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Literatur & MedienZurück: 7. Zum Kontext der Selbstregulation und 8. Leben und Werk W. Reichs Fortsetzung: 9.3. Institutionelle Erziehung nach Reich
9. Praktische Umsetzung der Selbstregulation nach W. Reich9.1. Vorwort
Kinder stärken und Ermutigen - Körperkontakt, Sexualpädagogik, Sauberkeitserziehung Die Aufgabe eine konkrete und detaillierte Beschreibung der Umsetzung des Prinzips der Selbstregulation zu formulieren, bringt mich in ein gewisses Dilemma: Einerseits möchte ich mich nicht in eine der zahlreichen Gebrauchsanweisungen für Erziehungsfragen einordnen, die für jedes Problem bereits eine standardisierte Antwort parat hat, dies ist auch besonderst bei dieser Erziehungstheorie nicht sinnvoll und auch nahezu unmöglich. Andererseits möchte ich mich aber auch darum bemühen, diese Theorie in ihrem praktischen Kontext möglichst lebensnahe und umsetzbar darstellen, da man die Qualität einer Theorie nur an deren sinnvollen und praktische Anwendung bemessen kann. Erziehung ist ein sehr individueller Prozess, welcher viel Verantwortung, Bewusstsein und Engagement fordert, bei dem sowohl Eltern, als auch Pädagogen permanent mit den eigenen Gefühlen und Grenzen konfrontiert werden. Es geht primär darum jedes Kind in seiner Individualität wahrzunehmen und es in seiner Persönlichkeit zu fördern; dabei ist es von Bedeutung, dass der Erwachsene authentisch bleibt. Aus diesem Grund möchte ich auch nicht instruktiv interagieren, sondern ehr Anreize geben zur kritischen Reflexion persönlicher pädagogischer Leitbilder und Bewusstseinsbildung bezüglich der eigenen Verhaltensmuster. Oftmals ist es nicht die Situation, die verändert werden muss, sondern die eigene Sichtweise. Wenn man die Intuition (aus dem Bauch raus handeln), als die einzig pädagogische Richtlinie nimmt, läuft man schnell Gefahr seine Launen in den jeweiligen extreme Verhaltensweisen auszudrücken (man ist zudem in erster Linie auf die eigenen Gefühle fixiert, anstatt sich auch empathisch auf das Kind einzulassen). Andererseits ist es natürlich ebenso wenig ratsam einen pädagogischen Erziehungsstil dogmatisch und rein kognitiv zu übernehmen, damit kann man keine emphatische und authentische Beziehung zu seinen Kindern aufbauen. Aus diesem Grund konzentriere ich mich primär auf die zentralen Aspekten des Prinzips der Selbstregulation und werde detaillierte praktische Anweisungen bzw. Fallbeispiele soweit als möglichst vermeiden. (Ein konkretes Fallbeispiel, quasi als Beweis für das "funktionieren" dieses Erziehungsstils ist zudem unrealistisch. Das exemplarische selbstregulierte Kind gibt es in unserer Gesellschaft nicht. In unserem Sozialisationsprozess fließen so viele verschiedene gesellschaftliche, traditionelle, religiöse Faktoren mit ein, die ein Kind mitprägen, dass es in dieser Gesellschaft sehr schwierig ist, einem Kind die Chance zu geben sich wirklich völlig frei aus seinem inneren Kern heraus zu entfalten. Selbst wenn eine Familie es schafft ihrem Kind diese Plattform in den ersten Lebensjahren zu bieten, drängt das Kind, als soziales Wesen mit wachsendem Nachdruck nach außen. Es wird spätestens in der Schule oder in Peer-groups mit den gesellschaftlichen Normen und Wertemaßstäben konfrontiert werden, und sich durch den damit verbundenen Druck früher oder später anpassen müssen) Meiner Meinung nach sind zu viele und zu konkrete Beispiele auch deswegen nicht sinnvoll, da sie sich oftmals exemplarisch als fertiges Verhaltensmuster einprägen. Kinder sind in ihrer Persönlichkeit und Entwicklung aber sehr unterschiedlich und haben daher ein Recht, dass man den pädagogischen Leitfaden persönlich auf ihre Bedürfnisse ausrichtet, zudem sollte Authentizität als Voraussetzung für eine gesunde Beziehung angesehen werden. Deswegen möchte ich anhand ausgesuchter Aspekte der Selbstregulation eine Anregung oder Diskussion in Bewegung setzen, welche als Resultat haben könnte, dass Eltern durch diese Denkanstöße ihren eigenen Familienstil entwickeln und prägen können. Das Vorhaben, die Linie vom Säugling bis zum erwachsenen Menschen psychologisch nachzuzeichnen ist zudem unmöglich, da der Sozialisationsprozess, wie bereits erwähnt, von unglaublich vielen verschiedenen Faktoren abhängig ist; es gibt - Gott sei Dank - keine "gesetzmäßige" Erziehung. Aus diesem Grund werde ich die frühen pränatalen Erfahrungen eines Fötus bis hin zu der frühen Kindheit in altersgemäße Entwicklungsstufen zu beschreiben und mich in folgendem auf die zentralen Aspekte der Selbstregulation konzentrieren. Das Prinzip der Selbstregulation versteht sich folglich als pädagogische Orientierungshilfe, welche Eltern Mut machen möchte an ihre Kinder zu glauben, sie in der Reifung ihrer individuellen Persönlichkeit zu unterstützen und ganz hinter ihnen zu stehen - aber auch die eigenen Grenzen wahr zu nehmen und nicht zu übergehen. Ziel ist es Kinder gemäß ihrer natürlichen und individuellen Prägung nach wachsen zu lassen, so dass sie als selbstbewusste und lebensfrohe junge Erwachsene ihr Leben eigenverantwortlich meistern können. Der grundlegende Unterschied dieses Erziehungsmodells gegenüber anderen nicht-repressiven Erziehungskonzepten besteht in der orgonomischen Basistheorie. Die Maxime dieses Wissens betont die wichtige Bedeutung des freien, emotionalen Ausdrucks von Kinder und Jugendlichen, um sie dadurch vor einer Verpanzerung und Entfremdung ihrer Gefühlwelt zu bewahren. Das Prinzip der Selbstregulation ist ein Erziehungsmodell, welches primär als Präventionsmaßnahme zum Zuge kommt. Kinder und Jugendlichen mit schweren Erziehungsdefiziten oder Verhaltensauffälligkeiten sind zumeist schon emotional so stark gepanzert, dass diese Form der sanften und liebevollen Erziehung sie oftmals gar nicht mehr erreicht; sie reagieren zumeist primär auf Druck von außen und benötigen daher eher Struktur. 9.2. Familiäre Erziehung 9.2.1. Über den Einfluss pränataler Erfahrungen Reich stieß im Rahmen seiner Forschungen über die Entstehung von emotionalen, psychosomatischen und bio-energetischen Störungen bei Säuglingen und Kleinkindern, auch auf die Bedeutung der pränatalen (lat. der Geburt vorausgehend) Erfahrungen. Er sah den Embryo zunächst als einen Teil des mütterlichen Organismus und später zunehmend als eigenständiges Individuum. Durch diese Verschmelzung der beiden Systeme und Organismen entsteht ein energetischer Austausch, der sich unter günstigen Bedingungen schon während der Schwangerschaft zu einem energetischen Kontakt zwischen Mutter und Fötus entwickelt (d.h. wenn die Mutter die energetischen Abläufe bei sich selbst, bei dem Fötus, sowie die resultierende Wechselwirkung beider Organismen wahrnehmen kann). Embryos reagieren auf ungünstige Bedingungen wie z.B. auf dauerhafte negative Gefühle mit Kontraktionen. Dabei kann es bereits im Uterus zu energetischen Störungen kommen, was wiederum prägend für die psychophysikalische Konstitution des Kindes sein kann (sowohl für den Fötus, als auch nach der Geburt). Zudem wird durch eine starke Panzerung des mütterlichen Organismus, der energetische Kontakt zu dem Fötus eingeschränkt. (vergl. D. Fuckert 1995 : 74) Diese frühen Erkenntnisse Reichs wurden im wesentlichen von der modernen Säuglingsforschung (Stern, Lichtenberg ect.) in späteren Jahren wissenschaftlich bestätigt. Es gilt heute als erwiesen, dass Ungeborene sämtliche Gefühle der Mutter miterleben, diese verinnerlichen und von diesen dann selbst psychisch und physisch beeinflusst werden. 1980 wurde beispielsweise von dem Säuglingsforscher Graves wissenschaftliche Untersuchungen geliefert, dass bei Kindern bereits im Mutterleib integrative Mechanismen funktionieren, sowohl auf der biologischen, physiologischen, als auch im verhaltensbezogenen Bereich. (vergl. J.D. Lichtenberg 1991 : 142) Diese pränatalen Faktoren wirken sich dann unmittelbar auf die spätere Entwicklung des Kindes aus. (vergl. Schenk - Danzinger 1996 : 53, 56 - 60) Die Grundvoraussetzung zur Umsetzung des Prinzips der Selbstregulation ist deshalb, das primäre Recht der Kinder grundsätzlich gewollt zu sein. Eine selbstbestimmte Schwangerschaft und Geburt sollte zu den natürlichen Rechten der Frauen gehören (konsequenter Weise schließt dieses Recht auch das Recht auf Abtreibung mit ein). Wünschenswert wäre daher, wenn werdende Eltern die innere Bereitschaft schaffen können, ihren Neuankömmling anzunehmen und ihm, in ihrem Leben, Raum und einen Platz einzuräumen. Schwangere sollten sich demnach in ihrer Schwangerschaft, falls möglich, Ruhe und Entspannung gönnen, um sich innerlich auf ihr Kind und die nachfolgende Geburt einstimmen zu können (z.B. um durch intensive Körperpflege ein sinnliches, harmonisches Körpergefühl aufbauen), sie sollten sich so wenig wie möglich unter Erwartungsdruck setzen und auch ihre hormonellen und emotionalen Schwankungen akzeptieren. 9.2.2. Die Geburt Die Geburt wird in den sogenannten zivilisierten Industrieländern häufig als einen rein mechanisch-anatomischen Begriff beschrieben; als ein medizinischer Vorgang, bei dem Mutter und Kind ehr passive Teilnehmer sind. Durch die Tatsache, dass Schwangeren von Ärzten zumeist impliziert wird, dass eine "moderne" und sichere Geburt ausschließlich im Krankenhaus stattfinden kann, laufen wir Gefahr den natürlichen Geburtsvorgang mit einer Art Krankheit gleichzusetzen, welche wir mithilfe medizinischen Möglichkeiten bezwingen müssen. Frauen werden so sich selbst entfremdet (teilweise auch entmündigt) und bekommen aber auch so die Möglichkeit einen großen Teil der Verantwortung für die kommende Geburt abzugeben (so sind viele heutige Geburten geprägt von Angst, einer gewisse Abscheu und Unsicherheit bezüglich den eigenen natürlichen Körperfunktionen). Ohne nun jedoch detaillierter auf die aktuellen Missstände der modernen Entbindungsstationen eingehen zu wollen, kann man jedoch das Resümee ziehen, dass in dieser medizinischen Disziplin der Grundstein gelegt wird für eine frühe Distanzierung und Entfremdung zwischen Mutter und Kind. In Hinblick auf die praktische Umsetzung des Prinzips der Selbstregulation, wäre es deshalb für Mutter und Kind von Bedeutung, dass die werdende Mutter die Möglichkeit bekommt, sich frei und ohne gezielte Manipulation und/oder (un-)bewusst suggerierten Ängsten, sich für eine individuell zugeschnittene und selbst gewählte Form der Geburt entscheiden zu können. Die Geburt ist für Mutter und Kind ein sehr prägendes und einschneidendes Erlebnis, bei dem man weder den Geburtsschmerz, noch die extremen physischen und psychischen Schwankungen verharmlosen sollte. In dieser höchst sensiblen Phase des beidseitigen Löslösungsprozesses und den häufig damit verbundenen ambivalenten Gefühlen von Mutter und Kind, sollte sich eine werdende Mutter nicht noch zusätzlich äußeren angstauslösende oder verunsichernde Reizen aussetzen (denn dadurch wird eine Panzerung verstärkt, der Körper verspannt sich und die Gebärende wird unsicher und nervös, was wiederum negative Auswirkungen auf den weiteren Geburtsverlauf haben kann). Eine Geburt sollte einen geschützten Rahmen für Mutter und Kind, sowie einen liebevollen Empfang des neuen Erdenbewohners beinhalten, daher wäre es wünschenswert, wenn dies in einer harmonischen, sicheren und geborgenen Atmosphäre geschehen könnte (z.B. als Hausgeburt, falls keine medizinischen Komplikationen zu erwarten sind, oder in außerklinischen Geburtshäusern). Die gebärende Mutter sollte sich ihre Geburtsstellung aussuchen und falls gewünscht auch jederzeit ändern können. Es sollte ein emphatischer und kontinuierlicher Kontakt zwischen Geburtshelfer und Gebärenden herrschen, der gegebenenfalls auch Freiraum lässt für Berührungen, Massagen, Entspannungstechniken, Bestärkung, Ermutigung, Humor und auch sonst noch allen lustvollen Aktivitäten, die den natürlichen Prozess der Geburt unterstützen können. Auf diese Weise kann sowohl das Geburtsrisiko verringert, als auch die Geburtsdauer verkürzt werden. Auch Anpassungsprobleme Neugeborener kann so entgegengewirkt werden. Das Kind sollte (falls keine medizinisch relevanten Gründe dagegen sprechen), selbst den Zeitpunkt der Geburt bestimmen. Falls möglich, sollte die werdende Mutter bei vollem Bewusstsein und unnarkotisiert ihr Kind in dieser Welt willkommen heißen. Auch das Neugeborene sollte sich keiner überflüssigen und unfreundlichen Klinikroutine unterziehen müssen (sofortige Säuberung und Schleim absaugen des Neugeborenen oder grundsätzliche Verordnung von ätzender Silbernitratlösung in dessen Augen), sondern ohne die Nabelschnur zu durchtrennen sofort auf den Bauch der Mutter gelegt werden. Der Prozess der Trennung beider Energiesysteme sollte sehr schonend und bedächtig erfolgen. Das Doppelsystem der Sauerstoffaufnahme ist ein sehr sensibler Prozess, der sich erst nach fünf Minuten auflöst. (vergl. hierzu auch F. Leboyer, Der sanfte Weg ins Leben - Geburt ohne Gewalt 1974) Die junge Familie sollte sich die Möglichkeit und den Freiraum schaffen, sich zunächst einmal in aller Ruhe begrüßen und anschauen zu können (der erste Blickkontakt ist für die spätere Mutter- Kind- Bindung von erheblicher Bedeutung). Zu dem absoluten Grundbedürfnissen eines Neugeborenen gehört ein liebevolles Gehalten werden, sowie ein dauerhafter Körperkontakt (Neugeborenenstationen sind, nicht nur deswegen, kategorisch abzulehnen; Rooming-In- Zimmer sind diesbezüglich ein vager Ansatz in die richtige Richtung). 9.2.3. Das Neugeborenen und das erste Lebensjahr Da der Mensch ein außerordentlich komplexer lebendiger Organismus ist, besitzt er bereits als Neugeborener eine vielseitige Palette differenzierter Ausdrucks-, Kommunikations- und Wahrnehmungsfähigkeiten, welche bereits Neugeborene koordinieren können und so über ein komplexes Organisationssystem verfügen. Mithilfe von verschiedenen Integrationsebenen (im biologischen, physikalischen und verhaltensbezogenen Bereich) ist bereits das neugeborene Kind in der Lage mit bestimmten Reaktionsmustern sich in seine umgebene Umwelt zu integrieren, so wie sie von der unmittelbaren Bezugsperson vermittelt wird. Durch diese Erkenntnisse geht nun auch die zeitgenössische Kleinkindforschung davon aus, dass die Bindung zwischen Mutter und Kind ab den ersten pränatalen Interaktionen einen fortlaufenden Prozess darstellt. Eine gesunde, innige Mutter- Kind- Bindung wird jedoch in besonderem Maße in den ersten Stunden, Tagen und Wochen nach der Geburt geprägt, dieses Stadium gilt deshalb auch als besonderst sensibel und bedeutsam. Bereits diese anfängliche Bindung entspricht allen bedeutsamen, gegenseitigen Austauschvorgängen zwischen Säugling und Mutter (es handelt sich dabei um transmodale Wahrnehmung, Wechselseitigkeit affektiver Abstimmung zwischen Mutter und Kind und Angleichungen, die mit Biorhytmizität, Synchronisation und erlernen von Kontaktaufnahme zusammenhängen). (vergl. Lichtenberg 1991 : 142-145) In einer gesunden natürlichen wechselseitigen Beziehung wirken Affekte bzw. Gefühle von Geburt an als primäre Motivatoren, die den regulierenden Ausgleich in der Beziehung ermöglichen. Für die Praxis bedeutet dies, dass kindliche Gefühle und Bedürfnisse vom ersten Moment an ernst genommen werden müssen. Wenn Kinder in den ersten sechs Monaten schreien, geschieht dies nie aus einer "Laune" heraus, sondern wegen primären Defiziten (Hunger, Unwohlsein, Angst). Die Intensität hängt dabei von dem persönlichen Ausdruck des Kindes ab. Auch im fortgeschrittenen Säuglingsalter muß man mit kindlichen Gefühle respektvoll umgehen. Möchte z.B. eine fremde Person ein Baby unvermittelt drücken und küssen, wehrt sich das Kind oftmals dagegen, da dies ein gewalttätiger Eingriff in sein Gefühlsleben darstellt; eine Grenzverletzung. Auch sehr kleine Kinder wollen erst einmal beobachten, wer das ist, der da ausruft: "Oh, ist die süß!" Sie wollen und dürfen nicht zum Spielball der defizitären Gefühle von Erwachsenen werden. Erwachsene leiden manchmal an einem Mangel an Zärtlichkeit, den sie gelegentlich rücksichtslos mit Babys und Kleinkindern kompensieren. Diese kindlichen Grenzen müssen wahrgenommen und geachtet werden; nur so erfährt ein Kind Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit. Die meisten Eltern stellen sich, wenn sie an Kinder denken, die sie mal haben werden, ein "vollkommenes" Kind vor. Diese Erwartungshaltungen setzen dann sowohl die Eltern , wie bereits auch das Baby unter einen enormen Druck. Jeder Säugling möchte gerne mit seinen biologischen Anlagen, d.h. seinem Temperament, Willensstärke, Intelligenz ect. grundsätzlich akzeptiert und angenommen werden. Seine Besonderheit und Individualität verbunden mit den jeweiligen Ausdrucksformen und Forderungen sollten daher ernst genommen und respektiert werden. Nur ein angemessener Umgang mit den frühkindlichen Grundbedürfnissen, wirkt sich für die Persönlichkeitsentwicklung förderlich und unterstützend aus, nur so können sich zukünftig seine grundsätzlich positiven individuellen Kerneigenschaften frei entfalten. Im alltäglichen Miteinander und Zusammenleben geht es dabei weniger um die Frage, welches Verhalten im Umgang mit dem Säugling nun richtig oder falsch ist, sondern um die Offenheit und innere Bereitschaft, sich auf das Kind in seiner Individualität einzulassen und es gerne und selbstverständlich am gemeinsamen Leben der jungen Familie teilnehmen zu lassen. Eltern sollten Erziehung als positive Herausforderung annehmen können und sich wieder vermehrt für die oftmals verschüttete Empathie und Wahrnehmung des emotionalen Ausdruck bzw. Körpersprache ihrer Kinder sensibilisieren, damit sie sich in die Kinder einfühlen lernen und so einen natürlichen Umgang mit ihnen praktizieren können. Denn nur in dem Eltern die grundlegenden Bedürfnisse ihres Kindes liebevoll und zuverlässig erfüllen, entwickelt der Säugling Urvertrauen. Zu den elementaren und natürlichen Grundbedürfnissen eines Säuglings gehört u.a. der Wunsch nach Nähe und Körperkontakt zur Mutter. Diese spontane sinnliche Körperbeziehung zwischen dem Neugeborenen und dem Erwachsenen ist für das Kind existentiell, denn es erfährt dadurch sowohl Geborgenheit und Sicherheit, als auch Selbstwertgefühl und eigenes Körperempfinden. Je mehr Körperkontakt und emotionale Sicherheit ein Säugling während des ersten Lebensjahres bekommt, desto leichter wird er sich in späteren Jahren lösen können, um seinen eigenen Weg zu suchen. Eine geglückte Loslösung setzt immer voraus, dass die Beziehung befriedigend war, der Mangel an Befriedigung frühkindlicher Primärbedürfnisse führt zu Verpanzerungen und emotionalem Rückzug. Diesem sinnlichen Bedürfnis nach Nähe und Körperkontakt, kann auf verschiedenen Ebenen entsprochen werden, durch Babymassage, durch das Tragen des Säuglings als Alternative zum Kinderwagen, das gemeinsame Bett von Neugeborenen und Eltern ect.. Die unmittelbarste Ausdrucksform des Kleinkindes ist das Schreien, damit verleiht es in unterschiedlich individueller Form und Intensität seinen Gefühlen und Bedürftigkeiten Ausdruck. Ein schreiendes Neugeborenes sollte man besonderst in den ersten sechs Monaten grundsätzlich nicht allein lassen. Dieses Schreien ist für das Kind existentiell, den es fühlt sich in Lebensgefahr, wenn es merkt, dass es allein ist. Durch wiederholtes Auftreten dieser Ängste, besteht die Gefahr, dass sie sich dauerhaft im Kind in Form von chronischen Kontraktionen manifestieren, d.h. das Kind wird traumatisiert. Eltern sollten statt dessen dazu angehalten werden, nach individuellen Beruhigungsalternativen zu suchen wie z.B. es zu wiegen, zu halten, zu tragen, Schnuller als Ersatzform anbieten ect. Ein weiteres Grundbedürfnis stellt für den Säugling das lustvolle gestillt werden dar. Stillen ist mehr als nur reine Nahrungsaufnahme für den Säugling, es bedeutet Sinnlichkeit, Intimität und Sättigung bzw. Befriedigung. Auch viele Mütter verspüren Lustgefühle beim Stillen (die Brustwarze ist ja auch ein hochsensibles, erektionsfähiges Organ), ein beidseitiges Lustgefühl der Verschmelzung zwischen Mutter und Kind. Diese Erregung und das Gefühl des Begehrens ist ein natürlicher Ausdruck von Sexualität. Ein sexualfreundlicher Umgang mit seinem Säugling beinhaltet u.a. eine solche Verschmelzung zwischen Mutter und Kind, d.h. das Zu-lassen-können dieser Verbundenheit in seiner energetisch - biologischer Funktion (leider ist diese Thematik ein gesellschaftliches Sexualtabu, welches letztendlich aus Sexualangst resultiert). Ein weiterer Schritt zur Förderung der aktiven Selbstbestimmung und des aufkeimenden Autonomiebedürfnisses des Säuglings, ist das Stillen nach Bedarf. Der Rhythmus, in dem ein Säugling Hunger verspürt ist sehr individuell (wie bei Erwachsenen auch). Erwachsene sollten die Sicherheit besitzen, diesem inneren Zeitplan des Kindes zu vertrauen und ihn zu respektieren. Jedoch ist das Stillen nach Bedarf nicht immer gleichbedeutend mit manchen unsicheren und ängstlichen Reaktionen von Müttern, jedes mal wenn das Kind schreit ihm sofort die Brust anzubieten. Nach einer gewissen Phase der Orientierung und auch des Experimentierens, sollte eine Mutter differenzieren können, ob die Bedürfnislage nun eher Sättigung, Körperkontakt oder in einer anderen Richtung läuft und angemessen damit umgehen. Kleinkinder entwickeln mit der Zeit von sich aus ihre individuelle Regelmäßigkeit bezüglich der Nahrungsaufnahme. Diese Entwicklung des Eigenrhythmus wird durch eine "Überschüttung" des Angebots ehr behindert, als gefördert. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass diese Entwicklung des Einfühlungsvermögens in das eigene Kind gar nicht so einfach ist (besonderst in den alltäglichen Stresssituationen und/oder beim ersten Kind sind Frauen oftmals stark verunsichert). Das einzige was man als Eltern tun kann, ist versuchen Ruhe zu bewahren, sich nicht unter Druck zu setzen, gemachte Fehler als menschlich zu akzeptieren und versuchen gemeinsam mit dem Kind zu lernen was für das Kind zu lernen ist. In der Regel stillen sich Kinder von selbst ab, wenn die Ernährungsgewohnheiten der Erwachsenen zunehmend interessanter werden. Der Zeitpunkt dieses Autonomiebestrebens der Kinder kann stark variieren (dies kann sowohl um das erste Lebensjahr der Fall sein, aber auch später erst einsetzen). Die maßgeblichen Faktoren zur Motivation des Abstillens liegen in der Regel in dem individuellen Sicherheits- und Geborgenheitsbedürfnis des Kindes und der inneren Haltung der Mutter dazu (bei manchen Naturvölkern Süd-Ostasiens und Süd- bzw. Mittelamerikas stillen Mütter ihre Kinder zwischen 3-5 Jahre lang und leisten damit einen - wenn auch nicht absolut sicheren - Betrag zu ihrer natürlichen Schwangerschaftsverhütung). Da die Stillbeziehung zwischen Mutter und Kind emotional sehr intensiv und für das Kind unter Umständen existentielle Bedeutung haben kann, sollte der Übergang zu fester Nahrung nicht schlagartig, sondern langsam und mit besonderer Sensibilität über einen längeren Zeitraum hinweg erfolgen (auch wenn das Kind mit den Eltern Hühnchen und Blumenkohl zu Mittag ißt, kann es seinen Schlaftrunk immer noch an der Brust zu sich nehmen; vorausgesetzt Mutter und Kind wollen diesen intensiven Kontakt). Der Entwicklungsschritt der voll entwickelten emotionalen Bindungsfähigkeit des Säuglings, kann jedoch auch zu Trennungsängsten führen ("fremdeln") oder zu Eifersuchtsreaktionen. Im Laufe des zweiten Lebenshalbjahr des Säuglings reift bei diesem zusehends die Wahrnehmung, sowie der Ausdruck von Gefühlen (Liebe, Zärtlichkeit, Freude, Angst, Neid, Wut, Aggressionen ect.). Es ist von erheblicher Bedeutung dem Kind nun Raum und Zeit zuzugestehen seine Gefühle ausleben zu dürfen, wobei ihm signalisiert werden muss, dass es grundsätzlich keine schlechten Gefühle gibt und dass alle Gefühle ihre Berechtigung haben. Zeigt ein einjähriges Kind z.B. starke Verlustängste bzw. Eifersuchtsreaktionen, wenn die Mutter sich phasenweise vermehrt mit dem Geschwisterkind beschäftigt, steht aus dessen Blickwinkel, ein berechtigtes emotionales Bedürfnis dahinter (der Wunsch nach Nähe, Anerkennung, Gesehen-Werden usw.) oder auch Ängste, Trauer ect. All diese Gefühle sind für das Kind in diesem Moment real und existentiell und müssen als solche respektiert werden. Ein angemessener Umgang mit solchen Situationen stellt für alle Eltern einen ziemlichen Balanceakt dar. Jedoch ist es wichtig diese kindlichen Gefühle grundsätzlich zu akzeptieren, anstatt sie aus persönlicher Unsicherheit heraus als negativ zu bewerten. Auch müssen die persönlichen Grenzen von Kindern ernst genommen werden und dürfen auf keinen Fall übergangen werden. Kinder im Fremdelalter (ca. 7. - 8. Monat) können z.B. sehr deutlich ausdrücken, welche Personen sie anfassen dürfen und welche auf Distanz bleiben sollen. Diese Grenzen zu achten und zu respektieren ist grundsätzlich für die weitere kindliche Entwicklung von entscheidender Bedeutung. Eine lebendige, sinnliche und lebensbejahenden Sexualerziehung beginnt, wie bereits erwähnt, mit der Geburt des Kindes und ist gleichbedeutend mit einer dynamischen und in das alltägliche Leben integrierten sinnlichen und sexualfreundlichen Grundhaltung gegenüber dem Leben und dem Kind. Sexualität ist nichts isoliertes, es ist ein sinnliches Wahrnehmen dieser Welt, ein Ausdruck von Lebensfreude. Kinder werden als sexuelle Wesen geboren, d.h. sie fühlen und handeln ganzheitlich und trennen nicht zwischen ihrem Körpergefühl und dem Sein; sie sind Körper und mit "Leib und Seele dabei". Zärtliche erotischen Erfahrungswerte sind für Babys existentiell, sie bestärken das Baby in seiner Selbstwahrnehmung und in seinem Selbstwertgefühl. Deshalb ist ein zärtlichen Umgang und die Vermittlung positiver Gefühle von Körperlichkeit und Körperwahrnehmung, wie sie z.B. beim Baden des Säuglings, beim Einölen, Wickeln, Stillen, liebevollem Halten, Streicheln oder Massieren vermittelt werden, bereits in diesem Alter von erheblicher Bedeutung. Im Alter von 6 Monaten verinnerlicht ein Kleinkind die Grundhaltung der Mutter bezüglich seinem Körpergefühl. Vor allem auch beim Wickeln ist es deshalb relevant, dass die Eltern keinen Ekel vor den Ausscheidungen ihrer Kinder haben (oftmals drücken Eltern auch den Ekel beim Wickeln mimisch aus oder verbunden mit "iiihh" oder "bäh"- Lauten). Dadurch wird das Kind in seinem Körper- und Selbstwertgefühl verunsichert; das erste was es "produziert" ist quasi schlecht und widerlich. Es wird klar, dass sich beim Prinzip der Selbstregulation zunächst einmal die Eltern sich ihrer eigene Wertigkeit und Grundhaltung zu sich selbst, den eigenen Gefühlen, der eigenen Körperlichkeit, dem Kind und dem Leben allgemein bewußt werden sollten, um im Umgang mit dem Kind eine authentische Haltung einnehmen zu können. Emotionale Bedürfnisse zu erkennen, bedeutet, sich über seine eigenen Gefühle im klaren zu sein. Nach dieser ersten Phase der Verschmelzung und der sehr innigen Verbundenheit zwischen Mutter und Kind (etwa die ersten sechs bis zwölf Monate im Leben des Kindes), sollte sehr behutsam und langsam, aber stetig ein Ablösungsprozess einsetzen, der vom zunehmenden Autonomiebedürfnis des Kindes geprägt sein sollte. Die Mutter muss sich zukünftig nicht mehr volle 24 Stunden am Tag auf die Bedürfnislage ihres Kindes konzentrieren, da das Kind nun auch eigene Freiräume für sich beansprucht. Es ist eingebettet in das System der jungen Familie und wird sich in diesem System nur geborgen fühlen können, wenn alle anderen Familienmitglieder nicht nur die kindlichen Bedürfnisse des Babys, sondern auch mit den eigenen Bedürfnissen und Emotionen respektvoll und verantwortungsvoll umgehen können. Besonderst in den ersten sechs Monaten nach der Geburt ist dieses neue Familiensystem noch sehr verletzlich und sensibel. Die damit verbundene Umstellung und Neuorientierung innerhalb der Familie wird oftmals auch durch negative Gefühle begleitet. Säuglinge und Kleinkinder bringen ihre Eltern durchaus an deren persönliche Grenze der Belastbarkeit, sowie der Belastbarkeit der Ehe bzw. Partnerschaft. Dadurch dass Eltern besonders in der ersten Zeit primär in der Rolle der Gebenden sind, benötigen sie einzeln oder auch als Paar kurze Freiräume in denen sie sich auch einmal Sequenzen emotionaler Unabhängigkeit vom Kind gönnen sollten, um dadurch wieder Kraft und Energie tanken zu können. Auch das akzeptieren und zulassen von negativen Gefühlen (wie z.B. Überforderung, Stress, Ärger) ist eine Voraussetzung zur Bewältigung dieser völlig natürlichen Krisenzeiten und schafft die Voraussetzung dafür, dass das Elternteil zukünftig wieder eine grundsätzlich positive und liebevolle Grundhaltung seinem Kind gegenüber einnehmen kann. 9.2.4. Zentrale Aspekte des Erziehungsmodells der Selbstregulation in der praktischen Umsetzung 9.2.4.1. Das Autonomiebedürfnis Das erste Kindheitsjahr ist primär durch das elterliche Behüten, Schützen und Nährens gekennzeichnet. Zwischen dem 18. Lebensmonat und dem 3. Lebensjahr rückt jedoch das wachsende Autonomiebedürfnis des Kindes zusehends in den Vordergrund. Kleinkinder entdecken, dass sie mit ihrer Aktivität die Umgebung verändert können und probieren alles selbstverständlich und neugierig aus. Sie fangen an selbständig zu denken, zu fühlen und zu handeln. Ein Ausdruck dieser beginnenden Autonomie ist oftmals die sogenannte erste Trotzphase, in der Kinder sowohl sich selbst erfahren wollen, gleichzeitig aber auch die Sehnsucht in sich tragen, sich zugehörig zu fühlen. Diese innere Zerrissenheit spiegelt sich dann im kindlichen Verhalten wieder. Für die Eltern ist es oft schwer in dieser Phase das Vertrauen in ihr eigenes Handeln zu bewahren. In dieser Lebensphase hilft es vielleicht ein wenig, wenn sich junge Eltern in Gelassenheit üben und diese Phase als eine natürliche kindliche Phase akzeptieren lernen. Eltern sollten sowohl mehr Vertrauen in sich, als auch in ihre Kinder zu setzen, indem sie versuchen die positiven und gewaltigen Ressourcen zu sehen, welche in einer starken Persönlichkeitsstruktur des Kindes steckt. Es gibt viele Willensäußerungen, die ohne weiteres zugelassen werden können. Was ist z.B. so schlimm daran, wenn Max bei Sonnenschein unbedingt seine neuen Gummistiefel anziehen möchte? Und warum können wir nicht Nele allein die Treppen hoch gehen lassen, wenn sie es möchte, oder sie mal tragen, wenn sie das heute braucht? Es ist kein Drama, wenn wir ein Eis kaufen, obwohl wir das nicht vor hatten, oder das Dreirad mitnehmen, obwohl wir eigentlich zu Fuß gehen wollten. Oftmals haben Eltern dann Angst inkonsequent zu sein oder ihr Kind zu verwöhnen. Die Erlangung von Autonomie, selbstbestimmtes Handeln und Selbstkontrolle ist ein Entwicklungsprozess, den Kinder nur durch liebevolle Unterstützung bzw. Anleitung, Wertschätzung und Achtung vor der Person meistern können. Eltern können ihre Kinder nicht vor der Realität, vor Enttäuschungen und negativen Gefühlen schützen. Auch wenn Kinder älter werden, ist es nicht sinnvoll ihnen Probleme abzunehmen bzw. ihnen sofort und ungefragt Problemlösungsmodelle anzubieten. Kinder und Jugendliche müssen lernen die Konsequenzen ihres Handelns selbstverantwortlich zu tragen. Das Prinzip der Selbstregulation geht davon aus, dass seelisch gesunde Kinder und Jugendliche ein positives Bild von sich, von der Welt und von der Zukunft entwickeln und dementsprechend auch mit Selbstmotivation und optimistischer Selbstwirksamkeitserwartungen ausgestattet sind (auch wenn besonderst Jugendliche immer wieder ihren eigenen Lebensstil und ihre persönlichen Grenzen, z.B. in Bezug auf Rebellionen, Rauchen, Alkohol ect. immer wieder ausprobieren müssen). Damit jedoch die Kombination mehrerer Risikoverhaltensweisen nicht zu einem sehr riskanten Lebensstil entartet, sollten Kinder frühzeitig Bewältigungskompetenz erwerben, d.h. sie müssen Grenzerfahrungen und Fehler machen dürfen, damit sie lernen, dass nicht nur die Entstehung eines Risikos beeinflußbar ist, sondern auch das Ausmaß des Schadens, wenn einmal etwas schiefgegangen ist. Selbstverantwortlichkeit können Kinder und Jugendliche nur erlangen, wenn wir als Erwachsene Vertrauen in sie setzen, sie Los-lassen und ihnen die Dosis an Autonomie zugestehen, welche sie benötigen, ohne sie andererseits dadurch zu Überfordern. Von erheblicher Bedeutung ist, dass Kinder und Jugendliche auch Vertrauen in das soziale Netzwerk haben können; sprich in Eltern die bereit stehen um zu helfen, wenn dies erforderlich werden sollte und die Sicherheit vermitteln können, dass die Kinder mit allen Schwierigkeiten und Problemen einen Ansprechpartner in ihnen haben, der ohne moralische Vorhaltungen oder persönliche Wertung Unterstützung und Halt vermittelt kann. 9.2.4.2. Das Bewegungsbedürfnis Kinder besitzen grundsätzlich ein natürliches Bewegungsbedürfnis, welches von Kind zu Kind in seiner Intensität variiert. Dieses existentielle Bedürfnis nach Bewegung ist für Kinder so wichtig wie Essen und Schlafen. Vor allem Lebendigkeit und Lebensfreude drücken Kinder in Bewegung aus. Dies bedeutet seinen Körper zu erfahren, das Pulsieren der Energie zu spüren, die beim Laufen, Hüpfen, Tanzen etc. freigesetzt wird. Auch innere Bewegung drückt sich in äußerer Bewegung aus; das Kind erfährt sich so ganzheitlich. Ebenso stellt Bewegung eine Herausforderung dar, Kinder werden mit Hindernisse und Grenzen konfrontiert, sie können Kräfte messen und Lösungsstrategien entwickeln. Dadurch merkt das Kind wie es seiner Kraft vertrauen kann und erwirbt Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein. Wenn wir die körperliche Aktivität eines Kindes beschränken, verkleinern wir seinen Erfahrungsbereich, wir hemmen die Entwicklung seiner Intelligenz und zwingen es dazu, den natürlichen Ausdruck seiner Gefühle zu unterdrücken. Bewegung ist Ventil für sämtliche Emotionen, explizit auch für Aggressionen. Leider werden laute und bewegungsintensive Rauf- und Tobespiele in unserer wenig kindgerechten Umwelt immer mehr verdrängt. Damit wird auch die spielerische Aggression, die zu diesen Aktivitäten gehört, kategorisch abgelehnt. Andererseits wird oftmals diskutiert, weshalb Kinder heute eine geringere Hemmschwelle haben, und scheinbar gefühllos noch dann zutreten, wenn sich der andere gar nicht mehr wehrt. Kinder bekommen jedoch erst gar nicht die Möglichkeit Aggressionen spielerisch auszuleben und somit die Chance anhand solcher Raufereien ein Gefühl für ihre persönlichen und die Grenzen der Anderen zu entwickeln. Die mit unter recht derben Raufspiele sind Aggressionsrituale, die den Kindern gesellschaftlich akzeptierte Möglichkeiten zeigen, Aggressionen auszuleben. 9.2.4.3. Sexualerziehung als integrativer Prozess des alltäglichen Leben Geht man von den Theorien Reichs aus, so kann man Sexualität mit Lebensenergie bzw. dem Leben an sich gleich setzen. Diese ganzheitliche Herangehensweise steht demnach auch in einem gewissen Widerspruch zur Didaktik der orthodoxen kognitiven Sexualaufklärung. Wenn Eltern natürlich und offen mit ihrer eigenen Sexualität umgehen, kindliche Gefühle und Neugierverhalten ernst nehmen ohne deren (und die eigene) Intimsphäre zu verletzen, wird gezielte Sexualerziehung überflüssig. Kindliche Sexualität ist kein isolierter Lebensbereich, sondern fließt als starke Zuneigung, lustvolle Empfindungen, Nähe, schöne warme Gefühle, Haut- und Körperkontakt, Wohlbefinden oder als angenehm erlebte Körperlichkeit in alle Lebensbereiche mit ein. Diese kindliche Sexualität hat zunächst nichts mit sexueller Begierde zu tun; Kindern geht es darum Zuneigung zu spüren und zu zeigen, Gefühle hautnah zu erleben, sich selbst und andere besser kennen zu lernen und zu vertrauen, sich in seinem eigenen Körper wohl zu fühlen. Für diese Form der Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung ist es besonderst wertvoll zusammen zu schmusen, zu lachen, sich zu spüren, sich zu umarmen, miteinander zu raufen, sich zu erforschen und zu verwöhnen - es geht also um lustvolle Erfahrungen mit sich selbst und mit Personen die man besonderst gerne mag und denen man besonders nahe ist. Zärtlichkeitsmangel verursacht ein Gefühl von Leere, von zwischenmenschlicher Sterilität, läßt Panzerungen und Verhärtungen entstehen. Unsoziales Verhalten, Gewalt und/oder autoaggressives Verhaltensweisen sind oftmals die Folgen. Zärtlichkeit bringt die lebenszugewandte Energie zum fließen und ebnet den Weg für Weichheit und Offenheit. Diese Gefühle müssen jedoch echt und authentisch sein. Das Zärtlichkeitsvolumen muß dem Kind und der Situation angemessen sein. Körperliche Abwehrreaktionen der Kinder müssen absolut ernst genommen werden. Jeder Mensch hat ein Recht auf Selbstbestimmung; er allein muß bestimmen dürfen wann, wo und wieviel Körperkontakt von ihm gerade benötigt wird. Die Privatsphäre der Kinder, wie auch der Eltern sollte dabei einen besonderen Schutz erfahren. Wenn Kinder z.B. gemeinsam mit einem Freund in der Badewanne baden möchten, so sollte diesem Wunsch nach Privat- und Intimsphäre genauso entsprochen werden, wie z.B. dem Bedürfnis der Eltern abends mal alleine sein zu wollen. Auch die Grenzen des anderen müssen mit besonderer Sensibilität behandelt und akzeptiert werden. Sexualentwicklung ist, wie z.B. auch die Entwicklung des Selbstwertgefühls, ein natürlicher, stetiger, dynamischer Prozeß. Dazu braucht es Sensibilität, Zeit und Raum. Eltern sollten diese Entwicklung weder bewerten, noch versuchen zu lenken oder zu forcieren. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass Eltern die natürlichen sexuellen Empfindungen und Aktivitäten nur stillschweigend dulden sollten. Besonderst bei Mädchen ist es sinnvoll, sie in diesem Prozeß angemessen und altersentsprechend verbal zu unterstützen. Ähnlich wie die wachsenden Autonomie, das Selbstwertgefühl und die Entwicklung von Fähigkeiten verbale Unterstützung brauchen, so bedarf es auch die sexuellen Entwicklung. Jedoch sollten sich hierbei die Eltern zurückhaltender verhalten und besondere Sensibilität und Einfühlungsvermögen entwickeln (grenzüberschreitende, gezielte Fragen über das Intimleben der Kinder sind kategorisch abzulehnen). Die Familie sollte dem Kind die Sicherheit, Freiheit und Geborgenheit geben, damit Kinder lernen ihren eigenen Gefühlen trauen zu können, Grenzen setzen zu lernen und so spielerisch ihre sexuelle Identität erfahren und entwickeln können. Die Grenzen der anderen (des Umfeldes, der Gesellschaft) haben dabei die gleiche Berechtigung wie die eigenen Grenzen. So steht es wohl ziemlich außer Frage, dass besonders jüngere Kinder sich an dem Nackt- sein sehr erfreuen können. Kollidiert jedoch dieses Bedürfnis, z.B. mit den sittlichen Moralvorstellungen z.B. der unmittelbaren Nachbarin, sollten wir diese Gefühle ebenso ernst nehmen und unseren Kindern zu verstehen geben, dass Nackt-sein nichts moralisch verwerfliches hat bzw. grundsätzlich was sehr schönes und angenehmes ist, aber dass wenn sich andere daran stören, sich Kinder in deren Gegenwart doch bitte Kleider anziehen sollten. Kinder sind auch nicht alle gleich, es gibt auch Kinder die von Natur aus scheuer und gehemmter sind. Auch deren Grenzen und Schamgefühle müssen wertfrei akzeptiert werden. Wenn Erwachsene mit Vertrauen und Respekt vor den Gefühlen ihrer Kinder an das Thema "Sauberkeitserziehung" herantreten, werden sie wohl recht entspannt und mit Zuversicht den Zeitpunkt der willentlichen Darmentleerung ihren Kindern überlassen können und sie (und sich selbst) dadurch nicht unter Leistungsdruck setzen (im Sinne von: Kinder werden nur geliebt, wenn sie auch etwas leisten, bzw. sich selbst kontrollieren können). Manche Kinder werden mit drei Jahren sauber, manche etwas früher, andere etwas später; diese Entwicklung variiert (wie auch sämtliche anderen Entwicklungsschritte) von Kind zu Kind. Manche Kinder entwickeln sich im kognitiven Bereich schneller als im affektiven oder motorischen Bereich und bei anderen ist es vielleicht umgekehrt. Welcher Entwicklungsbereich nun in welcher Reihenfolge reift, ist sehr individuell und im Endeffekt auch für die Persönlichkeitsstruktur des Erwachsenen nicht relevant (in einem gewissen Zeitrahmen natürlich; bei einem sechsjährigen Kind, das nachts noch regelmäßig einnässt, kann dies wiederum ein Hilferuf bzw. ein Hinweis für Verhaltensauffälligkeiten bedeuten). Fast alle Kinder spielen im Kindergartenalter mit großem Spaß Doktorspiele, miteinander schlafen und Kinderkriegen. Wenn nicht übermäßig viel Erwachseneninteresse verbucht wird, dauert diese Phase meist nicht sehr lang. Experimentierfreude, sinnlich-zärtliche Bedürfnisbefriedigung (wie der Wunsch nach Nähe und Intimität) und die natürliche Neugier sich selbst und andere zu erkunden, um Ähnlichkeiten oder Unterschiede festzustellen ist die primäre Motivation der Doktorspiele. Zudem macht es Kindern Spaß Erwachsenenrollen im Spiel zu übernehmen und der Wunsch nach Aktivität mit hohem gegenseitigen Vertrauensbonus machen diese Spiele zeitweise besonderst attraktiv. Solche kindlichen sexuellen Spiele gehören, wie auch z.B. kindliche Onanie zur Privatsphäre des Kindes. Wenn Kinder ihre Emotionen bisher frei ausleben durften, werden sie auch im Stande sein ihre persönlichen Grenzen in punkto Nähe und Distanz abzustecken, sie besitzen ein positives Selbstbild und Selbstwertgefühl, welches sie wiederum auch vor Missbrauch besser schützt. Besonderst relevant wird in der Pubertät dieses Vertrauen in die eigenen Gefühle, verbunden mit der Gewissheit seine Grenzen zu kennen und vertreten zu können. Wenn Kinder und Jugendliche eigene Rechte, Ver- und Zutrauen, viel Zärtlichkeit, Einfühlungsvermögen und Sensibilität in Umgang mit ihren eigenen und den Gefühlen und Grenzen genossen haben, wird es ihnen leicht fallen diesen Umgang auch mit anderen und in ihren ersten Partnerschaften zu pflegen. 9.2.4.5. Grenzerfahrungen und der Schutz vor Gefahrensituationen Damit ein Kind lernt selbstbestimmend zu handeln, braucht es die Auseinandersetzung mit Konflikten, mit inneren und äußeren Grenzen. Jedoch lassen sich gewisse Realitäten, die zur Einschränkung der kindlichen Bedürfnisse führen nicht vermeiden. Eltern müssen pünktlich bei ihrer Arbeit sein oder die persönlichen Interessen der Eltern sind gerade vordergründig (Arztbesuche, das Bedürfnis kurz entspannen, anstatt spielen zu wollen ect.). In diesen Fällen muss das Kind dies als Gegebenheiten hinnehmen, es hat aber diesbezüglich eine Erklärung der persönlichen Abwägungen verdient, auch wenn es die nicht akzeptiert und ein Geschrei anfängt. Eltern sollten in solchen Situationen fest sein - und zwar fest mit den eigenen Bedürfnissen und im eigenen Tun und nicht, wie oft fehlgedeutet, um das Kind zu einem Verhalten/einer Einsicht bringen zu wollen. Eltern sollten Machtkämpfe vermeiden, und statt dessen in angemessener Weise den Kindern vermitteln, dass die persönlichen Grenzen der Eltern ebenso ihre Berechtigung haben und akzeptiert sein wollen. In solchen Situationen kann es z.B. hilfreich sein, wenn Eltern mit "absichtlichem" Ignorieren auf die Konfliktsituation reagieren. Auch könnten sich Eltern kurzfristig von der emotional angespannten Situation distanzieren, und versuchen einen Zuschauer- bzw. den Blickwinkel der Kinder einzunehmen, um sich dadurch zu vergegenwärtigen, dass sie und ihr Kind zwei getrennte Personen sind, welche sich gleichberechtigt mit ihrer Bedürfnislage gegenüber stehen (Bewusstheit). Eltern müssen sich nicht schlecht fühlen, wenn ihre Kinder wütend und ärgerlich sind, sie dürfen jedoch auch nicht den Kindern das Gefühl vermitteln etwas unrechtes, böses zu tun, wenn sie ihre Gefühle zum Ausdruck bringen bzw. ihre Bedürfnisse einfordern. Auch die zweite Einschränkung des Prinzips der Selbstregulation mag selbstverständlich klingen und besitzt ebenso eine besondere Bedeutung im Kleinkindalter: Der Schutz vor Gefahrensituationen. Nun, dieses "natürliche" Empfinden unsere Kinder vor gefährlichen Dingen und Situationen schützen zu wollen, ist fester Bestandteil unseres "Mutterinstinktes" Und natürlich müssen wir unser Kind beschützen und eingreifen, wenn das Kind durch eine unüberschaubare und für es nicht abschätzbare Gefahren bedroht wird (z.B. Straßenverkehr, ätzende Reinigungsmittel, giftige Substanzen). Eltern sollten sich diesbezüglich hinterfragen, welche Motivation und Befürchtung hinter einen "Schutzverbot" steckt. Oftmals schieben Eltern auch eine Scheinbegründung vor, um einer Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen (z.B. ein Vater hat keine Lust mit seinen Kindern ins Hallenbad zu gehen und begründet diese Entscheidung damit, dass die Kinder das letzte mal nach dem Hallenbadbesuch gehustet hätten. Ehrlicher wäre, wenn er sagen würde: Heute habe ich einfach keine Lust. Dann hätten die Kinder jedoch auch die Möglichkeit eigene Lösungsmodelle zu finden wie z.B.: Du musst ja nicht baden, du kannst einfach nur am Beckenrand sitzen und aufpassen, dass wir nicht ertrinken...) Grundsätzlich ist es beziehungsförderlicher in Form von Ich-Sprache und Ich-Botschaften ehrlich gegenüber sich selbst und mit seinen Kindern umzugehen. Es ist für Eltern zumeist ein Balanceakt situativ entscheiden zu müssen wie weit sie den Rahmen feststecken müssen, so dass sich das Kind weder verloren und vernachlässigt fühlt, sich aber trotzdem frei bewegen kann. Wir müssen sie vor nicht abschätzbaren Gefahren beschützen und dürfen sie gleichzeitig nicht ihrem Handlungsspielraum, Selbstbestimmung und Selbstständigkeit berauben. Ein Beispiel hierzu: Kinder müssen in unserer Zeit nicht vor Massenmedien geschützt werden, sie müssen vielmehr einen sinnvollen und kritischen Umgang damit erlernen. Einer altersentsprechende(!) Beschäftigung mit Computer und Fernsehen steht also absolut nichts entgegen. Eltern sollten jedoch emotional so dicht bei ihrem Kind sein, dass sie den Übergang erkennen können, wenn Kinder oder Jugendliche diese Medien z.B. als Flucht vor der Realität oder zur Kompensation ihrer Aggressionen oder anderer Gefühle missbrauchen. Gesetzten Falles müssen Eltern dann eingreifen und ihre Kinder/Jugendliche schützen. Sie müssen ihnen die emotionale Sicherheit und Hilfestellung zu geben, dass die Kinder die Alternative haben, sich am Leben zu orientieren und ihren Gefühlen, sowie der Realität, auf eine lebensbejahende, konstruktive Art und Weise begegnen zu können. Kinder sollten aber grundsätzlich auch Gefahren, Hindernisse und Herausforderungen begegnen dürfen und selber entscheiden, welchen es sich stellen und welchen es aus dem Weg gehen möchte. Wenn Kinder von klein auf die Möglichkeit hatten ihren Bewegungsbedürfnis nachzukommen und sich auszuprobieren (ohne die permanenten "gut gemeinten" Ratschläge von Eltern wie z.B. "Mach das doch so..."; "Sei aber vorsichtig...", "Pass doch auf...", "Mach doch langsamer/schneller..." ect.) , bekommen sie durch diese Erfahrungswerte eine gesunde Selbsteinschätzung bezüglich ihren eigenen Grenzen und Vertrauen in seine Fähigkeiten. Dieses Übungsfeld sollte man ihnen zugestehen und ihre individuellen Grenzen respektieren. Man kann gewissen Gefahrenquellen jedoch durch Enttabuisierung und durch das frühe Erlernen des Umgangs mit diesen Dingen gut entgegenwirken. Bereits Kleinkinder können z.B. Selbstsicherheit beim Klettern erwerben, den Umgang mit (abgestumpften) Messern erlernen, oder durch die Mithilfe bei einem Lagerfeuer das Gefahrenpotential kennen- und einschätzen lernen, um dann dementsprechend vorsichtig damit zu agieren. Wenn Kindern die Freiheit und die Gelegenheit eingeschränkt wird, überschaubare Risiken einzugehen, werden sie gezwungen, ihren Nervenkitzel woanders zu suchen. Verantwortung und Vertrauen in die Fähigkeiten der Kinder zu setzen bedeutet für die Eltern auch den Mut zu besitzen den Kindern ein Stück Verantwortung an sie abzugeben. Das Recht, selbst Entscheidungen treffen zu dürfen und eigenverantwortlich zu handeln, hängen eng zusammen. Wer nicht eigene Maßstäbe bzw. Grenzen setzen darf oder in Entscheidungsprozesse miteinbezogen wird, lehnt im allgemeinen auch sonst Verantwortung ab bzw. läßt lieber andere für sich entscheiden. Jedes Elternteil, das sowohl einmal sein Kind aus einer realen Gefahrensituation retten musste, als auch den freudigen Stolz seiner Kinder nachempfinden konnte, wenn diese das erste Mal eine persönliche Hürde nahm (z.B. das erste Mal alleine die Leiter hochklettert), wird zukünftig sehr bewusst abwägen, wo seine persönlichen Grenzen diesbezüglich liegen und welches Verhalten angemessen ist (sofern diese intuitive Gewissheit der pädagogischen Handhabung nicht als Folge der Entfremdung und emotionalen Verpanzerung verschüttet ist). Jedoch nur wenn wir an das Kind glauben und an seine Fähigkeiten, können wir ihm Achtung erweisen (nicht im Sinne eines Leistungsprinzips). Dieses Ernst- nehmen beinhaltet auch, dass wir uns als Eltern ein Stück zurück nehmen und lernen müssen unsere Kinder in deren individuellen Tempo los-zu-lassen. Dies bedeutet Kindern zu erlauben, Risiken einzugehen, sich aus unserer Einflußsphäre, unserer Schutzzone zu entfernen, so dass sie ihre Unabhängigkeit stückweise erproben können (wobei man auch in diesem Punkt keine allgemeingültige und altersspezifische Grenze ziehen kann, da jedes Kind individuell seine eigenen Grenzen für sich persönlich festlegt und demnach auch individuellen Schutz benötigt). Dies soll jedoch nicht heißen, dass sich Eltern aus der Erziehung zurückziehen können in der Annahme, Kinder würden sich schon allein zurechtfinden, damit ziehen sich Eltern aus der Beziehung zurück. Kinder fühlen sich ohne Bindung allein gelassen, sie benötigen nichts dringlicher als emotionale Sicherheit und vertrauensvolle Bindungen.. Eine zu frühe forcierte Distanzierung zwischen Eltern und Kind ist deshalb genauso abzulehnen, wie das wachsende Autonomiebedürfnis ihrer Kinder nicht zu sehen (wollen) und es dementsprechend zu "beglucken" (eine übertrieben aufopferungsvolle Mutter braucht ihr Kind als Lebensinhalt und wird dementsprechend dadurch bedroht, dass das Kind heranwächst und selbstständiger wird). 9.2.4.6. Konfliktfähigkeit als Grundstock eines demokratischen Zusammenlebens Auseinandersetzungen gehören zu jeder gleichwertigen, lebendigen Beziehung und zum demokratischen Zusammenleben (das Wort "demokratisch" wird in diesem Kontext nicht als politischer, einer Staatsform zugeordneter Begriff angewendet, sondern als Lebensweise). Für Kinder sollte, durch das Vorbild des Erwachsenen erfahrbar gemacht werden, dass Konflikte und die Achtung des Anderstdenkenden zusammengehören. Dabei ist es wichtig, dass zwischen Erwachsenen und Kinder kein Machtgefälle herrscht und Auseinandersetzungen auf einer themenzentrierten und sachlichen Ebene ausgetragen werden. Natürlich haben Eltern Erfahrungsvorsprünge, aber dies als Machtinstrument einzusetzen zeugt von emotionaler Unreife. Eine objektive absolute Wahrheit bzw. Wirklichkeit gibt es nicht, es gibt nur die jeweilige Sichtweise (konstruierte Wirklichkeit) der jeweiligen Person. Aus diesem Grund sollten sich Erwachsene, anstatt als Wissende (und damit auch als Bewertende) ebenso auch als Lernende begreifen und Konflikte als einen gemeinsamen Lernprozess verstehen. Das Grundprinzip des gegenseitigen Geben und Nehmen, sowie die daraus resultierenden Grenzen, werden in einer lebendigen dynamischen Beziehung immer wieder aufs neue definiert und abgesteckt. Die daraus resultierenden Konfrontationen sind in einem aktiven und demokratischen Zusammenleben sinnvoll und unausweichlich. Konfliktfähigkeit ist ein wesentlicher Bestandteil einer gesunden Entwicklung. Wichtig ist jedoch, dass diese Konflikte nicht in dominierender und demütigender Form ausgetragen werden, sie sollten weder emotional verletzend, noch sollte die Persönlichkeit des Kindes angreifen werden mit Äußerungen wie z.B. "Du bist einfach blöd". Die Dialoge sollten themenbezogen und alters- und persönlichkeitsentsprechend angemessen geführt werden. Dabei ist es wichtig, dass das Problem einer angemessenen Anerkennung, Akzeptanz und Wertschätzung bedarf. Es ist auch relevant die Welt aus der Perspektive der Kinder heraus, und somit aus zwei Blickwinkel gleichzeitig zu sehen. Persönlichen Grenzen sollten von Eltern und (älteren) Kindern soweit als möglich klar formuliert werden. Auch Regeln sind wichtig und notwendig, solange sie zur Orientierung und den individuellen Bedürfnissen dienen, sie dürfen jedoch nicht starr sein, sondern sollten sich den Umständen entsprechend anpassen lassen. Wenn z.B. ein Kind, ein Jugendlicher oder eines der Elternteile gerade mit einem bestimmten Projekt sehr beschäftigt ist, sollte dies als Grund respektiert werden, um beispielsweise nicht an einem wöchentlichen Familienausflug teilnehmen zu müssen. Ein starres dogmatisches einhalten von Regeln, läßt die individuellen Bedürfnisse der Familienmitglieder oft nicht zur Geltung kommen. Nur weil eine Regel gelegentlich nicht eingehalten wird oder nur für einen kurzen Zeitraum seine Gültigkeit besitzt, heißt es nicht, daß diese Regel belanglos ist, wenn sie deutlich auf die Besonderheit der Umstände hinweist. Am Aufstellen und Mitbestimmen von Regeln sollten alle Familienmitglieder gleichberechtigt beteiligt sein, der Grund bzw. die Ursache einer bestimmten Regel sollte für alle transparent und nachvollziehbar sein. Da jedoch Regelungen auch immer einschränken, ist es sinnvoll damit sparsam umzugehen. Um jedoch auch die Verbindlichkeit von Übereinkünften zu verdeutlichen, sollten Familienmitglieder deren Überschreitung möglichst unmittelbar und direkt ansprechen, damit die Situation geklärt werden kann. Je nach Kind braucht es auch unterschiedliche Regeln; klare Regelungen können z.B. auch durch deren Verbindlichkeit besonderst jüngeren Kindern eine gewisse Sicherheit geben. Wenn wir unsere Kinder nicht in Watte hüllen wollen, müssen sie lernen mit Konflikten zu begegnen und damit umzugehen. Auch wenn wir uns größte Mühe geben, die Tage mit unseren Kindern so angenehm wie möglich zu gestalten, brauchen wir trotzdem unangenehme Gefühle nicht auszuschalten, denn sie gehören zum Leben dazu. Das Austragen von Konflikten ist für Kinder eine sehr wichtige Erfahrung. Sie müssen sich einerseits behaupten und durchsetzen, aber andererseits auch zurückstecken und lernen zu verlieren. Sie müssen ihre Bedürfnisse und Wünsche formulieren, andere überzeugen und sich Anerkennung verschaffen, wodurch sie wiederum ihren Platz in der Gruppe, wie auch in der Familie finden. Das Durchhaltevermögen und die Frustrationstoleranz, die in den unterschiedlichen Konfliktfällen erprobt werden, sind wichtig für die Selbsteinschätzung und das Selbstbewusstsein des Kindes. Das Kind kann sein eigenen Positionen entwickeln und bekommt die Möglichkeit eigene Lösungen zu finden. Durch eine Stellungsnahme kann das Kind eigene Grenzen setzen, es lernt verhandeln und Dialogfähigkeit. Aus diesen Gründen heraus, muss man den Kindern den Freiraum gewähren, sich streiten zu lassen, ohne dass unmittelbar ein Erwachsener dazukommt um zu schlichten, Grundregeln aufstellt in welcher Form Kinder zu streiten haben oder durch Schuldzuweisungen bewusst oder unbewusst beide Streitenden in Täter bzw. Opferrollen klassifiziert. Besonderst auch Konfliktaustragungen zwischen Geschwistern sind wichtig und unausweichlich. Man sollte den Kindern Gelegenheit geben ihre eigene Streitkultur zu entwickeln (was jedoch nicht bedeutet, dass Eltern bei sadistischen Handlungen oder völliger Unterlegenheit eines Kindes zuschauen sollen). In diesem Prozess bekommen die Kinder Gelegenheit untereinander ein gesundes Beziehungsgleichgewicht wieder herstellen. Manchmal lassen sich auch Konflikte oder Streitgespräche zwischen Erwachsenen und Kinder auf eine humorvolle und spielerische Art und Weise lösen z.B. indem man daraus ein "absurde Streitgespräch entwickeln lässt (man kann eventuell wechselseitig die Argumente austauschen oder spielerisch absurde Argumente mit einbringen) oder z.B. durch Softballwerfen, Kissenschlachten oder Ballonkämpfe die Aggressionen auf einer spielerischen Ebene raus lassen. Natürlich muss das Kind auch lernen mit Begrenzungen umzugehen und Grenzen diskussionslos zu akzeptieren. Auch wenn es enttäuscht reagiert, solche Erfahrungen gehören zum Leben. Ein Kind das in einer "nährenden" Beziehung aufwächst, kann auch solche mit unter starren Grenzen akzeptieren. Erst wenn es Einschränkungen erlebt, ohne eine emotional sichere Bindung, wird es in der Entfaltung seiner Selbstbestimmung beeinträchtigt. Mit Ungerechtigkeiten umgehen lernen, sind wichtige Erfahrungen. Kinder benötigen authentische Erwachsene als Vorbilder, die ihre eigenen Grenzen im alltäglichen Umgang erkennen und klar abstecken können. Wenn Eltern ihren Kindern bezüglich unangemessenen Forderungen ständig nachgeben, weil sie ihre eigenen Grenzen nicht wahren können, erzieht man Kinder dazu nach diesen Grenzen durch permanentes Fordern zu suchen. Für die Eltern bedeutet dies eine dauerhafte Überforderung, eine ständige Übertretung der eigenen Grenzen. Eltern fühlen sich dadurch verständlicherweise sehr schnell ausgelaugt und erschöpft und reagieren ihrerseits dann auch mit unangemessenen emotionalen Ausbrüchen, welche verständlicher weise für die Kinder oft in diesem Maße nicht mehr nachvollziehbar sind. 9.2.4.7. Nachvollziehbare Konsequenzen statt Strafe
anonym, aus der FH für Sozialwesen, Mannheim
Es gibt zu dem auch Eskalationsfallen, in die sich Eltern zumeist unbewußt immer wieder verstricken. Dazu gehören ungewollte Belohnungen (Kinder die grundsätzlich im Supermarkt anfangen laut zu schreien bzw. zu weinen und von ihrem hilflosen, genervten Elternteil dann Süßigkeiten bekommen, damit sie mit diesem Verhalten aufhören), disgruentes Verhalten oder auch das Ignorieren von erwünschtem Verhalten. Angemessenes Verhalten findet im Alltag häufig viel weniger Beachtung als provokantes Verhalten. Wenn Kinder bei sozialem Verhalten ignoriert werden, lernen sie schnell durch unsoziales Verhalten auf sich aufmerksam zu machen. Effektiv hingegen ist, wenn unerwünschtes Verhalten möglichst nicht verstärkt wird z.B. durch absichtliches Ignorieren. Eine anderer positive Möglichkeit mit Fehlern der Kinder umzugehen ist, ihnen zu erlauben es selbst wieder zurechtzubiegen. Wenn sie z.B. etwas vergossen haben, bekommen sie einen Lappen um es selbst wegzuwischen oder wenn Kinder anderen weh tun, ist es eine Möglichkeit sie zu fragen wie sie damit nun umgehen wollen, wenn das andere Kind weint. Kinder besitzen meist noch eine innere Gewissheit und eine innere Ordnung und wissen intuitiv was richtig und was falsch ist (vergl. hierzu auch Punkt 5.1., das Menschenbild Reichs), wenn wir ihnen Vertrauen schenken, sie respektieren und ihnen zusehends Verantwortung für sich selbst übertragen. Manchmal ist es natürlich auch unabdingbar ein entschiedenes Nein auszusprechen, wenn z.B. persönliche Grenzen überschritten werden und man nicht an die Vernunft des Kindes appellieren kann. Sinnvoll ist es, wenn man in Form von "Ich-Botschaften" und der entsprechenden inneren Haltung dazu entschieden seine persönliche Meinung zu diesem Konflikt ausspricht. Bei diesem Prozess des Grenzen setzen sollte man zunächst die Ursache des Konfliktes reflektieren, die Würde, das Recht und die persönliche Ordnung des Kindes respektieren, auf die Gleichwertigkeit zwischen den Personen achten und die Proteste der Kinder zulassen, ihre Gefühle nicht ignorieren oder bagatellisieren. Auch Erwachsene sollten keine Gefühle unterdrücken (z.B. des Zorns, Trauer, Wut), sondern in angemessener Form zum Ausdruck bringen. Wenn sich Kinder nun trotzdem noch über die persönlichen Grenzen der Eltern hinwegsetzen, sollte keine Bestrafung, sondern logische, dem Entwicklungsstand angemessene und für das Kind bzw. Jugendlichen nachvollziehbare Konsequenzen folgen. (Oftmals ist es sinnvoller mit solchen Konsequenzen zu reagieren, anstatt sich in lange Diskussionen verwickeln zu lassen; ein Beispiel: Zwischen der Mutter und ihrer heranwachsenden Tochter kommt es wiederholt zu Konflikten, weil die Tochter öfters am Tag ihre Kleidung wechselt und ihre getragenen Kleider verstreut im Zimmer liegen lässt, während die Mutter sich vom wachsenden Wäscheberg überfordert fühlt. In einem solchen Fall wäre es eine logische Konsequenz, wenn die Mutter sich, solange die Tochter keine Mitverantwortlichkeit zeigt, nicht mehr um das Waschen und Bügeln ihrer Kleidung kümmert und ihrer Tochter sowohl die alleinige Verantwortung für diese Arbeiten überträgt, als auch die daraus resultierenden Konsequenzen, z.B. die Tochter muss mit dreckiger Kleidung zur Schule gehen.) Verwöhnung tritt dann ein, wenn Eltern ihre persönlichen Grenzen missachten und als Folge dessen den Kindern übermäßig viel Aufmerksamkeit einräumen, welche ihnen als gleichwertige Person in dem jeweiligen Moment nicht zusteht. Dadurch kommt die Beziehung zwischen Elternteil und Kind aus dem Gleichgewicht und das Elternteil muss zukünftig sehr viel mehr Energie aufwenden, um die Homöostase wieder herzustellen. Die Ursache solcher dysfunktionalen Beziehungen sind oftmals Schuldgefühle oder fehlende Anteilnahme (Gleichgültigkeit) am Leben des Kindes bzw. Defizite der primären Bindung (z.B. oftmals hervorgerufen durch Trennung in der Partnerbeziehung oder akute Stresssituationen), wobei dann versucht wird diese Defizite gegenüber den Kindern durch ein Übermaß an Gefühlen zu kompensieren. Verwöhnung ist demnach nicht das Ergebnis von zuviel Liebe, sondern von unehrlicher und instrumentalisierter Zuneigung. Verwöhnung und Vernachlässigung sind deshalb die beiden Seiten ein und derselben Münze. Beiden Fälle zeichnen sich durch die Unfähigkeit des Grenzen setzen aus, im ersten Fall durch Überkompensation von Gefühlen, im zweiten Fall durch Mangel an Gefühlen (Kontaktlosigkeit) und Desinteresse am Kind. Kinder brauchen daher authentische Gefühle, emotionale Sicherheit, Anleitung und Orientierungshilfen, welche ihnen die Freiheit gibt sich zu entspannen und weniger zu fordern. Durch mangelnde Bindung und Vernachlässigung wird das Kind z.B. permanent an die Sehnsucht nach Liebe, Zuwendung und Angenommen werden gefesselt. Unbefriedigten Bedürfnisse und Frustrationen "binden" das Kind an den Eltern (z.B. auch durch Überbehüten, das Abschirmen des Kindes vor negativen Gefühlen, Konflikten oder in dem wir es nicht erwachsen werden lassen und ihm unnötigerweise Verantwortung abnehmen) und weil es seine tiefe Sehnsucht nach Akzeptanz seiner selbst nicht formulieren kann, kompensiert es dies mit einem Überhang an emotionalen Forderungen oder oberflächlichen Wünschen. Diese Defizite sind das Fundament für (materielle) Verwöhnung. Liebe hat ebenso nichts mit Konsum zu tun. Es ist z.B. nicht lieblos, wenn sie ihnen keine Gummibärchen kaufen, weil sie zu ungesund sind, oder wenn sie ihr Kind ins Bett bringen, weil sie beobachten, wie müde es ist. Es ist auch nicht lieblos, den Fernseher aus zu schalten oder das kleinere Kind in ein anderes Zimmer zu bringen, wenn das größere fernsieht. Aber es schadet einem Kind nie, wenn man es herumträgt, tröstet oder ihm über seine Ängste hinweg hilft. Durch diese Erfüllung der primären Bedürfnisse eines Kindes (siehe hierzu Punkt 5.4.) kann man Kinder nicht verwöhnen und durch eine altersentsprechende Abwägung des Prinzips des gegenseitigen Geben und Nehmens erlernt das Kind angemessen mit seinen Bedürfnissen umzugehen und Selbstdisziplin.
Diplomarbeit (2002): Kerstin Liekenbrock, Selbstregulation, FHS Mannheim Zurück: 7. Zum Kontext der Selbstregulation und 8. Leben und Werk W. Reichs Fortsetzung: 9.3. Institutionelle Erziehung nach Reich
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