Die erste Zeit nach Verlassen der Schule bezeichneten viele ehemalige Schülerinnen und Schüler als schwierig. Besonders das Bewußtsein, über wenig Faktenwissen zu verfügen, verunsicherte die jungen Menschen. Als positives Element wurde von ihnen jedoch hervorgehoben, daß sie Selbstsicherheit erlangt hätten und in der Lage waren, zielgerichtet zu lernen. Von den 15 Befragten haben sieben die Hochschulreife erlangt und weitere fünf einen Abschluß, der der mittleren Reife gleichgesetzt werden kann. Es fiel auf, daß die ehemaligen Summerhill-Schülerinnen und Schüler überdurchschnittlich viele Kinder hatten. Offenbar haben sie eine positive Attitüde gegenüber Kindern und Kindheit entwickelt. Gleichwohl sehen die Befragten - ähnlich wie die von Bernstein 1968 Befragten - keine Möglichkeit und Notwendigkeit, ihre Kinder in Summerhill unterrichten zu lassen. [S.105ff]. Margit Zellingers Untersuchungsergebnisse sind nicht nur aufgrund der kleinen Untersuchungspopulation, sondern vor allem aufgrund ihrer selektiven Auswahl (Besuchswochendende in Summerhill) leider nicht repräsentativ. Gleichwohl vermitteln sie einen Eindruck von der Wirkung der Summerhill-Pädagogik, der Interesse an tiefergehenden Studien weckt. AHRENS 1996 (Internetveröffentlichung auf summerhill.paed.com)
In einem einleitenden Teil beschreibt sie die biographische Entwicklung Neills, seine "Mentoren" Lane, Freud und Reich und sein Menschenbild. Dann stellt sie die "Neillschen Erziehungsprinzipien" dar, die sie in drei Schwerpunktfelder gliedert: Freiheit, Selbstbestimmung und Glück als Ziel der Erziehung. Im weiteren Verlauf wird die aktuelle Organisation in Summerhill - also 25 Jahre nach Neills Tod - beschrieben. Und schließlich kommt Birgit AHRENS zum "Einfluß Summerhills auf pädagogische Ansätze der Studentenbewegung". Dabei analysiert sie zunächst den Begriff "antiautoritäre Erziehung" [S.67ff] und bemüht sich um eine Abgrenzung von Neills Erziehungsmodell zu den Erziehungskonzepten z.B. der Kinderladenbewegung. Anschließend behandelt sie die deutsche Alternativschulbewegung und deren Bezüge zu Summerhill. In einem weiteren Abschnitt geht sie auf die Kritik an Neills Erziehungsmodell ein und abschließend kommt sie zur "Relevanz für die Schule von heute". Hier stellt sie zunächst Neills Auffassung über die Schwierigkeiten einer Übertragung der Summerhill-Prinzipien auf das allgemeine Schulwesen voran (und stellt fest, daß Summerhill nie den Anspruch erhob, Vorbild für Regelschulen zu sein [S.100]). Dann analysiert Birgit AHRENS die Strukturelemente des öffentlichen Schulwesens, die eine Übernahme der Prinzipien erschweren, und schließlich vergleicht sie die Ziele des Bildungsplans in Baden-Württemberg mit der Pädagogik Neills. Sie kommt zu dem Schluß: "Während einige Ziele übereinstimmen, so gibt [es] in der deutschen Regelschule jedoch kaum Methoden, um diese zu verwirklichen." [S.97] Die Zielsetzungen Neills fänden sich ebenfalls in den Bildungsplänen [S.98]. Eine Übertragung mache jedoch strukturelle und institutionell-hierarchische Neuordnungen erforderlich, die durchzusetzen kaum möglich sein würde. Abschließend kritisiert Birgit AHRENS die aktuellen Gegebenheiten Summerhills und fordert eine Neuorientierung z.B. in bezug auf ökologisches Handeln. Trotz ihrer recht grundsätzlichen Kritik schließt sie ihre Arbeit mit den Worten: "Hier gilt es eine Tradition fortzusetzen, die sich bereits seit 75 Jahren erfolgreich gegen innere und äußere Angriffe behauptet hat." [S.103] Birgit AHRENS umfangreiche Examensarbeit ist klar gegliedert und sorgfältig recherchiert. Sie stellt einen beachtenswerten Beitrag zur Rezeption Neills und seines Erziehungsmodells dar und vermittelt auf anschauliche Weise eine plausible Interpretation der tatsächlichen und möglichen Wirkung Neills auf die Schulpädagogik.
Martin KAMP gelingt eine Klärung vieler Mißinterpretationen Neills, indem er schreibt: "Man könnte die Neill'sche Pädagogik im Gegensatz zur landläufigen Pädagogik mit gutem Grund antipädagogisch nennen und als antipädagogische Pädagogik unter die anderen unbeholfenen paradoxen Begriffe einreihen: unbürokratische Bürokratie, antipsychiatrische Psychiatrie, entschulte Schule. [...] Der Begriff Antipädagogik konstituiert keine wirklich neue Disziplin, sondern eher ein alternatives Teilgebiet der Pädagogik!" [S. 94f] KAMP führt aus, daß Neill keine Erziehungstheorie vorgelegt hat, sondern daß er statt dessen ein umfassendes anthropologisches Funktionsmodell vom Menschen propagiert habe, das verbunden mit seiner Erziehungspraxis Rückschlüsse auf eine pädagogische Theorie ermögliche [ebd.]. Ein abschließendes Kapitel betitelt Martin KAMP mit "Die magische Wirkung der genialen Erzieherpersönlichkeit". Darin zeichnet er Neills überragendes Vermögen, sich in andere Menschen, vor allem aber Kinder, hineinzudenken und dabei Mechanismen zu erkennen und freizulegen, die anderen Menschen nicht ohne weiteres zugänglich sind, nach. Er widerlegt die Behauptung, Neills Erziehungsidee sei von seiner Persönlichkeit geprägt und die Schule könne nach seinem Tod nicht weiter bestehen.
Im Beitrag von Ulrich KLEMM wird versucht, wichtige Strukturelemente der Erziehungsidee Neills zusammenzufassen und ihre Diskussion in pädagogischen Kreisen zu beschreiben. Die Summerhill-Mitarbeiter David STEPHENS und Matthew APPLETON schildern ihre Erfahrungen an der Schule. Weitere Autorinnen und Autoren beschreiben Schulen, die sich in Anlehnung an das Vorbild Summerhill entwickelt haben bzw. berichten von Erziehungsexperimenten, die in Zusammenhang mit Neills Ideen standen. In seinem eigenen sehr umfangreichen Aufsatz geht Peter LUDWIG der Frage nach, wann und unter welchen Umständen von einem Scheitern eines Erziehungsstils geredet werden kann. Er kommt zu dem Schluß, daß es Ausdruck einer verkürzten Betrachtungsweise sei, wenn von einem Scheitern von Neills Erziehungsidee geredet werde. Tatsächlich habe die Diskussion um Neill und Summerhill auf vielen Ebenen Einfluß gehabt, so daß quasi unmerklich Summerhill in die aktuelle Erziehungspraxis diffundiert sei. Peter LUDWIG zeigt es als den Verdienst der durch Neill angeregten Diskussion auf, daß konservative Erziehungsstile nicht länger unhinterfragt akzeptiert werden, während der Beitrag autonomiefördernder Erziehungsstile zur Demokratieentwicklung mittlerweile unbestreitbar ist. BOSSELMANN 1999 (Internetveröffentlichung auf summerhill.paed.com)
Die Arbeit von Stefanie BOSSELMANN beschränkt sich auf die unmittelbare Medienberichterstattung über die Schule und greift nur randständig die pädagogische Diskussion um die Bedeutung Neills und Summerhills auf. Ihr desillusionierendes Urteil über die Bedeutung Summerhills für die Schulpädagogik mag nicht unbegründet sein. Die Quellen, die sie verwendet, lassen jedoch ihre abschließende Bewertung wenig plausibel erscheinen.
Das Buch beschreibt die Schule in ihrem gegenwärtigen Zustand, ohne in nennenswertem Ausmaß auf die lange Geschichte der Schule und die Biographie ihres Gründers einzugehen. Die Themenschwerpunkte in APPLETONS Bericht sind die Beziehungen der unterschiedlichen Personengruppen an der Schule untereinander, die demokratische Organisation, die Freiwilligkeit des Unterrichtsbesuchs und ihre Folgen sowie der Gebrauch von Schimpfwörtern und der Umgang mit Sexualität. APPLETONS anekdotenreicher Schreibstil erinnert stark an die Bücher Neills und es fällt schwer, sich dem Eindruck zu entziehen, daß er parallel zum Schreibprozeß eifrig in Neills Werken blättert, um Anregungen für seine Ausführungen zu finden. Sicher beschreiben beide Autoren die gleiche Schule, die nach nahezu gleichen Grundsätzen arbeitet. Thematisch unterscheiden sich die Ausführungen schon aus diesem Grund nicht. APPLETON gesteht auch einleitend ein, daß er sich in seinem Bericht notgedrungen wenig von Neill unterscheide. Unterschiede werden schließlich an den zeitbezogenen Beispielen aus dem Umfeld der Schule oder der aktuellen Organisation des Schullebens deutlich. So beschreibt APPLETON z.B. die Integration japanischer Kinder, die erst seit Anfang der neunziger Jahre in größerer Anzahl an die Schule kommen. Das Buch von Matthew APPLETON ist eine leicht lesbare Dokumentation der gegenwärtigen Situation Summerhills. Die pädagogische Idee der Schule wird ohne den Ballast akademischer Quellenangaben und ohne ausgeprägte Heldenverehrung gegenüber Alexander Neill präsentiert.
Das Buch vermittelt eine Atmosphäre Summerhills, wie sie in den Schriften Neills bereits deutlich wurde. Damit legt sich die Folgerung nahe, daß Neill seine Schule nicht weit von ihrer beschreibbaren Realität geschildert hat. Auch die Beschreibung der Personen vermittelt einen sehr authentischen Eindruck, etwa wenn Hylda SIMS einen Dialog zwischen Muir und der ehemaligen Schülerin entwickelt. Dieser enthält folgende Replik: "Muir!" Charlotte grinned self-consciously. "You?re such a sexist - such a naive and old-fashioned guy underneath." [S.86] Mit dieser wenig vorteilhaften, aber in ihrem Kontext wohlwollenden Einschätzung des nahezu 100jährigen Schulleiters Muir beschreibt SIMS den alten Neill, dessen revolutionären Ansichten in bezug auf Kindererziehung und deren radikale Verfechtung paradoxerweise ein recht konservatives Weltbild zugrunde lag. Die zunehmend dramatische Handlung des Buches kulminiert in der Feier des 100. Geburtstags Muirs, bei der ein "peeping Tom", ein pädophiler Fotograf, der durch seine Aufnahmen die Schulschließungsdiskussion ausgelöst hatte, ums Leben kommt. Der in seiner Dramatik etwas übersteigerte Schluß kann als Schwäche dieses Liebes-, Erziehungs- und Kriminalromans eingeschätzt werden, der in seiner Gesamtheit eine außerordentlich spannende und anschauliche Schilderung der pädagogischen Realität einer Schule wie Summerhill bietet.
Zusammenfassung und FazitDie Autorinnen und Autoren, die sich nach Neills Tod mit seiner Person, seinem Werk oder der Schule Summerhill beschäftigt haben, wandten sich unterschiedlichsten Einzelaspekten dieses Themenkomplexes zu. Die akademischen Arbeiten haben fast alle eine biographische Einleitung, an die sich die Beschäftigung mit Teilaspekten Neills Erziehungsidee anschließt. Die Qualität der vorliegenden Arbeiten unterscheidet sich sehr. Dabei müssen einige Magister- und Diplomarbeiten den Vergleich mit den z.T. in hohen Auflagen veröffentlichten anderweitigen Veröffentlichungen nicht scheuen. Bei dieser Zusammenstellung fällt auf, daß erst zehn Jahre nach Neills Tod eine Beschäftigung mit ihm und seiner Schule neuerlich einsetzt. Nach 1983 erscheinen die größeren Werke dann allerdings fast in jährlichem Abstand. Dies belegt, daß Neill zu Lebzeiten keine "Schüler" um sich gesammelt hat, die sein Werk fortgeführt haben. Statt dessen greifen nun überwiegend Außenstehende, vielfach junge Autorinnen und Autoren, die Neill nicht mehr persönlich kennengelernt haben, seine Person und seine Schulidee zunächst als Thema von Qualifikationsarbeiten (Dissertationen und Examensarbeiten) auf. Eine Ausnahme bildet gewissermaßen Jonathan CROALL, der 1983 eine umfassende Biographie Neills vorgelegt hat. Auch aus diesem Grund wurde sein Werk bereits im vorangehenden Abschnitt beschrieben. Im späteren Verlauf nehmen literarische Werke zu und der Fokus der Beschäftigung liegt zunehmend auf der Schule selbst. Zusammenfassend soll nun zunächst ein knapper Katalog von Themenblöcken, die in den Arbeiten behandelt werden, aufgelistet werden. Anschließend werden die Einstellungen der Autorinnen und Autoren bezüglich der Wirkung Neills und Summerhills näher betrachtet. Katalog zentraler Themenstellungen in den Veröffentlichungen Begründung von Erziehungsnormen, Demokratiestrukturen / Autorität und Selbstbestimmung [KARG 1983, SAFFANGE 1985, GRAVEL 1985]; schottische Einflüsse [WELLS 1985]; der Einfluß der Psychoanalyse auf Neills Erziehungspraxis [SCHMIDT-HERRMANN 1988]; "Freiheit" und der Vergleich mit Rousseau [HIRSCHFELD 1987]; Einfluß auf das öffentliche Schulwesen in Deutschland [KAHLO 1991(?), AHRENS 1996, BOSSELMANN 1999]; Insider-Outsider Sicht bzgl. der Schule [GOODSMANN 1992]; Summerhill/Glocksee [BLEIWEIS 1995]; Bewertung durch ehemalige Schülerinnen und Schüler [ZELLINGER 1996]; Biographie / historische Voraussetzungen und Genese von Neills Erziehungsidee [KÜHN 1995, KAMP 1997]; "Scheitern" der Erziehungsidee [LUDWIG 1997]; Erfahrungen an der Schule lange nach Neills Tod [APPLETON 2000]; mögliche Schließung [SIMS 2000] Diese Themenblöcke lassen nur verdeckt eine stringente Entwicklung einer pädagogischen Diskussion erkennen. Es macht den Eindruck, daß die Autorinnen und Autoren sich wenig aufeinander beziehen. Lediglich GOODSMANN [1992] rekapituliert eine Reihe früherer Veröffentlichungen, dies aber weniger aus rezeptionsanalytischer Perspektive als aus Sicht der Ethnologin auf ihren Forschungsgegenstand. Die "frühen" Autoren KARG [1983] und SAFFANGE [1985] beschäftigen sich noch sehr ausführlich mit der Aufarbeitung von Neills Schriften. Sie versuchen, aus ihnen eine schlüssige Theorie oder ein Erziehungskonzept zu extrahieren bzw. sie in Bezug zu anderen Theoriekonstrukten zu stellen [WELLS 1985, SCHMIDT-HERRMENN 1988, HIRSCHFELD 1987 und gewissermaßen auch der Roman von GRAVEL 1985]. Die Examensarbeiten deutscher Studentinnen [KAHLO 1991(?), AHRENS 1996, BOSSELMANN 1999] beschäftigen sich fast ausnahmslos [Ausnahme: BLEIWEIS 1995!] mit der Frage einer Übertragbarkeit der Summerhill-Idee auf den öffentlichen Schulsektor. Daß sie dies über einen Zeitraum von acht Jahren tun, ist ein Indiz dafür, daß die Unzufriedenheit mit den pädagogischen Maximen der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung fortdauernd gärt und daß Studentinnen und Studenten dieser Studiengänge in der pädagogischen Diskussion der letzten Jahrzehnte nach Alternativen zum herkömmlichen Schulbetrieb suchen. Ein Phänomen ist die neuerliche Beschäftigung mit Neills Biographie bei KÜHN und KAMP in den Jahren 1995-1997. Wir entstammen einer Generation, die erst nach Neills Tod mit dessen Schriften in Kontakt gekommen ist. Die Schulwirklichkeit Summerhills haben wir beide ohne den "charismatischen" Schulgründer bei Studienbesuchen erlebt. In der biographischen Beschreibung arbeiten wir besonders intensiv die Wurzeln Summerhills aus den 20er Jahren in Hellerau auf. Margit ZELLINGER, die ihre Examensarbeit 1996 in Salzburg veröffentlicht hat, tut ähnliches für den kurzen Zeitraum, in dem die Schule in Österreich war. Sie konzentriert sich jedoch erneut auf einen empirischen Ansatz, der der Frage nachgeht, welche Auswirkungen die Pädagogik Neills auf ehemalige Schülerinnen und Schüler hat. Damit leitet sie über auf eine Beschäftigung mit Summerhill in seiner gegenwärtigen Struktur. In der Aufsatzsammlung Peter LUDWIGS [1997] geht es (mit Ausnahme von LUDWIGS langem Aufsatz) zunehmend um die Schulwirklichkeit Summerhills lange nach Neills Tod. Dieses Thema nimmt Appleton [2000 - das Manuskript liegt seit 1995 vor!] erneut auf und beschreibt, wie Summerhill fast 75 Jahre nach seiner Gründung funktioniert. Ähnlich ging GOODSMANN bereits 1992 vor. Bei diesen Beschreibungen tritt der Schulgründer immer mehr in den Hintergrund. Es geht weniger um die Person Neills als um die Realität seines Werkes. Gewissermaßen unfreiwillig nimmt die letzte vorliegende Buchveröffentlichung, der Roman von Hylda Sims, diese Tendenz auf und schildert eine drohende Schulschließung und die durch sie ausgelösten Mechanismen. Vielleicht ist in dieser Entwicklung die logische Konsequenz aus dem wiederkehrenden Vorwurf zu erkennen, Neill sei ein brillanter Praktiker und ein lausiger Theoretiker gewesen. Immer wieder schrieb er selbst, er beschreibe nicht einmal ein Experiment, sondern eine pädagogische Demonstration. Diese Demonstration und ihre Implikationen geraten erkennbar immer stärker in den Fokus wissenschaftlicher Betrachtung. Einhergehend damit wird die "charismatische Persönlichkeit" des Schulgünders in Buchveröffentlichungen über Summerhill immer weiter in den Hintergrund gedrängt. Vielleicht auch aus der Erkenntnis heraus, daß pädagogische Theoriebildung wenig Einfluß auf die pädagogische Praxis hat und dazu verführt, das Schulkonzept einem Theoriezusammenhang zuzuordnen, der nur am Rande mit der Schulwirklichkeit zu tun hat, wird der Realität der Summerhill-Schule als Praxisbeispiel ein zunehmend höherer Stellenwert zugebilligt, womit sich - in gewisser Weise - thematisch der Kreis zu den ersten begeisterten Veröffentlichungen über Neill und Summerhill schließt. Die anfängliche Euphorie ist jedoch in den späteren Werken von der realistischen Erkenntnis abgelöst, daß die Schule mit ihrem fortwährend revolutionärem Konzept sich in einem nicht immer wohlwollenden Umfeld behauptet hat und behaupten konnte. Bezogen auf die Einschätzung von Neills Wirkung ist eine eingehendere und differenzierte Betrachtung der Arbeiten geboten. So betont KARG, daß es der wichtigste Beitrag Neills zur pädagogischen Diskussion sei, nachgewiesen zu haben, daß Schülerinnen und Schüler, die frühzeitig lernen, Normen und Regeln selbst zu vereinbaren und sie zu begründen, in der Lage sind, "lebenslang" diesen Prozeß selbstbestimmt weiter zu betreiben. Schulen müssen ihm zufolge wahrhaftig demokratische Strukturen entwickeln, für die Neills Normengebung ein Vorbild sei. Die Frage, inwieweit diese Leistung Neills tatsächlich von der pädagogischen Öffentlichkeit aufgegriffen wird und ob sie als seine genuine Leistung gewürdigt wird, bleibt ebenso unbeantwortet wie die Frage danach, ob die ehemaligen Summerhill-Schülerinnen und -Schüler in ihren aktuellen Lebensbezügen tatsächlich die Gelegenheit haben, die Selbstbestimmungskultur Summerhills zu realisieren. Empirische Daten hierzu sind nie erhoben worden und es erfordert sicher erhebliche Anstrengungen ein Forschungsdesign zu entwickeln, das eine Erhebung valider Daten unter dieser Fragestellung ermöglicht. Ute SCHMIDT-HERRMANN schreibt, daß Neills erzieherischer Umgang geltende Regeln in Frage stelle und erst dann akzeptiere, wenn ihre Begründung und Notwendigkeit einsichtig geworden sind. Sie vernachlässigt die Frage nach einer konkreten Übertragbarkeit und würdigt Neills Leistung bei der Etablierung eines "wenig direktiven" Führungsstils und der Gewaltlosigkeit in der Erziehung. Neills Einfluß auf das öffentliche Schulwesen wird höchst unterschiedlich bewertet. WELLS betont für Schottland, daß die einschneidenden Veränderungen im dortigen Schulwesen unzweifelhaft auf Neills Einfluß zurückzuführen seien. Demgegenüber schreiben die deutschen Autorinnen, die sich mit dieser Fragestellung befassen, fast unisono, daß es für die hiesige Schulrealität keinen solchen Einfluß gebe, ja daß ein solcher Einfluß strukturell ausgeschlossen sei [KAHLO 1991(?), AHRENS 1996]. KAHLO betont, daß der Einfluß Neills weniger auf die Schule als auf die familiäre Erziehung gewirkt habe. Etwas weiter geht Peter LUDWIG, der deutlich macht, daß es dank Neill oder der Diskussion um ihn mittlerweile nicht mehr möglich ist, einen autoritären Erziehungsstil zu rechtfertigen. Es gilt inzwischen als völlig unumstritten, daß Kindern und Jugendlichen Autonomie zugesprochen wird, weil sie auf andere Weise nicht in der Lage sind, in demokratische Strukturen hineinzuwachsen. Peter LUDWIG drückt sich bewußt vorsichtig aus, wenn er schreibt, daß es die durch Neill angeregte Diskussion war, die diesen Effekt hatte. Ob diese Diskussion nun um Neills Gedanken kreiste oder ob diese durch den bereits bestehenden Diskurs eine so große Popularität erhielten, entzieht sich der nachgehenden Einschätzung. Neills größte Leistung - folgt man dieser Zusammenfassung - war es also, demokratische Strukturen an einer Schule einzurichten, die ihre Basis auf der Grundidee hatten, daß Kinder und Jugendliche autonom entscheiden können. Die Tragweite dieser Autonomie war und ist in Summerhill außerordentlich weit [79]. Wenn Summerhill je ein Vorbild für institutionalisierte Erziehung war, so wurde die Autonomie der Kinder nie im gleich großen Ausmaß umgesetzt. Daß eine solche Umsetzung und Ausweitung der Autonomie gerade in Zusammenhang mit der heutigen pädagogischen Diskussion einen bedenkenswerten Ansatz darstellt, soll in einem späteren Abschnitt dargestellt werden (?S.151). Zunächst sollen erneut die Autorinnen und Autoren zu Wort kommen, die sich z.T. vor über 40 Jahren mit Neills Idee auseinandergesetzt haben.
Fußnoten [74] Saffange zitiert Herb Snitzer mehrfach als "M. Snitzer" [S.203] und listet dessen Buch über Summerhill in der Literaturliste in allen drei Ausgaben, der englischen, amerikanischen und französischen, - unabhängig voneinander auf. Mindestens zwei dieser Bücher kann er nicht gelesen haben, sonst wäre ihm die Übereinstimmung aufgefallen. [75] Besonders Artikel aus der Tagespresse, die sie in einem Anhang der Arbeit wiedergibt (sie dürfen in England aus urheberschutzrechtlichen Gründen nicht vervielfältigt werden und sind deshalb in der von der British Library kopierten Fassung der Arbeit nicht enthalten) vertreten eine sehr undifferenzierte Betrachtung der Schulwirklichkeit [vgl. hierzu auch den Abschnitt über die Presseberichterstattung ab S.83]. [76] Sie entkräftet ihn ähnlich wie Kamp, der sagt, daß dieser Insel Vorwurf "sich auch auf beinahe jede normale Schule, jedes normale Heim anwenden" läßt[Kamp 1995, S.446]. [77] Es ist im "Planned Environment Therapy Trust Archive and Study Centre" archiviert. Dieses Zentrum wurde "established in 1989 to gather, care for, and make available in a professional and appropriate way archive, library and other materials related to planned environment therapy, therapeutic community, milieu therapy, and progressive/alternative/democratic education more generally" [http://www.pettarchiv.org.uk/ (Zugriff im Juli 2001)]. [78] Die hier vorliegende Arbeit baut gewissermaßen auf die "Nachbemerkung" in dem Buch von 1995 auf. [79] Einschränkungen in der umfassenden Demokratisierung des Schulalltags in Summerhill beschreibt John Darlingin einem Zeitschriftenaufsatz [vgl. Darling1992]
Diss: Axel Kühn: Alexander Neill Fortsetzung (Nachgehende Autorinnen- und Autorenbefragung)
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