Diss: Axel Kühn: Alexander Neill
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   & A Dominie's Log 1915

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Erste Publikationserfahrungen

In den Editorials, die Neill für "The Student" verfaßte, wandte er sich unmittelbar pädagogischen Überlegungen zu. Er lehnte sich sowohl gegen die Form der universitären Lehre als auch gegen allgemein gängige Erziehungsmethoden auf. So schrieb er in der zweiten Märzausgabe 1912: "We have reluctantly decided that our Profs. are far from being ideal teachers. Indeed many of them are not teachers at all, they are merely lecturers. Now in the twentieth century lectures are an anachronism. The system dates from a time previous to the invention of printing, and our University education is not dissimilar from the education in vogue a few centuries ago. [...] Our Profs. have been too long on pedestals, and pedestals are not popular in these days of strikes and heretics. Besides Statues are cold things." [NEILL in: The Student 08.03.1912, S.335f] Professoren, resümiert Neill, sollten erst dann an Universitäten lehren, wenn sie bereits in Grund- und Mittelschulen praktiziert hätten [NEILL in: The Student 08.03.1912, S.336]. In der vorhergehenden Ausgabe des Magazins hatte Neill bereits das Prüfungssystem attackiert. Die Studenten seien gezwungen, die Meinungen der Lehrenden wiederzugeben, und die Lehrenden sähen sich durch die Studierenden bestätigt. "Speaking generally, we say that most exams. test knowledge, not thinking ability. Indeed, independent thinking is discouraged: [...] In short the system corrupts the morals not only of the pupil, but of the master." [NEILL in: The Student 01.03.1912, S.315] Diese Attacken gegen das bestehende Erziehungssystem sind die ersten Zeugnisse von Neills Rebellion gegen überkommene pädagogische Traditionen [vgl. hierzu auch: SWARTZ in: Educational Studies 17(1986), H.2, S.201].

Als Herausgeber der Studentenzeitung bekam Neill Freikarten zu kulturellen Veranstaltungen, und es war seine Aufgabe, für "The Student" Konzert-, Theater- und - seit der Einführung des Stummfilmkinos - Filmkritiken zu schreiben. So nahm er am kulturellen Leben der Universitätsstadt Edinburgh starken Anteil und kollidierte dabei gelegentlich mit seinen begrenzten ökonomischen Möglichkeiten. Die chronische Geldknappheit machte ihm zu schaffen, und er verdiente gelegentlich etwas hinzu, indem er Kurzgeschichten für den "Glasgow Herald" schrieb [vgl. NEILL 1972, S.109].

Als Neill am 5. Juli 1912 seine Examen zum Master of Arts zur eigenen Überraschung mit dem guten Abschluß "Second Class Honours" in Englisch absolviert hatte [vgl. NEILL 1972, S.112], entschied er sich dafür, eine Karriere als Schulmeister zu vermeiden. Statt dessen lockte ihn - wohl auch aufgrund der Erfahrungen mit der Herausgabe des Studentenmagazins - eine journalistische Laufbahn. Da seine Bewerbungen bei Zeitungen jedoch unbeantwortet blieben, nahm er eine Stelle bei T.C. & E.C. Jacks an, einem Verlag in Edinburgh, der eine einbändige Enzyklopädie herausbringen wollte. Neill wurde Redakteur und hatte Beiträge zu redigieren, die meist unleserlich und zu lang waren [vgl. NEILL 1972, S.113, 227]. "In einer Hinsicht war diese Arbeit sehr nützlich für mich: sie flößte mir Furcht vor überflüssigen Worten ein." [NEILL in: PLACZEK 1981, S.177] Nach einiger Zeit wurde die Redaktion nach London verlegt. "Nachdem ich 29 Jahre alt geworden war, ohne die Grenzen Schottlands überschritten zu haben, fand ich den Gedanken, nach London zu gehen, ebenso wunderbar wie zwingend: waren nicht auch Barrie und geringere schottische Schriftsteller südwärts gezogen, um Geld zu verdienen und sich einen Namen zu machen?" [NEILL 1972, S.113]

Neill identifizierte sich in jenen Tagen stark mit dem schottischen Schriftsteller James Matthew Barrie, der 1860 in Kirriemuir, dem Nachbarort von Neills Geburtsort Forfar, geboren worden war. Auf einen seiner älteren Brüder Bezug nehmend schrieb Neill später: "Ich weiß nicht mehr, ob ich Willie nachäffte, als ich zu schreiben begann; wahrscheinlicher ist, daß ich damals J.M.Barrie oder auch H.G.Wells imitierte." [NEILL 1972, S.324; vgl. auch ebd. S.329f.] Barrie gelangte 1904 durch die Uraufführung seines Schauspiels "Peter Pan" zu weitreichender Anerkennung. Zeit seines Lebens setzte sich Neill mit Barries Figur "Peter Pan" auseinander, und er wurde im Lauf der Jahre immer kritischer gegenüber dem schottischen Autor. Häufig hob Neill die Analogie zwischen Autor und Romanfigur hervor: "Barrie wurde selbst nie erwachsen." [NEILL 1972, S.330; vgl. auch ebd. S.169; sowie NEILL in: PLACZEK 1981, S.338]

Nach Abschluß der Arbeit an der Enzyklopädie bei Jacks übernahm Neill eine Tätigkeit als Autor für den "Popular Educator", ein Nachschlagewerk im gleichen Verlag für die Bereiche Englische Literatur, Sprache und Mathematik [vgl. NEILL 1972, S.116, 227ff; vgl. auch NEILL 1923 S.199; sowie NEILL in: Friends of Summerhill Trust Journal H.8, 1993, S.32f]. Knappe zehn Jahre später schrieb er: "When I feel depressed and want to laugh I take up a certain bulky Popular Educator. Therein is A History of English Language and Literature, by A. S. Neill, M.A. [...] Yes, the book makes me smile, but when I really want to laugh out loud I turn to the section entitled 'Arithmetic and Algebra,' ... by the same author" [NEILL 1923, S.199f]. Einen weiteren Abschnitt des Nachschlagewerks über Zeichenkunst verfaßte Neill auch, er versah ihn sogar mit eigenen Zeichnungen. Die Herausgeber nahmen diesen Teil jedoch nicht in die endgültige Fassung des Buches auf [vgl. NEILL 1923, S.200; vgl. auch NEILL 1972, S.116]. Neill war ein begabter Zeichner und es sind Skizzen von ihm erhalten, die wenn nicht gerade künstlerisch bedeutsam, so doch handwerklich gediegen ausgeführt sind [vgl. die Zeichnung auf S.15].

Die Arbeit am "Popular Educator" beendete Neill zugunsten einer Stellung beim neu gegründeten "Piccadilly Magazine". Er hatte sich ohne jede Sachkenntnis auf den Posten eines künstlerischen Assistenten beworben und wurde zu seiner eigenen Überraschung offensichtlich qualifizierteren Bewerbern vorgezogen, weil sein Bewerbungsschreiben den Verleger erheitert hatte [vgl. NEILL 1972, S.118; vgl. auch NEILL in: Id-Magazine Sep./1960, S.4]. Die Arbeit an der Vorbereitung des neuen Magazins war für Neill wesentlich interessanter als die Beschäftigung mit Artikeln für populäre Nachschlagewerke. So machte er Interviews mit dem Boxer Billy Wells und einem Komiker namens George Robey. "Nie in meinem Leben habe ich einen so ernsten und pessimistischen Menschen getroffen." [NEILL 1967, S.79; vgl. auch CROALL 1983b, S.55] Ebenfalls war es seine Aufgabe, eingesandte Kurzgeschichten zu lesen: "Wenn ich eine Kurzgeschichte an den Agenten von H.G.Wells als ungeeignet zurückschickte, kam ich mir immer einige Zoll größer vor." [NEILL 1967, S.79; vgl. auch CROALL 1983b, S.55] Wohl auch im Rahmen seiner Tätigkeit als Redakteur besuchte Neill die dem Büro benachbarten Gerichtsgebäude in Bow Street und verfolgte gespannt die Verhandlungen. Einmal wurde ein Junge zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil er ein Paar Stiefel gestohlen hatte [vgl. NEILL 1915, S.113; vgl. auch CROALL 1983b, S.55]. Bezugnehmend auf diese Erfahrung schrieb Neill in seinem ersten Buch, das bald darauf entstehen sollte: "Our present system is not justice; it is vengeance." [NEILL 1915, S.113] Neills Interesse für soziale Fragen war geweckt, und seine ursprünglich konservative politische Orientierung wich einem ausgeprägten Sozialismus. Er wurde Mitglied in der "Westminster Labour Party" und schwang im Hyde Park auf einer Seifenkiste stehend Reden. "Bei einer Gelegenheit erwähnte ich törichterweise das Hauptpostamt als leuchtendes Beispiel für den Sozialismus. Daraufhin wurde ich von einem Briefträger niedergeschlagen." [NEILL 1972, S.120] Später sollte Neill häufig öffentliche Vorträge halten - sie sind ein nicht zu unterschätzender Anteil an seinem publizistischen Schaffen und seine rhetorischen Kompetenzen müssen beachtlich gewesen sein.

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs verhinderte das Erscheinen des "Piccadilly Magazine". "Einer der Artikel, mit vielen Fotografien illustriert, hieß 'Der Kronprinz, die wahre deutsche Gefahr'. Aber die Schüsse von Sarajevo töteten - unter anderem - auch das knospende Piccadilly Magazine." [NEILL 1972, S.120] Nach Auflösung der Redaktion des "Piccadilly Magazine" nach Kriegsausbruch und da Neill, obgleich er sich dessen schämte, nicht in den Krieg ziehen mußte [vgl. NEILL 1972, S.121] [5], galt es, eine neue Stelle zu suchen. Er bewarb sich - nachdem er einige Wochen zu Hause in Kingsmuir verbracht hatte - auf verschiedene Lehrerstellen. "Mit der gleichen Post erhielt ich eines Morgens zwei Stellenangebote: ich konnte Leiter der Schule in Gretna Green und Englisch-Lehrer an der Oberschule in Tain werden." [NEILL 1972, S.305]

Er entschied sich für die Stelle in Gretna Green [vgl. NEILL 1972, S.121, 305; CROALL 1983b, S.58] und wurde dort am 15. Oktober 1914 Leiter der "Gretna Public School". Gretna Green liegt im Südwesten Schottlands und wurde bekannt durch die Schnelltrauungen, die der örtliche Schmied an englischen Paaren vornahm, die die nahegelegene Grenze überquerten, um - meist ohne das Einverständnis ihrer Eltern - unter der in dieser Hinsicht liberaleren Gesetzgebung Schottlands zu heiraten. Der bisherige Rektor der örtlichen Schule hatte sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet, und Neill übernahm nun die Leitung der schottischen Dorfschule, an der 150 Kinder unterrichtet wurden [vgl. NEILL 1915, S.193] "And here for the first time I became conscious of education." [NEILL in: Id-Magazine Sep./1960, S.4; vgl. auch NEILL 1972, S.122]

& A Dominie's Log 1915

Von Neills Erlebnissen in der Zeit in Gretna berichtet sein erstes Buch A Dominie's Log, das als inoffizielles Schultagebuch entstand. Offiziell hatte ein schottischer Dorfschulleiter, ein "Dominie", ein "Schul-Logbuch" zu führen, in dem die An- oder Abwesenheit der Schüler sowie des Hilfspersonals verzeichnet wurde, aber auch besondere Ereignisse und Daten, die für die regelmäßigen Schulinspektionen von Bedeutung waren. Ins Logbuch der Schule von Gretna schrieb Neill am 15. Oktober 1914: "I, A. S. Neill, entered upon duties as Interim Headmaster of this school." [NEILL zitiert in: CROALL 1983b, S.58] Diese Pflichten verstand er jedoch ganz anders als der bisherige Schulleiter, den er nun vertrat und der als recht streng bekannt war. "Es wäre töricht, zu behaupten, ich hätte, wenn ich gewollt hätte, auch als klassischer Pauker weiterarbeiten können, denn das hätte ich selbst niemals fertiggebracht. Nach und nach merkten die Kinder, daß meine Disziplin der reinste Bluff war und daß es mir nicht das geringste ausmachte, ob sie etwas lernten oder nicht. Aus der stillen Schule wurde ein Gartenlokal voller Lärm und Gelächter. Aber wir hielten die üblichen Unterrichtsstunden ab, und sie lernten vermutlich nicht weniger, als wenn sie Angst vor mir gehabt hätten."[NEILL 1972, S.122]

Seit Neills eigener Kindheit hatte sich im schottischen Schulwesen wenig geändert und bald unterschied sich der Unterricht in Gretna Green erheblich von dem an anderen Schulen. Neill schreibt 1915 in A Dominie's Log: "I don't mind if they talk or not. Indeed, if the hum of conversation stops, I feel that something has happened and I invariably look towards the door to see whether an Inspector has arrived" [NEILL 1915, S.15]. Schüler, die sich nicht für den Unterricht interesFederzeichnung Neills aus dem Jahr 1916. Zu erkennen ist ein Haus und im Hintergrund eine Kirche (offensichtlich Gretna Green). Neill hat daruntergeschreiben: "Gretna Green. A Sketch made when out with the bairns. A.S.Neill 1916"sierten, durften den Klassenraum verlassen, und der Stundenplan wurde nicht mehr fest eingehalten. Die Schülerinnen und Schüler konnten sich auf ihre Lieblingsfächer konzentrieren und die weniger populären Fächer vernachlässigen [vgl. CROALL 1983b, S.60; vgl. auch HEMMINGS 1972, S.16/17; sowie NEILL 1915, S.122, 142, 169]. Ausflüge in die Natur wurden unternommen, auf denen Zeichnungen entstanden und Naturbetrachtungen angestellt wurden. "I am delighted with my sketching results. We go out every Wednesday and Friday afternoon, and many bairns are giving me good work. We usually end up with races or wading in the sea. There was much wonder when first they saw my bare feet, but now they take my feet for granted." [NEILL 1915, S.121; vgl. auch: HEMMINGS 1972, S.15; sowie NEILL 1915, S.118, 121, 205] Zeichnung Neills "A Sketch made when out with the bairns" 1916

Im Verlauf des Krieges wurden die eintreffenden Kriegsnachrichten diskutiert [vgl. HEMMINGS 1975, S.14; NEILL 1915, S.21, 72], die Hintergründe der Frauenbewegung erläutert [vgl. NEILL 1915 S.30, 86ff, 105] und eine Schülerzeitung konzipiert [vgl. NEILL 1915 S.192]. Neill bemühte sich, die Lehrbücher teilweise durch ausgewählte Literatur zu ersetzen. Und er brachte den Kindern die von ihm geschätzten Autoren nahe: "Nearly every day I quote to my bairns Ibsen's words from An Enemy of the People. 'The Majority never has right on its side. Never I say.' Every lesson book shouts aloud the words: 'The majority is always right'." [NEILL 1915, S.29 [Hervorhebungen im Original]; vgl. auch ebd. S.50] Der Religionsunterricht, zu dessen Erteilung sich Neill verpflichtet sah, beschränkte sich auf das Lesen der vier Evangelien und "in geography lessons I often take occasion to emphasise the fact that Muhammudans and Buddhists are not necessarily stupid folk who know no better. [...] No, I fear I have no definite opinions on religion." [NEILL 1915, S.67]

Diese sich allmählich entwickelnden Ansichten und Unterrichtsmethoden mußten in der konservativen ländlichen Umgebung wie eine Revolution erschienen, als sie der Dorfbevölkerung bekannt wurden; auch die Tatsache, daß der örtliche Lehrer nicht am Kirchgang teilnahm, sondern statt dessen lieber zu Hause auf seiner Schreibmaschine herumhämmerte [vgl. NEILL 1972, S.122], nahm die Gemeindemitglieder nicht immer für ihn ein. Der Lehrer arbeitete unter der Aufsicht des Schulvorstands, der sich aus Funktionsträgern in der Gemeinde zusammensetzte. So kam es, daß der örtliche Kohlehändler, der gleichzeitig im Gemeinderat saß, Neills pädagogische Arbeit stark beeinflussen konnte, was er insbesondere dann tat, wenn Neill seinen Brennstoff aus der falschen Quelle bezog [vgl. NEILL 1915, S.124]. Vorsitzender des Schulvorstands war Mr. Simpson: "To-day was prize-giving day. Old Mr. Simpson made a speech. 'Boys,' he said, 'study hard and you'll maybe be a minister like Mr. Gordon there.' He paused. 'Or,' he continued, 'if you don't manage that, you may become a teacher like Mr. Neill here'."[NEILL 1915, S.52] Neill hatte Glück und konnte sich mit dem örtlichen Schulvorstand gut stellen. "Die Mitglieder des Beirats der Schule kümmerten sich nicht weiter darum, was ich trieb. Einige wurden sogar persönliche Freunde von mir." [NEILL 1972, S.122; vgl. auch NEILL 1915, S.122f] Einzelne Eltern der Schülerinnen und Schüler waren überhaupt nicht begeistert von dem Umsturz alter Schulgewohnheiten und machten gegenüber dem jungen Schulmeister keinen Hehl aus ihrem Befremden. Ein Vater, der Neill für einen "Radikalen" gehalten hatte, entschuldigte sich, als Neill dies abstritt. "Then he added, 'And what micht yer politics be?' 'I am an Utopian,' I said modestly. He scratched his head for a moment, then he gave up and asked my opinion of the weather." [NEILL 1915, S.65] Noch 60 Jahre später beschrieb Neill ähnliche Anekdoten aus Gretna [vgl. NEILL in: CROALL 1983a, S.22; vgl. auch NEILL in: Id-Magazine Sep./1960, S.4; sowie NEILL 1967, S.111; sowie NEILL in: TES 11.08.1967, S.251].

Während Neill in Gretna Green lebte, fühlte er sich von der Außenwelt weitestgehend abgeschnitten. Das lebhafte Treiben von London und die aktuellen Gesprächsthemen versuchte er sich durch die Lektüre der Zeitschriften "The New Age" [vgl. NEILL 1915, S.103] sowie "The Nation" [vgl. NEILL 1972, S.123] in die ländliche Abgeschiedenheit zu holen. Im Februar 1915 wurde eine Glosse von ihm mit dem Titel The Lunatic in "The New Age" veröffentlicht, die er in Gretna geschrieben hat. Darin schildert er die Erlebnisse eines schottischen Journalisten in London [vgl. The New Age, 04.02.1915].

Durch einen Zeitungsartikel erfuhr Neill bereits in dieser Zeit von der Jaques-Dalcroze-Schule in Hellerau bei Dresden [vgl. CROALL 1983b, S.117; NEILL 1915, S.57], an der er selbst wenige Jahre später arbeiten sollte. In A Dominie's Log schreibt er: "I recently read an illustrated article by (or on?) Jacques [sic!] Dalcroze, the inventor of the method, and the founder of the Eurhythmics school near Dresden. [...] The photographs were beautiful studies in grace; the school appears to be full of Pavlovas[6]. I think I shall try to found a Eurhythmics system on the photographs." [NEILL 1915, S.57]

Von Gretna aus unternahm der junge Lehrer Reisen nach London, um der "großen weiten Welt" wieder etwas näher zu kommen. Bei einer dieser Reisen besuchte er die King Alfred School in Hampstead und lernte deren Rektor John Russell kennen. Auch an dieser Schule sollte Neill nach Kriegsende einige Zeit beschäftigt sein [vgl. NEILL 1972, S.139; vgl. auch NEILL 1917 S.542f; sowie NEILL 1921b, S.260ff, 290ff].

Offenbar wurden für die Entwicklung eigener pädagogischer Ideen Neills in Gretna Green entscheidende Weichen gestellt [vgl. NEILL 1972, S.122]. Auf alle Fälle war seine erfolgreiche Lehrtätigkeit und das - wie sich erweisen sollte - noch erfolgreichere schriftliche Nachdenken darüber so ermutigend, daß Neill sich kurzfristig auf weitere pädagogische Experimente einließ und längerfristig auf eine erzieherische Laufbahn einstellte. Der junge Schulmeister hatte mittlerweile soviel Selbstbewußtsein, daß er Vorträge über Erziehung hielt. Ein Vortrag, den er in Gretna hielt, hieß Children and their parents. Die Besucher nahmen ihn allerdings nicht so recht ernst. Sie betrachteten die Veranstaltung des jungen Dorflehrers eher als Belustigung. "I cannot flatter myself that I made a single parent think on Friday night. Most of the villagers treated the affair as a huge joke." [NEILL 1915, S.154; vgl. auch CROALL 1983b, S.68] Neill führte darüber hinaus eine Abendschule für "junge Erwachsene" ein. Kinder, die vierzehn Jahre alt geworden waren, mußten nicht weiter zur Schule gehen und wurden schnell in den dörflichen Produktionsprozeß eingegliedert. "I shall have the lads and lasses of sixteen to nineteen in my classroom twice a week, and I guess I'll tell them things about citizenship they won't forget." [NEILL 1915, S.154]




Fußnoten

[5] Er war aufgrund einer Venenentzündung ausgemustert worden.

[6] Anna Pawlowna Matwejewa war eine der berühmtesten Ballettänzerinnen zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Sie sammte aus Russland, lebte jedoch lange Jahre in London.



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