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Diplomarbeit (2002): Kerstin Liekenbrock, Selbstregulation, FHS Mannheim
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Fortsetzung: 2.6. Schlüsselbegriffe und deren Bedeutung in der psychoanalytischen Pädagogik




2. Grundgedanken der psychoanalytischen Pädagogik

2.1. Gegenstand der Psychoanalyse

Die Psychoanalyse befasst sich mit dem Einfluss unbewusster Prozesse auf menschliches Erleben und Verhalten. Sie ist ein Verfahren zur Untersuchung und Behandlung psychischer Fehlleistungen, Störungen oder Verdrängungen. Mit Hilfe bestimmter Methoden und spezifischer Interventionsmittel sollen unbewusste Prozesse erfahren und dem Bewusstsein zugänglich gemacht werden.

Freud entwickelte die Psychoanalyse zwischen 1900 und 1920 als eine Konfliktpsychologie, bei der die Konflikte zwischen den menschlichen Triebimpulsen und den einschränkenden Forderungen des Über-Ichs zentrales Thema sind.

Bereits in den 1930er Jahren entwickelte sich die Ich-Psychologie (u.a. Hartmann), als eine eigenständige Richtung in der Psychoanalyse weiter. Sie befasst sich dabei speziell mit der Frage, welche Möglichkeiten dem Ich zur Verfügung stehen, sich mit den drängenden Triebwünschen auseinander zusetzen und sie zu sublimieren, d.h. sie in kulturell akzeptierte Bahnen zu lenken. Zudem befasst sie sich mit der differenzierten Untersuchung bestimmter Ich-Funktionen und der Weiterentwicklung des Ich-Begriffs mit dem Ziel, Unklarheiten und Mehrdeutigkeiten bei Freud aufzulösen (Mertens, 1997: 163 f.).

Die psychoanalytische Selbstpsychologie (u.a. H. Kohut) befasst sich seit den 60er Jahren auf den Grundlagen Freuds mit den Bedingungen der Selbst-Entwicklung sowie ihren Störungen. Sie sieht den Menschen, im Gegensatz zur klassischen Psychoanalyse, nicht als Objekt und Einzelwesen, sondern von Geburt an in permanenter Beziehung und Interaktion mit seiner Umwelt (Mertens, 1997: 119 f.).

Die psychoanalytische Objektbeziehungstheorie (u.a. D. Winnicott, M. Mahler, J. Sandler, J. Mitchell) tritt in den letzten Jahrzehnten zunehmend in den Vordergrund. Erforscht werden die frühen Beziehungserfahrungen des Menschen, besonders die frühe Mutter-Kind- Beziehung, in der primäre Beziehungsmuster erworben werden, die später als unbewusste Beziehungserwartungen auch das erwachsene Leben bestimmen. Gestützt werden die Erkenntnisse der Objektbeziehungstheorie von der modernen Säuglingsforschung (u.a. J.D. Lichtenberg, D. Stern, H. und M. Papousek, R.N. Emde), bei der Hypothesen nicht mehr wie bisher aus klinischen psychoanalytischen Situationen gedeutet wurden, sondern aus Direktbeobachtungen in der experimentellen Situation. Die daraus gewonnenen empirischen Ergebnisse zwangen zur teilweisen Revision der traditionellen psychoanalytischen Entwicklungspsychologie (Mertens, 1997: 96 - 98).

2.2. Kurzer geschichtlicher Überblick der Psychoanalyse und die Entstehung der psychoanalytischen Pädagogik

Der geistige Wegbereiter der Psychoanalyse war Sigmund Freud (geb. 6.5.1856). Sigmund Freud wurde während seiner Studienzeit durch die Zusammenarbeit des mit Hypnose arbeitenden Arztes Joseph Breuer stark beeinflusst. Durch eigene Forschungen kam Freud von der Hypnose zu der Technik der "Freien Assoziation". Dabei entdeckte er das Phänomen des Widerstandes, sowie der Übertragung. In den folgenden Jahren entwickelte er nach und nach das theoretische Gebäude der Psychoanalyse.

Ab 1902 berief Freud bei sich in Wien eine wöchentliche Diskussionsrunde ein, die "Psychoanalytische-Mittwochs-Gesellschaft". Zur Anfangsrunde gehörten unter anderem Adler und Steckel, später gesellten sich noch weitere Mitglieder hinzu wie z.B. Abraham, Ferenczi, Jung, Reich (vergl. Zygowski 1987: 14 f.).

1908 wurde die Wiener Psychoanalytische Vereinigung gegründet. Im selben Jahr fand in Salzburg der 1. Psychoanalytische Kongress statt. Im Rahmen dieses Kongresse wurde von Sandor Ferenczi das erste Mal öffentlich über die allgemeinen Konsequenzen der Freudschen Entdeckungen referiert. In diesem Vortrag sprach Ferenczi die häufige Unzweckmäßigkeit vieler pädagogischen Methoden und Auffassungen an, welche viele "überflüssigen Seelenqualen" (Ferenczi 1970: 2) verursachen würden. "Die Persönlichkeit der Menschen ist infolge derselben schädlichen Erziehungseinflüsse mehr oder minder unfähig geworden, die naturgegebenen Freuden des Lebens unbefangen zu genießen. Wie selbstverständlich drängt sich also die Frage auf, welchen praktischen Nutzen die Pädagogik aus diesen Erfahrungen haben könnte? Die Frage ist keine rein wissenschaftliche, sie verhält sich zu der uns hauptsächlich interessierenden Disziplin, der Psychologie, wie die Gartenbaukunst zur Botanik......Das vorläufig ins Auge zu fassende Ziel der pädagogischen Reform wäre, die kindliche Seele von der Belastung unnötiger Verdrängungen zu schonen." (Ferenczi 1970: 2)

In unmittelbarem Zusammenhang mit den anfänglichen Erkenntnissen der Psychoanalyse entwickelte sich auch die psychoanalytische Pädagogik. Man versuchte nun die Erkenntnisse Freuds und der frühen Psychoanalyse pädagogisch umzusetzen; die Grundlagen zu alternativen Erziehungskonzepten entstanden.

Berlin (und später auch Frankfurt) gehörte neben Wien ebenfalls zu einem frühen psychoanalytischen Zentrum. Bereits 1920 entstand in Berlin (und 1922 in Wien) die erste Psychoanalytische Poliklinik, an der viele bedeutende Psychoanalytiker (u.a. M. Klein, E. Fromm, K. Horney) wichtige Erfahrungen sammeln konnten und ausgebildet wurden.

Sowohl in Berlin wie auch in Wien wurden zu dieser Zeit bereits Seminare und Kurse zu dem Thema "Psychoanalyse und Erziehung" angeboten. Im Oktober 1926 wurde in Wien das erste Heft der "Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik" von Heinrich Meng publiziert (vergl. Peters 1979: 161).

An der Entwicklung der psychoanalytischen Pädagogik der Freud-Schule waren folgende Psychoanalytiker maßgeblich beteiligt: Anna Freud, Paul Federn, Melanie Klein, Karen Horney, Siegfried Bernfeld, Wilhelm Reich, Sandor Ferenczi, Alice Balint, Erik H. Erikson, August Aichhorn, Hans Zullinger und Erich Fromm.

Sie alle lernten bei Freud und leisteten, neben der erziehungspraktischen Umsetzung der Psychoanalyse auch ebenso wichtige Beiträge zur Entwicklung der psychosomatischen Medizin.

Zu den wichtigsten Vertretern dieser erziehungswissenschaftlichen Theorie zählten zudem Reformpädagogen wie Alexander Sutherland Neill und Wera Schmidt.

Ab den 30er Jahren begann die Psychoanalytische Vereinigung zu zersplittern, und es entstanden zusehends eigenständige, an Freuds Thesen anlehnende Schulen (Adlers Individualpsychologie, Jungs analytische Psychologie u.s.w.). Beweggründe hierfür waren unter anderem die Tatsache, dass Freud seine Theorien mehrfach änderte und sich dadurch mit einigen seiner Schüler zerstritt. Einige seiner Thesen waren zudem Gegenstand wachsender Kritik.

Zu einer weiteren Erschütterung der psychoanalytischen Bewegung kam es durch den politischen Druck des Nationalsozialismus. Im Mai 1933 wurden Sigmund Freuds Schriften mit den Worten "Gegen die seelenzerstörende Überschätzung des Sexuallebens und für den Adel der menschlichen Seele" dem Feuer übergeben. Als "jüdische" Wissenschaft wurde die Psychoanalyse verfolgt und man versuchte sie gemäß nationalistischen Ideologien zu "reinigen". Fast alle Mitglieder der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft (DPG) sahen ganz klar die Gefahr und die Bedrohung der Menschen durch das Hitler-Regime. Außer Wilhelm Reich äußerte sich jedoch niemand öffentlich zur politischen Situation, man ging den Weg des geringsten Widerstandes und verzog sich hinter seiner Couch.

Als jedoch der politische Druck immer größer wurde, spaltete sich die DPG. Einige der führenden Psychoanalytiker sahen sich gezwungen, ohne viel Aufsehen, zu emigrieren (K. Horney, M. Klein, O. Fenichel, S. Bernfeld). Die anderen nahmen den Standpunkt ein, dass die Psychoanalyse weltanschaulich neutral und unpolitisch sei und dass politisches Engagement lediglich eine Privatangelegenheit des Psychoanalytikers sei. Man versuchte Anpassungsbereitschaft zu signalisieren, um den Erhalt der psychoanalytischen Institutionen zu sichern (vergl. Mertens, 1997:13 - 19).

1934 übernahm C.G. Jung den Vorsitz der "Überstaatlichen allgemeinen ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie". Er arrangierte sich mit den Nazis und unterschied fortan zwischen einer jüdischen und einer arischen Psychologie (Zitat Jung: "Das arische Unbewusste hat ein höheres Potential als das jüdische...") (Zygowski 1987: 16). 1938 emigrierte Sigmund Freud.

Da die psychoanalytische Pädagogik auf den Forschungsergebnissen der Psychoanalyse fußt und den nationalsozialistischen Interessen entgegentritt, kam auch dieser Bereich zum Erliegen.

Nach dem 2. Weltkrieg zersplitterte die psychoanalytische Pädagogik in eine Vielzahl von unterschiedlichen Erziehungskonzepten. Die Forschungsarbeiten wurden diesbezüglich vor allem in den USA weitergeführt. Zu großen Teilen basieren diese Erziehungskonzepte auf den Grundlagen der psychoanalytischen Pädagogik, welche jedoch ergänzt und zum Teil auch revidiert wurden durch neuere Forschungsarbeiten der modernen Psychologie (z.B. der Objektbeziehungstheorie, wie auch den empirischen Erkenntnissen der modernen Säuglingsforschung).

Die Psychoanalytische Pädagogik wird auch heute noch diskutiert, wenn auch nur von einem kleinen, aber entschiedenen Kern Interessierter. Sie fasst momentan möglichst viele Phänomene unter einem "Dach" zusammen und arbeitet sowohl die unterschiedlichen Differenzen der einzelnen theoretischen Positionen heraus, wie auch an der situationsgerechten Umsetzung der psychoanalytischen Erkenntnisse in die Praxis.

2.3. Die psychoanalytischen Wurzeln Sigmund Freuds

2.3.1. Das Instanzenmodell

Freud ging davon aus, dass die menschliche Psyche in drei Instanzen untergliedert ist. Das Es, das Ich und das Über-Ich.

Das Es verkörpert die unbewussten, unauflösbaren Grundbedürfnisse und die primären Impulse. In ihm wirken die ursprünglichen, biologischen Triebe in animalischer, nicht sozialisierter Form. Diese inneren Urkräfte, welche hier zum tragen kommen, drängen auf sofortige und rücksichtslose Befriedigung primärer Bedürfnisse. Nach Freuds Auffassung besteht die eigentliche Lebensmotivation darin, diese Grundbedürfnisse zu befriedigen.

" Das Es als energetischer Ort der Triebe drängt auf Entladung, Abfuhr und Entlastung von Spannungsdruck. In der Entladung stellt sich das seelische Gleichgewicht und die seelische Ökonomie wieder her (Regulationsdynamik). Der Sinn der Befriedigung ist Lustgewinn. Die Psyche hat die Tendenz, so zu operieren, dass Lust erlangt und Unlust vermieden wird." (Breinbauer, 1980: 311) Jedoch könnte dies ohne Korrektur durch die beiden anderen Instanzen, zu gefährlichen Konflikten mit der Außenwelt führen.

Das Über-Ich dagegen hat die Einschränkung der Bedürfnisse und Triebe zur Zielsetzung. In ihm sind die kulturellen Werte und Normen angelegt. Das Über-Ich umfasst den Bereich der Gebote und Verbote, es hat die Gewissensfunktion. Diese an sich äußeren Normen werden vom Kind in den ersten Lebensjahren verinnerlicht und manifestieren sich als neue psychische Instanz im Über-Ich. Dieses Über-Ich nimmt nun eine Kontrollfunktion ein, welche folglich nicht aus dem Kind selbst entspringt. Es überwacht, steuert und straft die Aktivitäten des Es.

Die Aufgabe des Ichs ist es, zwischen dem Es und dem Über-Ich eine Verbindung in Form eines Kompromisses zu finden. Es muss zum einen den emotionalen Grundbedürfnisse und Triebansprüchen zu einer realitätsangepassten Verwirklichung verhelfen, gleichzeitig aber den normativen Einschränkungen des Über-Ichs Rechnung tragen. Das Ich ist folglich die zentrale Entscheidungsinstanz und übernimmt die Rolle der Selbstkontrolle. Als das Realitätsprinzip bedient es sich der Wahrnehmung und des Gedächtnisses und steht daher für das Bewusstsein. (vergl. Kriz, 1989: 37)

Für Kinder bedeutet es eine enorme Anstrengung, ihr schwaches, noch unfertiges Ich einer solchen Balanceleistung auszusetzen, sie müssen ihre unbewussten, emotionalen Grund-bedürfnisse bezüglich gesellschaftlicher Werte abwägen und gegebenenfalls zurückstellen.

2.3.2. Das Neurosenmodell

Die Entstehung von Neurosen ist das Ergebnis eines psychischen Konflikts zwischen dem Über-Ich als Gewissen, dem Ich als realitätsbezogener Teil der Persönlichkeit und dem Es, dem Trieb. "Die neurotischen Symptome stellen eine Kompromisslösung dar und sind als Ersatz einer Triebbefriedigung zu verstehen" (W. Horney/ J.P. Ruppert, 1970: 670).

Die Libidoentwicklung setzt bereits kurz nach der Geburt ein. Das Ich und das Über-Ich des Kindes müssen sich jedoch erst langsam entwickeln, sie hinken folglich immer ein wenig dem Es, dem Sexualtriebe hinterher. Diese drei Instanzen müssen daher in einem fortwährenden Konflikt miteinander stehen. Durch die Entwicklungsdifferenzen entstehen in der früh-kindlichen Entwicklung ungelöste, unbewusste Konflikte und Ambivalenzgefühle. Diese Dynamik und folglich auch die daraus resultierenden Ängste sind dem Kind nicht bewusst und sind für das Kind auch nicht zu bewältigen. Zur Vermeidung psychischer Demontage und Angstbewältigung setzt das Ich Abwehrmechanismen ein: Verdrängung, Projektion, Regression, Reaktionsbildung, Rationalisierung und Sublimierung.

Nach überwiegender Meinung der Freud-Schüler ist die "normale" Form der gesunden Triebregulation die direkte Abfuhr der Bedürfnisse, bei der das seelische Gleichgewicht wieder hergestellt wird. Der Mensch erwirbt jedoch erst in der späteren Sozialisation die Fähigkeit, seine Befriedigung hinauszuschieben, abzuwehren oder umzulenken. Die Sublimierung lässt den Weg zur gesunden Persönlichkeitsentwicklung offen. Wenn jedoch die Energie verbotener Triebwünsche sich nicht abreagieren kann und ins Unbewusste verdrängt wird, wird die regulative, kathartische Funktion der Psyche blockiert. Hierbei werden die Triebbegehren nicht ausgelöscht, sondern kanalisieren sich in neurotische Symptome wie z.B. Hemmungen, Sperrungen, Ängste, Schuldgefühle und Zwänge. (vgl. Breinbauer 1980: 312)

Freud räumte auch ein, dass das Verbot der frühkindlichen Sexualität nicht ohne Wirkung auf die spätere Kulturbereitschaft des Individuums bleiben kann. Vieles unserer Kultur gehe folglich auf Kosten der Sexualität durch die Einschränkung sexueller Triebkräfte.

Bedeutend für die Psychoanalytische Pädagogik waren diese Erkenntnisse deswegen, weil man daraus folgerte, dass man Neurosen vermeiden könne, wenn man dem kindlichen Ich zunächst einmal seine Aufgabe ersparen könne, also die kindliche Sexualentwicklung möglichst frei gewähren ließe, wie es z.B. bei einigen Urvölkern der Fall ist. Einige Jahre später revidierte Freud jedoch seine Meinung diesbezüglich, wobei die Psychoanalytische Pädagogik diese Wendung Freuds ebenfalls mit vollzog (ich werde später diesen Punkt noch ausführlicher darstellen).

2.3.3. Das Phasenmodell

In seinem bis heute umstrittenen Phasenmodell fasst Freud seine Erkenntnisse über die Entwicklung der kindlichen Sexualität zusammen.

Er unterschied die frühkindliche Triebentwicklung in verschiedene Phasen: die orale, die anale und die phallische Phase, sowie den Ödipuskomplex. Dabei ging Freud davon aus, dass bei "...bestimmten Altersstufen verschiedene Tätigkeiten und Wünsche des Kindes Ausdruck des Trieblebens sind und von besonderer Bedeutung für die Entwicklung bestimmter Charaktereigenschaften. Je nach Art des "Triebschicksals", d.h. je nachdem, ob eine Frustration, Versagung der Befriedigung im Sinne der Verwöhnung vorliegt, entwickeln sich schon in den ersten Lebensjahren Tendenzen bzw. Bereitschaften für die Entwicklung von Neurosen im Erwachsenenalter und bei angemessener Triebbefriedigung Frustrationstoleranz und Tendenz zur selbstständigen Bewältigung von Umweltanforderungen." (Keller/ Novak 1993: 289)

Die orale Phase erstreckt sich in etwa über das erste Lebensjahr des Kindes. Erogene Zone ist der Mund. Das Saugen an der Mutterbrust bedeutet nicht nur Nahrungsaufnahme, also primäre Bedürfnisbefriedigung durch Stillen des Hungers, sondern ist auch gleichzeitig lustbetont (bereits lange vor der Psychoanalyse bezeichnete man das Saugen der Säuglinge auch als Wonnesaugen). Durch diese Lustbefriedigung entsteht in der oralen Phase eine elementare Beziehung zur Mutter, diese kann als die erste soziale Interaktion angesehen werden. "Die Identifizierung des Säuglings mit dem Objekt der Mutter gehört damit einerseits zu dem ersten Aspekt der Integration der Persönlichkeit in ein soziales System und andererseits dient sie der Herausbildung der Persönlichkeitsstruktur"(Kron 1991: 114). Nach und nach werden diese ersten Triebäußerungen stärker autonom und können auch autoerotisch wie z.B. durch Daumenlutschen befriedigt werden.

Frustrationen in der oralerotischen Phase können die Entstehung des Urvertrauens verhindern oder Ekelgefühle und Störungen bei der Nahrungsaufnahme nach sich ziehen.

Die anale Phase bezieht sich auf das zweite bis dritte Lebensjahr und handelt von der Ausscheidung und der Befriedigung der Aggressionen.

Die Stuhlentleerung ist beim Kleinkind lustbetont, Kot ist quasi das erste Geschenk und ein Teil des kindlichen Ichs. Das Kind hat im Rahmen der Reinlichkeitserziehung die Wahlmöglichkeit seinen Stuhlgang herzugeben oder zurückzuhalten. In diesem Prozeß geht es jedoch um mehr als um die bloße Beherrschung der Ausscheidung. " Das Kind merkt, dass die Mutter, die geliebte Person, um die es sich auch Sorgen macht, von ihm etwas will. Vorgänge des Produktiv-seins, des Hergebens, sich-von-etwas-trennen-Könnens, Macht-Besitzens, Etwas-Leistens sind verbunden mit Enttäuschungen, mit Versagen oder mit Liebesbeweisen und mit Gegensätzen wie schmutzig/sauber, pedantisch/schlampig, zurückhalten/hergeben. Im Unbewussten herrscht ein Haß-Liebe-Konflikt: Die fordernde Mutter wird gehasst und die lustbringende Mutter aus der oralen Phase über alles geliebt." Kinder neigen in dieser Phase vermehrt zu aggressivem Verhalten. Dies hängt damit zusammen, dass sie ihre eigene Autonomie erleben und eine Beziehung zu ihrem Ich entwickeln.

Auch tritt das Kind in dieser Entwicklungsphase vermehrt mit anderen "Objekten" seiner Umwelt in Kontakt. Gemeint sind hierbei nicht nur andere Personen, sondern auch die ganze Palette der verbalen und nonverbalen Kommunikation. Das Kind erlebt sich in seiner Umwelt und bringt sich zusehends ein. Freud nannte diese Entwicklung "Objektbeziehung" (die innere Haltung und das äußere Verhalten des einzelnen gegenüber Personen oder Dingen, die für unser psychisches Leben bedeutsam sind).

In der analen Phase sollte man demnach mit besonderer pädagogischer Sensibilität vorgehen, da Kinder von nun an auch zu Autoaggressionen und zu Schuldgefühlen neigen. Eltern können nun durch diesbezüglich falsches Verhalten wie z.B. Bestrafungen genau diese Aggressionen und Autoaggressionen beim Kind fördern und verstärken. Die sich daraus entwickelnden Hassgefühle verstärken die Angst der Kinder vor ihren eigenen Gefühlen, und um diesen zu entrinnen, besteht die Gefahr, dass sich das Kind in der frühesten Kindheit in Regression flüchtet, oder es provoziert Strafe durch neue "Ungezogenheiten" bzw. wird autoaggressiv.

In der phallischen Phase wendet sich das Kind im Alter von ca. drei bis sechs Jahren seinen Geschlechtsorganen zu. Es entdeckt, dass die Berührung der Genitalien zur Auslösung von Lustgefühlen führt und versucht nun sich selbst zu befriedigen. Bestehende Ängste bezüglich lustvollen Vorgängen können in dieser Entwicklungsphase auf die genitale Lust übertragen werden. Diese Angst vor Strafe beim Empfinden sexueller Lust, zunächst in Form von Phantasien und Masturbation, haben verheerende Auswirkungen auf spätere sexuelle Aktivitäten und Partnerbeziehungen. Bekommt das Kind nicht ausreichend die Möglichkeit diese Phase ungezwungen auszuleben, können zudem innere Konflikte zwischen Liebe und Hass entstehen, verbunden mit starken Schuldgefühlen.

Sigmund Freud wurde in diesem Punkt jedoch heftig angegriffen. Wie bereits das Wort "phallisch" schon ausdrückt, bezog sich Freud ausschließlich auf das männliche Genital. Der weiblichen Sexualität widmete er anfangs noch keine Beachtung, sie blieb noch längere Zeit unbekannt. Aus diesem Grunde wurde er damals besonders von feministischer Seite stark kritisiert. (vgl. Kriz 1989: 39)

Den Ödipuskomplex kann man zeitlich etwa zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr einordnen.

Durch das Erwachen sexueller Wünsche entwickelt das Kind eine intensive sexuelle Bindung dem gegengeschlechtlichen Elternteil gegenüber. Es möchte diesen Elternteil für sich alleine haben und entwickelt eine Rivalität bezüglich des Gleichgeschlechtlichen, mit dessen Rolle es sich jedoch auch identifizieren möchte. Durch dieses sexuelle Begehren entwickelt es auch gleichzeitig Ängste und Schuldgefühle gegenüber dem gleichgeschlechtlichen Elternteil, verbunden mit einer natürlichen Inzesthemmung. Mit der Zeit erkennt das Kind die Erfolglosigkeit seiner Wünsche. Der Druck der Eifersucht bezüglich dem gleich-geschlechtlichen Elternteil, den Schuldgefühlen und Ängsten wird so groß, dass es diese ödipalen und genitalen Wünsche zunächst unterdrückt und verdrängt. Aus dieser Verdrängung leitet sich die überwiegende Anzahl späterer Sexualstörungen ab.

Das Kind lernt in dieser Entwicklungsphase, sich mit Regeln und gesellschaftlichen Normen auseinander zusetzen, es erlebt bewusst das familiäre Zusammenleben und setzt sich mit seiner Stellung zwischen den Eltern auseinander. Es identifiziert sich mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil, mit seiner eigenen Geschlechterrolle, sowie mit der Familie als Kollektiv. Ein Partnerkonflikt der Eltern zum Zeitpunkt der ödipalen Phase, kann außerdem den Grundstein bilden für Störungen in der Entwicklung der Geschlechtsidentität. Aber auch das Fehlen von Widerständen in dieser Phase, kann zu frühkindlichen Ohnmachts- und/oder Allmachtsphantasien bezüglich der Eltern führen. Nicht selten entstehen aus diesem inneren Konflikt Rivalitäten und Aggressionen gegenüber dem gleichgeschlechtlichen Elternteil.

Durch die Bejahung der kindlichen sexuellen Neugierde und ein spontanes, natürliches, rollenspezifisches Verhalten des gleichgeschlechtlichen Elternteils werden dem Kind die Identifikation mit diesem erleichtert, was wiederum zu einer positiven Bewältigung dieser Phase beiträgt.

Zunächst ging Sigmund Freud davon aus, dass Mädchen und Jungen diese Entwicklungsphase gleich durchleben (wobei er der weiblichen Geschlechtsentwicklung wenig Beachtung schenkte und ihr viele männliche Attribute überstülpte), später korrigierte er diese Meinung und differenzierte zwischen den Geschlechtern.(vgl. Hagera 1989: 152)

2.4. Freuds Grundgedanken zur Erziehung

Sigmund Freud verdanken wir das Basiswissen, welches das Fundament bildet für die psychoanalytische Pädagogik. Er selbst arbeitete als Arzt, Psychotherapeut und Lehrer und beschäftigte sich daher sekundär mit Erziehungsfragen. Diverse Schüler Freuds (siehe Punkt 2.1.) griffen seine Thesen auf und zogen daraus Konsequenzen, welche die Basis bilden für die weitere Entwicklung und Methodik dieses Erziehungstheorems.

Zunächst möchte ich kurz auf das Menschenbild Freuds eingehen, denn die Sicht des Menschen beeinflusst unmittelbar den Umgang mit ihm.

Freud hatte eine mechanistisch-materialistische Auffassung, d.h. der Mensch ist berechenbar, da er durch chemische Vorgänge (Gefühle, Affekte ect.) angetrieben wird. Das bedeutet, dass Emotionen unter den gleichen Umständen reproduzierbar sind. Man könnte, aus seiner Sicht heraus, den Menschen durchaus mit einem Ottomotor oder einer Dampfmaschine vergleichen, wobei dies natürlich am Menschen in seiner unübersehbaren Fülle möglicher Aspekte vorbeizielt.(vgl. Wyss 1991: 350)

Im Säugling sah Freud ein Wesen zwischen den Welten, er wurde eher im esoterischen Bereich angesiedelt. Freuds Annahme war, dass der Säugling in einer, dem Autismus ähnlichen, halluzinatorischen Phantasiewelt lebe und ausschließlich nach dem Es, seinen Trieben reagiert. Er ging davon aus, "gemäß des Lust-Unlust-Prinzips, dass das Neugeborene so lange zufrieden schläft, bis physiologischer Hunger, psychisch als oraler Trieb repräsentiert, über einen Schwellenwert hinaus ansteigt. Das Kind wird erregt, es schreit (was eine energetische Abfuhr darstellt), und dann erhält es die Nahrung, die notwendig ist, um die Ursache der Spannung zu überwinden. Nachdem das Kind die Lust des Spannungsabbaus erlebt hat, kehrt es in den Schlafzustand zurück" (Lichtenberg, 1991: 4)

Eine Wahrnehmungs- und Unterscheidungsfähigkeit sowie Interaktionsbereitschaft wurden dem Säugling von Freud abgesprochen.

Sigmund Freud konzentrierte sich in seinen Forschungen auf das Alter ab der analen Phase. Er erkannte durch seine psychoanalytischen Studien, dass die Wurzeln vieler seelischer Erkrankungen die Verdrängung psychischer Konflikte aus dieser Phase der Kindheit waren. Die ursprünglichen spontanen Triebbedürfnisse waren bei Patienten in Konflikt mit der triebversagenden Umwelt geraten und durch einen innerpsychischen Mechanismus ins Unbewusste verdrängt worden. Im Unbewussten wühlten diese verdrängten Bedürfnisse (und die sie antreibenden Energien) weiter und suchten sich, unter Umgehung der bewussten Kontrolle der jeweiligen Person, andere Ventile der Entladung z.B. in Form von neurotischen Zwangssymptomen oder psychosomatischen Erkrankungen.

Bereits 1905 gab Freud in seiner Abhandlung über die "infantile Sexualität" den Anstoß für eine Neubewertung, welche Rolle die Sexualität in der Entwicklung des Kindes spielt. Er korrigierte darin auch die Jahrhunderte überdauernde Annahme von dem "asexuellen Kind" und seiner reinen "Unschuld". Zusammenfassend lassen sich seine Theorien in drei Thesen aufgliedern:

  1. Sexuelle Energie entwickelt sich nicht erst in der Pubertät, sie ist vielmehr eine fundamentale Kraft, die von Geburt an feststellbar und wirksam ist.

  2. Die Kanalisierung dieser libidinösen Energie ist im wesentlichen ein sozialer und kein instinktiver Vorgang, d.h., dass bestimmte sexuelle Formen der Befriedigung und sexuelle Objekte erlernt werden.

  3. Typisch für den Ablauf der psycho-sexuellen Entwicklung des Kindes ist das stufenweise Fortschreiten durch eine Reihe bestimmter Entwicklungsphasen. Eine Entwicklung zur reifen Sexualität ist demnach das Resultat eines geglückten Durchlaufens und Ablösens dieser einzelnen prägenitalen Entwicklungsformen (orale, anale, phallische und ödipale Phase)

Freud definierte Neurosen als "das Ergebnis unvollständiger funktionell-nervöser Verdrängungen von Impulsen aus dem Es durch das Ich. Neurosen sind demnach Ausdruck einer "Entwicklungshemmung der Libido" (Horney/ Ruppert 1970: 670). Diese Erkenntnisse, dass die Unterdrückung der Sexualität zu seelischen Krankheiten führt, erkannte Freud in den früheren Perioden seines Schaffens (später wandelte er denselben Grundsatz auf den Todestrieb an). Einige Jahre später vertrat er jedoch die Meinung, dass die Verzögerung der Sexualentwicklung und Sexualbetätigung sowie die Versagung des Sexualtriebs für die Erziehung und zugunsten kultureller Gewinne notwendig seien. Er vertrat den kulturphilosophischen Standpunkt, dass die Kultur ihr Entstehen der Triebunterdrückung bzw. dem Triebverzicht verdanke. Solche Versagungen bedürfen jedoch immer des Ausgleichs durch positive Lusterlebnisse, Sublimierungen. In diesem Zusammenhang betonte S. Freud die Bedeutung der positive Bindung des Kindes zu seinem Erziehenden, welche die Voraussetzung darstellt, um ihm zuliebe Versagungen zu ertragen, ohne allzu starke Hassgefühle zu entwickeln.

Durch die Erziehungsmittel des Versagens und Gewährens wollte Freud das Realitätsprinzip bei möglichst geringer Einschränkung der Lust erreichen.

"Das Kind soll Triebbeherrschung lernen. Ihm die Freiheit zu geben, dass es uneingeschränkt allen seinen Impulsen folgt, ist unmöglich (...) Die Erziehung muss also hemmen, verbieten, unterdrücken und hat dies zu allen Zeiten reichlich besorgt. Aber aus der Analyse haben wir erfahren, dass diese Triebunterdrückung die Gefahr der neurotischen Erkrankungen mit sich bringt....Die Erziehung hat also ihren Weg zu suchen zwischen der Scylla des Gewährenlassens und der Charybdis des Versagens. Wenn die Aufgabe nicht überhaupt unlösbar ist, muss ein Optimum für die Erziehung aufzufinden sein, wie sie am meisten leisten und am wenigsten schaden kann." (S. Freud, 1933: zit. nach Trescher 1990: 17 )

Darüber hinaus warnte Freud vor unkritischen Übertragungen der Psychoanalyse auf die Erziehung. Er vertrat die Meinung, Erziehung dürfte nicht mit psychoanalytischer Behandlung gleichgesetzt werden; diese könne höchstens als Hilfsmittel herangezogen werden.

2.5. Die erziehungstheoretische Entwicklung und Umsetzung der psychoanalytischen Pädagogik

2.5.1. Zielsetzung der psychoanalytischen Pädagogik

"Was Eltern, Lehrer und Erzieher von der Psychoanalyse erwarten, ist ein geschlossenes System von Regeln und Vorschriften. Was die Analytiker zu bieten haben, sind Meinungen, Warnungen, Einsichten, bestenfalls Ratschläge" (Anna Freud 1968, zit. von Keller/ Novak 1993: 287)

Die psychoanalytische Pädagogik kritisierte die damaligen Erziehungsformen. Das zentrale Thema war der Konflikt des kindlichen Triebwunsches, welcher im Widerspruch steht zu dem versagenden Realitätsprinzip.

Sandor Ferenczi und Otto Gross vertraten auf jenem Kongress 1908 (vergl. Punkt 2.2) wesentlich entschiedener als Freud selber die Auffassung, dass von jeder "missglückten" Verdrängung im Grunde jeder, also auch der symptomfreie "Normale" betroffen sei. Weiter warnten sie, dass die bei jedem Menschen vorhandenen verdrängten und dadurch unbewussten Impulse zu einem gefährlichen Komplex antisozialer Instinkte werden, welche nur mit einem hohen Aufwand, und durch das automatische Wirken gewaltiger Schutzvorrichtungen unterdrückt werden können, d.h. mit moralischen, religiösen und sozialen Dogmen. Diese bestehende, auf jenen Dogmen basierende Ordnung, welche seit undenklichen Zeiten immer wieder die selben "Seelenqualen" der Kinder reproduziert, stellten sie nun grundsätzlich in Frage.

Es entstand eine Vision eines "neuen", wirklich freien, autonomen, selbstbestimmten d.h. psychisch "gesunden" Menschen, welcher nur durch einen radikalen Umsturz in der Pädagogik in den Bereich des möglichen rückte (Freud selber hielt hingegen wenig von diesen Konsequenzen seiner Lehre).

Die Psychoanalytische Pädagogik wollte demnach eine positivere, humanere Erziehung, welche auf ihr entsprechendes gesellschaftliches Ideal ausgerichtet war (dieses wurde dann auch gleichgesetzt mit ihrem Gesundheitskriterium).

Zur Umsetzung dieses Erziehungszieles versuchten sie zunächst, ein gewisses Hinter-grundsverständnis und Einsicht für die Schwierigkeiten der Kinder in den jeweiligen Entwicklungsphasen dem Erzieher nahe zu bringen und an das Verständnis zu appellieren.

Die psychoanalytische Pädagogik kann als eine Hilfs- und Grundlagenwissenschaft gesehen werden. Das primäre Erziehungsziel war die Neurosenprophylaxe.

Weitere Erziehungsziele wurden nicht eindeutig definiert, sondern eher grob umrissen. Die eigentliche Methode, das Verfahren zur praktischen Umsetzung, wurde verhältnismäßig wenig erarbeitet.

Als Erziehungsmittel kamen weiterhin nur das Gewähren lassen und Versagen in Frage. Weitere erzieherische Grundsätze der psychoanalytischen Pädagogik sind:

  1. Die Entwicklung eines starken Ichs sollte unter Vermeidung des Aufbaus eines zu strengen Über-Ichs gefördert werden.

  2. Extreme Erziehungsstile, wie Verwöhnung oder Frustration, sind der kindlichen Persön-lichkeitsentwicklung abträglich.

  3. Der Bedeutung und Wirkung von individuellen Abwehrmechanismen sollte Rechnung getragen werden.

  4. Bei Erziehern und Lehrern sollte Selbstkontrolle und Selbstkritik herangebildet werden, um Kränkungs-, Aggressivitäts- und Schuldgefühlen entgegen zu wirken, die durch Lern-widerstände bei den Schülern entstehen können." ( Meyers Kleines Lexikon Pädagogik 1988: 317f.)

Eine Neurosenprophylaxe versuchte man durch das Herabsetzen von Angsterlebnissen und durch möglichst geringe Einschränkung des Lustprinzips zu realisieren.

Durch die Tatsache, dass sich die Psychoanalytische Pädagogik als Grundlagenwissenschaft versteht, ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich bereits in den Ansätzen zur Entwicklung der Methodik unter den einzelnen Freud-Schülern Basis-Differenzen aufbauten. Daraus entwickelten sich bis heute eine Vielzahl von verschiedenen Erziehungskonzepten.

Mittlerweile haben sich viele Erkenntnisse, Forderungen und Zielsetzungen der anfänglichen psychoanalytischen Pädagogik etabliert und sind fester Bestandteil der heutigen Erziehung geworden. Auch die neuesten Erkenntnisse und Entwicklungen der Psychoanalyse (besonders in der Säuglingsforschung, aber auch in der NLP) bilden wiederum die Grundlage zur Weiterentwicklung der modernen Pädagogik.

2.5.2. Sachliche Erziehung

Unter dem doppeldeutigen Begriff der "Sachlichen Erziehung" versteht man keineswegs eine emotionslose, kalte, unpersönliche Haltung des Erziehenden gegenüber dem Kind. Dies stände im krassen Gegensatz zum eigentlichen Sinn und Streben der psychoanalytischen Erziehung. Meng betonte 1945 in diesem Zusammenhang, dass eine kalte Erziehung wie ein reiner Zerstörer wirke.(Trescher 1990: 21)

Gemeint ist vielmehr eine affektbeherrschte Haltung des Erziehers bzw. der Eltern, welche selbstkritisch und reflektierend sein sollte, um mögliche Übertragungsreaktionen vom Erziehenden gegenüber dem Kind bewusst wahrzunehmen und adäquat damit umgehen zu können.

Aufgrund möglicher Reaktualisierung von unbewältigten bzw. unbewussten Konflikten des Pädagogen ist die Wahrnehmung für das Kind oft nicht mehr realitätsgerecht und situationsangepasst. Eine selbstkritische Reflexion und die Koordination seines Handelns können unter diesen Umständen stark verzerrt und entstellt werden. Der Erziehende ist nun leicht geneigt sich mit dem Kind zu identifizieren und/oder eigene Ängste oder Wünsche auf das Kind zu projizieren. Dadurch besteht die Gefahr, dass der Pädagoge nicht mehr in der Lage ist, das aktuelle Befinden des Kindes wahrzunehmen, er reagiert zu emotional und mit unangemessenem erzieherischen Handeln wie z.B. mit Abwehrreaktionen oder Affektabfuhr. In diesem Fall wird das Kind nicht mehr als eigenständiges Wesen gesehen, sondern zum Subjekt, an welchem die biographischen Konflikte des Erziehers abreagiert werden. In diesem Zusammenhang kann von emotionalem Missbrauch gesprochen werden.

Eine Sensibilisierung des Erziehers für sein eigenes Selbst (z.B. für eine unbewusste autoritäre Haltung) und das Feingefühl für den anderen ist folglich eine Grundvoraussetzung für die praktische Umsetzung dieser Theorie. Auch S. Bernfeld betonte bereits 1927 die Notwendigkeit zur allgemeinen Achtung und zur Aufrichtigkeit dem Kind gegenüber.

Da in der psychoanalytischen Pädagogik Fehler in der Erziehung immer im unmittelbaren Zusammenhang mit ungelösten, unbewussten Konflikten und Verdrängungen gesehen wurden, war die Erziehung des Erziehers durch Eigenanalyse eine wichtige Forderung.



Diplomarbeit (2002): Kerstin Liekenbrock, Selbstregulation, FHS Mannheim
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Fortsetzung: 2.6. Schlüsselbegriffe und deren Bedeutung in der psychoanalytischen Pädagogik