Diss: Axel Kühn: Alexander Neill
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Nach Neills Tod

Die Leitung der Schule wurde - wie es Neills Wunsch gewesen war [vgl. Summerhill Schulprospekt 1975(?); vgl. auch Ena NEILL in: SNITZER 1964, S.16] - von Ena Neill übernommen [vgl. hierzu auch MATTHIAS in: Childhood Education 55(1979), S.265f], bis sie im September 1985 an Enas und Neills Tochter Zoë weitergegeben wurde [vgl. hierzu auch: STEPHENS in: Trafik 7(1987), S.4; ders. in: Trafik 8(1988), S.30; sowie KLEMM in: Apropos Lernen 1989, S.172; und Summerhill Schulprospekt 1993, o.S.]. Zoë hatte - bevor sie die Leitung der Schule in Leiston übernahm - eine Reitlehrerinnenausbildung absolviert, einen Reitstall betrieben und einige Zeit in der Lewis Wadhams School (eine Versuchsschule in New York) unterrichtet [vgl. KAMP 1994, S.321; vgl. hierzu auch: SNITZER 1964 bzw. 51971[38]]. Sie führte Reitunterricht als Angebot in Summerhill ein, mußte ihn aber in den frühen neunziger Jahren wieder einstellen, da die meisten Kinder wenig Interesse an Pferden hatten. "Insgeheim hatte ich den Wunsch, Zoë werde sich eines Tages meiner Arbeit und meinen Interessen zuwenden und nach mir Summerhill leiten" [NEILL 1972, S.339; vgl. auch: NEILL in: CROALL 1983a, S.199; sowie CROALL 1983b, S.374], hatte Neill 1972 geschrieben. "Ich verspüre kein freudiges Erbeben bei dem Gedanken, daß eines Tages in meiner Heimatstadt Forfar der Stadtrat an dem Haus Nr. 16, in der East High Street, wo ich geboren wurde, eine Gedenktafel anbringen lassen könnte" [NEILL 1972, S.237], schrieb Neill im gleichen Jahr. Tatsächlich wurde an dem Gebäude nie eine entsprechende Tafel angebracht. Am alten Schulhaus in Kingsmuir dagegen ließ Zoë im November 1983 eine Tafel befestigen, auf der steht:

Kingsmuir. A.S.Neill [1883-1972], internationaly renowned educationalist and author was pupil and pupil teacher in this school between 1889-1903 [...].

Gesellschaftliche Ehrungen hatten für Neill eine große Bedeutung, obgleich er sie in seinen Schriften stets herunterspielt. Gerade die Häufigkeit derartiger Textstellen ist ein deutlicher Beleg für die wichtige Rolle, die sie in Neills Denken spielten. Im britischen Commonwealth haben Adelstitel und ihre Verleihung bis in die Gegenwart eine nicht unwesentliche Rolle [39] und so ist es nicht verwunderlich, daß Neill sich bei vielen Gelegenheiten Gedanken über die Möglichkeit machte, einen Adelstitel wie "Lord of Summerhill" verliehen zu bekommen [vgl. NEILL 1936, S.5, 118; 1953, S.161; 1967, S.132; in: Where 10/1971, S.320; 1972, S.164f]. Jonathan Croall, der Biograph Neills, hat ihm durch den Titel seiner 1983 erschienen Biographie nachträglich einen Titel verliehen: Neill of Summerhill. The Permanent Rebel.

& CROALL 1983b

Jonathan CROALL hat wohl die umfangreichste Arbeit über Alexander Neill vorgelegt. Seine in England und den USA im hundertsten Geburtsjahr Neills erschienene Biographie dient allen nachfolgenden Autorinnen und Autoren als Standardwerk über den Pädagogen.

Jonathan CROALL kamen bei der Lektüre von Neills autobiographischen Schriften Zweifel an deren Glaubwürdigkeit. Deshalb interviewte er zahlreiche Zeitzeugen und erhielt von ihnen erstaunlich unterschiedliche Ansichten über Neill. Die (englischen) Medienberichte über Neill erwiesen sich für Jonathan CROALL als besonders ergiebiges Quellenmaterial: "Neills 'dreadful school' has probably been the subject of more media attention than any other in this country." [S.3] Schließlich sammelte Jonathan CROALL noch Briefe von und an Neill (die er in einer Auswahl im gleichen Jahr veröffentlichte [CROALL 1983b]).

Die Biographie, die Jonathan CROALL vorgelegt hat, ist in ihrer Detailiertheit nicht zu überbieten. Lediglich zu einzelnen Abschnitten in Neills Leben (seiner Zeit in Deutschland und Österreich) konnten in der Folge noch weitere Angaben vorgelegt werden [KAMP, KÜHN, ZELLINGER].

Jonathan CROALL nimmt Neill gegenüber eine neutral wohlwollende Position ein und erspart dem Pädagogen nicht die Kritik, die an ihm und seiner Praxis zu üben ist. Damit kommen auch Seiten Neills zutage, die seinen Nachkommen nicht der Veröffentlichung wert und würdig erscheinen [Gespräch mit Zoë READHEAD am 09.09.1993]. Gleichwohl wird Neills Werk in dem Buch anerkannt und seine Bedeutung für die Pädagogik hervorgehoben. Jonathan CROALL gelingt es mit diesem Standardwerk, Neill in eine Reihe mit den bedeutenden Erzieherpersönlichkeiten des 20.Jahrunderts zu stellen. Mit der Titelgebung "Neill of Summerhill" will Jonathan CROALL Alexander Neill zu dem Adel verhelfen, der ihm zu Lebzeiten vorenthalten blieb. Der Untertitel "The Permanent Rebel" hat programmatischen Charakter und faßt Neills Lebenswerk seit dem Beginn des vergangenen Jahrhunderts in erstaunlich treffender Weise zusammen.



1974 wurde ein "A.S.Neill Trust" ins Leben gerufen, der die Ideen Neills verbreiten, fördern und - in gewissem Maße - schützen sollte [vgl. HOWARTH in: TES 01.02.1974, S.4]. Die Zielstellung dieser Organisation ging über die der bisherigen Elternvereine wie die "Summerhill-Society" hinaus, die lediglich zur Aufgabe hatten, die finanzielle Existenz der Schule zu sichern. Der A.S.Neill-Trust sollte Versuchsschulen mannigfaltiger Ausformung unterstützen [vgl. auch: HEMMINGS in: TES 15.02.1974, S.22] und griff Neills Namen aufgrund der Popularität des neulich verstorbenen prominenten Schulreformers auf. Später hörte man nichts mehr von dieser Organisation.

1987 wurde der "Friends of Summerhill Trust" gegründet, der seitdem ähnliche Zielsetzungen wie der frühere A.S.Neill-Trust verfolgte, sich aber mehr auf Neills Ideen und den Erhalt der Schule in Leiston konzentrierte. Er rekrutierte seine Mitglieder aus Eltern, ehemaligen Schülerinnen und Schülern und anderen an der Schule Interessierten - prinzipiell war er offen für alle zahlenden Mitglieder. Jährlich wurden bis zu zwei Nummern des "Friends of Summerhill Trust Journals" [40] veröffentlicht, einer Zeitschrift, die die Mitglieder des Trust erhielten, um über die Schule und die Bestrebungen an der "Alternativ-Schul-Front" auf dem laufenden gehalten zu werden. Es waren überwiegend Mitglieder des Trust, die Beiträge zum Journal liefern.

Aber auch diese Organisation stellte ihr Wirken im Jahr 1994/95 ein.

Bis in den Zeitraum der Datenerhebung für diese Studie hinein (ab etwa 1993 bis 2001) lag die Verwaltung des Nachlasses Alexander Neills in den Händen eines kleinen Personenkreises um dessen Tochter Zoë Readhead (Danë GOODSMAN [41], Albert LAMB, David STEPHENS[42], später Matthew APPLETON).

Die teilweise sicher verdienstvolle Arbeit dieser Menschen beinhaltet Elemente, die im Archivforschenden den Argwohn erwecken, aus nicht immer uneigennützigen Gründen vom Zugang zu wichtigen Quellen ausgeschlossen zu sein bzw. diesen Zugang unnötig erschwert zu bekommen. Dem "von außen" eindringenden Die Fotographie zeigt Zoë Readhead 1993 vor einer Gruppe spielender Kinder, eines sitzt auf einem Fahrrad. Im Hintergrund ist das Efeuüberwucherte Schulgebäude in Leiston zu erkennen. Forscher drängt sich gelegentlich der Eindruck auf, daß dieser "enge Zirkel" um Neills Werk den Anspruch erhebt, auf die "Verwertung" und damit verbunden auf die Interpretation dieses Werkes eine Monopolstellung zu haben und diese zu verteidigen, indem Informationen und Archivmaterialien sehr selektiv zugänglich gemacht werden [43]. Im Kontakt zu weiteren der Schule nahestehenden Personen wird deutlich, daß es sich bei dieser Attitüde um ein Gemenge aus Nachlässigkeit und taktischem Vorgehen handelt.

Die Fotografie zeigt Zoë Readhead 1993 vor dem Schulgebäude in Leiston




Zwischenfazit zu den bisher beschriebenen Werken über Neill und Summerhill

Die bisher neben den Lebensbericht gestellten Beschreibungen von Texten über Neill und Summerhill sind (bis auf Croall 1983a) alle noch zu Lebzeiten Neills erschienen. Daß zwischen Neills Tod 1973 und dem Erscheinen der nächsten größeren Veröffentlichung über ihn ein Zeitraum von 10 Jahren liegt, ist zunächst erstaunlich. Eine ähnliche Lücke ist bei Veröffentlichungen in Periodika zu beobachten. Der Grund dafür mag in einer Kombination miteinander zusammenhängender Aspekte liegen: Neill und Summerhill waren seit Ende der 60er Jahre weltweit ein kontrovers diskutiertes Thema. Besonders in Deutschland wurde die Summerhill-Pädagogik hartnäckig in Zusammenhang mit dem Schlagwort "Antiautorität" befürwortet oder abgelehnt. Neill hatte diese Diskussion begleitet, gefördert und - wo er dies konnte - gelenkt.

Neills Tod markiert eine Wendemarke: Die Autorinnen und Autoren verstanden das Thema "Summerhill" als abgeschlossen. Vielfach waren sie der Meinung, daß die Schule nun gar nicht mehr existiere. In Deutschland, wo die Diskussion besonders heftig gewesen war, scheinen die Autorinnen und Autoren sich und dem Thema gewissermaßen eine Erholungspause gegönnt zu haben. Wie es danach aber mit erneutem Elan und in bemerkenswerter Regelmäßigkeit wieder aufgegriffen wurde, soll im nachfolgenden Abschnitt beschrieben werden.

Inhaltlich können die bisher beschriebenen Werke folgendermaßen zusammengefaßt werden: Mit Ausnahme der Artikelserie von Bernstein handelt es sich anfangs um wenig analytische Beschreibungen der Schulrealität in Summerhill [Snitzer, Segefjord, Walmsley]. Damit soll ihr Wert nicht bezweifelt werden. In ihnen ist wichtiges Quellenmaterial dokumentiert, das anders verloren gegangen wäre. Diese Bücher haben in großem Maß zum Bekanntwerden Summerhills beigetragen.

BERNSTEINS Artikel sind in mehrfacher Weise eine Ausnahme. Bei aller Beschränktheit der forschungspraktischen Möglichkeiten BERNSTEINS [44] bildet seine Untersuchung die einzige ernstzunehmende umfassende empirische Auseinandersetzung mit Neills Pädagogik und ihrer Wirkung bis heute. Daß diese Untersuchung gleich zu Anfang einer internationalen Auseinandersetzung mit Summerhill vorgelegt wurde, hätte dazu beitragen können, daß sich ähnliche Folgeuntersuchungen anschließen. Dies war nicht der Fall. Nicht zuletzt ist hierfür vermutlich die Veröffentlichungsform verantwortlich. Hätte BERNSTEIN ein Buch über Summerhill geschrieben, wäre seiner Untersuchung wesentlich mehr Aufmerksamkeit zuteil geworden (ganz abgesehen vom ökonomischen Erfolg einer solchen Veröffentlichung während des damaligen "Summerhill-Booms").

Die nachfolgenden Werke [HART, LEONHARD, SCHMIDBAUER] diskutieren Neills Pädagogik auf einer eher theoretischen Ebene. Allenfalls HEMMINGS, der in den Rahmen der biographischen Beschreibung die Befragung von Schulleiterinnen und -leitern über deren Einschätzung der Bedeutsamkeit von Neills Pädagogik für den öffentlichen Schulsektor eingebettet hat, bemüht sich um eine empirisch abgesicherte Betrachtungsweise. Gleichwohl hat auch in seinem Buch der beschreibende Teil ein starkes Gewicht. Gerade die virulente Diskussion Anfang der siebziger Jahre forderte Diskussionsbeiträge heraus, die Stellung bezogen. Für wissenschaftlich fundierte Untersuchungen mit empirischem Charakter war gewissermaßen kein Raum. Verwunderlich bei der Betrachtung all dieser und auch der später erschienenen Veröffentlichungen (mit Ausnahme von HEMMINGS, CROALL und später KÜHN und KAMP) ist, daß niemand sich ernsthaft mit Neills Originalveröffentlichungen auseinandergesetzt hat. Dies ist um so bedauerlicher als das Schlüsselwerk "Summerhill" (später in Deutschland: "Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung") in der Zusammenstellung durch Harold HART bis heute noch nicht quellenkritisch gesichtet worden ist. Niemand weiß, welche Textpassagen aus welchen der vier Quellenbände stammen und in welcher Weise sie verändert und in den Gesamttext eingefügt wurden. Dennoch bildet gerade diese Veröffentlichung den zentralen Bezugstext fast aller Veröffentlichungen über Neill.



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