Dabei muß angemerkt werden, daß die meisten der späteren Medienberichte durch das expandierende Medium Internet zugänglich geworden sind [52]. Es stellt sich die Frage, ob nicht schon früher ähnlich viel über Summerhill berichtet wurde, ohne daß dies international zur Kenntnis genommen werden konnte. Der Charakter der Meldungen und auch Berichte von Beteiligten sprechen jedoch dafür, daß dies nicht der Fall ist.
Bereits aus seiner Kindheit kannte Neill die Furcht seines Vaters vor dem Schulinspektor [vgl. NEILL in: New Era 13(1932), H.9, S.294; vgl. auch à S.8f in diesem Text], und so behandelte er in seiner allererster Buchveröffentlichung, "A Dominie's Log" (1916), schon die Bewertungskriterien von Schulinspektoren. Der Schulrat hatte einerseits die Intelligenz und das Wissen der älteren Schülerinnen und Schüler gelobt, andererseits beklagte er, daß sie zu lebhaft seien, was sich darin äußerte, daß während des Unterrichts Gespräche stattfänden [NEILL 1916, S.131ff]. Weiterhin beklage der Schulrat mangelnde Ordnung und Disziplin bei den Kindern. Diesen Mangel - so schreibt der 33jährige Autor - beobachte er an sich selber, könne also den Kindern keinen Vorwurf machen und im übrigen frage er sich, wie die Kinder Ordnung halten könnten, wenn nicht einmal der Schulträger - die Gemeinde - in der Lage sei, das Schulgebäude in Ordnung zu halten. Er zählt allerlei Baumängel auf, die die Verantwortlichen seit langem nicht behoben haben.
Die Schulaufsicht in Großbritannien und die in ihr wirkenden Inspektoren haben eine lange Tradition als machtvolle Instanz, gegen deren Entscheidung in früheren Zeiten nur wenig oder auch keine Einwände möglich waren. Die Abhängigkeit der Schulleiterinnen und -leiter von den willkürlichen Entscheidungen einzelner machtvoller Inspektoren war für Neill deshalb ein ärgerlicher Umstand, dem er - wie so oft - mit Humor begegnete. So zeichnete er in seiner Novelle "Carroty Broon" (1921) das Porträt des alten Schulinspektors Sutherland, der die Schule des Schulleiters Dakers inspiziert:
Old Sutherland's inspection of the school had always been a delight. He spent an hour listening to parrot-learned lessons, and then he dismissed the school and went over to the schoolhouse where Dakers always had a bottle of Glen Clova whisky. Sutherland always made the same remark. He beamed, held his glass up to the light, and said: "This is the best whisky I ever get on my rounds, Mr. Dakers." And six weeks later the Clerk to the Board sent Dakers his Report. It always ran thus: "This school continues to show excellent work...." [NEILL 1921a, S.137]
Im Verlauf des Buches beschreibt Neill die Auswirkungen eines Wechsels des Inspektors, die für den Schulleiter katastrophal sind, weil plötzlich Zusammenhänge und Hintergründe zum Schulbuchwissen abgefragt werden. Der kleine Peter Brown - Neills Alter ego in der Geschichte - brilliert hier selbstverständlich. Dieser humorvolle Umgang mit einem Mißstand täuscht jedoch nicht darüber hinweg, daß das System in Neills Augen ein grundfalsches war.
So schrieb er 1936 in "Is Scotland Educated?": "By making the teacher's salary depend on his "Report" the Scotch Education Department with its Inspectors saw to it that the dominie drilled his pupils earnestly, if grimly" [S.110f; vgl. auch ebd. S.57]. Wenig später, in "The Problem Teacher" (1939), schreibt er: "the inspector is the super-symbol of man's distrust of his fellow men" [S.168].
Die Geschichte der Schulinspektionen in Summerhill läßt sich nicht lückenlos nachzeichnen. Es ist jedoch deutlich, daß die Inspektionen in unregelmäßigen, anfangs etwa zehnjährigen Abständen stattgefunden haben. Gerade die privaten "progressiven" Schulen, deren Organ die Zeitschrift "New Era" war, sahen sich in besonderer Weise Auflagen ausgesetzt, die über die bauliche und personelle Ausstattung hinausgingen. Häufig sahen sie ihre pädagogischen Grundideale durch Forderungen in Inspektionsreporten gefährdet. 1932 veröffentlichte Neill in der "New Era" deshalb einen Artikel, der sich mit der Inspektion privater Schulen durch die Schulbehörde beschäftigte. Darin hebt er hervor, daß seiner Meinung zufolge renommierte Schulen wie Eton, Harrow, Frensham Heights oder Bedales unmittelbar geschlossen werden sollten. Vertreterinnen und Vertreter dieser Schulen forderten das gleiche für Schulen wie Summerhill. Es gäbe also innerhalb des Privatschulsektors keine einheitlichen Kriterien für den Betrieb von Schulen. Und selbst bezogen auf die sogenannten "Progressive Schools" sähe sich Neill außerstande, eine schlüssige Bewertung seiner "Konkurrenten" vorzunehmen. Er möge z.B. keine Montessori- oder Dalton-Plan-Schulen und wäre deshalb versucht, ihnen ein schlechtes Zeugnis auszustellen [vgl. NEILL in: New Era 13(1932), H.9, S.293f]. Trotzdem ruft er die "progressiven" Schulen zur Geschlossenheit auf: "If a man smokes the same baccy as I do I have a bond with him. So let us make the basis of our Bund a human one, and let us forget our methods and our ideals until we make a stand against the common enemy - the conservatism of educational vested interests" [NEILL in: New Era 13(1932), H.9, S.297 (Hervorgehobenes im Original hervorgehoben und Deutsch)].
Anfang 1949 kündigten die Schulbehörden an, daß nun alle privaten Schulen in den kommenden 18 Monaten inspiziert werden sollten. In Neills Briefen an Wilhelm Reich wird der Verlauf dieser Inspektion nachgezeichnet. Im Januar erreichte die Ankündigung der bevorstehenden Inspektion Summerhills Neill. Er schrieb an Reich, daß er nicht bereit sei, sich durch die Inspektion irgendwelche Kompromisse aufzwingen zu lassen [vgl. NEILL in PLACZEK 1981, S. 341]. In einem nachfolgenden Brief präzisiert er: in erzieherischen Dingen könne er nicht mit sich reden lassen, und was die baulichen Gegebenheiten anginge, habe er schlicht kein Geld um Änderungen vorzunehmen. "Aber vielleicht sind sie ja auch freundlich wegen meiner langen Berufserfahrung und meiner grauen Haare" [NEILL in PLACZEK 1981, S. 344]. Daß ihn die drohende Inspektion belastete wird dadurch deutlich, daß in den nachfolgenden Briefen bis zum März in ähnlicher Formulierung stets davon die Rede ist, daß die Inspektoren noch nicht eingetroffen seien [vgl. NEILL in PLACZEK 1981, S. 348, 350, 352]. Im Juni war es schließlich soweit: "am 13. Juni werden wir von einem H.M.I. [His Majesty's Inspector] überprüft", wußte Neill an Wilhelm Reich zu berichten. Neill hatte den Leiter der Inspektionsbehörde bereits während des Krieges kennengelernt und schrieb nun an Reich: "Er ist mir lieber als jeder andere" [NEILL in PLACZEK 1981, S. 358]. Im Übrigen habe die Schulbehörde - wie Neill in Erfahrung bringen konnte - eine positive Einstellung gegenüber Summerhill [ebd.].
Die Inspektoren hatten vor ihrem Besuch angefragt, ob wohl zwei Tage Aufenthalt für eine Inspektion hinreichend seien und Neill will geantwortet haben, daß möglicherweise zwei Monate ausreichen könnten [vgl. NEILL 1953, S.141]. Gegenüber Reich beklagte sich Neill, daß die Inspektoren tatsächlich lediglich die Rahmenbedingungen der Schule beachtet hätten. Das Glück und die Zufriedenheit der Kinder habe in ihren Augen keine Bedeutung [vgl. NEILL in PLACZEK 1981, S. 362].
Den Inspektionsbericht, der aus diesem schließlich doch zweitägigen Aufenthalt der Inspektoren resultierte, veröffentlichte Neill später stolz im Anhang seines Buches "The Problem Child" [54] (1953). Der generelle Grundtenor des Berichts war positiv. Trotzdem wurde in ihm bemängelt, daß in Summerhill kein wohlausgebildetes Lehrpersonal beschäftig sei, daß deshalb die Qualität des Schulunterrichts eher gering sei und daß die Kinder wenig "guidance" in bezug auf die Notwenigkeit der Aneignung bestimmter Kenntnisse bekämen. Schließlich vermißten die Inspektoren Rückzugsmöglichkeiten für die Kinder und Jugendlichen. Der Bericht beinhaltet nur einen ernsthaft kritischen Satz: "To have created a situation in which academic education of the most intelligent kind could flourish is an achievement, but in fact it is not flourishing and a great opportunity is thus being lost." [HMS-Report in NEILL 1953, S. 171]. Neill konterte, daß trotz dieses Kritikpunktes die Rate der Kinder, die reguläre Schulabschlüsse in Summerhill machten, nicht geringer sei als an anderen Schulen. Er resümiert: "When I think of the authoritative interest taken be the State in continental private schools, I am glad I live and work in a country that, so far, allows so much scope to the private venture. I show tolerance of children : the Ministry shows tolerance of my school. I am content." [NEILL 1953, S.176]
Von einer weiteren Inspektion aus dem Jahr 1959 wird berichtet, daß sie in Summerhill erneut bauliche Gegebenheiten kritisiert habe und den akademischen Unterricht als mangelhaft einschätzte. Sie wird folgendermaßen zitiert: "It must be doubted whether a year or two's hard and willing work at the age of 14 or 15 can wholly compensate for the experiences which intelligent children gain from systematic teaching and wide reading in their subjects, begun at a much earlier age and continued over a longer period [...] The opportunities which the school provides on the practical and creative side seem to be much more generally and fully used."[zitiert in TRAUTMANNSDORFF, in: TES 01.12.1967, S. 1273].
In seiner Autobiographie widmet Neill "seinen Schulinspektoren" ein eigenes Kapitel. darin rekapituliert er am Ende seines Lebens: "Das Ministerium hat mir viel Freiheit gelassen und das wird so bleiben bis ich sterbe. Was dann geschehen wird, weiß ich nicht. Irgendein Minister könnte sagen: 'Wir haben diese Schule geduldet, bis der alte Mann starb, aber wir können nicht länger eine Schule akzeptieren, wo Kinder den ganzen Tag spielen können, ohne am Unterricht teilzunehmen'." [NEILL 1972, S. 195] [55]
Über Inspektionen nach Neills Tod, also in der zweiten Hälfte der 70er Jahre und in den 80er Jahren, ist nichts bekannt. Erst in den 90er Jahren kam es plötzlich zu einer ganzen Reihe von Inspektionen.
Über die akademische Bildung der Schülerinnen und Schüler berichtet der Report folgendes: "While many pupils eventually settle to a strong and sustained pattern of work, nevertheless some pupils leave the school after a relatively short period. The school should continue to examine why this occurs and whether there are implications for its admissions policy or for the pastoral and academic support it gives to pupils. Those pupils who remain at the school until older eventually settle to a regular pattern of work, some of it for GCSE examinations. Older pupils undertake many independent activities and their considerably responsibility and self-reliance are evident in their positive and effective approach to private study. Work set in lessons for those on GCSE courses is undertaken willingly and with results which are generally satisfactory or better" [HER MAJESTY'S INSPECTORS 1990, S. 11].
Zusammenfassend hält der Bericht fest: "The school's unusual approach remains of interest to the educational community in this and other countries. The principles on which the school is founded can form a satisfactory basis for sound work. However, Summerhill does not achieve this consistently for all pupils. The school could now usefully consider what it might learn from others, and from a more thorough evaluation of its own work" [HER MAJESTY'S INSPECTORS 1990, S. 19].
In einem Anhang an den Bericht werden die zum Zeitpunkt der Inspektion gerade gültigen Regeln, die die Schulversammlung aufgestellt hat, aufgelistet. Die Liste umfaßt vier dicht bedruckte Seiten.