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Hausarbeit (1. Staatsprüfung) 1999, Universität Lüneburg: Stefanie Bosselmann: We don't need no education" - Summerhill einst und jetzt.
Zurück: (3. Biographische Daten zu A. S. Neill )
Fortsetzung: (5. Zur Struktur Summerhills: Prinzipien - Hauptmerkmale - Besonderheiten )


4 Neills pädagogisch-psychologische Grundannahmen
Im folgenden Kapitel soll eine Zusammenstellung der Grundlagen Neills dargestellt werden. Dieses ist relativ schwierig, da Neills Hauptwerk in seiner Praxis und nicht in seiner Theorie besteht. Er schrieb seine Bücher eher nebenbei, schweift dabei häufig vom Thema ab, widerspricht sich gelegentlich, schreibt nicht wissenschaftlich und ist radikal und provokativ in seinen Äußerungen (Vgl. Kamp 1995, 296). Neills Bild wird ferner dadurch verzerrt, daß das unter seinem Namen erschienene Buch "Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung. Das Beispiel Summerhill" zum einen von seinem Herausgeber zusammengestellt wurde. Es besteht zum anderen aus vier verschiedenen Büchern und gibt Neills Ansichten während der dreißiger Jahre wieder, die er jedoch besonders hinsichtlich der Psychoanalyse im Laufe seines Lebens erheblich revidiert hat (s. Kapitel 4.5.). Hinzukommt, daß nur sehr wenige seiner zahlreichen Bücher ins Deutsche übersetzt sind. Aus diesen Gründen basiert speziell dieses Kapitel auf den Schriften des Erziehungswissenschaftlers Johannes-M. Kamp. 4.1 Erziehung Neill hat keine verbindliche Theorie für die allgemeinen Bedürfnisse des Kindes erstellt, da jedes Kind individuell ist. Deshalb standen bei Neill die subjektiven Interessen des Einzelnen im Vordergrund. Johannes-M. Kamp spricht daher anstelle von einer Theorie bei Neill eher von einem "Glaubensbekenntnis" (Kamp 1997b, 10).

Neill lehnte die Pädagogik im Prinzip ab, da es sich hierbei um eine bewußte Formung des Kindes handelt. Zum einen ist kein Mensch klug genug, daß er anderen vorschreiben kann, wie sie zu leben haben (Vgl. Neill 1982, 245) und zum anderen ist dieses gar nicht notwendig, weil der Mensch von sich aus gut ist und dadurch auch richtig handelt. Neill betrachtete Kinder aus einem anderen Blickwinkel. Eltern gehen normalerweise davon aus, daß dem Kind beigebracht werden muß, wie man lebt und geben ihm Vorschriften und Verbote. Neill hingegen sagte, daß gerade diese Einschränkungen das Kind negativ beeinflussen und verneint sie. Durch sie verliert das Kind seine ursprüngliche Spontaneität, Aufrichtigkeit, Offenheit und Lebensfreude (Vgl. Neill 1969, 234ff.).

Neill war der Meinung, daß es nur möglich ist, Kinder zu beobachten. Erziehung ist für ihn Leben und dieses kann einem Menschen nicht beigebracht werden (Vgl. Kamp 1995, 363). Das Ziel des Lebens ist es, glücklich zu sein. Neill wies zwar darauf hin, daß es eventuell unmöglich ist, Glück zu definieren, ist sich aber sicher, daß man es "in den Augen glücklicher Kinder sehen [kann]"und daß es sich um einen dauerhaften Zustand handelt (Neill 1971, 102). Weitere Ziele sind Aufrichtigkeit, Ausgeglichenheit und der Sinn für die Gemeinschaft (Vgl. Neill 1969, 98).

4.2 Freiheit

4.2.1 Aufwachsen in Unfreiheit

Die meisten Kinder wachsen nach Neill unfrei auf und geben diese Unfreiheit später an ihre eigenen Kinder weiter. Die Gesellschaft ist krank und unglücklich und produziert ebensolche Kinder. Neills Bild der Gesellschaft ist schlecht, obwohl dem Menschen von Natur aus "nicht mehr Böses zugrunde liegt als der Natur des Kaninchen[s] oder Löwens" (Neill 1969, 162). Der Mensch ist von Natur aus gut und zu sozialem Handeln gewillt . Gut ist hier nicht moralisch gemeint, sondern im Sinne von natürlich. Basierend auf dieser Grundannahme sprach sich Neill gegen jegliche Art der Beeinflussung von Kindern aus. In ihr sah er die "Erbsünde" der Menschheit (Kamp 1995, 318).

Die Unfreiheit und Fremdbestimmung setzt bereits mit der Geburt ein, genauer gesagt mit der Nahrungsaufnahme des Neugeborenen, indem es nach der Uhr und nicht nach seinem eigenem Bedürfnis gefüttert wird (Vgl. Neill 1969, 176). Dadurch wird der natürliche Egoismus des Kindes zu früh unterdrückt und die Emotionen des Kindes verdrängt. Deshalb tritt genau

das Gegenteil ein, nämlich die dauerhafte Fixierung des unerwünschten und antisozialen Verhaltens. Neill ging davon aus, daß auch alle anderen negativen Eigenschaften wie Angst, Aggression, schlechtes Benehmen oder Mißtrauen durch äußere Zwänge entstehen, sei es nun durch solche der Familie, der Kirche oder der Gesellschaft (Neill 1969, 123). Das Kind orientiert sich in seinem Verhalten an dem seiner Umgebung, also meist am Verhalten seiner Eltern. Dadurch werden Zwänge leicht tradiert, die häufig die Ursache für frühzeitige Neurosen und andere psychische Störungen sind. Neill kam somit zu der Schlußfolgerung, daß nicht Kinder, sondern ihre Eltern im Sinne von Menschheit problematisch sind . Bei einer frühzeitigen Behandlung besteht die Möglichkeit, die Neurosen des Kindes aufzuheben. Deshalb spezialisierte sich Neill besonders auf Kinder, die als problematisch galten.

4.2.2 Aufwachsen in Freiheit Im Gegensatz zu vielen Vertretern von Erziehung in Freiheit sprach sich Neill gegen eine Freiheit unter Anleitung eines Erziehers aus. Er vertrat die radikale Freiheit von Kindern, deren Grundlage der Verzicht auf Zwang darstellt. Die Freiheit basiert auf der Selbstregulierung der Kinder, die darin besteht, daß die Kinder ihren Interessen frei folgen können. Für Neill zählte die Kindheit bereits als ein eigenständiger Lebensabschnitt und nicht als Vorbereitung auf ein späteres Leben. Deshalb sollen Kinder auch nicht durch ihre Eltern, Erzieher oder die Gesellschaft beeinflußt bzw. unterdrückt werden. Stattdessen sollen sie sich selbst ausdrücken und sich ihre eigenen Werte bilden, denn nur so können sie sich zu sozialen, aufrichtigen und altruistischen Wesen entwickeln. Wenn dieses Verhalten auftritt ist die individuelle Freiheit auch für die Gemeinschaft nützlich. Alles, was sie dazu brauchen, ist uneingeschränkte Liebe, Freiheit und Ermutigung. Mit Liebe meint Neill immer das Akzeptieren des Kindes, so wie es ist und nicht die besitzergreifende Liebe, die die Kinder am Selbständigwerden hindert. Um Mißverständnissen vorzubeugen sprach Neill in Anlehnung an Homer Lane vom "Auf-der-Seite-des-Kindes-Sein" (Vgl. Neill 1969, 125). Disziplinierungsmaßnahmen sind unnötig, da das Kind zu seiner Gruppe gehören möchte und sich an ihr Verhalten anpaßt. Dadurch und durch die verspürte Liebe ist es bereit, gewisse Frustrationen zu ertragen. Freie Kinder haben keine Disziplinprobleme und brauchen keine Bestrafungen. Da sie vieles selbst entscheiden können, gibt es für sie keine Notwendigkeit, sich ihren Eltern zu widersetzen. Sie spüren die Liebe und das Vertrauen, das ihnen entgegengebracht wird und werden sich deshalb nicht schlecht betragen. Strafmaßnahmen greifen nach Neill im allgemeinen zu kurz, da sie nur die unerwünschte Handlung, nicht aber das innere Motiv für diese berücksichtigen (Vgl. Kamp 1995, 326). Echte Freiheit ist nur ohne Angst möglich. Nur so können Kinder ihre Emotionen ausleben, ohne sie zu unterdrücken und dadurch neurotisch werden. 4.2.3 Grenzen der Freiheit Neills freie Erziehung wurde häufig als antiautoritär mißverstanden und führte bei vielen Eltern zu Verwirrung, so daß ihm immer wieder zahlreiche Vorwürfen und Fragen entgegengebracht wurden. Ihm wurde z. B. unterstellt, man solle sein Kind in keiner Weise einschränken. Er antwortete darauf eindeutig mit "Freiheit bedeutet ... nicht die Abschaffung des gesunden Menschenverstandes" (Neill 1969, 38). Entscheidungen, die die Gesundheit und den Schutz des Kindes betreffen, sind nicht vom Kind zu treffen. Dieses bezeichnet Neill als die "natürliche Autorität" (Neill 1969, 158). Das Kind ist zwar in der Lage, Verantwortung zu übernehmen, aber die Eltern müssen mit ihrem gesunden Menschenverstand entscheiden, wieviel Verantwortung ihr Kind schon übernehmen kann, ohne daß es damit überfordert wird (Neill 1969, 156f.). Ein Kind darf nur in den Bereichen Entscheidungen treffen, die es bereits verstehen kann. In Bereichen, die sein Leben in Gefahr bringen, muß es seinen Eltern unbedingt gehorchen.

Ein weiteres Mißverständnis besteht darin, daß Eltern nicht sehen, daß es für Neill nicht wichtig ist, wie das Kind behandelt wird, solange die Einstellung zu ihm richtig ist und ihm keine Schuldgefühle vermittelt werden. Eltern dürfen ihrem Kind gegenüber durchaus auch einen forscheren Ton benutzen Ñ sofern sie ihm das selbe Recht gewähren dieses auch in ihrer Gegenwart zu tun. Darüber hinaus heißt Freiheit ('Freedom') auch nicht, daß das Kind automatisch alles machen darf, was es möchte. Dieses bezeichnet Neill als Zügellosigkeit ('Licence'), die durchaus nicht erstrebenswert ist. Die Freiheit des einen Menschen endet dort, wo sie die eines anderen einschränkt. Durch die Rücksichtnahme auf das Recht und das Glück des anderen entsteht die wirkliche Selbstdisziplin (Vgl. Neill 1969, 321).

4.3 Neills Ansicht über Religion und Moral Neills eigene Erziehung wurde speziell durch seine Großmutter mütterlicherseits vom schottischen Kalvinismus geprägt. Diese Erfahrung löste eine negative Einstellung hinsichtlich aller Religionen, speziell jedoch in Bezug auf die katholische aus, die er als besonders lebensfeindlich betrachtete (Vgl. Kamp 1995, 303). Der Gedanke der Erbsünde impliziert Defizite und einen Hang zum Bösen des Menschen, die nach Neills Ansicht nicht existieren. Er wandte sich von der Religion nicht aus mangelndem Interesse, sondern aus tiefster Überzeugung. Religionen sind laut Neill düster, traurig, vergänglich und stellen den Menschen als ein sündiges Wesen dar. Der Mensch schafft Religionen aus der unbewußten Angst vor dem Leben. Gott ist für Neill eine "Superprojektion", auf den alle Wünsche übertragen werden (Neill 1969, 231). Die Ängste hingegen werden im Teufel gesehen. Kinder, die in Freiheit aufwachsen, haben jedoch keine Angst vor dem Leben und brauchen deshalb auch keinen Gott, zu dem sie beten (Vgl. Neill 1969, 226ff.). Folglich wird an Neills Schule kein Religionsunterricht erteilt. Die Schüler werden allerdings nicht von einer Religiösität abgehalten. Wenn sie wollen, können sie sich durchaus mit religiösen Themen auseinandersetzen oder zum Gottesdienst gehen. Die meisten Kinder waren jedoch nicht daran interessiert und kamen auch nicht aus gläubigen Familien (Vgl. Neill 1971, 83).

Neill trennte Religion bzw. Kirche vom eigentlichen Christentum. Die Religion sah er als durch die Politik bestechlich und somit negativ an, das Christentum jedoch positiv. In Summerhill wird keine Religion unterstützt, aber dennoch sagte Neill: "I think we are about the only true Christians in the world" (Neill. Zit. n. Kamp 1995, 304), da Christentum für Neill ganz allgemein Menschenliebe bedeutet. Die ursprüngliche Religion Jesu bewertete Neill positiv, da er die Nächstenliebe wirklich lebte. Dieses wird von den Kirchen allerdings nur gepredigt, nicht gelebt. Neill verwendete weitere christliche Begriffe, wie z. B. die "Erbsünde" der Erziehung. Damit bezeichnete er moralische Anweisungen aller Art bzw. jeglichen Eingriff in die Natur des Menschen, die ihn gut machen sollten (Vgl. Kamp, S. 304, 318). Eine moralische Erziehung verfehlt ihr Ziel meist gänzlich. Neill ging sogar so weit, sie als Auslöser des schlechten Verhaltens zu sehen. Indem das Gute angestrebt wird, wird das Schlechte automatisch ins Unbewußte verdrängt und dort aufrechterhalten (Vgl. Kap 4.2.1).

4.4 Freie Sexualität Neill war ein Vorkämpfer der freien Sexualität und wurde später speziell durch die Freundschaft zu Reich beeinflußt. Seine Meinung über den Umgang mit diesem Thema entwickelte sich sichtlich: 1917 wollte er den jüngeren Kindern noch Geschichten vom Klapperstorch über ihre Geburt erzählen. 1921 sollte das Kind offen und sachlich über das Sexualverhalten der Menschen informiert werden Ñ allerdings nur, wenn es von sich aus ein Interesse daran zeigt. 1926 sprach er sich für den wirklich freien Umgang mit der Sexualität und auch der Masturbation als natürliche Angelegenheit aus (Vgl. Schmidt-Herrmann 1987, 135f.). Falsche Antworten führen nur zum Mißtrauen der Kinder ihren Eltern gegenüber und dazu, daß andere Kinder sie "aufklären", wodurch häufig ein falsches und schmutziges Bild von Sexualität entsteht. Wenn die Fragen der Kinder für sie zu einem bestimmten Zeitpunkt noch zu schwer zu beantworten sind, können die Antworten ruhig verschoben werden (Vgl. Schmidt-Herrmann 1987, 142). Das lustvolle und natürlich spontane Verhalten der Kinder sollte gefördert werden, was durch die komplexbeladene Haltung der Gesellschaft erschwert wird. Kinder sind ebenfalls sexuelle Wesen, denen dieses zugestanden werden soll. Durch einen freien Umgang mit der Sexualität sollten Schuldgefühle bei den Kindern vermieden werden, die z. B. durch die Tabuisierung der Masturbation entstehen können. Zusätzlich haben dadurch Pornographie, Sadismus und ähnliche Tätigkeiten, die als Zeichen der unterdrückten Sexualität gesehen werde, keine Chance mehr, sich zu entwickeln. Die Unterdrückung äußert sich auch in obszönen Witzen und Geschichten, in Flüchen oder in Scham oder Erröten von Kindern.

Neills Schüler sollten eine realistische und gesunde Einstellung zu ihrem Körper haben. Das heißt jedoch nicht, daß Neill ein aktives Sexualleben seiner Schule befürwortete, da es gesetzlich nicht erlaubt war, und die Eltern dieses nicht unterstützen würden. Neills Angst vor der Schulschließung durch einen Skandal wie 1918 in Homer Lanes Little Commonwealth war zu groß als daß er eine Schwangerschaft bei einer Schülerin hätte riskieren können (s. Kapitel 3.3.). Aus diesem Grund sollte die Öffentlichkeit möglichst nicht erfahren, daß die Zimmer der kleineren Kinder von Jungen und Mädchen gemeinsam bewohnt wurden, daß die Kinder nackt schwimmen gingen und die Badezimmertüren nicht verschlossen wurden. In seiner Autobiographie schrieb er: "Das äußerste, was wir in Summerhill tun konnten, war, Selbstbefriedigung als natürlichen Vorgang darzustellen und so die Schuldgefühle bei ängstlichen Kindern zu mildern" (Neill 1982, 273).

Neills eigenes Sexualleben wurde vermutlich dadurch sehr negativ beeinflußt, daß er und seine Schwester Clunie für sexuelle Spiele von ihrem Vater verprügelt wurden. (Vgl. Neill 1982, 274). Neill hatte später durch die Vernunftsehe mit der wesentlich älteren Lilian Neustätter starke sexuelle Probleme. Diese teilt er Reich schriftlich mit und waren ein Grund für seine Therapie im November 1937 (s. Kapitel 3.6.).

4.5 Psychologie Bevor Neill Homer Lane kennenlernte, waren seine Entscheidungen hauptsächlich intuitiv und situationsbedingt gewesen. Durch seine Bekanntschaft zu Lane fand er die wissenschaftliche Basis seiner Ideen. Durch Lane wurde er von Sigmund Freuds Lehre unterrichtet und bemerkte, daß die Psychologie ihn mehr interessierte als das Unterrichten (s. Kapitel 3.3.).

Er befaßte sich von nun an mehr mit den unbewußten Motiven, die die Handlungen der Kinder verursachten, als mit deren eigentlichen Taten. Er wollte die Verdrängungen des Unbewußten auflösen, damit sich die Emotionen frei entwickeln können. Anstelle ihres Lehrers, wollte er lieber der Mitarbeiter des Kindes sein. Zu diesem Zweck hielt er âPrivate Lessons' (s. Kapitel 3.4.) mit seelisch gestörten Kindern in Form von therapeutischen Gesprächen, in denen die eigentlichen Schwierigkeiten nicht direkt thematisiert wurden. Durch die positive Atmosphäre lockerten sich die Gefühle des Kindes und sein Mißtrauen wurde verringert (Vgl. Schmidt-Herrmann 1987, 177). Die PLs basierten auf keiner festen Methode oder Theorie und sollten ein beschleunigendes Hilfsmittel in der Umerziehung der Kinder sein. Zusätzlich richtete Neill einen Raum zur Analyse des Spielverhaltens ein, ließ die Kinder Theater spielen und erzählte ihnen Abenteuergeschichten, durch die die Kinder ihre Phantasien ausleben konnten. Neill selbst lernte Sigmund Freud nicht kennen und wehrte sich auch immer, als Freudianer bezeichnet zu werden, so wie er sich selbst nicht den Schüler irgendeines Psychologen nannte (Vgl. Neill 1971, 87). Neill äußerte schon früh Kritik an Freuds Theorien, die ihm zu starr erschienen.

Durch die Freundschaft mit Wilhelm Reich wendete sich Neill ganz von Freuds Psychoanalyse ab und machte sich teilweise über seine eigene frühere Haltung lustig. Differenzen ihrer Theorien waren z. B., daß Freuds Menschenbild sehr pessimistisch ist und er sich für eine gezielte Hemmung und Beherrschung der Triebe einsetzt. Neill hingegen glaubt an die Freiheit und sah durch die Entwicklung seiner Tochter Zoë bestätigt, daß Aggressionen erst durch die Unfreiheit der Gesellschaft entstehen (Vgl. Kamp 1995, 421). Gegen eine psychoanalytische Behandlung sprach zusätzlich, daß durch sie nur die Vergangenheit bewältigt werden kann, aber keine Aussagen über die Zukunft getroffen werden können. Es reicht nicht, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort die Neurosen zu therapieren. Es ist sinnvoller, die Verdrängungen durch Aktivitäten spürbar werden zu lassen und diese unmittelbar auszudrücken. Darüber hinaus genügt es nicht, die unbewußten Störungen eines einzelnen Menschen zu behandeln, wenn die Außenwelt ständig neue Störungen produziert. Stattdessen wollte Neill Störungen im voraus vermeiden und verlegt somit seinen Schwerpunkt zurück auf die Pädagogik, um mit ihr einen Beitrag zum Abbau der gesellschaftlichen Zwänge zu leisten. Trotz der neuen Einstellung zur Psychoanalyse stellte Neill seine Private Lessons jedoch nie ganz ein, sondern wendet sie immer wieder in besonders gravierenden Einzelfällen an. Zusätzlich verweist er später darauf, daß die Psychologie dennoch der Ausgangspunkt aller Erziehung sein muß (Vgl. Neill 1982, 207).

4.6 Neill und die linksradikale Politik Neill wird häufig als unpolitisch beschrieben und er selbst bemühte sich später auch, diesen Eindruck durch Abstreiten jeglicher politischen Handlung zu vermitteln. Er war dieses jedoch keinesfalls. Mit Beginn seiner Studienzeit las er Texte von sozialkritischen Autoren wie Friedrich Nietzsche und Bernhard Shaw und studierte regelmäßig radikale Journale wie das "New Age" (Vgl. Kamp 1995, 312ff.). Darüberhinaus war er politisch sehr engagiert und wurde 1913 Mitglied der Labour-Party. Er entwickelte wie viele Reformpädagogen in den zwanziger Jahren eine große Begeisterung für die Sowjetunion und bezeichnete Rußland 1932 in seinem Buch "The Problem Parent" als "wunderbarste[s] Land der Welt" (Neill. Zit. n. Kamp 1995, 395), ohne dabei die mangelhafte Umsetzung der sowjetischen Reformen in die Praxis zu berücksichti-

gen. Er bezeichnete sich 1921 in "A Dominie Dismissed" selbst als Sozialisten und forderte das Ende des Kapitalismus (Vgl. Kamp 1997a, 111). Während der dreißiger Jahre half er spanischen Bürgerkriegsflüchtlingen und nahm einige von den Nationalsozialisten verfolgte Juden und Deutsche auf.

Als Neill Summerhill gründete, schränkte er seine politischen Tätigkeiten ein, um dem Bild der Schule nicht unnötig zu schaden. Er beendete seine Aktivitäten, nachdem er sich enttäuscht vom russischen Stalinismus abgewandt hatte, da die erhofften Verbesserungen nicht eingetreten waren. Sein Bild der Gesellschaft wurde speziell nach dem Fall der Hiroshima-Bombe pessimistischer, und er gab Äußerungen wie die folgenden von sich: "Ich habe schon lange den Glauben daran aufgegeben, daß sich Reformen auf dem Umweg über die Politik erreichen ließen" und "In einer kranken Welt muß auch die Politik krank sein" (Neill. Zit. n. Kamp 1995, 299).

Johannes-M. Kamp betont, daß Neill seine politischen Tätigkeiten ebenfalls nicht aus Desinteresse aufgab, sondern weil er genau wie in seinen pädagogischen Grundsätzen zu radikal eingestellt war, um in ein Parteiprogramm zu passen (Vgl. Kamp 1997a, 114). Das Aufgeben der Hoffnung, die Gesellschaft durch Politik zu verändern ist jedoch nicht mit dem Revidieren seiner Überzeugung gleichzusetzen. Er bezeichnete sich auch weiterhin als kommunistischen Menschen (nicht als Kommunist!) und machte sich weiterhin kritische Sorgen um die Gesellschaft. Der Schwerpunkt seiner Aktivitäten lag von nun an auf dem Schaffen einer menschenfreundlichen Umgebung, in der dieser glücklich leben kann (Vgl. Kamp 1997b, 6)

4.7 Zusammenfassung Neill entwickelte keine spezielle Theorie. Seine Grundsätze bestanden darin, sich auf die Seite des Kindes zu stellen und dieses in individuell selbstbestimmter Freiheit - nicht Zügellosigkeit - aufwachsen zu lassen.

Die Erwachsenen sollen auf möglichst alle Beeinflussung verzichten und ihre Kinder nicht durch Religion, Moral oder Unterdrückung der Sexualität formen, um so glückliche Kinder ohne Ängste und Neurosen heranwachsen zu lassen.

Neills Haltung entwickelte sich durch seine pädagogisch-psychologische Tätigkeit so weit, daß er sich durch Wilhelm Reichs Einfluß von der Psychoanalyse abwandte und zu Gunsten Summerhills seine politischen Aktivitäten im nachhinein verneinte und diese ganz aufgab.



Hausarbeit (1. Staatsprüfung) 1999, Universität Lüneburg: Stefanie Bosselmann: We don't need no education" - Summerhill einst und jetzt.
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