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Biografien
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biografischesWissenschaftliche Hausarbeit Erste Staatsprüfung für das Lehramt an Realschulen Summerhill: Theorie und Praxis eines reformpädagogischen Modells und seine Relevanz für die öffentliche Schule heute vorgelegt von
Birgit Ahrens
Referentin: Prof. Dr. Ingrid Dietrich
Korreferentin: Prof. Hartmut Breitkreuz M.A.
Heidelberg
Juli 1996
1.2 Thematische Grundlage 1.3 Methodisches Vorgehen
2.1.2 Erste Lehrjahre 2.1.3 Studium und erste akademische Beschäftigungen 2.1.4 Neill als Schulleiter und seine Kontakte mit der neuen Erziehungsbewegung 2.1.5 "New Era" 2.1.6 "Summerhill"
2.2.2 Sigmund Freud 2.2.3 Wilhelm Reich
3.1.2 Neills Menschenbild 3.1.3 Neills Gesellschaftsbild
3.2.2 Selbstbestimmung 3.2.3 Glück als Ziel der Erziehung
3.3.2 Freiwilligkeit als konstitutive Bedingung der durch Freiheit geprägten Erziehung 3.3.3 Verantwortung und Freiheit 3.3.4 Liebe und Anerkennung 3.3.5 Sexualität als Grundlage der Persönlichkeit
3.4.2 Das freie Kind
4.2 Wie wird heute versucht, A. S. Neills pädagogische Konzeption in Summerhill zu verwirklichen?
4.2.2 Schule und Schulbesuch 4.2.3 Kreativer Unterricht 4.2.4 Planung und Regeln in Summerhill 4.2.5 Kinder ohne Angst?
4.4 Befindet sich das Schulmodell in einer Existenzkrise?
5.2 Antiautoritäre Erziehung - Versuch einer Definition
5.4 Das Ende der Antiautoritären Erziehung? oder: Die Alternativschulbewegung 5.5 Modelle und Konzeptionen alternativer Pädagogik in der Bundesrepublik Deutschland
5.5.2 Alternativschule gegen Regelschule
6.1.2 Freiheit versus Wissen: Was ist wichtiger? 6.1.3 Individuum versus Gemeinschaft - leidet die soziale Kompetenz unter der Betonung des Individuums?
6.3 Fehlt der gesellschaftliche Bezug? 6.4 Ist Summerhill eine Schule für eine privilegierte Minderheit? 6.5 Erreichen alle Summerhill-Absolventen ihr Lebensglück? 6.6 Illusion einer natürlichen Erziehung? 6.7 Summerhill: Provokation oder Alternative?
7.1 Ist Neills Erziehungskonzept auch außerhalb Summerhills durchsetzbar? 7.2 Ziele des Bildungsplans und Summerhill: ein Vergleich 7.3 Chancen und Restriktionen bei der Implementation von Prinzipien der Selbstregulierung in der deutschen Regelschule 7.4 Funktionen der Schule für die Gesellschaft bzw. bestimmte Gruppen 7.5 Schlußbetrachtung 8 LITERATURVERZEICHNIS 1. Einleitung 1.2. Vorwort Das Interesse für diese wissenschaftliche Arbeit entwickelte sich in Großbritannien, als ich dort an einer staatlichen Schule ein einjähriges Fremdsprachenassistentenjahr absolvierte. Mit dem Thema "Summerhill kam ich in Kontakt, als ein Englischlehrer im Verlauf einer Unterrichtseinheit zum Thema The ideal type of a free school" die Internatsschule Summerhill vorstellte. Er führte die Videoaufzeichnung einer "Channel 4"-Dokumentation von 1991 vor, die von der britischen Bevölkerung sehr kontrovers aufgenommen wurde und in deren Folge die Existenz und Legitimität von freien Schulen im allgemeinen und von Summerhill im besonderen zu einem Punkt auf der gesellschaftlich-politischen Agenda in Großbritannien wurde. Die Darstellung von Summerhill in dieser Dokumentation entsprach in keinster Weise dem Bild, das ich während eines Seminars im Sommersemester 1993 mit dem Titel "Renaissance der Reformpädagogik" bekommen hatte, da der Akzent des Berichts bei der Darstellung der Schattenseiten lag, wie etwa einer relativ großen individuellen Freiheit der Schüler, und das Ziel des Films weniger eine möglichst neutrale Darstellung des Lebens in Summerhill als das Zeigen möglichst spektakulärer Bilder unabhängig von ihrer Repräsentativität gewesen sein dürfte. Die Unterschiedlichkeit meines vorherigen Summerhill-Bildes und der Aussagen dieser Dokumentation veranlaßten mich, mich mit der Schule selbst in Verbindung zu setzen, da ich mir einen eigenen Eindruck verschaffen wollte. Ich besuchte Summerhill zum ersten Mal im Mai 1995 und stellte fest, daß die Darstellung in der erwähnten Fernsehdokumentation eine gewisse Diskrepanz zu meinem Eindruck von Summerhill aufwies. Das Zusammenleben der Schüler mit all seinen positiven und negativen Seiten auf eine völlig von der traditionellen Schulausbildung verschiedene Art faszinierte mich, und so beschloß ich, mich näher mit den Ansichten des Summerhill-Gründers A.S. Neill und der Umsetzung in Summerhill zu beschäftigen. 1.2. Thematische Grundlage Die Auffassung von Erziehung, die der Pädagogik A.S. Neills und seiner Schule Summerhill in Leiston in der englischen Grafschaft Suffolk zugrundeliegt, soll in der vorliegenden Arbeit behandelt werden. Neill veröffentlichte zahlreiche Bücher über Kinder- und Jugendpsychologie und über Erziehungsfragen, in denen er seine Vorstellungen zur antiautoritären Kindererziehung vor allem an praktischen Beispielen darzustellen versuchte. Sein Hauptargument war, daß sich ein Kind nur in Freiheit entwickeln kann. Dabei lehnte er jede Form von Zwang und Unterdrückung in der Erziehung ab. Die Schule Summerhill erlangte weltweit Aufmerksamkeit als reformpädagogisches Modell einer freien Schule, die auf jegliche Gewalt in der Erziehung verzichtet. Neills charakteristisches Erziehungskonzept ist durch eine konsequente Haltung gegenüber dem Heranwachsenden gekennzeichnet. Summerhill ist weit über England hinaus bekannt geworden. In Deutschland fanden Neill und seine Internatsschule vornehmlich Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre große Beachtung, was nicht zuletzt mit dem Erscheinen seines Werkes "Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung" (1969) zu erklären ist. Noch einige Jahre zuvor war Neill in England und vor allem in der Bundesrepublik fast unbekannt, und kaum jemand interessierte sich für seine Ideen und seine Schule. Doch gegen Ende der sechziger Jahre wurde durch eine neue Bewegung der politischen Linken das öffentliche Interesse für eine neue Erziehungspädagogik geweckt. Der Begriff der antiautoritären Erziehung wurde plötzlich stark diskutiert. Man beschäftigte sich mit verschiedenen vor allem freiheitlichen Erziehungskonzepten. Viele Eltern und Erzieher nahmen Ende der sechziger Jahre und zu Beginn der siebziger Jahre begeistert antiautoritäre Grundsätze in ihre Erziehungspraxis auf, um ihre Kinder in Freiheit und ohne Gewaltanwendung und Zwang aufwachsen zu lassen. Es war das gemeinsame Ziel, die Autonomie und Selbständigkeit des Kindes in vollem Maße zu achten. 1.3. Methodisches Vorgehen Für ein umfassendes Verständnis ist es notwendig, die Biographie und den Werdegang von A.S. Neill zu berücksichtigen, da nach meiner Meinung ein großer Teil seiner pädagogischen Auffassungen in seiner Biographie verwurzelt sind. Ferner sollen die geistigen "Väter" seines Erziehungskonzepts, also die Lehrer, die ihn beeinflußt und zu seinem freiheitlichen Erziehungskonzept geführt haben, kurz dargestellt werden. Danach wird auf die erzieherischen Ansichten Neills, die zu einem großen Teil aus seiner Biographie abzuleiten sind, eingegangen. Das darauffolgende Kapitel "Das Modell Summerhill in der heutigen Praxis" beschreibt, wie die Pädagogik Neills gegenwärtig in der von ihm gegründeten Schule umgesetzt wird. Dabei spielen die Beobachtungen, die ich während meiner Besuche in Summerhill machte, eine bedeutende Rolle. Da A.S. Neills Pädagogik und seine Schule Summerhill einen bedeutenden Einfluß auf Schulgründungen in der Bundesrepublik Deutschland Anfang der siebziger Jahre ausübten, wird erläutert, wie sich Neills antiautoritäre Ansätze in Deutschland, in der Kinderladenbewegung und in der späteren Gründung von Alternativschulen manifestierten, und wie diese deutschen antiautoritären Ansätze sich von Neillschen Auffassungen weiterentwickelten. Die Zielsetzungen und Leitlinien der Pädagogik A.S. Neills und ihre Umsetzung in Summerhill werden im darauffolgenden Kapitel einer kritischen Würdigung unterzogen. Daran schließt sich das letzte Kapitel an, das sich mit der Frage beschäftigt, inwieweit sich Summerhillsche Prinzipien auf das deutsche Schulsystem übertragen lassen oder nicht. Ein großes Problem bei der Abfassung dieser Arbeit war für mich der Umstand, daß ein Großteil der Literatur zur Pädagogik Neills und zu Summerhill in der "heißen Phase" der Neill-Rezeption, der ausklingenden Studentenbewegung in den frühen 70er Jahren, verfaßt worden ist und das Thema seitdem nur noch recht wenig Beachtung gefunden hat. Um mir dennoch ein Bild der heutigen Situation in Summerhill machen zu können, habe ich Summerhill besucht und bin mit verschiedenen ehemaligen Schülern von Summerhill bzw. den Eltern von Kindern, die zur Zeit dort zur Schule gehen, in Verbindung getreten. Von ihnen ist mir sehr viel aktuelles Material, vor allem zur Behandlung des Themas Summerhill in der englischen Presse der neunziger Jahre, zur Verfügung gestellt worden, wofür ich mich an dieser Stelle herzlich bedanke. Zur Dokumentation der Situation in Summerhill heute habe ich während meines Besuchs dort einen Videofilm erstellt. Für die tatkräftige Unterstützung durch Herrn Klug vom Audiovisuellen Zentrum (AVZ) der Pädagogischen Hochschule Heidelberg danke ich an dieser Stelle ebenfalls recht herzlich. 2. Bestimmt das Sein das Bewußtsein? - Neills Leben als Grundlage seiner Pädagogik 2.1. Biographie Neills 2.1.1. Kindheit und Jugend Ich halte es für angebracht, etwas ausführlicher auf die Biographie von A.S. Neill einzugehen, denn die Darstellung seiner Pädagogik und die damit zusammenhängende Schulgründung Summerhill lassen gewisse Parallelen zu seinem Leben erkennen. Im folgenden werden nun wichtige Lebensdaten aufgelistet, die für seine spätere Erziehungskonzeption wichtig sind. Alexander Sutherland Neill wurde am 17. Oktober 1883 als viertes von acht Kindern in Forfar, der Bezirkshauptstadt der schottischen Grafschaft Angus, geboren. Sein Vater, George Neill, arbeitete in Kingsmuir als Schulleiter, weil "er einen guten Kopf hatte" (Neill 1972, 14). Er stammte aus einer Bergarbeiterfamilie. Seine Mutter hieß Mary Sutherland. Trotz finanzieller Nöte wurde die einzige Tochter zur Lehrerin ausgebildet und arbeitete an einer Schule in Leith, wo sie ihren späteren Mann kennenlernte. Nach der Hochzeit gab sie ihre Stellung auf, da im damaligen Schottland verheiratete Frauen keinen Unterricht erteilen durften (vgl. Croall 1983, 8). Seine Mutter galt als eine stolze Frau, die peinlich darauf bedacht war, den höheren sozialen Status der Familie zu dokumentieren. Anzumerken ist, daß die Situation einer Lehrerfamilie im ländlichen Schottland im neunzehnten Jahrhundert von ständigem Geldmangel gekennzeichnet war. Trotzdem fühlte sich ein Schulleiterehepaar den "besseren Kreisen" (Kühn 1995, 7) einer Gemeinde zugehörig, was sich zum Beispiel darin äußerte, daß die Neill-Kinder die einzigen Kinder im Dorf waren, die auch an Werktagen steife Kragen tragen mußten (vgl. Neill 1972, 21). Neills Vater fügte sich den Ambitionen seiner Frau, obwohl dieser sie mit einer gewissen Skepsis betrachtete. "Als er sich einmal am Ringwerfen beteiligen wollte, schritt meine Mutter ein: ,George Neill, denke an deine Stellung! Wie kannst du so tief sinken, mit Landarbeitern und Eisenbahnern zu spielen.' Daß Mutter solchen Nachdruck auf gesellschaftliche Stellung legte, engte uns, fürchte ich, ein. Wenn im Sommer die ganze Schule barfuß ging, mußten wir heiße Strümpfe und Schuhe tragen - und steifgestärkte Kragen." (Neill 1972, 23). Dennoch bemühten sich die Neill-Kinder um eine Anpassung im elterlichen Haus sowie im außerelterlichen Bereich. "Zu Hause mußten wir Englisch sprechen, aber draußen sprachen wir natürlich breitestes Forfarshire." (Neill 1972, 23). Schon in jungen Jahren waren Neill die sonntäglichen Kirchgänge eine Qual. "Wir wußten, daß anderthalb Stunden äußerste Langeweile vor uns lagen, anderthalb Stunden des Geradesitzens auf einer harten Kirchenbank [...] anderthalb Stunden des Lauschens auf langweilige Psalme und Hymnen und eine scheinbar endlose Predigt von Dr. Caie." (Neill 1972, 21). Neill konnte nicht gut lernen und interessierte sich demnach auch nicht für den Unterricht, was den Vater zu dem Schluß kommen ließ, daß aus dem Jungen nichts werden würde (vgl. Neill 1972, 43). Er las selten ein Buch, und auch in späteren Jahren hielt er sich lieber in seiner Werkstatt auf, als ein Buch zu lesen. Sein Vater machte sich nichts aus ihm. "Er war oft grausam zu mir, und ich entwickelte eine ausgespochene Angst vor ihm, eine Angst, die ich auch als Mann nie ganz überwand." (Neill 1972, 22). Den Kindern war es zunächst auch nicht gestattet zu arbeiten. Doch die ökonomischen Umstände machten es einige Jahre später notwendig, daß auch Neill bei der Kartoffelernte helfen mußte, was ihm nicht gefiel. "Es kam der Tag, da die ökonomischen Umstände stärker wurden als der Snobismus. Mit dreizehn wurde ich in die Erdbeeren und in die Kartoffeln geschickt - ich haßte die Schufterei." (Neill 1972, 23f). Bereits in Neills erstem Buch "A Dominie's Log" (Das Tagebuch eines Schulmeisters, im Jahre 1918 geschrieben) rekapitulierte er seine Empfindungen während der Kartoffelernte ("Tattie holidays"), indem er von den "ten days of misery" spricht und ferner schreibt "I seldom had time to straighten my back. I had but one thought all day: When will that sun get down to the west." (Neill 1918, 131). Neill war der einzige, der im Dorf zur Schule ging. Bereits mit viereinhalb Jahren besuchte Neill die Schule seines Vaters, so daß er den zwei Meilen langen Weg von Forfar nach Kingsmuir gemeinsam mit seinem Vater zu Fuß zurücklegte, bis die Familie 1889 in das neu errichtete Schulhaus in Kingsmuir einzog. Seine Geschwister gingen auf die Akademie von Forfar, die sie auf die spätere Universitätsausbildung vorbereitete. Sein Bruder Wille besuchte bereits mit 16 Jahren die Universität. Sein Vater machte häufig Gebrauch vom Riemen, denn der Unterricht an einer schottischen Dorfschule war durch Zwang und Disziplin geprägt. Die eigenen Kinder wurden genauso hart bestraft wie die anderen Schulkinder. Die Einkünfte des Schulleiters richteten sich nach dem Schulerfolg seiner Schüler und Schülerinnen, den der Schulrat in regelmäßig stattfindenden Schulinspektionen ermittelte. Die Prügelstrafen häuften sich vor den Inspektionstagen, was die Furcht des Vaters vor dem Urteil des Schulrates deutlich machte. "Der Tag, an dem der Schulrat kam, war für meinen Vater eine Pein. Ich sehe noch sein weißes, angestrengtes Gesicht vor mir und wie er aus dem Fenster sah, um den Schulrat und seinen Assistenten dabei zu beobachten, wenn sie morgens vom Bahnhof kamen. Vaters offensichtliche Furcht wirkte ansteckend auf uns, und wir zitterten mit ihm vor den mächtigen Autoritäten." (Neill 1972, 50). Der dem Leben pessimistisch gegenüberstehende Vater empfand es als quälend, für seine gewissenhaft ausgeführte Arbeit nur einen sehr geringen Lohn zu erhalten (vgl. Neill 1972, 51). Die Kinder der Familie Neill wurden nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause streng erzogen. Dies zeigte sich beispielsweise darin, daß der Vater pünktlich zur jeweils selben Zeit in seine Trillerpfeife blies, um die Kinder zu ihren Hausaufgaben hereinzurufen. Neill, der das unbegabteste der Kinder war, tat sich am schwersten und war häufig der letzte, der wieder zum Spielen hinaus durfte (vgl. Kühn 1995, 12). Sex, Stehlen, Lügen, Fluchen und die Entheiligung des "Tages des Herrn" (vgl. Neill 1972, 60) waren tabuisierte Themen in seiner Kindheit. Im Alter von sechs Jahren wurden er und seine Schwester Clunie beim Erkunden ihrer Geschlechtsteile erwischt, weshalb er eine heftige Prügelstrafe vom Vater bezog (vgl. Neill 1972, 65). So wurde Sex von ihm mit Sünde assoziiert, was er erst allmählich überwand. Die Kindheit Neills war sehr stark vom schottischen Calvinismus geprägt, der auf die Erziehung und Bildung in Schottland einen steten Einfluß nahm. Noch bis 1872 waren alle Schulgründungen und die Gestaltung der Lehrpläne auf Repräsentanten der Kirche oder religiös motivierte Bürger zurückzuführen, und diese Tradition lebte während Neills Schulzeit und weit darüber hinaus noch in Schottland fort. Im Alter von 14 Jahren, als seine Schulzeit endete, wurde Neill - auf Anweisung seines Vaters - als Buchhaltungsgehilfe bei der Firma W.& B. - Cowan, Ltd., einer Gaszählerfabrik in Edinburgh, eingestellt. Oft hatte er Heimweh, die Arbeitsverhältnisse waren schlecht, sein Verdienst gering, und nach sieben Monaten kehrte er dann nach Hause zurück. Nun sollte Neill nach den Plänen seines Vaters Tuchhändler werden und fing eine Lehre bei dem Tuchwarenhändler Anderson & Sturrock an, wo seine Hauptaufgabe darin bestand, Päckchen auszutragen. Diese Stellung mußte er jedoch bald wieder aufgeben, weil sich die Gelenke seiner Zehen entzündeten und schließlich steif wurden und er das "auf den Beinen sein" und den weiten Nachhauseweg nicht mehr ertragen konnte (vgl. Neill 1972, 74). 2.1.2. Erste Lehrjahre Da es mit Neill hoffnungslos schien, beschlossen seine Eltern, daß er den Lehrerberuf ergreifen sollte. "Dafür könnte es genügen" (Neill 1972, 74), wie der Vater dann bemerkte und der fünfzehnjährige Neill wurde für vier Jahre als Lehrerpraktikant ("pupil teacher") bei seinem Vater angestellt. Diese sehr typische Lehrerausbildung in England und Schottland kann mit einem Tutorensystem verglichen werden, in dem ausgewählte ältere Schüler und Schülerinnen die jüngeren unterrichteten. So war er erneut Schüler seines strengen Vaters. Während dieser Tätigkeit wurde ihm die Tatsache vor Augen geführt, daß man etwas am besten lernt, wenn man es lehrt, und diese Erkenntnis bewirkte ein langsames Abflachen seines Desinteresses am Lernen. Obwohl er das Verhalten seines Vater kopierte, behandelte dieser ihn wie einen Schüler und nicht wie einen angehenden Lehrer. Die Tatsache, daß er seine erste Prüfung nach dem zweiten Lehrjahr als Praktikant eher schlecht absolvierte, empfand sein Vater als beschämend. Als er dann gegen Ende des vierten Jahres beim "normal exam", welches entscheidet, ob man ein richtiger Student wird und dann für weitere zwei Jahre nach Glasgow oder Edinburgh an die Universität geschickt wird, mit einer drei durchfiel, war die Enttäuschung seitens des Vaters um so größer. "Ich erinnere mich, daß es 104 Kandidaten gab. Ich wurde 103. auf der Liste und konnte nicht hinein. Natürlich habe ich eine schlechte Meinung über die akademische Lehrerausbildung." (zit. n. Kühn 1995, 18). Da nun die Aufnahme an das Lehrerausbildungs-"College" unmöglich war, wurde er ein sogenannter Ex-Praktikant ("ex-pupil-teacher"). Diese Lehrerausbildung ist dadurch gekennzeichnet, daß sie eher fachpraktisch ist und sogenannte "Hilfslehrer" ausbildet, die die "niedrigsten Würmer im Garten der Bildung" darstellen (Neill 1972, 76), weil ihr akademisches Wissen nicht ausreichend ist. Nach seiner Praktikantenzeit bewarb er sich nun als "ex-pupil-teacher" an einer Schule in Bonnyring bei Edinburgh. Neill muß während der vierjährigen Ausbildungszeit bei seinem Vater Interesse an der Lehrerrolle gefunden haben, und außerdem schloß er sich damit der Auffassung seines Vaters an, daß der Lehrerberuf die einzige Möglichkeit für ihn sei, einer Beschäftigung nachzugehen. Neill blieb dort aber nur zwei Monate, weil die Erziehungsmethoden sehr streng waren. "Mir wurde befohlen, jedes Kind, das auch nur flüstere, zu schlagen." ( Neill 1972, 83). Danach ging er für drei Jahre als "strenger Zuchtmeister" (Neill 1972, 83) nach Kingskettle in der Grafschaft Fife, wo die Disziplin noch strenger war als in Bonnyrigg. "Das Klassenzimmer von Calder, dem Schulleiter, war von dem meinen nur durch eine Glaswand getrennt, und sein scharfes Auge sah alles, was bei mir vorging." (Neill 1972, 83). Diese Zeit war von Angst begleitet. Neill behauptete sogar, daß nicht einmal sein Vater so streng gewesen war, wie der dortige Schulleiter. Abgestoßen von der militärisch strengen Disziplin versuchte er wenigstens in der Abwesenheit seines Schulleiters in Krankheitsfällen, seinen Schülern und Schülerinnen eine gewisse Freiheit zu geben. Wesentlich glücklichere Jahre erlebte Neill während seiner Anstellung in Newport - nahe der Industriestadt Dundee, wo er 1906 die Stelle eines Konrektors antrat. Verantwortlich dafür war wohl weniger die strenge Disziplin des Schulleiters Willshers. Hier errang Neill eine gewisse Eigenständigkeit bezüglich seiner Lehrmethoden. So fanden zum Beispiel Naturexkursionen statt. "Willshers Disziplin war unbeschwert - es scherte ihn wenig, wieviel die Kinder schwatzten -, und vom ersten Tag an liebte ich die Schule. Die zwei Jahre in diesem südlichen Vorort von Dundee waren vielleicht die glücklichsten Jahre, die ich bis dahin erlebt hatte." (Neill 1972, 91). In dieser Atmosphäre baute Neill ein sehr großes Selbstbewußtsein auf. Mittlerweile hatte Neill sein Abschlußexamen in der Lehrerausbildung bestanden, und er legte ebenso die zweite Hälfte der Aufnahmeprüfung zur Universität ab, denn er hatte sich nun entschieden, ein Hochschulstudium aufzunehmen, um nicht weiterhin an schottischen Dorfschulen unterrichten zu müssen. 2.1.3. Studium und erste akademische Beschäftigungen 1908 beschäftigte Neill sich mit dem Gedanken, an die Universität in St.-Andrews in Schottland zu gehen, nachdem er die dafür notwendigen Aufnahmeprüfungen bestanden hatte, doch wieder einmal bewirkte der Einfluß seines Vaters, daß er an die Universität nach Edinburgh ging, um Agrarwissenschaft zu studieren. "Der Umstand, daß ich bereit war, Agrarwissenschaft zu studieren, zeigt, wie unstet ich war. Ich interessierte mich nicht für Landwirtschaft und wußte, daß ich mich nie dafür interessieren würde. Ich akzeptierte den Vorschlag, diese Laufbahn einzuschlagen, wie man eine Aufforderung zum Tennisspielen annimmt - weil man gerade nichts Besseres vorhat." (Neill 1972, 99). Bereits nach einem Jahr des Studiums wechselte er seinen Studiengang. "Naturwissenschaften [waren] nicht meine Berufung, und ich wechselte zu Englisch" (zit. n. Kühn 1995, 22). Diesem Studiengang brachte er mehr Begeisterung entgegen. Literarisch beschäftigte er sich mit Wells, Shaw, Shakespeare, Spenser, Chaucer, Pope, Dryden u.a.. Als Student wandte Neill sich sozialistischen Ideen zu und brachte schließlich die Studentenzeitschrift "Student" heraus, die auch schon sein Bruder veröffentlicht hatte, was ihm nicht nur Respekt bei den Studenten verschaffte, sondern auch eine gewisse journalistische Übung bot. In den hier veröffentlichten Artikeln wurden die universitäre Form der Lehre und die allgemein gängigen Erziehungsmethoden abgelehnt: "Wir haben uns widerwillig dafür entschieden, unsere Professoren für alles andere als gute Lehrer anzusehen. Viele von ihnen sind tatsächlich überhaupt keine Lehrer, sie sind ausschließlich Vorleser. Im zwanzigsten Jahrhundert sind Vorlesungen ein Anachronismus." (zit. n. Kühn 1995, 22). Als Neill seine akademische Ausbildung zum Master of Arts am 5. Juli 1912 zu seiner eigenen Überraschung mit dem guten Abschluß "Second Class Honours" abgeschlossen hatte, war für ihn klar, daß er den Lehrerberuf nicht ausüben wollte. "Nein, das Lehramt würde meine letzte Zuflucht sein, wenn alle anderen Stricke rissen." (Neill 1972, 112). Sein Interesse galt einer journalistischen Laufbahn. So nahm er eine Stellung bei T.C. & E.C. Jacks an, einem Verlag in Edinburgh, der eine einbändige Enzyklopädie herausbringen wollte. Neill wurde Redakteur und seine Aufgabe bestand darin, Beiträge zu redigieren. Im Rahmen dieser Tätigkeit zog er dann nach London um. Auch als die Arbeit beendet und er kurzfristig ohne Anstellung war, betonte er noch einmal, das einzige, was er nicht wolle, wäre "nach Schottland zurückkehren und Lehrer werden" (Neill 1972, 116). Also blieb er weiterhin im journalistischen Bereich und war als künstlerischer Assistent für das neugegründete "Piccadilly Magazine" tätig, was jedoch niemals erschienen ist, da die Redaktion sich nach Kriegsausbruch auflöste. 2.1.4. Neill als Schulleiter und seine Kontakte mit der neuen Erziehungsbewegung Als der Erste Weltkrieg ausbrach, nahm Neill am 15. Oktober 1914 wider Erwarten die Stelle des stellvertretenden Schulleiters von Gretna Green an, um sich wohl auch vor dem Eintritt in die Armee zu schützen. Neill bezeichnete es selbst als Absurdität, daß er als "pädagogischer Ketzer [...] die Laufbahn des Lehrers einschlug, weil [er] im Journalismus scheiterte und fürs Militär nicht genügend Mut hatte" (Neill 1972, 122). Der bisherige Rektor der örtlichen Schule hatte sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet, und Neill übernahm nun die Leitung der schottischen Dorfschule, die von 150 Kindern besucht wurde. Hier begann er zu schreiben und beschäftigte sich zum ersten Mal mit Erziehungsfragen. Er machte wenig Gebrauch von den disziplinarischen Maßnahmen. Die Sinnlosigkeit mancher verpflichtender Themen in den einzelnen Fächern, weckte in ihm die Idee, daß Schüler und Schülerinnen, die sich nicht für den Unterricht interessierten, den Klassenraum verlassen und die weniger populären Fächer vernachlässigen durften. Es wurden Ausflüge in die Natur unternommen und Lehrbücher durch ausgewählte Literatur ersetzt. Anstöße für die Entwicklung seiner pädagogischen Ideen bekam Neill sicherlich in Gretna Green, die er als inoffizielles Schultagebuch in dem Buch "A Dominie's Log" festhielt. Noch im Frühjahr 1917 wurde Neill zur Musterung befohlen und als kriegstauglich gemustert. Er durchlief unterschiedliche militärische Stationen, bis er schließlich wegen einer schweren Grippeerkrankung aus dem Militärdienst entlassen werden mußte. Während der Zeit seiner Militärausbildung erfuhr Neill von dem amerikanischem Erzieher Homer Lane und seiner Besserungsanstalt für jugendliche Verbrecher mit dem Namen "Little Commonwealth", wo er sich nun bewarb. Doch zu diesem Zeitpunkt war die Schule bereits geschlossen, und so bewarb er sich an der "King Alfred School" von John Russell, wo er eine Anstellung als Lehrer bekam. Diese koedukative Reformschule im Londoner Stadtteil Hampstead war gekennzeichnet durch die Abschaffung von Noten und Prügelstrafe. Neills berühmtestes Experiment an der dortigen Schule war die Einführung des "Self-government" nach Homer Lanes Vorbild, was jedoch noch in seinem Anfangsstadium war. Als es zu Protesten innerhalb des Lehrerkollegiums hinsichtlich der Selbstverwaltungssitzungen über die einzelnen Lehrer und Lehrerinnen kam, legte ihm John Russell nahe, die Arbeit an dieser Schule niederzulegen. 2.1.5. "New Era" Als er die "King Alfred School" verlassen mußte, entschied er sich gemeinsam mit Beatrice Ensor im Frühjahr 1920, die Zeitschrift "Education of the New Era" herauszugeben. Er konnte sich mit einer breiten Themenwahl beschäftigen und übte heftig Kritik an dem bestehendem Schulsystem. Während dieser Zeit mußte auch Neill sich mit der international bekanntwerdenden Montessori-Pädagogik beschäftigten. Die Einstellung zu Maria Montessoris Erziehungsmodell lehnte Neill jedoch gefühlsmäßig ab. "Nein, die Montessori-Welt ist zu wissenschaftlich für mich. Sie ist zu ordentlich, zu didaktisch. Der Name ,didaktischer Apparat' macht mir Angst." (Croall 1983, 105). An anderer Stelle behauptet Neill, daß "das Montessori-System, wunderbar, wie es ist, kein künstlerischer Weg [ist], das Kind über sein tun lernen zu lassen. Es hat nichts Kreatives an sich." (zit. n. Kühn 1995, 49). Als Mitherausgeber der Zeitschrift "New Era" gewann er einen größeren Bekanntheitsgrad und wurde zu Vorträgen eingeladen, die Themen wie Mechanismen des Denkens, Psychoanalyse, das Unterbewußtsein des Kindes, die Psychologie des Prügelpädagogen, "Self-government" und Massenpsychologie beinhalteten. "Ich hatte ein unheimliches Gefühl für das Publikum bei Vorträgen; wenn ich auf das Podium stieg, wußte ich nicht, ob ich bei den Zuhörern Zustimmung finden würde oder nicht [...]. Einer meiner Tricks war, eine lustige Geschichte zu erzählen, sobald die Leute gelangweilte Gesichter machten oder mit Papier raschelten." (Neill 1972, 22f). Überall in Europa entstanden damals Reformschulen, die ihren Ursprung in der Kritik an den veralteten Erziehungsidealen des etablierten Bildungswesen hatten. Merkmale dieser neuen Schulen - meistens private Internatsschulen oder Schulen in sozialen Brennpunkten der Städte - waren beispielsweise die Einführung von Koedukation, die Loslösung von festen Stunden- und Fachschemata, die Auflösung von Klassen- und Jahrgangsverbänden, das Ersetzen von Lehrbüchern durch teilweise selbst erstellte Nachschlagewerke oder die Einrichtung von Schuldruckereien und Schulgärten. Als Neill im Jahre 1921 wegen einer Konferenz, auf der er einen Vortrag über Erziehung hielt, nach Salzburg reiste, führte es ihn anschließend nach Hellerau, einem Vorort Dresdens, wohin ihn Lilian Neustätter eingeladen hatte, eine Australierin, die er bereits 1918 während seiner Tätigkeit an der "King Alfred School" in London kennengelernt hatte. In Hellerau gab es die "Jaques-Dalcroze"-Schule, deren Betrieb Neill in einem Bericht für die New Era beschrieb, wofür er eigentlich auf den Kontinent gereist war. Angeregt durch neue Gedanken in einer Zeit, in die experimentelle Erprobungen unterschiedlichster neuer pädagogischer und auch psychologischer Erkenntnisse fallen, entschlossen sich Karl Baer, ein Architekt, und seine amerikanische Frau Christine, eine Schülerin von Emile Jaques-Dalcroze, eine Rhythmik-Schule in Hellerau zu gründen. Christiane Baer gab Neill die Chance, in dieser "Neuen deutschen Schule" eine internationale Schule nach seinen Vorstellungen zu gründen. Bereits 1921 kristallisierten sich in Hellerau bestimmte Elemente heraus, die Neills Erziehungsstil bis zu seinem Lebensende bestimmen sollte. So nahm er beispielsweise die Form des "Self-government" wieder auf. Außerdem war die Teilnahme am Unterricht freigestellt. Auch die sogenannten "Private lessons" fanden hier ihren Ursprung, auf die ich später noch genauer eingehen werde. "Brillante Unterrichtsmethoden" lehnte Neill jedoch schon hier ab. "Das Interesse sollte aus dem Kind selbst kommen, und dieses Dinge-interessant-machen ist falsch." (zit. n. Kühn 1995, 54). Seine Idealvorstellungen in bezug auf das Lehrerkollegium ließen sich hier nur schwer realisieren. Sowohl Lehrkräfte als auch Schüler und Schülerinnen waren in dem Schulheim untergebracht, deren Geschäftsführung von Lilian Neustätter übernommen wurde. In Hellerau entstand sein viertes Buch mit dem Titel "A Dominie Abroad", das von den Erlebnissen in Deutschland berichtet. Als jedoch 1923 ein kommunistischer Putsch einen Bürgerkrieg in Sachsen ausbrechen ließ und immer mehr Eltern ihre Schüler und Schülerinnen von dieser Schule holten, mußte die Schule ihren Betrieb einstellen. Ein ehemaliges Kloster auf dem Sonntagberg in Österreich erschien Neill dann geeignet für die Fortsetzung des Schulbetriebs. Lilian Neustätter übernahm weiterhin die Leitung des Schulheims. "Regulärer Unterricht fand an dieser Schule nicht statt - wenn die Kinder Fragen hatten, wurde eine Gruppe gebildet, die sich mit bestimmten Sachverhalten auseinandersetzte. Es wurden einfache Fotoapparate gebastelt oder mit Ton keramische Experimente vorgenommen." (Croall 1983, 128). Doch dort stieß diese Schule auf heftigen Widerstand der Bevölkerung und seitens der Schulbehörde. Gründe hierfür waren, daß weder Religionsunterricht noch Leibesübungen oder hauswirtschaftlicher Unterricht erteilt wurde, was für österreichische Schulen verpflichtend war. Die Dorfbewohner monierten aufs heftigste, daß Mädchen sich im Badeanzug in der Sonne badeten und auch Schüler nackt auf dem Schulgelände herumliefen. Daraufhin wurde entschieden, die Schule nach England zu verlegen. 2.1.6. "Summerhill" Ende 1924 reiste Neill mit einer kleinen Gruppe nach England. Er kaufte sich zunächst ein Haus in Lyme Regis in der Grafschaft Dorset. Das Haus wurde Summerhill genannt. In der Oktoberausgabe der Zeitschrift "New Era" erschien die folgende Notiz: "A.S. Neill [...] hat seine Internationale Schule heimgebracht und sich in Summerhill, Lyme Regis, niedergelassen. Er spezialisiert sich auf Problemkinder und sagt, daß er Jungen und Mädchen aufnehmen will, die an anderen Schule beschwerlich, faul, träge, antisozial sind. Standhaft weigert er sich, Kompromisse einzugehen." (zit. n. Kühn 1995, 64). Die Schule setzte sich zunächst aus fünf Schüler und Schülerinnen zusammen, die bereits auf dem Sonntagberg in Österreich dabeigewesen waren, und von denen nur drei die Schulgebühren bezahlten. 1926 erschien Neills achtes Buch "The Problem Child", was die Popularität seiner Schule schlagartig erhöhte. Er versuchte mit diesem Buch zu verdeutlichen, daß die moralbetonte Erziehung der Eltern die Erziehung der Kinder nachhaltig beeinflusse. Die Veröffentlichung des Buches bewirkte zum einen ein Ansteigen der Zahl der Schüler und Schülerinnen und zum anderen ein Ansteigen der Problemkinder. Die "Private lessons", Einzelgespräche mit den Schüler und Schülerinnen, wurden hier von Neill aufgenommen. Auch wurden bereits in den ersten Gründerjahren die einmal wöchentlich stattfindenden Schulversammlungen durchgeführt. Neill, der der Institution Ehe eher skeptisch gegenüberstand, heiratete Lilian Neustätter "der Schule wegen: ich mußte mich ehrbar und solide geben." (Neill 1972, 271). Sie unterrichtete nicht nur Fächer wie Stenographie, Schreibmaschinenschreiben, Geschichte, Deutsch und Englisch, sondern sie regelte auch die finanziellen Angelegenheiten. Desweiteren kümmerte sie sich um die "Hausmütter", die im Zusammenhang mit der steigenden Schülerzahl eingestellt wurden. 1927 wurde die Schule nach Leiston der Grafschaft Suffolk verlegt. "Ich bedauerte es nicht, als der Mietvertrag auslief. Ich kaufte mir einen alten rundnasigen Morris Cowley und reiste entlang der Südküste auf der Suche nach einem Haus. Ich sah einige Schönheiten, die bis zu 20 000 Pfund kosten sollten. Dann erweiterte ich meine Suche auf die Ostküste, und das Haus in Leiston war das letze auf meiner Liste. Der Preis betrug nur 3250 Pfund, und wir nahmen für den Kauf eine Hypothek auf." (zit. n. Kühn 1995, 68f). Die Schule zählte nun bereits 31 Schüler und Schülerinnen. Die durch die Herausgabe weiterer Bücher Neills und seine Vortragsreisen hervorgerufene Popularität bewirkten, daß 1932 eine Warteliste für die Aufnahme in Summerhill bestand (vgl. Croall 1983, 7) Als der Zweite Weltkrieg einsetzte, wurde das Schulgebäude in Leiston requiriert und ein "Notquartier" in Festiniog in Nord-Wales gefunden, wo Neill und die Schüler und Schülerinnen fünf Jahre lang lebten. "Vor Bomben sind wir in Wales zwar sicher, aber das Wetter ist ständig regnerisch und schwächt den Tatendrang, und man ist isoliert von Kultur und Gesellschaft." (zit. n. Kühn 1995, 84). Diese Zeit verbindet Neill mit vielen negativen Erinnerungen. Zum einen empörten sich die Dorfbewohner über ihr "heidnisches Benehmen" (vgl. Neill 1972, 155), zum anderen verstarb seine Frau an den Folgen eines Schlaganfalles. Neill behauptete, daß diese Schule kein richtiges Summerhill war, denn Eltern schickten ihre Kinder dorthin, um sie in Sicherheit vor dem Krieg zu wissen. Nach dem Krieg wurden diese Kinder wieder zurückgeholt. 1945 kehrte Neill zurück nach Summerhill. "Vielleicht war der froheste Tag in meinem Leben der, an dem ich 1945 nach dem verhängnisvollen Zwischenspiel in Wales nach Leiston zurückkehrte. Die Schule war in einem schlimmen Zustand. Die Armee hatte sie fünf Jahre lang gehabt und in dieser Zeit mehr Schaden angerichtet, als die Kinder in 25 Jahren angerichtet hätten, aber das alles machte nichts aus." (Neill 1972, 183). Er hat diesen Schritt nie bereut, denn wie er schreibt, ist das Klima erfrischend und "die elf Morgen Land stellen ein Paradies für die Kinder dar" (Neill 1972, 185). Hier heiratete er dann Ena Wood, die ursprünglich als Küchengehilfin nach Festiniog gekommen war und bald zu Neills "Sekretärin" avancierte. Zu diesem Zeitpunkt war Neill 61 und Ena 34 Jahre alt. Neill behauptet, daß er in keinem anderen Land Summerhill hätte gründen können, da England zu den freiesten Ländern zählt. Englische Schulen, ob öffentlich oder privat, unterstehen der Kontrolle des Erziehungsministeriums. 1949 wurde die Schule zum ersten Mal von Schulinspektoren kontrolliert. Der Bericht der Schulinspektoren ist in seinem Werk "Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung" erschienen. Die Aufgabe der Schulinspektoren war es, sich über schulische Dinge und den Unterricht zu informieren. Das Ministerium für Erziehung und Wissenschaft toleriert Schulen wie Summerhill, erkennt sie aber nicht öffentlich an. Solche Besuche beunruhigten Neill immer sehr stark, da die Inspektoren eher bemüht sind, ein Bild vom Wissensstand der Schüler und Schülerinnen zu erhalten, als sich über Zufriedenheit, Glück, Aufrichtigkeit, Ausgeglichenheit und Toleranz der Kinder zu informieren, wie es sich Neill sehr gewünscht hätte. Wenn eine Privatschule in England als leistungsfähig gelten möchte, muß sie die staatliche Anerkennung beantragen, und erst eine Inspektion entscheidet über die Gewährung. Neill hat diesen Antrag nie gestellt, weil es mit seiner Grundeinstellung nicht vereinbar gewesen wäre. Er vertrat die Position, "daß man nichts wirklich Wichtiges lehren kann. Mathematik, Englisch, Französisch ja, aber nicht Güte, Liebe, Aufrichtigkeit." (Neill 1972, 194). Aus diesem Grund betrachtete Neill die staatlichen Inspektoren als unfähig, seine Schule überhaupt beurteilen zu können, da die von ihnen angelegten Kriterien bezüglich der Qualität des Unterrichts allesamt den "weniger wichtigen" zuzuordnen wären. Da diese Inspektoren jedoch in der Lage gewesen sind, Summerhill zu schließen, mußte er gezwungenermaßen mit ihnen kooperieren und verhielt sich kompromißbereit, indem er sich an Bestimmungen und Vorschriften hielt, die zum Beispiel das Schulgebäude betrafen. 2.2. Sozialpädagogische und psychoanalytische Mentoren 2.2.1. Homer Lane Die Ansichten des anglo-amerikanischen Erziehers und Psychologen Homer Lane (1875-1925) übten einen sehr großen Einfluß auf Neill aus. Wie aus dem zweiten Teil seiner Autobiographie hervorgeht, hat nichts so stark sein Leben beeinflußt wie Lane (vgl. Neill 1972, 168). Er lernte von ihm eine andere, ihm bis dahin unbekannte Art des Umgangs mit Kindern (vgl. Neill 1972, 169). Nach seiner Begegnung mit Lane spricht Neill von einer "neuen Welt", die er durch Lane kennengelernt hatte (vgl. Schmidt-Herrmann 1987, 13). Obwohl Lane einen nachhaltigen Einfluß auf Neill und seine Schule Summerhill ausübte und Parallelen beider Konzepte unübersehbar sind, wird dem Laneschen Erziehungskonzept wenig Bedeutung zugesprochen. Außer in den von Neill publizierten und ins Deutsche übersetzten Büchern findet man kaum einen Hinweis auf Lanes Erziehungsexperiment. Deshalb halte ich es für angebracht, auf Lanes Erziehungsmodell und seine Grundlagen einzugehen. Lane war zunächst als Slöjd-Lehrer tätig, wodurch er erstmals mit reformpädagogischen Ansätzen in Berührung kam. 1907 gründete er die "Ford Republik", ein Rehabilitationszentrum mit selbstverwalteter Gemeinschaft für Jugendliche. Lane vertrat die Auffassung, daß die straffällig gewordenen Jugendlichen statt eine Haftstrafe im Gefängnis abzusitzen, ihre Angelegenheiten und die der Gemeinschaft in Freiheit und eigener Verantwortung zu regeln lernen sollten. 1913 ging Lane nach England, um beim Aufbau des von George Montagu, dem späteren Lord Sandwich, gegründeten Heimes "Little Commonwealth" (ein Heim für 40 bis 50 verwahrloste Jugendliche) mitzuhelfen, dessen Leitung er bis zu dessen Schließung im Jahre 1918 übernahm. Danach ließ sich Lane in London als Psychotherapeut nieder. Grund für die Schließung war die Tatsache, daß Lane angeblich Geldgeschenke von einer Patientin annahm. Außerdem soll er straffällig gewordene Mädchen verführt haben. Später mußte er sich sogar wegen der Verführung von Patientinnen vor Gericht behaupten. Sein Name wurde dadurch eher mit dem gesellschaftlichen Skandal als mit seinen Erfolgen bei der Arbeit mit straffällig gewordenen Kindern in Verbindung gebracht. Lane führte als einer der ersten Jugendkriminalität auf eine harte, lieblose Erziehung zurück. Ferner vertrat er die Auffassung, jugendliche Delinquenten seien durch Lob und Zuwendung und nicht durch Strafe zu bessern. Er glaubte an ihre "guten" Eigenschaften und schenkte ihnen Vertrauen. Durch den Verzicht von Zwang und durch das Prinzip der Selbstverwaltung der Gemeinschaft sollte den Jugendlichen die Gelegenheit zur Resozialisierung gegeben werden. Da Lane der Ansicht war, daß jeder Lehrer sich einer Analyse unterziehen sollte (vgl. Neill 1972, 168), beschloß auch Neill, sich von Lane analysieren zu lassen. Er behauptete später, daß diese Analysen ihn nie emotional berührten, vielmehr lernte er von Lane den Umgang mit Kindern. "Sein Grundsatz war: Man muß auf der Seite des Kindes sein." (Neill 1972, 169). Lanes Menschenbild ist optimistischer Natur. Er verneint die angeborene Sündhaftigkeit und bejaht die Güte des Menschen. "Lane was given to saying that he believed in original goodness, and not original sin." (Croall 1983, 82). In dem aggressiven Verhalten krimineller Jugendlicher sah Lane ein Produkt fehlerhaft entwickelter Eigenschaften. In diesem Sinne lehnte Lane es ab, bei diesen Jugendlichen von "Unmoral" zu sprechen und pflegte zu sagen, daß hinter jeder bösen Tat immer ein gutes Motiv stecke (vgl. Neill 1969, 144). Die unterschiedlichen Vergehen eines Menschen betrachtete Lane als äußere Anzeichen für die soziale und gesellschaftliche Desorientierung, in die dieser Mensch hineingeraten war. In Lanes "Little Commonwealth" galt es deshalb Vertrauen, Verantwortung und den Glauben an sich und in den anderen in jenen Menschen zu stärken, die diesen Glauben nie entfaltet bzw. wieder verloren hatten. Die Theorie, die Lanes Erziehungsmethoden zugrundeliegt, entwickelte sich aus seinen praktischen Erfahrungen mit straffälligen Jugendlichen und soll im folgenden kurz dargestellt werden. Lanes erste Erfahrungen mit Kriminellen zeigten ihm, daß der Mensch von Natur aus gut sei, und erst durch mangelnde Freiheit in der Kindheit in die Dissozialität gerät. Daraus resultierte, daß den straffällig gewordenen Kindern zunächst ihre Selbstachtung und Selbstvertrauen durch soziale Anerkennung wiedergegeben werden müsse. Lane führte die Selbstverwaltung ein, in der jeder einzelne für die Aufgabe und das Bestehen der Gemeinschaft verantwortlich ist. Bei dem Versuch der Resozialisierung von straffälligen Jugendlichen hat Lane auf Zwang und Strafe verzichtet. Besonders auffallend ist die Tatsache, daß Lane bei dem Umgang mit den Jugendlichen darauf bedacht war, die Erziehungsmethode des "Wohlwollens und der Liebe" anzuwenden. Dies setzt voraus, daß der Erwachsene sich prinzipiell "auf die Seite des Kindes stellt", d.h. den Heranwachsenden grundsätzlich als Gleichberechtigten anerkennt und ihm Liebe und Anerkennung entgegenbringt. Lane "kurierte" seine Jugendlichen häufig, indem er versuchte, ihre Straftaten in einem zumutbaren Rahmen zu übertreffen, um ein besseres Vertrauensverhältnis zu den Jugendlichen aufzubauen. Diesem Vorgehen liegen folgende Auffassungen zugrunde: Er ging davon aus, daß ein fortwährender Konflikt zwischen den Forderungen der Triebe und der Gesellschaft besteht. Nach Lane sind die triebhaften Wünsche von der Natur und gleichzeitig von Gott geschaffen und deshalb müssen sie gut sein. Die Natur bezeichnet er demnach als "Mother nature". "Mother Law" bezeichnet dagegen die Korrektur durch die Gesellschaft und das Ausüben der elterlichen Funktion. Beide Tendenzen stehen im Widerspruch. Leicht kann ein Konflikt zwischen den triebhaften Wünschen und den Forderungen der Gesellschaft entstehen, sobald beispielsweise elterliche Verbote von strengen "Moralpredigten" begleitet sind. Moralisierendes Verhalten seitens der Eltern beinhaltet zwei Gefahren: Zum einen werden Angst und Haß beim Heranwachsenden hervorgerufen und zum anderen könnte beim Kind die Überzeugung hervorgerufen werden, daß der eigene Weg, das Abweichen von den Vorstellungen der Eltern, mit dem Verlust der elterlichen Liebe verbunden ist (vgl. Schmidt-Herrmann 1987, 25). Lane vertrat die Auffassung, daß Kinder, die in den frühen Jahren ihrer Kindheit in den Genuß einer Erziehung kamen, die auf jegliche Angsterzeugung und moralischen Druck verzichtete, weder neurotisch noch straffällig werden. Eine freie Atmosphäre war für Lane unerläßlich, denn ohne sie kann keine pädagogische Beeinflussung in Richtung Gemeinschaft stattfinden. Was Freiheit für Lane bedeutete, soll mit dem folgenden Beispiel sichtbar gemacht werden. Dabei ist eine auffallende Parallelität zu Neill erkennbar. "Ein Junge riß aus dem "Little Commonwealth" aus. Lane lief ihm nach und holte ihn ein. Der Junge, der an Schläge gewohnt war, hob schützend seinen Arm. Lane lächelte und drückte ihm Geld in die Hand. ,Wofür?' stammelte der Junge. ,Nimm den Zug nach Hause', sagte Lane, ,Du brauchst nicht zu gehen'. Der Junge kehrte am gleichen Abend ins Commonwealth zurück." (Neill 1969, 254). Das Prinzip der Freiheit kannte jedoch auch hier seine Grenzen, denn es existierten Regeln, die für alle verbindlich waren und in der einmal wöchentlich stattfindenden Versammlung gemeinsam besprochen und aufgestellt worden waren. Zuwiderhandlungen wurden damit geahndet, daß der Betroffene solange nicht an gemeinschaftlichen Aktivitäten teilhaben konnte, bis er sich selbst wieder entschloß, eine für die Gemeinschaft nützliche Tätigkeit aufzunehmen. So fügte sich jeder in die Notwendigkeit des Zusammenlebens wieder ein, wenn er im "Little Commonwealth" bleiben wollte. Die Auffassung, daß das Kind sich nur in Freiheit entwickeln kann, vertrat auch Neill. Eines der wichtigsten Prinzipien des Erziehungskonzepts nach Lane war die Selbstverwaltung ("self-government"). Sie wurde in einer Gemeinschaft praktiziert, die nach demokratischen Gesichtspunkten aufgebaut war. Das Verhältnis zwischen Erwachsenen und Heranwachsenden war gleichberechtigt. Eine in einer Gemeinschaft festgelegte Verfassung sollte grob das Zusammenleben regeln und koordinieren. Die Angelegenheiten, die die Jugendlichen betrafen, wurden so in der Versammlung von ihnen selbst geregelt. Nachdem Neill seinen Plan, im "Little Commonwealth" zu unterrichten, wegen dessen Schließung nicht verwirklichen konnte, nahm er Lanes Angebot, sich von ihm analysieren zu lassen, an. Wie aus Neills Autobiographie hervorgeht, ist eine positive Beeinflussung durch Lanes Erziehungsmethoden zu erkennen, und nicht - wie zu erwarten - durch seine Analyse. Neill vertrat nämlich die Auffassung, daß Lane besser geeignet war, "sich mit aus der Bahn geworfenen Kindern zu beschäftigen", als "mit neurotischen Erwachsenen (Neill 1972, 169). Lanes Methoden bezüglich Kindererziehung stellten für Neill eine "Offenbarung" dar (Neill 1972, 169). Die Bekanntschaft mit Lane führte dazu, daß Neill nicht nur Erkenntnisse über die pädagogische Psychologie, sondern auch über die Psychoanalyse gewann. So wurde Neill der Anreiz gegeben, seine bis dahin vage formulierten Erziehungsgedanken zu vertiefen und wissenschaftlich zu unterlegen. Die Heranführung Neills an die Psychoanalyse wird als eine bedeutende Leistung Lanes angesehen. "Perhaps Lane's most important action was to introduce Neill to the revolutionary ideas of Sigmund Freud and his fellow-psychoanalysts in Vienna." (zit. n. Croall 1983, 85). An anderer Stelle wird der Einfluß Lanes auf die Erziehungsvorstellungen von Neill nochmals deutlich: "Neill's two years as a pupil of Lane gave him both the momentum and the inspiration to clarify his goal, which was now to work with children the Little Commonwealth way." (Croall 1983, 96). Dazu Neill: "He [Lane] came along amongst a rather dull set of people with set ideas, people who knew, or thought they knew, what a child should be. [...] He was the first man who simply said, we don't know a damm thing about children upon them. That's what I got from Lane." (Croall 1983, 96). In dieser Äußerung wird deutlich, daß das Verstehen der Kinder durch Beobachtungen erfolgt und daß Erziehung gelernt werden muß. Diese Haltung gegenüber dem Heranwachsenden sollte in der Folge für Neill eine bedeutende Stellung einnehmen. 2.2.2. Sigmund Freud Durch Lanes Heranführung an Freuds wissenschaftliche Arbeiten setzte sich Neill erstmals mit der Tiefenpsychologie auseinander, auf die im folgenden näher eingegangen werden soll. Die Theorie der Tiefenpsychologie besagte, daß Kindheitserlebnisse eine wichtige Rolle im späteren Leben spielen, d.h., daß die Eindrücke, die das Kind innerhalb der Familie sammelt, die Bildung seines Charakters und die Gestaltung seiner Persönlichkeit maßgeblich beeinflussen. Ein seelisch kranker Mensch wäre also ein Produkt unverarbeiteter Kindheitserlebnisse. Auch Neill war der Auffassung, daß ein enger Bezug zwischen neurotischen Fehlentwicklungen und frühen Kindheitserlebnissen besteht. "Neill was one of those who, from observation as much as from intellectual conviction, believed that adult neuroses could be put down to experiences in early childhood." (Croall 1983, 151). Für Neill waren folgende Faktoren Auslöser von Neurosen: Strenge, unrealistische und überhöhte moralische Anforderungen, Unaufrichtigkeit der Eltern in bezug auf sexuelle Fragen und unnötige Strafen. Freud meinte, daß Kindheitserlebnisse einen kontinuierlichen Einfluß -zu gleichen Teilen bewußt wie unbewußt- auf das menschliche Handeln ausüben. Diese Entdeckung des Unbewußten bezeichnete Freud als die dritte Ernüchterung der Menschheit. Welche Konsequenzen dies für die Pädagogik Neills hatte, formulierte er wie folgt: "Freud sagt, das Unbewußte sei unendlich viel wichtiger als das Bewußte. Ich sagte mir deshalb: ,In meiner Schule wird es keine Mißbilligung, keine Strafen, keine Moralpredigten geben'." (Neill 1969, 270). Fehlverhalten soll in diesem Sinne als Irrtum, nicht als Böswilligkeit gesehen werden. Daraus ergab sich für Neill, daß es sinnlos sei, ein Kind für seine Fehler zu bestrafen oder Moralpredigten zu halten, weil die Triebe des Handelns dem Kind nicht bekannt bzw. unbewußt wären. Neill lehnte die strafende Haltung eines Erziehers ab und forderte ihn statt dessen auf, zu versuchen, das Kind und den Grund des Fehlverhaltens zu verstehen. "Wenn man mit Kindern zu tun hat, muß man sich der Tiefenpsychologie bedienen. Es geht darum, die verborgenen Motive ihres Verhaltens zu finden. Ein bestimmter Junge verhält sich asozial. Aber warum? Die Symptome sind unübersehbar, denn sie fallen einem auf die Nerven. Vielleicht tyrannisiert er andere, vielleicht stiehlt er, vielleicht ist er ein Sadist. Was sind die Gründe dafür? Der gereizte Lehrer tobt und straft, aber wenn er sich ausgetobt hat, ist das Problem nach wie vor ungelöst." (Neill 1969, 268). Freud vertrat die Auffassung, daß der Sexualtrieb eine zentrale Bedeutung für das seelische Gleichgewicht des Menschen einnimmt und daß infolge verfehlter Sexualerziehung und mangelnder Aufklärung der menschliche Sexualtrieb verkümmern kann. Unaufgeklärte Menschen können damit nach Freud an seelischen Störungen leiden. Daraus resultierend forderte Freud ein Erziehungsklima, in der Sexualität nicht als etwas "Niedriges" und "Verabscheuenswürdiges" dargestellt wird (vgl. Schmidt-Herrmann 1987, 49). Wie Freud betrachtete auch Neill lange Zeit die Sexualität als die stärkste Triebkraft im menschlichen Verhalten (vgl. Neill 1969, 198). Auch er glaubte, daß eine traditionell moralische und sexualverdrängende Erziehung zu Neurosen bei Kindern führen könne. Neill kritisierte die gängige Moralerziehung und ließ die sexuelle Aufklärung zu einem zentralen Punkt seiner Erziehungskonzeption werden. Kindliches Fehlverhalten war seiner Meinung nach oft die Folge von sexueller Unterdrückung. "Freud hat nachgewiesen, daß jeder Neurose sexuelle Verdrängung zugrunde liegt. Ich sagte mir deshalb: Ich werde eine Schule gründen, in der es keine sexuelle Verdrängung gibt." (Neill 1969, 270). 2.2.3. Wilhelm Reich Seit Mitte der dreißiger Jahre unternahm Neill Vortragsreisen nach Schweden und Norwegen, wo er begeisterte Zuhörer fand. Neill begegnete Wilhelm Reich zum ersten Mal im Jahre 1937. "Ich hielt eine Vorlesung an der Osloer Universität, und danach sagte der Professor zu mir: ,Heute abend war ein berühmter Mann unter Ihren Zuhörern, Wilhelm Reich'. ,Mein Gott', sagte ich, ,ich habe gerade auf dem Schiff seine ,Massenpsychologie des Faschismus' gelesen'. Ich rief Reich an, und er lud mich zum Essen ein. Wir unterhielten uns bis spät in die Nacht hinein, und ich war fasziniert." (Neill 1972, 175). Reich, der frühzeitig aus Österreich vor den Nationalsozialisten geflohen war, ließ sich als Analytiker in Norwegen nieder. Er war ein Schüler Freuds, löste sich jedoch 1933 von dessen Lehre und ging in der Psychoanalyse eigene Wege. Reich stellte die Verbindung zwischen Psychoanalyse und marxistischer Gesellschaftskritik her. Er vertrat die Auffassung, daß der Kommunismus zu einem bürokratischen Staat erstarren würde, wenn er keine sexuelle Revolution erfahren würde. Reich glaubte außerdem erkannt zu haben, daß die Unterdrückung jugendlicher Sexualität ein Mittel der herrschenden Klasse sei, die gesellschaftliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Neill entschied sich im November 1937, sich einer Analyse bei Wilhelm Reich in Norwegen zu unterziehen. Gründe hierfür war sicherlich zum einen die Sympathie, die er Reich entgegenbrachte, und zum anderen auch die Übereinstimmung seiner Vorstellungen mit denen von Reich. Reich hatte festgestellt, daß Muskelverspannungen mit emotionalen Funktionen verknüpft sind. Daraus entwickelte sich die sogenannte Vegetotherapie. Anfangs therapierte Reich seine Patienten, indem er ihnen diese Verknüpfung erklärte, und später wendete er gezielte Massagen an. "Er sagte, ich könnte nur etwas lernen, wenn ich mich seiner vegetativen Therapie unterzöge, was bedeutete, daß ich nackt auf dem Sofa lag, während er meine steifen Muskeln bearbeitete. [...] Es war eine anstrengende und oft auch schmerzhafte Therapie, aber innerhalb weniger Wochen fand ich mehr emotionale Befreiung, als ich je bei Lane, Maurice Nicoll oder Stekel gefunden hatte". (Neill 1972, 173). Jeden weiteren Aufenthalt in Norwegen nutzte Neill, um sich von Reich therapieren zu lassen, bis Reich 1939 in die USA emigrierte und ein intensiver Briefwechsel aus dem Patient-Therapeut-Verhältnis eine tiefe Freundschaft entstehen ließ. "Meine Verbindung mit Reich wirkte sich jedoch nicht auf meine Schularbeit aus. Summerhill hatte schon sechsundzwanzig Jahre bestanden", schrieb Neill 1967, "als ich ihn kennenlernte, und das Zusammentreffen änderte an der Schule direkt nichts" ( zit. n. Kühn 1995, 80). Es ist jedoch bekannt, daß Neill die Techniken der "Vegeto-Therapie" im Kriegsverlauf an Summerhill-Schüler und Schülerinnen versuchte zu praktizieren. Neill schrieb in einem Brief an Reich: "Ich veg-therapiere 4 Mädchen und 4 Jungen, alles Jugendliche. Oft wünsche ich mir, ich könnte deinen Rat einholen, aber ich glaube, es ist besser, daß es nicht geht." (zit. n. Placzek 1982, 183). Die Anwendung derartiger Therapiepraktiken konnte jedoch nicht konsequent durchgeführt werden, denn im religiösen Wales hätte es die Schließung der Schule bedeutet, wenn solche Praktiken an die Öffentlichkeit gedrungen wären. "Es gibt da Probleme. Als Laie darf ich keine nackten Jungen oder Mädchen im Badeanzug behandeln - es kann mir zumindest übles Gerede einbringen -, und sie mit Schichten von Kleidung bedeckt zu behandeln ist unbefriedigend. Ein größeres Problem ist meine Unkenntnis der Anatomie. Ich könnte leicht eine geschwollene Drüse am Hals für eine Muskelverspannung halten." (zit. n. Placzek, 1982, 360). Außerdem benutzte Neill in Summerhill einen von Reich konstruierten "Orgon-Akkumulator", eine mit Blech ausgeschlagene Kiste, in die man sich unbekleidet setzen sollte, um - wie Reich experimentell nachzuweisen versuchte - durch bioelektrische Kräfte positive Einwirkungen auf den Organismus zu erfahren (vgl. Kühn 1995, 94). Neill unterzog eine kurze Zeit Lehrer sowie Schüler und Schülerinnen dieser Therapie. Die Therapie durch Reich hatte für Neill einen sehr hohen persönlichen Nutzen: "Er erweiterte meinen Gesichtskreis und vertiefte meine Selbsterkenntnis; er merzte die Überbleibsel schottisch-calvinistischer Anschauungen über Sex bei mir aus, indem er mir zeigte, daß meine Bejahung sexueller Spiele unter Kindern eine nur vom Verstand und nicht vom Gefühl bestimmte Bejahung gewesen war." (Neill 1972, 176). Reich wurde im Mai 1956 wegen "Mißachtung des Gerichts" zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, denn er hatte einem früheren Gerichtsentscheid nicht Folge geleistet, seine Bücher und Apparaturen zu vernichten. Er wurde während der kommunistischen "Hexenjagd" in der McCarthy-Ära als "Kommunist" bezeichnet und in Haft genommen und starb am 3. November 1956 in seiner Zelle an Herzversagen. Auf einige grundlegende Gedanken Reichs und deren theoretischen Verbindungen zu Neills Erziehungstheorie wird im folgenden eingegangen werden. Zum besseren Verständnis der Reichschen Theorie muß zunächst ihre Divergenz zu Freud näher beleuchtet werden. Einer der grundlegenden Punkte, in denen die Auffassungen von Freud und Reich nicht übereinstimmten, war die Frage des Menschenbildes, insbesondere der Natur der menschlichen Aggression. Freud behauptete, daß die Aggression ein angeborener Trieb sei und daß die Beziehung zur Zivilisation und zu sich selbst am besten als ein Konflikt zwischen den konkurrierenden Trieben des Thanatos (Tod) und Eros (Liebe) und der Realität beschrieben werden könne (vgl. Schmidt-Herrmann 1987, 57). Die soziale Ordnung könne somit nach Freud nur auf dem Weg der Repression und Kontrolle der aggressiven Todestriebe durch autoritäre Institutionen aufrechterhalten werden. Reich distanzierte sich 1933 von dem Konzept des Todestriebes. Er vertrat die Auffassung, daß Gewalt und aggressive Charakterzüge aus einer autoritären und sexualfeindlichen Kindererziehung resultierten. Sexualtriebe und der Wunsch nach deren Befriedigung bildeten zentrale Punkte in dem Konzept von Reich. Hier findet eine Anlehnung an das Freudsche Triebmodell (Libidotheorie) statt, das besagt, daß die aus den sexuellen Funktionsstörungen resultierenden Energiestauungen den Schlüssel zum Verständnis der Neurose sind. Nach Reich ist der Mensch von Natur aus friedlich und liebend; das zentrale Moment individuellen Glücks war für ihn allerdings fast ausschließlich sexueller Natur. In seinem Buch "Die Funktion des Orgasmus" (1927) versucht Reich darzulegen, daß bei einem geregelten Sexualleben mit orgastischer Befriedigung weder aggressive Charakterzüge noch irgendeine Art von Neurose entstehen könnten. Nach Reich ist die ökonomische Dysfunktion der Libido als Ursache einer Neurose anzusehen (vgl. Skidelsky 1969, 146). Diese Libido-Energie hielt Reich für eine physikalische Energie, die er "Orgon-Energie" nannte. Nach Reich entstehen Neurosen durch einen Stau dieser Orgon-Energie, wodurch eine sexuelle Befriedigung verhindert wird. Diese aufgestaute Sexualenergie wird verwendet, um jenen neurotischen Charakter zu entwickeln, den Reich für die westliche Gesellschaft als typisch bezeichnet. Die Charakterstruktur eines neurotischen Individuums mache sich aber nicht nur psychisch sondern auch physisch bemerkbar, nämlich in Muskelverspannungen. Reichs Therapie bezog sich so zum einen auf die Beseitigung der Muskelverspannungen (Vegetotherapie) und zum anderen auf die Wiederherstellung der Orgasmuspotenz durch den "Orgonkasten", der die "Bionen oder Teilchen dieser Orgon-Energie einzufangen vermochte" (vgl. Skidelsky 1969, 147). Neill kritisiert in seiner Autobiographie dagegen, daß Reich der sexuellen Frage eine zu große Bedeutung beimißt, dabei jedoch die Bedeutung für die Kindererziehung vernachlässigte. "Reich schrieb über das sexuelle Elend der Jugendlichen, aber ich meine, das war eine Übertreibung, zumindest was den Mittelstand betrifft." (Neill 1972, 273). Nach Reich führt die Unfähigkeit, Lust zu empfinden und zu erleben, zu einer rigiden, autoritären Charakterstruktur. Dies sei eine Folge des Aufeinandertreffens von natürlichen Instinkten eines Kindes und der eine restriktive Erziehung begleitenden Frustrationen. Reichs Absicht war es, diese rigiden Charakterstrukturen durch einen sich selbst regulierenden Charakter zu ersetzen. Sein Ziel war die Abschaffung von Gewalt und Feindseligkeit im Charakter der Menschen. Die Prinzipien der Selbstregulierung wurden erstmals von Reichs engem Mitarbeiter Tage Philipson explizit formuliert. Danach soll bereits ein Säugling als ein Individuum mit eigenen und gleichen Rechten angesehen werden, dessen organisatorische Rhythmen respektiert werden müßten. Es müsse eine Säuglingspflege und Kindererziehung stattfinden, die die größtmögliche Rücksichtnahme auf die natürlichen Rhythmen des kindlichen Lebens in bezug auf Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, Schlaf, Spiel, Sauberkeit und Bewegung ermöglicht. Ein Kind, dessen Grundbedürfnisse befriedigt würden, lernte mit unausweichlichen Frustrationen besser umzugehen, als ein Kind, das seinen Rhythmus verloren und seine natürlichen Gefühle zu unterdrücken gelernt hatte (vgl. Schmidt-Herrmann 1987, 60). Die Theorie der Selbstregulation entwickelte Reich als Alternative zur erzieherischen Zwangsmoral. Ferner sah er eine Verhinderung von neurotischen Fehlentwicklungen in der Prophylaxe, d.h. in einer freiheitlichen und sexualbejahenden Erziehung der Kinder. Für Reich lag die zentrale Erziehungsaufgabe des 20. Jahrhunderts in der sexuellen Befreiung, d.h. einer Abschaffung der patriarchalischen Familie und einer freien Sexualerziehung und -aufklärung. Die Begegnung mit Neill bestärkte Reichs Bemühungen um eine Neurosenprophylaxe, denn er glaubte seine Ideen in Neills "Private lessons" wiedererkannt zu haben. Neill aber verneinte einen Reichschen Einfluß auf die Pädagogik von Summerhill. Nach Reich muß die Erziehung durch die Familie als unvollkommen beschrieben und als Ursache für die Ausbildung starrer Chrakterstrukturen angesehen werden. Diese Ansicht vertrat in Aufsätzen auch Neill, dennoch sah Neill die Familie als günstige Institution für die Kleinkinder-Erziehung an. Reich hingegen forderte, die Familienstruktur nach Möglichkeit durch eine Kollektiverziehung zu ersetzen, weil ein Kind in den ersten vier Lebensjahren eine sichere Bezugsperson brauche, da dies für das Werden der Persönlichkeit von besonderer Bedeutung sei. Er geht von dem Menschen als einen prinzipiell gutmütige Wesen aus, den die Gesellschaft in soziale Schranken weist. In der Befreiung der Gesellschaft von der Zwangsehe und der patriarchalischen Familie, die durch repressive Mechanismen teils wirtschaftlicher und teils sexueller Natur geprägt sind, sieht Reich eine sinnvolle Prophylaxe. Die von Reich angestrebte Gesellschaft sollte frei organisiert und weder durch politische Parteien noch Politiker gelenkt werden, sondern die Formierung sozialer Organisation sollte direkt in die nötigen Arbeitsaktivitäten einfließen, was Reich als die sich selbst regulierende "Arbeitsdemokratie" bezeichnete. Die in Summerhill verwirklichte Form der Selbstverwaltung weist Ähnlichkeiten zu der von Reich angestrebten freien Organisation der selbstregulierenden Arbeitsdemokratie auf. Die Kinder in Summerhill haben das Recht und die Aufgabe, die meisten wichtigen das Leben in der Schule betreffenden Entscheidungen selbst zu treffen, ohne sich autoritärer Kontrolle unterwerfen zu müssen. Die Arbeiten Reichs beeinflußten Neill in der Weise, daß er sich nicht mehr gezwungen fühlte, mit Problemkindern arbeiten zu müssen. Bislang hatte sich Neill ausschließlich auf die Heilung beschränkt, nun verlagerte sich sein Interesse mehr auf die Prophylaxe. Er erkannte, daß es sinnlos war, sich mit Kindern zu beschäftigen, die bereits irreparabel durch das Fehlverhalten der Eltern beschädigt worden waren. Er sah seine Aufgabe nun darin, die Kinder vor einer Fehlbehandlung zu schützen. Die Biographie Neills legt die Vermutung nahe, daß seine Sozialisation und sein weiterer Lebensweg in erster Linie die Genese seines Erziehungskonzepts initiierte. Insofern ließe sich sagen, daß das Sein Neills von elementarer Bedeutung für seine Bewußtseinsbildung gewesen war. Die Quintessenz der Neillschen Bewußtseinsbildung ist sicherlich die Pädagogik Neills, die im nächsten Kapitel ausführlicher betrachtet wird. 3. Oder bestimmt das Bewußtsein das Sein? - Die Pädagogik A.S. Neills Nachdem ich im vorigen Kapitel versucht habe, die Bewußtseinsbildung anhand des Lebens von A.S. Neill zu skizzieren, wende ich mich nun der daraus resultierenden Basis seiner Pädagogik zu. 3.1. Die anthropologischen Grundlagen der antiautoritären Pädagogik A.S. Neills 3.1.1. Die Erziehungsphilosophie Jean-Jacques Rousseaus Da sich Neills Menschenbild stark an das Rousseausche anlehnt, halte ich es für angebracht, an dieser Stelle Jean-Jacques Rousseaus Erziehungslehre näher zu betrachten, der von sich selbst behauptete, daß er "alle Kenntnisse vom Menschen habe" (zit. n. Weischedel 1975, 160). Rousseaus Erziehungstheorie liegen zwei entscheidende Anschauungen zugrunde: Das Kind ist wie jeder Mensch von Natur aus gut. Daraus folgt, daß die Kindheit etwas Wertvolles ist, das es möglichst lange zu erhalten und gegenüber den gesellschaftlichen Ansprüchen zu stärken gilt. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Kinder haben eine eigene Persönlichkeit, die es zu fördern und zu respektieren gilt. Erziehung darf nicht nur als Vorstufe zum Erwachsensein gesehen werden. Rousseau kritisiert vor allem, daß Kinder oft mit Wissen konfrontiert werden, für das sie eigentlich noch nicht reif sind und zu dem sie keinen Bezug herstellen können (vgl. van Dick, 1979, 19f). Da Rousseau den Menschen als prinzipiell gut betrachtet, der Mensch sich jedoch nicht gut verhält, muß es Gründe für dieses seiner Natur widersprechende Verhalten geben, die nicht in seiner Natur begründet liegen, sondern auf externe Einflüsse zurückgehen. Da Rousseau die Existenz einer guten respektive bösen "höheren Macht" negiert, sieht er die Ursachen für ein Verhalten des Menschen entgegen seiner natürlichen Veranlagung in der Gesellschaft, die von Menschen gebildet wird, die aufgrund des schlechten Vorbilds anderer ihre "gute Natur" zugunsten der eigenen Interesses überwunden haben. Der Mensch an sich ist nicht schlecht, die Gesellschaft macht ihn schlecht. Daraus ergibt sich für die Erziehungstheorie Rousseaus, daß die dem Individuum immanenten guten Anlagen gefördert und die negativen Einflüsse der Gesellschaft von ihm ferngehalten werden müssen. Rousseaus Erziehungstheorie wurde zum Vorbild einer ganzen Epoche der Pädagogik, indem er behauptete, daß Menschen alles, was sie sind und tun, aus sich selbst heraus sind und tun. "Der Mensch wird frei geboren" (zit. n. Weischedel 1975, 168), also nimmt Rousseau an, daß der ursprüngliche Zustand des Menschen durch Freiheit und Glück gekennzeichnet ist. Rousseau ist also - im Gegensatz beispielsweise zu den englischen Liberalisten des 17. Jahrhunderts, wie Thomas Hobbes - der Ansicht, daß der Naturzustand nicht vom Kampf aller gegen alle gekennzeichnet ist sondern von allgemeiner Harmonie, es also einen idyllischen Naturzustand vor der Gesellschaft gegeben haben muß. Die Betonung eines nicht-transzendenten externen Faktors, der die ursprüngliche Natur des Menschen gewissermaßen überwindet, findet man auch bei Neill in Gestalt der konventionellen Erziehung und der bürgerlichen Gesellschaft. 3.1.2. Neills Menschenbild Neills Menschenbild ist gekennzeichnet von dem prinzipiellen Glauben an das Gute im Menschen, was die Grundlage seiner Pädagogik bildet. "Wenn wir einen Säugling betrachten, dann wissen wir, daß an ihm keine Schlechtigkeit ist. [...] Das Neugeborene bringt eine Lebenskraft mit, seinen Willen, seinen unbewußten Drang zu leben." (Neill 1969, 234). Neill ist davon überzeugt, daß das Kind alle Voraussetzungen besitzt, das Leben zu lieben und am Leben interessiert zu sein. Jede natürliche Neigung zum Schaden des anderen negiert er jedoch; es gibt für ihn weder aggressive noch destruktive Triebe, weder einen Grausamkeits- noch einen kriminellen Instinkt (vgl. Neill 1969, 248 u. 351) "... noch irgendeine natürliche Neigung zur Böswilligkeit" (Neill 1969, 251). Er sieht die Persönlichkeit des Menschen als die Summe der Eigenschaften, die dieser im Kontakt mit seiner Umwelt und insbesondere der Erziehung durch Elternhaus und Schule erworben hat. Außerdem ist der Mensch oftmals durch emotionale Momente beeinflußt. Jeder Mensch bildet demnach einen Charakter aus, der durch die Erziehungs- und Umwelteinflüsse in der Kindheit geformt wird. Diese frühen Bildungsprozesse sind relevant für die Entstehung eines im psychologischen Sinne gesunden oder kranken Menschen. Neill kommt zu der Erkenntnis, daß Entwicklungsschwierigkeiten, Entwicklungsstörungen und Neurosen in der Kindheit ihren Ursprung finden. "Das schlechte Betragen eines Kindes ist ein sichtbarer Beweis dafür, daß ein Kind falsch behandelt worden ist. Das durchschnittliche Kind akzeptiert das Wissen der Eltern - in einer Atmosphäre der Liebe." (Neill 1969, 162). Er sieht im Menschen kein Abbild Gottes, dessen Schicksal vorbestimmt ist, sondern ein von physischen, psychischen und sozialen Faktoren seiner Umwelt beeinflußtes soziales Wesen. Ein Kind wird so ein Abbild derer, die ihn erziehen; so gelten beispielsweise die Eltern als erste Ansprechpartner, da vor allem sie die Erziehungsarbeiten ausführen. "Am gefährlichsten für die Kinder ist die Unwissenheit der Eltern. Im allgemeinen wird eine Mutter, die als Kind geschlagen wurde, ihr Kind schlagen. Ihre Haltung wird sein: ,Ich mußte als Kind gehorchen, also muß mein Kind auch gehorchen'. Die Eltern übernehmen einfach die autoritären Erziehungsmethoden ihrer eigenen Eltern und Großeltern." (Neill 1972, 14). Wenn Neill von der menschlichen Natur spricht, sind die eigenen Bedürfnisse, wie Nahrung, Bewegung, Sprechen, Sozialkontakt oder Liebesbeziehungen gemeint, nach deren Befriedigung der einzelne strebt. Darüber hinaus geht Neill davon aus, daß jedes Kind eine natürliche Lernbereitschaft und Wißbegierde sowie ein natürliches Streben nach einer Beschäftigung aufweist. Ein in Neills Sinne gut erzogener Mensch soll sich durch folgende Eigenschaften auszeichnen: "Er ist frei, daher harmonisch und glücklich; er haßt Gewalt und Zwang; er läßt sich nicht in die enge Zwangsjacke des Konformisten zwängen, sondern ist ein schöpferischer, origineller Individualist, er ist aufrichtig, selbstbewußt und tolerant." (Neill 1969, 44). 3.1.3. Neills Gesellschaftsbild "Unsere Gesellschaft ist krank und unglücklich. [...]. Es gibt kein problematisches Kind. Es gibt nur problematische Eltern. Vielleicht wäre es noch besser zu sagen: Es gibt nur eine problematische Menschheit." (Neill 1969, 112). Neill behauptet, daß die Gesellschaft schlecht ist, weil die Menschen durch Unfreiheit und Unterdrückung geformt sind. Mit der Gründung von der Schule Summerhill, der neue Erziehungsmethoden zugrundegelegt worden sind, beabsichtigt Neill die Befreiung der Menschheit von ihrem Unglück, zumindest derjenigen, denen es möglich ist, seine Schule zu besuchen. "Das Ziel unseres Lebens ist Glück. Alles Übel im Leben besteht in der Einschränkung oder Zerstörung des Glücks." (Neill 1969, 120). Damit das Individuum von Glück umgeben sein kann, muß es sich selbst überlassen werden. "Die Zukunft Summerhills selbst mag von geringer Bedeutung sein. Doch die Zukunft der Summerhill-Idee ist für die Menschheit sehr wichtig. Neue Generationen müssen die Chance erhalten, in Freiheit aufzuwachsen." (Neill 1969, 104). Neill kritisiert an der Gesellschaft, daß Kindern keine kindgerechte Erziehung zuteil wird, da Haß und Unterdrückung herrsche. Ferner behauptet er, daß Kinder durch Mißbilligung, Disziplin, Strafe und Moralpredigten erzogen werden. Die Ursache der kranken Gesellschaft liege in diesem Erziehungsverfahren; Neill spricht den Eltern die Hauptverantwortung für die Unterdrückung der Kinder zu. "Die Zukunft der Menschheit liegt in den Händen der neuen Eltern." (Neill 1969, 163). "Wir müssen auf der Seite des Kindes sein. Und das heißt, dem Kind Liebe zu geben, [...], sich so zu verhalten, daß das Kind sich geliebt und anerkannt fühlt." (Neill 1969, 125). Wie dieses geschehen soll, beschreibt Neill so: "Eltern müssen sich besinnen. Sie müssen sich lossagen vom Haß, der als Autorität und Kritik getarnt ist. Sie müssen die Intoleranz, diese Folge der Furcht, aufgeben. Sie müssen sich freimachen von alten Moralbegriffen und den Urteilen des Mobs. Einfacher gesagt: Die Eltern müssen Individuen werden." (Neill 1969, 126). Für Neills Theorie und Praxis ist ein neuer Mensch erforderlich, der die Erziehung und somit die Gesellschaft verändern kann. 3.2. Die Neillschen Erziehungsprinzipien Die entscheidenden Erziehungsprinzipien Neills sind die der Freiheit und der Selbstbestimmung, auf die im folgenden näher eingegangen werden soll. Neills Pädagogik ist durch das Verlangen nach Freiheit und Selbstbestimmung, nach Liebe und Sozialkontakt und nach einem schöpferischen und sinnerfüllten Leben geprägt. 3.2.1. Freiheit Eine der bedeutendsten Prinzipien seiner Erziehungsstrategie ist die Freiheit. Neill verzichtet auf Autorität zugunsten der Freiheit, womit er vor allem die Autorität der Lehrpersonen und der Eltern meint. "Es ist falsch, irgend etwas durch Autorität zu erzwingen. Das Kind sollte etwas so lange nicht tun, bis es selbst überzeugt ist, daß es das tun sollte [...] Freiheit heißt, tun und lassen zu können, was man mag, solange die Freiheit der anderen nicht beeinträchtigt wird." (Neill 1969, 123). "Leben nach eigenen Gesetzen, das ist das Recht des Kleinkindes auf freie Entfaltung, ohne äußere Autorität in seelischen und körperlichen Dingen. Das Kind bekommt zu essen, wenn es hungrig ist, es wird selber sauber und nur, weil es dies wünscht, und es wird weder angebrüllt noch geschlagen, sondern immer geliebt und beschützt." (Neill 1969, 115). "Es sind die Ideen der Nichteinmischung in das Heranwachsen des Kindes und des Verzichts auf jeglichen Druck, die Summerhill zu dem machen, was es ist." (Neill 1969, 103). Neill weist darauf hin, daß die Ausübung von Autorität unnötig die Freiheit behindert. Eine Welt völliger Freiheit ist eine Welt ohne Zwang, in der, so betont Neill immer wieder, freie Menschen sich selbst bestimmen können. "Im Gedanken der Freiheit verbindet sich die Sehnsucht junger Menschen nach einer glücklichen Zukunft mit den neomarxistischen, anarchistischen Zeitströmungen, die einen Abbau von Privilegien und Autoritäten fordern und die Freiheit von aller Unterdrückung und Fremdbestimmung durchzusetzen suchen." (Emden 1977, 122). Neill geht davon aus, daß jedes Kind von Natur aus gut ist. Deshalb benötigt es auch eine natürliche Umgebung, in der es seine Freiheit leben kann, um glücklich zu sein. "Wir machten uns also daran, eine Schule zu schaffen, in der die Kinder die Freiheit haben sollten, sie selbst zu sein." (Neill 1969, 22). Neills Parteinahme für das Kind, sein Glaube an das Gute im Kind bewirkte, daß es ihm Freundschaft und Verständnis entgegenbringen wollte. "David Wills, Homer Lane's biographer, suggested that Neill helped to get a child's-eye view of life, instead of expecting children to see things through adult eyes." (Croall 1983, 390). Neills Prinzip bedeutet, ein Kind allein zu lassen, nicht die Ideen der Erwachsenen auf die Kinder zu transformieren, sondern auf der Seite des Kindes zu stehen und seinem Tun und Handeln zu folgen versuchen. Entscheidend ist, daß ein Kind über eine ausreichende Selbstmotivierung zum Lernen verfügt. Außerdem kann es für sich selbst entscheiden, wann es zu lernen beginnen soll. Das Lernen basiert auf einer speziellen Notwendigkeit. "Never try to learn anything until the not knowing it has come to be a nuisance to you for some time." (Croall 1983, 391). Neill gelangte zu der Überzeugung, daß ein Kind erfolgreich lernen wird, sobald für das Kind ein Grund dafür vorhanden ist. Doch immer wieder betonte Neill, daß Kindheit gleich Spielzeit ist, und so kann es durchaus dazu kommen, daß ein Kind erst in höherem Alter die Notwendigkeit des Lernens erkennt. Nach Neills Auffassung ist es nur sinnvoll von Freiheit zu sprechen, wenn Freiheit mit gesundem Menschenverstand verbunden ist. Die Freiheit erfährt da ihre Grenzen, wo der Freiheitsanspruch des anderen einsetzt und "destruktive und aggressive Antriebe das Wohl aller in Frage setzen" (Engelmayer 1973, 28). Die wöchentlichen Schulversammlungen in Summerhill verkörpern seinen zentralen Glauben an die Güte des Kindes und zeigen in praktischer Form die individuellen Grenzen in einer solchen Gemeinschaft; doch die Grenzen, die der Freiheit innerhalb Neills Erziehung gesetzt sind, sind niemals durch die Autorität Erwachsener oder durch normative Vorgaben bestimmt. Zweck dieses wöchentlichen Zusammenkommens der Schüler und Schülerinnen ist, ihnen Freiheit, Verantwortung und Mut zum Diskutieren und zum Treffen von Entscheidungen hinsichtlich des Verhaltens zwischen Erwachsenen und Kindern zu geben. Die soziale Komponente des Lernens, wie das Lernen des Umgangs mit anderen Menschen, kommt hier zum Vorschein. Kinder, so glaubt er, haben einen Sinn für Gerechtigkeit und zeigen für Taten von Strafanfälligen oftmals bessere Einsicht. 3.2.2. Selbstbestimmung Innerhalb der sozialen Grenzen von Freiheit und Zügellosigkeit spricht Neill von Selbstregierung bzw. Selbstbestimmung. "Daseinszweck des Kindes ist es, sein eigenes Leben zu führen." (Neill 1969, 30). Nach Neill ist Selbstbestimmung nur durch Freiheit möglich. "Selbstbestimmung ist ein Verhalten, das aus dem Selbst hervorgeht, das nicht von außen aufgezwungen ist." (Neill 1971a, 11). Eine Erziehung, deren Zielperspektive die vollkommene, freie Selbstregulierung des Kindes bedeutet, ist nur unter dem absoluten Prinzip der Nichteinmischung in das Heranwachsen des Kindes möglich. Neills pädagogisches Credo besagt: "Die beste Beschäftigung für ein Kind ist die, die es sich selbst sucht." (Masthoff 1981, 62). Voraussetzung ist jedoch der Verzicht auf Autorität. Die spontanen Antriebe des Kindes sind Teil eines natürlichen Selbstentfaltungsprozesses, die in der Weise von den Erwachsenen akzeptiert werden müssen, daß Nicht-Tun, Wachsenlassen, Nicht-Lenken, Nicht-Eingreifen als Leitlinien der pädagogischen Praxis befolgt werden (vgl. Masthoff 1981, 62). Während die Rolle des Erwachsenen sich auf passives Respektieren und Akzeptieren beschränkt, bestimmen ausschließlich die Aktivitäten des Kindes sein Leben. 3.2.3. Glück als Ziel der Erziehung Höchstes Ziel Neillscher Bestrebungen ist das individuelle Glück. Dieser glückliche Mensch ist jedoch nicht das Produkt einer Gesellschaft, sondern das Resultat der Entfaltung seiner natürlichen und damit "guten" Anlagen. Für Neill liegt die Aufgabe der Erziehung darin, ein Kind auf das selbständige Leben vorzubereiten. Glück, Aufrichtigkeit, Ausgeglichenheit und Sinn für die Gemeinschaft (vgl. Neill 1969, 98), Zivilcourage und Wohlwollen (vgl. Neill 1971a, 16) sind Eigenschaften, die die Erziehung in Summerhill anstrebt. An gleicher Stelle schreibt er: "Unser Ziel ist, kurz gesagt, der ausgeglichene Erwachsene, der sich weder in die Dienste des Establishments, noch in die der Demagogie einspannen läßt." (Neill 1971a, 16). Im folgenden soll näher auf die Dominanz eines der wichtigsten Ziele der Neillschen Pädagogik eingegangen werden, das Ziel des Glücklichseins. Glück, sowohl das persönliche Glück als auch späteres Lebensglück, bildet eine der entscheidenden Grundlagen in Neills Erziehungskonzept. "Das Ziel des Lebens [besteht] darin, glücklich zu werden." (Neill 1969, 41). Neill sieht die Erziehung also in erster Linie als Hilfe zur individueller Gestaltung eines glücklichen Lebens. Glück bedeutet für Neill mehr als im herkömmlichen Sprachgebrauch. So ist es also nicht im Sinne von "Glück haben" zu verstehen. Er setzt Glück mit Interessenfindung gleich. Er definiert Glücklichsein als "ein weitgehendes Freisein von Neurose, von konfliktgeladenem Doppelleben [...]. Es ist ein Zustand des Wohlbefindens, der Ausgeglichenheit, des Gleichmuts." (Neill 1971a, 102). "Das Glück der Kinder sollte der oberste Maßstab für alle Erziehungssysteme sein." (Neill 1971a, 103). Erziehung stellt die Vorbereitung auf das Leben dar und ist somit Vorbereitung auf die Fähigkeit, Interesse zu finden, um dadurch glücklich zu werden, und zwar durch die Sinnerfüllung im Handeln (vgl. Karg 1983, 173). Das Kind muß so erzogen werden, daß es am Leben und an der Welt Interesse finden kann. Glück wird nach Neill als ein Zustand verstanden, der durch die in der Erziehung erworbene und zur Persönlichkeit gehörende dauernde Lebenseinstellung geprägt ist (vgl. Schmidt-Herrmann 1987, 88). "Aber gibt es so etwas wie dauerndes Glück? Ich halte es für möglich trotz Leid, Unglück und Tod. Man könnte es gleichsetzen mit moralischem Mut, mit der optimistischen Einstellung zum Leben, mit dem Glauben, daß das Leben lebenswert ist." (Neill 1971a, 103). Glück steht in keinem Zusammenhang mit moralischer Erziehung. In diesem Sinne kehrt Neill die religiöse Vorstellung "Sei gut und du wirst glücklich sein" um, und sagt: "Sei glücklich und du wirst gut sein" (Neill 1971a, 103). Das Glück eines Kindes ist abhängig von denen, die seine Erziehung begleiten und beeinflussen; vor allem von den Eltern. "Ich bitte die Eltern, weiter zu blicken, weit über ihren unmittelbaren Gesichtskreis hinaus. [...] Ich fordere sie auf, ihren Kindern zu sagen, daß diese Welt besser gemacht werden kann und gemacht werden muß, daß sie ihre Energie hier und jetzt einsetzen - nicht für ein fiktives ewiges Leben nachher." (Neill 1969, 228f). Die hier an Vorstellungen der christlich-abendländischen Tradition anknüpfende Kritik macht deutlich, daß Neill weder einen eschatologischen oder einen transzendentalen Glücksbegriff fordert, sondern die Verwirklichung eines glücklichen Lebens und die Verbesserung der Welt. Das allen anderen Kriterien übergeordnete Ziel ist für Neill das Glück des Einzelmenschen. Ausgeglichenheit und Aufgeschlossenheit sind wichtige Eigenschaften, die einen glücklichen Menschen beschreiben. Nach Neill kann ein Mensch nur glücklich und ausgeglichen sein, weil er auch die zum Leben gehörenden unglücklichen Erfahrungen und Erlebnisse akzeptieren muß. Es darf nicht der Fehler gemacht werden, ein schwieriges Kind als ein unglückliches anzusehen. "Es ist im Widerstreit mit sich selbst; daher lebt es auch mit der Welt im Kampf." (Neill 1969, 19). Das gleiche gilt für Erwachsene: "Ein glücklicher Mensch hat sich noch nie zum Störenfried ergeben, Krieg gepredigt oder einen Neger gelyncht. Eine glückliche Frau nörgelt nicht an ihrem Mann oder ihren Kindern herum, kein glücklicher Mann hat jemals einen Mord oder Diebstahl begangen. Ein glücklicher Chef terrorisiert seine Angestellten nicht." (Neill 1969, 90). Hier wird ein weiteres wichtiges Ziel der Neillschen Pädagogik sichtbar: der Sinn für Gemeinschaft. Darunter versteht Neill, die Fähigkeit, "ein gutes Mitglied der Gemeinschaft zu sein" (Neill 1969, 191). Toleranz, die auf zwischenmenschliche Beziehungen beruht, ist sein Erziehungsziel. Hierunter versteht er die Fähigkeit, sich in die Situation des anderen hineinversetzen zu können. Der nun folgende Aspekt beschäftigt sich mit dem Einsetzen des soeben erklärten Gemeinschaftsgefühls. Nachdem ein Kind zur Selbstbestimmung durch seine freie Erziehung herangeführt werden konnte, entwickelt sich ein Gefühl für den Gemeinschaftssinn, da es gelernt hat, Liebe zu geben und mit seiner großzügigen Freiheit auch der Gemeinschaft dienlich zu sein. Neill ist der Überzeugung, daß ein glücklicher Mensch seinem Gegenüber keinen Schaden zufügt, sondern Achtung schenkt. Abschließend bleibt festzuhalten, daß Zivilcourage, Aufrichtigkeit, Wohlwollen, Selbstvertrauen, Furchtlosigkeit und Gemeinschaftssinn entscheidende Elemente sind, die eine Erziehung in Neill's Sinne beschreiben. Nach Neill ist der Erfolg des Lebens "die Fähigkeit, mit Freude zu arbeiten und ein erfülltes Leben zu führen" (Neill 1969, 46). Um dieses Ziel verwirklichen zu können, muß dem Individuum das größte Maß an innerer und äußerer Freiheit gewährt werden. Nach Neill ist die eigentliche Bestimmung des Menschen, im Einklang mit sich selbst, seiner näheren Umgebung und der Welt zu leben. Dieses Ziel wird von ihm mit dem Begriff des "Glücklichsein" umschrieben. Danach soll die Welt so verändert werden, daß der Einklang des Menschen mit der Welt aus dem Einklang des Menschen mit sich hervorgeht - ein Verhältnis, das bewußt und durchdacht durch die Erziehung aufgebaut werden muß (vgl. Schmidt-Herrmann 1987, 92). 3.3. Die antiautoritäre Erziehungskonzeption In der antiautoritären Erziehungskonzeption Neills geht es um die Befreiung der Pädagogik von Intoleranz und moralischem Zwang (vgl. Neill 1969, 131; Neill 1972, 15). Sie richtet sich gegen Erziehungs- und Bildungsmaßnahmen, denen es um die Formung des Menschen im Sinne bestimmter weltlicher oder religiöser Ideologien geht (vgl. Neill 1969, 120). Folglich fordert die Neillsche Pädagogik eine unabhängige Erziehungslehre als Wissenschaft, die einzig auf der menschlichen Erfahrung und Vernunft begründet ist. An dieser Stelle ist anzumerken, daß es sicherlich nicht einfach ist, Neills Vorstellung von antiautoritärer Erziehung darzustellen, da sein Werk keine abgeschlossene Abhandlung einer pädagogischen Theorie ist. Vielmehr verbinden sich theoretische Fragmente mit zahlreichen Einzelbeobachtungen, täglichen Erziehungserfahrungen und Fallbeispielen zu einem Ganzen. Diese Vorgehensweise hat in der Auseinandersetzung während der sechziger und siebziger Jahre wiederholt zur Annahme geführt, Neill verfüge über keine Theorie der antiautoritären Erziehung. Ein systematisches Vorgehen ist in der Weise sichtbar, daß Neill zunächst beobachtet und handelt, um dann allgemeine Aussagen zu formulieren oder allgemeine Aussagen werden in der Folgezeit in der Praxis am individuellen Einzelfall überprüft (vgl. Schmidt-Herrmann 1987, 93). "Der Großteil dessen, was ich geschrieben habe, beruht auf Erfahrungen mit den Kindern, die bei mir lebten. Es ist wahr: Freud, Homer Lane und andere haben mich beeinflußt. Aber mit der Zeit habe ich auch Theorien über Bord geschmissen, wenn sie der Prüfung durch die Wirklichkeit nicht standhielten." (Neill 1969, 101). Wenn man Neills Werke studiert, fällt dem Leser die einfache, allgemeinverständliche Sprache auf. Fast ausnahmslos verzichtet er auf die Verwendung von Fachtermini, so daß Eltern aller Bevölkerungsschichten - und Neill möchte prinzipiell alle ansprechen (vgl. Neill 1969, 19) - sich mit seinen Erziehungsschriften auseinandersetzen können. Für ihn ist die Erziehungspraxis und die damit verbundene theoretische Umsetzung von zentraler Bedeutung, wodurch sein Erziehungswerk einem größeren Leserpublikum zugänglich gemacht werden kann, da es für Laien verständlich ist. Im folgenden soll näher auf seine grundlegenden Aspekten seiner antiautoritären Erziehungskonzeption eingegangen werden. Auf diese Weise kann außerdem deutlich gemacht werden, was einen antiautoritären Erzieher kennzeichnet. 3.3.1. Die Rolle der Macht Es liegt in der Natur der Sache, daß in der Erziehung - sofern hiervon die Rede sein kann - Unterschiede zwischen dem Erzieher und dem Erziehenden bestehen. Das Kind trifft vom Augenblick seiner Geburt an auf Situationen, in denen ihm Personen begegnen, die ihm notwendigerweise von Anfang an eine Überlegenheit entgegenbringen werden (vgl. Schmidt-Herrmann 1987, 97). Neill spricht auf der einen Seite vom "Wissen der Eltern, [das] das durchschnittliche Kind akzeptiert" (Neill 1969, 162) und von der konfliktreichen Schwächesituation des Kindes auf der anderen Seite. "Jedes Kind möchte groß sein. Alles in seiner Umgebung erinnert es daran, daß es klein ist." (Neill 1969, 284). Weiter behauptet Neill: "Schon durch die körperliche Größe eines Erwachsenen bekommt das Kind Minderwertigkeitsgefühle." (Neill 1969, 288). Diese Ungleichheit zwischen Erzieher und Erziehenden ist Neill sehr wohl bekannt, trotzdem fordert er prinzipielle Gleichheit und Gleichberechtigung (vgl. Neill 1969, 117), ein Stehen auf der gleichen Stufe (vgl. Neill 1969, 26) und daß der Vater nicht "Herr im Hause" (Neill 1969, 138), sondern der "Kamerad" des Sohnes sein soll (Neill 1969, 137). An dieser Stelle halte ich es für angebracht, die Bedeutung der soeben gefallenen Begriffe wie Gleichheit und Ungleichheit im Sinne der antiautoritären Pädagogik näher zu betrachten. Neill spricht von einer Gleichheit zwischen Erzieher und Heranwachsenden, wenn es um die gegenseitige Achtung vor der Individualität und Persönlichkeit des einzelnen geht (vgl. Neill 1969, 163); als eine "grundsätzlich veränderliche Größe" (Schmidt-Herrmann 1987, 98) definiert Neill die Ungleichheit bezüglich des unterschiedlichen Wissens- und Erfahrungsvorsprung zwischen Eltern und Kinder. Das bedeutet zugleich, daß die schwächere und abhängigere Position des Kindes nicht zusätzlich durch die Eltern verstärkt werden darf, damit das kindliche Minderwertigkeitsgefühl nicht stärker ausgeprägt werden kann. "Wenn wir die Kinder stärker auf ihre Fehler aufmerksam machen, bringen wir ihnen Minderwertigkeitsgefühle bei. Wir verletzen ihre natürliche Würde." (Neill 1969, 163). Diese Gefahr besteht, wenn - unbewußt oder bewußt - Macht oder Herrschaft ausgeübt wird, beispielsweise durch Strafen, Schläge oder moralische Zurechtweisung. In der konsequenten Ablehnung des Gebrauchs von Bestrafung oder anderer Machtmittel, dort, wo das Kind den erzieherischen Einflüssen aktiven Widerstand entgegenbringt, liegt die Begründung, Neills Erziehungstheorie antiautoritär zu nennen. Dies bedeutet sicherlich nicht, daß der Erzieher alles bejahen muß, was das Kind tut, sondern daß das Kind für seine Taten nicht als Person beurteilt, abgelehnt oder bestraft wird (vgl. Schmidt-Herrmann 1987, 98). Hier wäre es denkbar, die Ursache von unerwünschten Taten aufzudecken, was wiederum den Aspekt der "notwendigen Autorität" zur Folge hätte. Dieser Gesichtspunkt soll jedoch an anderer Stelle bearbeitet werden. 3.3.2. Freiwilligkeit als konstitutive Bedingung der durch Freiheit geprägten Erziehung Wie bereits unter Punkt 3.2.1 erläutert, kann sich das Kind entsprechend Neills anthropologischem Ansatz nur in Freiheit entwickeln. Diese Freiheit kann nur durch eine repressionsfreie Erziehung erreicht werden, die als Ziel das Glück des Einzelnen anstrebt. Das Prinzip der Freiheit in Summerhill schließt die Freiwilligkeit, dort zu leben, mit ein. Neill vertritt die Auffassung, daß Freiheit nicht auf Kosten des anderen geht, sondern daß nur derjenige die Freiheit des anderen achten kann, der die Freiheit an sich selbst erlebt hat. Neill behauptet, daß sich das Kind im Schutz der Freiheit gerne und freiwillig an den Aufgaben des Lebens beteiligt. Ferner strebt das Kind generell eine Übereinstimmung bzw. eine soziale Anerkennung mit den Erziehern an. Neill schreibt dazu: "Da soziale Anerkennung etwas ist, das jeder wünscht, lernt das Kind, sich anständig zu verhalten." (Neill 1969, 161). 3.3.3. Verantwortung und Freiheit Das englische Wort für Verantwortung, responsibility, kommt vom lateinischen respondere und bedeutet "antworten". "Ein Mensch, der auf das, was ihm gegenübersteht, antwortet, ist verantwortlich." (Schmidt-Herrmann 1987, 133). Antworten sind im psychologischen Sinne alle Lebensäußerungen, mit denen der Mensch seinen Charakter zum Ausdruck bringt. Nach Neill wird dieser durch die Erziehung ausgebildet, demnach soll der Mensch fähig sein, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Wichtigste Voraussetzung zur Übernahme von Verantwortung ist die Anpassung an das Alter und an seine psychische und physische Entwicklung. Immer wieder besteht die Gefahr, daß die Eltern ihre Kinder davon abhalten, Verantwortung zu übernehmen, statt dessen werden ihnen Dinge aus der Hand genommen, die sie durchaus eigenständig ausführen können. In diesem Zusammenhang erwähnt Neill, daß auch jüngere Kinder durchaus mit als gefährlich angesehenen Werkzeugen, wie beispielsweise Äxten, Messer und Sägen, umgehen können, ohne sich zu verletzen (vgl. Neill 1969, 156). Gerade solch ein Beispiel ermuntert viele Erzieher, zu intervenieren. Dadurch wird jedoch nach Neill die Bildung von Selbstvertrauen behindert und der Tätigkeitsdrang des Kindes eingeschränkt (vgl. Neill 1969, 165f). Er meint daher: "Man sollte den Kindern erlauben, beinahe uneingeschränkt eigene Verantwortung zu tragen." (Neill 1969, 156). Auf der anderen Seite gibt es sicherlich Situationen, in denen Kinder die Verantwortung für Entscheidungen aufgrund von mangelnden Erfahrungen oder Kenntnissen nicht abverlangt werden kann. Dazu gehört zum Beispiel die Frage, ob ein Kind im Krankheitsfall die Medizin einnehmen möchte, da hier der Schutz des Kindes wichtigere Bedeutung zukommt. "Man sollte einem Kind nie eine Verantwortung übertragen, für die es noch nicht reif ist. Man sollte aber auch wissen", ergänzt Neill, "daß viele Gefahren, in die ein Kind gerät, nur eine Folge falscher Erziehung sind. Einem Kind, das mit Feuer spielt, hat man eben noch nicht die Wahrheit über Feuer gesagt." (Neill 1969, 132). An anderer Stelle faßt er in ähnlichem Sinne zusammen: "Im großen und ganzen sollten die Eltern dem Kind soviel Verantwortung wie möglich übertragen, wobei sie auf körperliche Sicherheit achten müssen. Nur so kann das Kind Selbstvertrauen entwickeln." (Neill 1969, 157). Eine Übertragung von Verantwortung durch den Erzieher soll nach Neill nur dann geschehen, wenn das Kind Handlungen aufgrund von körperlichen und geistigen Fähigkeiten selbst bewältigen kann. Es ist Neill sehr daran gelegen, den spontanen Wunsch des Kindes nach Aktivität und seinen eigenen Bemühungen zu unterstützen. In Summerhill ist es die Selbstverwaltung, die die Kinder veranlaßt, eigenständig Verantwortung zu übernehmen. 3.3.4. Liebe und Anerkennung "Glück und Wohlergehen des Kindes hängen von dem Grad unserer Liebe und Anerkennung ab. Wir müssen auf der Seite des Kindes sein. Und das heißt, dem Kind Liebe zu geben - keine besitzergreifende, keine sentimentale Liebe, sondern sich so zu verhalten, daß das Kind sich geliebt und anerkannt fühlt." (Neill 1969, 125). Die Liebe, die Neill meint, erkennt das Kind so an, wie es ist, nicht, wie es nach Meinung der Erwachsenen sein sollte (vgl. Neill 1969, 131). "Die Anerkennung eines Erwachsenen bedeutet für jedes Kind Liebe." (Neill 1969, 128). Sie zeigt sich vor allem darin, daß das Kind sich verstanden fühlt, beziehungsweise, daß der Erzieher das Kind versteht, d.h. dessen Fehler als Irrtümer sieht und sie in keiner moralischen Weise korrigiert werden (vgl. Schmidt-Herrmann 1987, 125). In diesem Fall kann nicht die Rede von gut oder böse sein, sondern kindliche Fehltritte müssen als "eine subjektiv sinnvolle und aus der Lebensgeschichte des Kindes verstehbare Handlungsweise interpretiert werden" (Schmidt-Herrmann 1987, 125). Zur Unterstreichung dieses Zusammenhangs weist Neill den Begriff Liebe zurück und zieht Homer Lane's Auffassung von "auf-der Seite-des-Kindes-sein" vor, d.h. Anerkennung, Zuneigung, Freundlichkeit und das Fehlen jeglicher Erwachsenenautorität. Zwischen dem Prinzip der Freiheit und dem Erziehungsgrundsatz der Liebe besteht eine untrennbare Verbindung. "In einer freien Schule ist Liebe der wichtigste Faktor." (Neill 1969, 60). Freie Erziehung kann ohne Liebe demnach nicht zum Wohlergehen eines Kindes führen. Die einzige Form der Disziplin, die Neill bejaht, ist die Selbstdisziplin. Diese Art von Disziplin kann nach Neill nur dann erworben werden, wenn die oben genannten Voraussetzungen erfüllt werden. Ein Kind, dem aufrichtig Liebe entgegengebracht wurde, ist in der Lage, Versagen in seinem interessierten Tun zu akzeptieren, auch wenn es zunächst enttäuscht sein wird. Es ist die Fähigkeit des Erziehers, das Kind anzuerkennen und zu verstehen, die eine deutliche Unterscheidung zwischen Freiheit und Zügellosigkeit ermöglicht. Das Vertrauensverhältnis in Summerhill ist für Neill ein sehr wichtiges Element. "Es hängt alles vom Vertrauen zu den Kindern ab." (Neill 1969, 126). Insbesondere bei Problemfällen, wie beispielsweise verwahrlosten oder bei schwierigen Kindern wie Brandstiftern, Dieben, Lügnern oder jähzornigen Kindern, ist es unerläßlich, ein pädagogisches Verhältnis zu den Kindern herzustellen, in dem das Kind miterlebt, daß der Erwachsene zu ihm steht. Das Gesagte soll an dieser Stelle anhand des konkreten Beispiels eines verwahrlosten Kindes näher beleuchtet werden. Es war aufgrund einer lieblosen und autoritären Erziehung laut Neill mit starken Belastungen in seinem bisherigen Leben konfrontiert worden, so daß es nicht nur einen tiefen Haß gegen die Erwachsenen entwickelt hatte, sondern auch gegen die Gesellschaft. Zucht, Strenge und Strafen waren die Methoden, die sein Heranwachsen am meisten begleitet hatten. Neill schreibt in diesem Zusammenhang: "Ich habe noch nie davon gehört, daß jemand durch Gewalt, Grausamkeit und Haß zu einem guten Menschen geworden wäre." (Neill 1969, 261). Das Kind braucht also Liebe; seine seelische Gesundheit verlangt geradezu Liebe. Diese Liebe kann nach Neill auch nur durch Liebe gelehrt werden. "Kinder sind weise. Auf Liebe antworten sie mit Liebe und auf Haß mit Haß. Sie fügen sich leicht einer Mannschaft ein." (Neill 1969, 162). Das Erziehungsklima absoluter Freiheit soll in Summerhill bewirken, das gerade schwer erziehbare Kinder zum einen wieder Vertrauen in Erwachsene fassen und zum anderen in ihnen ein Bedürfnis nach Liebe geweckt wird. Nach Schmidt-Herrmann (1987, 126) taucht hier jedoch das Problem auf, daß der Jugendliche den Erwachsenen als Gegner sieht, da er die Gesellschaft repräsentiert. Deshalb meint Neill, daß das Verhalten des Erziehers so beschaffen sein muß, daß der Jugendliche in ihm einen Menschen sieht, der genauso fühlt und denkt wie er, der gleichzeitig aber über die Situation hinausschaut, damit er ihm einen besseren Weg zeigen kann als den bisher gegangenen. Dieses Vorgehen bezeichnet Neill als die Methode der Liebe. Was für den Verwahrlosten gilt, ist auch für jedes andere Kind gültig. "Anerkennung ist für normale Kinder ebenso wichtig wie für problematische. Allen Eltern und Lehrern muß Anerkennung als oberstes Gebot gelten." (Neill 1969, 127). Vertrauen und Achtung sind Fähigkeiten, die ein Erzieher dem Heranwachsenden entgegenbringen muß, aber ein Erzieher darf einem Problemkind nicht mehr zumuten, als es verkraften kann. Neill empfiehlt, sich mit der Lebensgeschichte eines solchen Kindes intensiver zu beschäftigen. Allerdings warnt er auch davor, sich etwas vormachen zu lassen. Taktisches Vorgehen ist gefragt, wobei das Vertrauen nicht verloren gehen darf (vgl. Neill 1969, 269). Neill berichtet häufig von Beispielen, in denen er das Vertrauen von Jugendlichen gewonnen hat, nachdem er ein Vergehen aufgedeckt hatte, wie man es nicht erwartet hätte. Um dieses Phänomen besser verstehen zu können, halte ich es für ratsam, ein konkretes Beispiel anzugeben, das Neills Grundansichten deutlich werden läßt. "Einmal wurde ein junger Bursche zu mir geschickt, ein wirklicher Taugenichts, der auf raffinierte Weise stahl. Eine Woche nach seiner Ankunft telephoniert man mir aus Liverpool. ,Hier spricht Mr. X. [...] Ich habe einen Neffen in Ihrer Schule. Er hat schriftlich bei mir angefragt, ob er mich auf ein paar Tage in Liverpool besuchen dürfe. Haben Sie etwas dagegen?' - ,Nicht das geringste', entgegnete ich. ,Aber er hat ja kein Geld. Wer wird die Reise bezahlen? Vielleicht setzen Sie sich mit seinen Eltern in Verbindung'. Am folgenden Nachmittag läutete mir die Mutter des Burschen an und sagte, sie haben einen Anruf von Onkel Dick gehabt, und was sie betreffe, könne der Junge ruhig fahren. Sie habe sich erkundigt, die Fahrkarte koste 28 Shilling, und ob ich ihm also 2 Pfund 10 Shilling vorstrecken wolle? Beide Anrufe hatte Arthur selbst vom Ortsautomaten aus bewerkstelligt, und die Nachahmung der Stimme eines alten Onkels war vollkommen. Es gelang ihm auch, mich reinzulegen; denn ich gab ihm das Geld, ehe ich den Betrug merkte. Danach sprach ich mit meiner Frau, und wir waren uns einig, daß es das Falscheste wäre, das Geld von ihm zurückzuverlangen; denn genau das war ihm vor Jahren widerfahren. Meine Frau kam auf die Idee, ihm noch mehr zu geben, und ich war einverstanden. Also ging ich später in der Nacht noch in sein Schlafzimmer. ,Du hast Glück heute', sagte ich fröhlich. ,Allerdings', antwortete er. ,Ja, aber du hast mehr Glück, als du weißt', fuhr ich fort. ,Was heißt das?' ,Nun, deine Mutter hat mir soeben wieder angeläutet', sagte ich leichthin. ,Sie sagte, sie habe sich im Preis der Fahrkarte geirrt, sie kostet nicht 28, sondern 38 Shilling. Deshalb hat sie mich gebeten, dir noch zehn Steine mehr zu geben.' Damit warf ich ihm mit leichter Hand einen Zehn-Shilling-Schein aufs Bett und ging, ehe er etwas erwidern konnte. Er fuhr am nächsten Morgen nach Liverpool und hinterließ einen Brief, der mich nach seiner Abfahrt ausgehändigt werden sollte. Darin stand: ,Lieber Neill, ich merke, daß du ein noch besserer Schauspieler bist als ich'. Und noch wochenlang danach fragte er mich, warum ich ihm den Zehn-Shilling-Schein gegeben hätte. Ich wiederum wollte von ihm wissen: ,Wie war dir denn zu Mute, als ich ihn dir gab?' Er dachte einen Augenblick lang scharf nach und sagte dann: ,Weißt du, das war das größte Erlebnis, daß ich bis jetzt hatte. Ich sagte mir: ,Das ist der erste Mensch, der auf meiner Seite steht'." (Neill 1972, 65). Mit diesem Beispiel wird nun deutlich gemacht, daß weder moralische Zurechtweisung noch Strafen kindlichen Untaten folgen dürfen. Wie bereits erwähnt, handelt Neill aufgrund eines Menschenbildes, das angeborene schlechte Neigungen verneint. Ein weiteres wichtiges Element seiner Erziehung ist der Humor, der nach Neill einen Indikator für Zuneigung darstellt. Um mit Kindern erfolgreich umzugehen, müsse man nicht nur ihre Gefühle und Gedanken verstehen, sondern auch Sinn für Humor haben (vgl. Neill 1969, 195). Gemeinsames Scherzen bedeute für das Kind Bejahung, Liebe, Kameradschaft und Gleichheit (vgl. Neill 1969, 194), was folglich zu einer lockeren Beziehung zwischen Erzieher und Kind führt. Es gibt jedoch auch eine Form des Humors, die ernste Fragen des Lebens zu überdecken versucht, weil es leichter ist, über eine Sache zu lachen, statt sich mit ihr auseinanderzusetzen (vgl. Neill 1969, 194). "Man soll ein Kind nie zur falschen Zeit humorvoll behandeln oder seine Würde angreifen. Wenn es wirklich Grund hat zum Klagen, muß man es erst nehmen." (Neill 1969, 196). 3.3.5. Sexualität als Grundlage der Persönlichkeit Sexualität ist nach Neill ein wesentlicher Faktor, der die Persönlichkeitsentwicklung beeinflußt. Das Kind muß von Geburt an lernen, seinen Körper als etwas Schönes und Angenehmes zu empfinden. Für die Kindererziehung bedeutet dies nun, daß man dem Kind die Möglichkeit geben muß, sich mit seinem ganzen Körper beschäftigen zu können. Eine Unterteilung des Körpers in erlaubte und unerlaubte Berührungszonen darf nicht vorgenommen werden, da zum Körper eben auch jene Organe gehören, die als besonders lustvoll empfunden werden. "Sie müssen beim Namen genannt werden wie Arme, Beine und Kopf und dürfen nicht mit dem Schleier des Geheimnisses, Schmutzes und Tabus umgeben werden." (von Bönninghausen, Dreisbach-Olsen 1973, 28). Neill fordert eine ungezwungene Bejahung des menschlichen Körpers. Sexuelle Aufklärung im Sinne Neills heißt, die Fragen der Kinder aufrichtig und ohne falsche Moral zu beantworten. Die rein biologischen Zusammenhänge sowie der emotionale Bereich dürfen nicht unausgesprochen bleiben. Auch Onanie muß als eine Form der sexuellen Befriedigung akzeptiert werden. Verbote und das Hervorrufen von Schuldgefühlen wirken sich nicht nur nachhaltig auf die Entwicklung der kindlichen Sexualität sondern auch auf die gesamte Persönlichkeitsentwicklung aus (vgl. von Bönninghausen, Dreisbach-Olsen 1973, 29). Furcht und Selbsthaß sind die daraus folgenden Konsequenzen. Demnach fordert Neill ein Klima, in dem Sexualität nicht als etwas nicht Schmutziges gilt. Was versteht nun Neill unter sexueller Aufklärung des Kindes? Von grundlegender Bedeutung ist die gesunde Einstellung zur Sexualität. Es geht hier um die bereits erwähnte natürliche Bejahung des menschlichen Körpers, die natürliche Haltung der Eltern zu den Fragen der Masturbation und der kindlichen Sexspiele. Einen weiteren Teil der geschlechtlichen Erziehung bildet die Beantwortung von Fragen. Man beantworte erstens jede Frage wahrheitsgemäß und zweitens ohne Hemmungen (vgl. Neill 1969, 209f), d.h., daß das Wissen bezüglich Sexualität wie jedes andere Wissen angesehen werden sollte und die sich darauf beziehenden Fragen durch Offenheit, Natürlichkeit und Unbefangenheit charakterisiert werden sollen (vgl. Schmidt-Herrmann 1987, 144). Nur wenn "jedes Anzeichen von Scham, Scheu und Moralgefühl" (Neill 1969, 209) ausgeschaltet ist, kann die sexuelle Aufklärung Teil der natürlichen Kindheit werden. 3.4. Die Befreiung des Kindes 3.4.1. Das unfreie Kind Zunächst möchte ich mich der Frage zuwenden, was ein unfreies Kind auszeichnet. "Ein solches Kind ist fügsam, gehorcht der Autorität aufs Wort, fürchtet sich vor Kritik und wünscht fast fanatisch, normal, konventionell und korrekt zu sein. Es nimmt alles, was ihm beigebracht wird, beinahe ohne Frage hin und wird all seine Komplexe, seine Ängste und seine Frustration an die eigenen Kinder weitergeben." (Neill 1969, 112). Neill betrachtet ein unfreies Kind als Produkt "unfreier Erziehung" (vgl. Neill 1969, 110). Es ist abgerichtet, geformt und gehemmt (vgl. Neill 1969, 103), weil es in bedeutsamen Bereichen seiner Charakterentwicklung diszipliniert wurde. Diese Disziplin beginnt bei der Einhaltung eines Zeitrhythmus' während der Stillzeit und führt von der Prozedur der Sauberkeitserziehung und der Stellungnahme zum Spiel mit den Genitalien bis zum Schuleintritt, wo es zum Lernen gezwungen wird. Die Eltern solcher Kinder beschreibt Neill als " ... im allgemeinen sittsame, freundliche Leute, voll kindischen Glaubens und Aberglaubens, voll kindlichen Vertrauens und kindlicher Hingebung. Sie sind mit ihresgleichen die braven Staatsbürger, die die Gesetze machen und Menschlichkeit verlangen. Sie bestimmen, daß Tiere auf humane Weise getötet und daß Haustiere ordentlich gepflegt werden müssen. Doch wenn es um die Unmenschlichkeit des Menschen geht, machen sie schlapp. Gedankenlos billigen sie ein grausames, unchristliches Strafrecht, billigen sie den Mord an anderen Menschen in einem Krieg als Naturereignis." (Neill 1969, 113). Aufgrund dieser Erziehung werden Haß und Strafe auch an die nachfolgende Erziehung weitergegeben und so werden aus gestraften Kindern strafende Mütter und Väter (vgl. Neill 1969, 113). Schon früh in der Kindheit wird es durch die elterliche Aggression beeinflußt, gegen die es sich jedoch wehren kann, indem es den Kampf gegen seine Erzieher ansagt und in verschiedenen Formen versucht, seine Gewalt zu brechen oder zu umgehen (vgl. Schmidt-Herrmann 1987, 113). Eine aus dieser Art von Erziehung resultierende Reaktion ist die Trotzreaktion. Nach Neill werden aus trotzigen Kindern trotzige Erwachsene, die Schwierigkeiten haben, in ihrer Umwelt zu leben. Wird jedoch die Aussage von Eltern betrachtet, wie folgsam ihre Kinder seien und sozusagen aufs Wort gehorchen, scheint - oberflächlich betrachtet - eine autoritäre Erziehung gerechtfertigt zu sein, wenn der strenge Erzieher erfolgreich behaupten kann, daß sich sein Kind seinen Aufforderungen willig fügt (vgl. Schmidt-Herrmann 1987, 113). Nach Neills Behauptungen ist dieser Erfolg jedoch nur durch eine Kurzlebigkeit gekennzeichnet und beeinträchtigt die kindliche Spontaneität, Aufrichtigkeit, Offenheit und Lebensfreude nachhaltig. Brave und gehorsame Kinder, die häufig einen tiefen Haß in sich tragen, fügen sich, um lediglich ihre aggressiven Neigungen, welche durch die Gewaltanwendung der Erzieher verursacht wurde, zu überspielen. Neill glaubt, daß sobald dieser erzieherische Einfluß erlischt, die Bravheit zusammenbricht und Protest, Trotz und Unaufrichtigkeit zutage treten. Neill beobachtete dieses Phänomen oft an neuen Schülern und Schülerinnen, die an anderen Schulen nicht zurechtkamen. 3.4.2. Das freie Kind Die Freiheit, von der Neill spricht, ist eine "individuelle, innere" Größe (Neill 1972, 22). Es ist die positive Verwirklichung einer individuellen Persönlichkeit, die gelernt hat, ihre intellektuelle, emotionalen und sinnlichen Möglichkeiten zum Ausdruck zu bringen, wobei nach Neill der emotionale Faktor überwiegt. Demnach sind freie Menschen "innerlich frei [...], frei von Angst, von Heuchelei, von Haß und von Intoleranz [...] vor Vorurteilen und von der Lebensverneinung" (Neill 1972, 22). Diese Kinder sind dadurch gekennzeichnet, daß sie nach ihren eigenen Gesetzen leben und sich frei entwickeln, und zwar ohne äußere Autorität. Das freie Kind ist nicht nur in Abwesenheit seines Erziehers ungezwungen, sondern auch in seiner Gegenwart (vgl. Schmidt-Herrmann 1987, 115). Sein Interesse gilt nicht, der Beeinträchtigung der Freiheit des anderen, sondern "Achtung voreinander zu haben und persönliche Eigenschaften anzuerkennen" (van Dick 1979, 114). Das Ergebnis dieser von Zügellosigkeit unterschiedenen Freiheit ist Selbstdisziplin. Unter Selbstdisziplin versteht Neill die Fähigkeit, sich in den anderen hineinzuversetzen und seine Rechte zu respektieren. Das freie Kind kann nur Produkt eines Erziehungsklimas sein, das frei von Bevormundung und Unterdrückung ist, d.h. einer freien Familie. Es handelt sich hierbei um eine Familienerziehung, die eine häusliche Situation aufweist, in der die Heranwachsenden nicht den Wunsch haben zu rebellieren oder die elterliche Autorität zu mißachten (vgl. Neill 1973, 22). Was versteht Neill nun unter einer freien Familie im positiven Sinne? Zwischen Kind und Eltern besteht ein gleichberechtigtes Verhältnis, d.h. daß die Individualität und Persönlichkeit des Kindes in gleicher Weise respektiert wird wie die des Erwachsenen (vgl. Schmidt-Herrmann 1987, 116). In einer solchen Familie stehen Eltern und Kind auf "freundschaftlichem Fuße" (Neill 1973, 23). Die Eltern üben durch ihre Autorität keine Macht und keinen Zwang aus. In diesem Zusammenhang sagt Neill: "Die [...] Regel sollte sein: Ich werde mein Kind nicht nach meinem Ebenbild formen. Ich bin nicht gut genug, nicht weise genug, um einem Kind zu sagen, wie es leben soll." (Neill 1973, 22). Auch in einer dem Kind vorgegebenen Religion sieht Neill einen unzulässigen Zwang. Dem Mensch sollte im heranwachsendem Alter die Entscheidung über die Glaubenswahl selbst überlassen werden. Neill fordert die Eltern demnach auf, ihre eigene Religion ihren Kindern nicht aufzuwingen (vgl. Neill 1973, 22). Die Sexualität, beziehungsweise die sexuelle Aufklärung, gilt als natürlicher Bestandteil der Erziehung. Die Kinder sehen ihre Eltern nackt, das Thema "Sexualität", insbesondere die Onanie, gilt nicht als Tabu (vgl. Neill 1973, 23f). Neill faßt seine Gedanken zur freien Familie wie folgt zusammen: "Ich behaupte nicht, in einer solchen Familie könnten die Kinder tun und lassen, was sie wollten. Die Erwachsenen haben ihre Rechte. Der Vater muß energisch sagen, er wünsche nicht, daß sein Wagen beim Spielen als Räuberhöhle benutzt wird. Mutter hat das Recht zu sagen, daß sie nicht wünscht, daß Mary ihre besten Pfannen benutzt [...]. Da herrscht faires Geben und Nehmen, und wenn zwischen allen Familienmitgliedern ein liebevolles Verhältnis besteht, hinterlassen solche kleinen Unstimmigkeiten weder Haß noch Groll." (Neill 1973, 23). 3.5. Autorität in der antiautoritären Erziehung A.S. Neills Es scheint unsinnig zu sein, Autorität in der Theorie und Praxis eines Erziehungskonzepts zu suchen, das als anti-autoritär verstanden werden soll. Es ist jedoch verfehlt, Neills Erziehungskonzept als absolut antiautoritär anzusehen, wenn unter "antiautoritär" der Verzicht auf jegliche Autorität verstanden wird (vgl. Weber 1974, Hilber 1971, Karg 1983). Hilber bezeichnet Neills Erziehungskonzept als eine autoritätsreduzierende, demokratische Erziehung. Teilweise spricht Neill selbst von einer "notwendigen Autorität" der sich das Kind fügen muß, wobei er darunter "Schutz, Fürsorge, Verantwortung der Erwachsenen" versteht (Neill 1969, 158). Freiheit bedeutet für Neill nicht Zügellosigkeit. "Freiheit aber, die keine hemmungslose, von Autoritätsphobie angekränkelte Willkür ist, schränkt den Spielraum einer scheinbar absoluten Freiheit sinnvoll ein." (Hilber 1971, 377). Das Kind schränkt sich nach Neill selbst ein, da es die Grenzen zwischen Freiheit und Zügellosigkeit selbst zu erkennen vermag. Jedes Individuum hat die Freiheit, das zu tun, was es will, solange es die Freiheit des anderen nicht beeinträchtigt. In der Praxis gibt es Autorität. In der anti-autoritären Erziehung macht sich - so wie bereits oben erwähnt - notwendige Autorität bemerkbar, nämlich dort, wo es um körperliche Sicherheit geht. "Freiheit bedeutet in Summerhill nicht die Abschaffung des gesunden Menschenverstandes. Wir sorgen in jeder Weise für die Sicherheit der Schüler. Die Kinder dürfen nur in Anwesenheit von Rettungsschwimmern baden [...]. Schüler unter elf dürfen nicht allein auf öffentlichen Straßen fahren. Diese Bestimmungen sind von den Schülern selbst in der Schulversammlung durchgesetzt worden." (Neill 1969, 38). Hier wird deutlich, was Neill unter Autorität versteht: Es handelt sich nicht um autoritär gesetzte Verbote, sondern um in der Gemeinschaft diskutierte, "autoritative Gebote" (Hilber 1971, 379), die den Einzelnen aufgrund demokratischer Zustimmung bindet. Durch rationale Argumentation wird Autorität vor und von der Gemeinschaft legitimiert, von der sie natürlich auch wieder in Frage gestellt werden kann. Sie wird nicht aufoktroyiert (vgl. Hilber 1971, 379). Durch die Einsicht, daß Autorität bei Verstößen notwendig ist, erfährt die Schulversammlung Legitimation auch dann, wenn Entscheidungen den eigenen Wünschen widerlaufen. "Unsere kleine Demokratie gibt sich selbst ihre Gesetze - auch gute." (Neill 1969, 61). Allerdings, und das gibt Neill offen zu, ist die Selbstregulierung an das Alter der Schüler und Schülerinnen gebunden. Ein erfolgreiches Funktionieren ist erst dann möglich, wenn einige ältere Schüler und Schülerinnen da sind, die für die Jüngeren als eine das Gruppenleben regulierende Autorität fungieren (vgl. Neill 1969, 61). Es gibt Gefahrensituationen, in die sich das Kind aus Unwissenheit oder Unerfahrenheit begeben kann, vor denen der Erwachsene es zu schützen hat. Neill schreibt in diesem Zusammenhang: "Natürlich gibt es Grenzen der Ungezwungenheit. Wir können einem sechs Monate alten Kind nicht erlauben, selbst herauszufinden, daß eine Zigarette wehtun kann. Aber auch da sollte man die Gefahr ohne viel Aufhebens beseitigen." (Neill 1979, 117f). Oder an anderer Stelle schreibt er: "In Summerhill fragen wir unsere Fünfjährigen nicht, ob sie einen Feuerschutz brauchen oder nicht. Wir lassen einen Sechsjährigen nicht entscheiden, ob er ins Freie gehen kann oder nicht, wenn er Fieber hat. Und wir fragen auch kein übermüdetes Kind, ob es ins Bett gehen will oder nicht. Man fragt ein krankes Kind nicht nach seiner Einwilligung, wenn man ihm Medizin gibt." (Neill 1969, 157). Um den Schutz vor Gefahren des Einzelnen zu gewähren, gibt es in Summerhill eine Reihe von solchen Regeln, die von der Schulversammlung beschlossen wurden. Autorität wird in Summerhill, das wird auch hier deutlich, nicht durch den Einzelnen formuliert und verkörpert, sondern durch die Gruppe. "Naturgemäß muß man dem Kind, dessen Weltkenntnis beschränkt ist, viele Regeln des Verhaltens mitteilen, ohne deren Beachtung es Anstoß erregen würde." (Schmidt-Herrmann 1987, 99). Entscheidend ist hierbei, daß die Achtung der Persönlichkeit, in körperlicher sowie in geistig-seelischer Beziehung gewährt werden muß und seine Freiheit weder beeinträchtigt noch beleidigt oder in irgendeiner anderen Weise in Schwierigkeiten oder Verlegenheit gebracht werden darf (vgl. Neill 1969, 158). Neill versteht den Begriff "Freiheit" nicht als absolut, sondern als relativ, bezogen auf den in der Gesellschaft gewährten Freiheitsbegriff. Demnach erwartet man neben den Sicherheitsvorschriften auch noch weitere Beschränkungen für die Schüler und Schülerinnen von Summerhill. Sie dürfen beispielsweise auf Bäume klettern, nicht aber auf die Dächer steigen (Neill 1969, 38 u. 65). Der "... Besitz von Luftgewehren und anderen gefährlichen Waffen ist nicht gestattet" (Neill 1969, 38). "Fluchen in der Stadt, schlechtes Benehmen im Kino, [...], im Speisesaal mit Essen werfen" (Neill 1969, 65), werden mit Geldstrafen geahndet. Das Spielen mit der Feuerleiter ist verboten (vgl. Neill 1969, 116). Man gestattet den Kindern zwar das Rauchen, nicht aber den Genuß von Alkohol (Neill 1969, 329). Dies bedeutet Neill zufolge, daß nicht die menschliche Willkür regiert und ebenfalls keine totale Freiheit existiert, sondern der "gesunde Menschenverstand" (Neill 1969, 156) herrscht. Von einem antiautoritären Modell zu sprechen erscheint nun zweifelhaft. Zieht man die Tatsache in Betracht, daß der Titel seine Bestsellers auf dringenden Wunsch seines Verlegers den Begriff "antiautoritär" trägt, Neill jedoch nicht den Anspruch erhob, den Titel "Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung" zu wählen dann erscheint es richtiger von einer repressionsfreien Erziehung zu sprechen. Sicher gibt es in Summerhill viele Freiheiten, auf die viele Kinder in unserer Gesellschaft verzichten müssen: Kein Zwang zum Unterricht, kein Religionsunterricht, kein Zwang zu irgendeiner Art von regelmäßiger Arbeit, freie Entfaltung der Sexualität, freie Wahl der Kleidung und keine Forderung nach annehmbaren Tischmanieren oder die Forderung, unnötigen Lärm zu vermeiden. Es trifft nun aber sicherlich nicht zu, daß die Schule den Eindruck vermittelt, daß sie "ein schrankenlos freies Verhalten" (Hirschfeld 1987, 96) ermöglicht. Doch in anderer Hinsicht gesteht Neill dem jungen Menschen Entscheidungen zu, die man gewöhnlich erwachsenen Menschen vorbehält, wie beispielsweise die freie Wahl der Kleidung und der Lektüre. Die Beschaffenheit des Ortes und das Treffen auf Personen mit charakteristischen Eigenschaften fordert Rücksichtnahme. So kann man in der Schule - trotz freier Bücherauswahl - beispielsweise nur solche Schriften lesen, die ihnen in jenem Augenblick ihres Vorhabens zugänglich sind. In Summerhill wäre ein Zusammenleben bzw. eine Interaktion gar nicht möglich, wenn das Verhalten isolierter Individuen überwiegen würde. Es wäre falsch, von einer totalen Befreiung des Kindes durch Summerhill zu sprechen. Es läßt sich aber herausstellen, daß die Kinder in vielerlei Hinsicht dort mehr Freiheit genießen als andernorts. 4. Das Modell Summerhill in der heutigen Praxis "Summerhill is possibly the happiest school in the world" said its founder A.S. Neill. It is still one of the few places where children can live as equal members of a self-governing community, decide for themselves whether to attend lessons, and play as much as they wish [...]. We set out to make a school in which we should allow children freedom to be themselves. In order to do this we had to renounce all discipline, all suggestion, all moral training, all religious instruction. We have been called brave, but it did not require courage. All it required was what we had - a complete belief in the child as a good, not an evil being... this belief in the goodness of the child has never wavered; rather it has become a final faith [...] -Summerhill [still] lives." (Neill in: Summerhill School o.J., 1). Als A.S. Neill 1973 starb, lag die Vermutung nahe, daß seine Internatsschule mit ihm sterben würde. Doch nach seinem Tode übernahm zunächst seine Frau Ena Neill die Schulleitung, und seit 1985 liegt diese Aufgabe in den Händen seiner Tochter Zoe. Um mir ein besseres Bild von der heutigen Praxis der Internatsschule Summerhill machen zu können, entschied ich mich, diese Schule zu besuchen. Ich hielt mich zum ersten Mal am 25.05.1995 und zum zweiten Mal in der Zeit vom 28.02. bis 02.03.1996 in Summerhill auf. Im folgenden werden nun meine Beobachtungen und Recherchen wiedergegeben. Summerhill liegt in dem kleinen Ort Leiston im Südosten Englands, in der Grafschaft Suffolk. Einst war die Schule Summerhill von Wäldern oder Feldern umgeben. Heute ist alles Bauland, und ständig entstehen neue Wohnsiedlungen in der Umgebung. Nachdem ich von Zoe Readhead und einer Sekretärin begrüßt worden war, wurde ich in das "main house" geschickt, in dem man sich um mich kümmern würde. Im Haupthaus angekommen, stand ich einige Minuten hilflos herum, doch dann bewegte sich ein kleiner Junge auf mich zu, der mich bereits seit meinem Betreten des Hauses beobachtet hatte, und fragte, ob ich eine Besucherin sei und ob man sich um mich kümmern würde. Ich bejahte diese Frage, denn zuvor hatte mir Zoe erklärt, daß ein deutscher Schüler (Valen, 15 Jahre alt), mich und eine 6-köpfige Familie, die darüber nachdachten, zwei von ihren vier Kindern zu dieser Schule zu schicken, herumführen würde. Der englische Schüler überraschte mich gleich ein zweites Mal, indem er sofort losrannte und mit diesem deutschen Schüler zurückkehrte. Valen erklärte uns, daß er einem "committee" angehören würde, dessen Mitglieder im Wechsel die Besucher und Besucherinnen herumführen. Er führte uns nicht nur durch das Haupthaus, sondern auch durch die angrenzenden Häuser und über das ganze Territorium. Die begleitenden Erklärungen waren sehr interessant. Wo immer wir waren, wurden wir von den Kindern, Lehrpersonen und "houseparents" freundlich begrüßt. "Die Kinder erkennen wohl den Kern eines Menschen sofort. Sie sind eben Kinder und sie verstehen Gesten wie Worte und fühlen, wer ihnen gegenübersteht. Und sie fühlen vor allem, ob ihr Gegenüber es ehrlich meint." (Schmidt 1992, 104). Um die Offenheit und die Spontaneität der Kinder nicht zu hemmen, habe ich auf bohrende und immer wiederkehrende Fragen verzichtet, und habe gewartet, bis Kinder auf mich zukamen, um mir Fragen zu stellen. Als ich ihnen den Grund für meine Anwesenheit nannte, begannen sie von sich aus, mir über ihr Leben in Summerhill zu berichten. Auf meine Frage, ob ich fotografieren und filmen dürfte, wurde mir von der Schulleitung geantwortet: "Du mußt die Kinder fragen, ob sie einverstanden sind." Erstaunlicherweise hatten die Kinder - wenn man bedenkt, daß Scharen von Menschen jährlich nach Summerhill strömen, um diese Schule zu besuchen - keine Einwände und mir wurde sogar gestattet, eine Unterrichtsstunde in Chemie und ein "General meeting" zu filmen. 4.1. Organisation in Summerhill Zur Zeit besuchen 67 Kinder im Alter von 5-17 Jahren aus verschiedenen Ländern Summerhill. Zum Zeitpunkt meines Besuchs gab es sogar eine Schülerin (Julie aus Japan), die bereits ihr 17. Lebensjahr überschritten hatte. Doch dieser Fall ist eher die Ausnahme. Das Grundstück umfaßt etwa die Größe zweier Fußballfelder, auf dem verschiedene Gebäude, wie zunächst das Haupthaus, Holzwerkstatt, Töpferei (vgl. Dia Nr. 58) und verschiedene Unterrichtshäuser, Spielfläche und Wohnmöglichkeiten zu finden sind (vgl. Skizze von Summerhill, S. 126). Die Verpflegung der Kinder und Erwachsenen in Summerhill wird durch eine Großküche im Haupthaus übernommen, wo drei Köchinnen das Essen zubereiten. Sowohl Kinder als auch Erwachsene stellen sich gemeinsam zur Essensausgabe an, um dann am Tresen zwischen zwei Hauptgerichten ("normales" und vegetarisches Essen) und verschiedenen Beilagen wählen zu können. Als Nachspeise können die Schüler und Schülerinnen zwischen einer süßen Speise und Obst wählen. Es hat mich in Erstaunen versetzt, daß gerade viele jüngere Kinder einen Apfel oder eine Banane einem Pudding vorzogen. Die Kinder beteiligen sich durch Abräumarbeiten oder durch Vorbereitung des Frühstücks an der organisatorischen Abwicklung der Mahlzeiteneinnahme. Es besteht auch die Möglichkeit, sich am Kochen für das Abendessen zu beteiligen, was mit 2 Pfund entlohnt wird. Die Kinder werden gemäß ihres Alters in verschiedenen Gruppen zusammengefaßt:
In Summerhill gibt es 8 Lehrkräfte, die bis auf eine Ausnahme in Wohnwagen untergebracht sind. Ihr jährliches Gehalt liegt bei 7700 Pfund brutto; Kost und Logis sind frei. Von diesen 8 Lehrkräften sind zwei jeweils für "classe1" und "classe2" zuständig. Der Unterricht ist hier nicht nach einzelnen Fächern aufgeteilt, sondern die Schüler und Schülerinnen werden nach dem Prinzip des "offenen Unterrichts" unterrichtet. Die restlichen 6 Lehrkräfte sind sogenannte "sign-up teachers", d.h. für die von ihnen angebotenen Kurse muß sich jeder Schüler und jede Schülerin einschreiben. Die Hauptaufgabe der Lehrpersonen ist es , ihren Unterricht zu der angegebenen Zeit zu halten. Von den Lehrpersonen wird ebenfalls erwartet, daß sie sich in ihrer freien Zeit unter die Schüler und Schülerinnen mischen. Da die Teilnahme am Unterricht frei ist, wird der lehrenden Person automatisch die Bürde auferlegt, guten Unterricht zu erteilen, weil die Kinder dem Unterricht sonst fernbleiben würden. Die Lehrkräfte sind gesetzlich dazu verpflichtet, einen akademischen Grad aufzuweisen, jedoch wird keine pädagogische Ausbildung verlangt. Neill zog Lehrer und Lehrerinnen mit Humor vor. Weiterhin soll es sich um fröhliche, lebenslustige, ausgeglichene Menschen halten, die sich gerne aktiv am Schulleben beteiligen. Einmal wöchentlich teilt die Schulleitung das Taschengeld aus. Jeder Gruppe von Kindern steht wöchentlich eine bestimmte Taschengeldsumme zu: "San-children" bekommen 2,50 Pfund, "House-children" 3,50 Pfund, "Shack-children" 5 Pfund und "Carriage-children" 8 Pfund (vgl. Interview, S. 135). Zusätzlich erhalten manche Kinder von ihren Eltern ein weiteres Taschengeld. Summerhill erhält keine öffentlichen Finanzmittel, sondern finanziert sich aus dem Internatsgeld, dem Schulgeld der externen Schüler und Schülerinnen und aus den eingehenden Spenden eines Freundeskreises. 4.2. Wie wird heute versucht, A. S. Neills pädagogische Konzeption in Summerhill zu verwirklichen? 4.2.1. Selbstregierung "The function of the child is to live his own life - not the life that his anxious parents think he should live nor a life according to the purpose of the educator who thinks he knows what is best." (zit. n. Summerhill School o.J., 7). Die Gemeinschaft ist nach den Grundsätzen demokratischer Selbstregierung aufgebaut und stellt damit die freie Entscheidung des Einzelnen in den Mittelpunkt allen pädagogischen Handelns. Das Leben in demokratisch-gleichberechtigten Formen der Selbstverwaltung fordert Selbstbestimmung. Freiheit zur Selbstbestimmung ist jedoch nicht gleichzusetzen mit Zügellosigkeit. Kinder wie auch Erwachsene müssen lernen, Achtung voreinander zu haben und persönliche Eigenschaften anzuerkennen: Der Lehrende wendet keinen Zwang gegen das Kind an - das Kind darf aber auch nicht Zwang gegen den Lehrenden ausüben (vgl. van DICK 1975, 114). "Alles, was irgendwie mit dem Leben der Gemeinschaft zusammenhängt [...], wird von der Schulversammlung am Samstag durch Abstimmung geregelt. Jedes Mitglied des Lehrerkollegiums und jedes Kind, gleichgültig, wie alt es ist, hat eine Stimme." (Neill 1965, 60). Diese Veranstaltung findet im Haupthaus (vgl. Skizze von Summerhill, S. 126) statt. Das "general meeting" wird immer durch ein langanhaltendes Klingelzeichen angekündigt. "Mealtime and teatimes are announced with a bell that is very loud; it has to be heard all over the campus." (Sadofsky 1995, 19). Man muß hier zwischen drei Versammlungen unterscheiden: "general meeting", "tribunal" und dem "special meeting". Die Generalschulversammlung ("general meeting") findet jeden Samstag um 19.00 Uhr statt. "The main function of the General Meeting though is to formulate the laws by which we live and eradicate the ones that we disagree with, to amend them to make more relevant to the needs of the community at that particular time." (Appleton 1991, 14). Allgemeine wie persönliche Schulangelegenheiten werden hier diskutiert, finanzielle Fragen sowie die Einstellung und Entlassung von Lehrkräften werden von der Schulleitung entschieden. Die Verhaltensregeln, die in Summerhill Gültigkeit haben, werden ebenso in den Versammlungen angesprochen und diskutiert, und bei Verstößen werden Sanktionen verhängt. Wenn ein Schüler oder eine Schülerin gegen diese Regeln handelt, wird in dem am Freitag stattfindenden "tribunal" gemeinsam entschieden, wie dieser Schüler oder diese Schülerin bestraft werden soll. Nach Matthew Appleton, einem "House-Parent", sind diese Strafen im allgemeinen sinnvoll und beseitigen oftmals ein Übel. Diese Strafen lassen sich generell in vier Kategorien einteilen: Tadel, kleine Abzüge vom Taschengeld, Ausgangsverbot oder zusätzliche Arbeit, "such as picking up litter for half an hour" (Appleton 1991, 12). Die Gerichtsversammlung ("tribunal") findet jeden Freitag um 14.00 Uhr statt. Neben den Generalversammlungen und den Gerichtsversammlungen gibt es auch noch die speziellen Versammlungen ("special meetings"). "This is convened by anyone who considers that the nature of his complaint is too urgent to wait till Saturday." (Purdy 1995, 14). Diese Art von Versammlung kann jederzeit von jedem einberufen werden, wenn diese Person ihr Anliegen für sehr wichtig hält und der Meinung ist, daß es nicht aufzuschieben ist. Zur Zeit meines Besuchs wurde eine solche Versammlung abgehalten, denn kurz zuvor hatte ein Schüler oder eine Schülerin grundlos Feueralarm ausgelöst, wodurch die Feuerwehr gerufen wurde. Dieser Besuch kostete die Schule 90 Pfund. In der speziell einberufenen Versammlung wurde nun ein "investigation committee" gebildet, das sich mit der Aufklärung dieses Falls beschäftigte. Für Kinder, die noch nicht in der Lage sind, ihre Anliegen - sei es, weil ihre Sprachkenntnisse in Englisch noch nicht ausreichen oder weil sie neu an dieser Schule sind - hervorzubringen, tritt ein sogenannter "Ombudsman" ein, der an ihrer Stelle spricht, nachdem sie sich ihm anvertraut haben. Betritt man das Haupthaus, so kommt man in einen großen Raum, der für die Druchführung der "Selbstregierungsveranstaltungen" zur Verfügung steht. Wenn dieser Raum nicht für diese Veranstaltung genutzt wird, dient er als Tischtennisraum. In dieser alten Halle finden sich alle Kinder, Erwachsene und die Schulleitung zu den Versammlungen zusammen. Alle Kinder sitzen in einem Kreis und warten auf den Beginn der Versammlung. Besucher können diesen Versammlungen beiwohnen, nachdem zuvor abgestimmt wurde - allerdings unter Ausschluß der jeweiligen Besucher und Besucherinnen. Die Schüler und Schülerinnen leiten die Veranstaltung selbstständig, ohne daß dadurch Autoritätsprobleme auftauchen. Als ich an einem solchen "meeting" beiwohnte, wurden folgende Punkte diskutiert: Ein Zehnjähriger forderte, daß "Sack-" und "Carriage-children" nichts im Fernsehraum zu suchen haben, während die "Kleinen" fernsehen. Zwei Mädchen brachten hervor, daß sie von Yuma, einem achtjährigen Jungen, mit einem Tennisschläger bedroht wurden und ein weiterer Junge wurde hervorgebracht, weil er im Unterricht mit einem "Game-Boy" gespielt hatte. Der Mathematiklehrer kündigte an, daß in Kürze ein neuer Computer mit E-mail-Anschluß für die unteren Klassen zur Verfügung stehen würde. Ein "Carriage-child", das scheinbar viel Erfahrung mit Fahrradreparaturen besitzt, bot an, "bike tests" für Summerhill-Schüler und Schülerinnen durchzuführen. Jeder Punkt wurde ausführlich diskutiert. Die Selbstregierung durch die Schulversammlung macht deutlich, daß die Schüler und Schülerinnen dadurch konstruktiver, praxisbezogener und argumentationssicherer werden. Neill sagt dazu: "Die Selbstverwaltung ist ein Erziehungsfaktor von unvermeidlichem Wert. Ich habe oft außerordentlich kluge Reden von Kindern gehört, die weder lesen noch schreiben konnten." (zit. n. Röhrs 1965, 321). Obwohl sich ihre emotionale Erregung oft in lautstarken Diskussionen zeigte, endeten ihre Selbstregierungsveranstaltungen nicht im Chaos. Diskussionspunkte wurden vorgebracht, Redner wurden angehört, Argumente pro und contra gesammelt und nachdem mehrere Vorschläge ("proposals" - ein Schüler oder eine Schülerin wird vielleicht sagen: "I propose 10p fine") hervorgebracht wurden, wurde über die Vorschläge abgestimmt und so die Strafe festgelegt. Da es mehr Schüler und Schülerinnen als Erwachsene gibt, haben die Jungen und Mädchen faktisch immer eine Mehrheit. "Sie tragen so die Verantwortung für die Gesetze und deren Einhaltung." (Zoe Readhead in: Züricher Tagesanzeiger Mai 1994). Den Vorsitz dieser Versammlung übernimmt ein "chairman", der ein Schüler, eine Schülerin, ein Lehrer, eine Lehrerin oder ein "houseparent"sein kann. Diese Person hat als einzige das Recht, "SHUT UP" zu rufen, sobald Unruhe während der Generalversammlung den Fortgang beeinträchtigt. "Der Erfolg einer Versammlung hängt sehr davon ab, ob dieser Vorsitzende schwach oder stark ist; denn eine Rotte von siebzig höchst lebendigen Kindern in Schach zu halten, ist keine leichte Aufgabe."(zit. n. Röhrs 1965, 322). Ein Schriftführer ("secretary") wird ebenso gewählt. Die zu zahlenden "fines" oder die zu leistenden "work fines" werden schriftlich von einem Schüler oder einer Schülerin in einem "work fine-book" festgehalten, um die Ausführung überprüfen zu können. Außerdem wird alles protokolliert, was während einer Versammlung diskutiert wird, damit später jeder die Möglichkeit hat, alles nachzulesen, falls Uneinigkeiten wegen eines bestimmten Gesetzes entstehen. Diese Ämter, wie zum Beispiel die Protokollführung, wechseln jedoch in bestimmten Abständen zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft. Die Kinder demonstrieren, wie sie ihr Leben selbständig und ohne eine autoritäre "Anleitung" (Schmidt 1992, 106) in die Hand zu nehmen und zu meistern imstande sind, indem sie ihre anfallenden Probleme selbst in eigener Verantwortung regeln. Es fällt auf, daß die Kinder ihre Strafen ohne Nörgeln und Murren entgegennehmen; Grund hierfür ist sicherlich die Tatsache, daß die Strafen in der Regel in einem sinnvollen Zusammenhang mit der begangenen Tat stehen. "Kein Schuldiger hat bis jetzt je Zeichen von Trotz gegen die Autorität von seinesgleichen gezeigt. Ich bin immer wieder überrascht über die Fügsamkeit, die sich beim Annehmen der Strafe zeigt." (zit. n. Röhrs 1965, 320). Der Gedanke, daß die Strafansprüche unangemessen und zu hoch sein könnten, entpuppt sich als falsch, denn die hier lebenden Kinder entfalten anscheinend einen Sinn für Gerechtigkeit und Taktgefühl im Hinblick auf die Strafen. "Tat und Strafe stehen also in einem kausalen Zusammenhang." (Schmidt 1992, 106). Nach Karg (1991, 40) stellt diese Art von Schulforum in Summerhill eine der am längsten andauernden Versuche in der Geschichte der Pädagogik dar, Demokratie nicht nur zu dozieren, sondern zu leben. 4.2.2. Schule und Schulbesuch Summerhill kann als international und interkulturell bezeichnet werden, da die Kinder aus den verschiedensten sozialen Schichten und aus den unterschiedlichsten Ländern und Gesellschaften der Welt kommen. Von den derzeit 67 Schüler und Schülerinnen kommen 19 aus Asien, 21 aus Großbritannien, 12 aus der Bundesrepublik Deutschland, 1 aus Frankreich, 1 aus der Schweiz und noch einige Tageskinder aus der näheren Umgebung. "Die meisten Ausländer stammen derzeit aus Japan, Flüchtlinge vor dem rigiden Bildungssystem dort." (Der Spiegel 8/1994). Obwohl die Mehrzahl der Kinder aus gutsituierten Familien stammen, ist auch der Fall bekannt, daß sich eine Familie sogar das Geld geliehen hat, um ihrem Kind den Schulbesuch in Summerhill ermöglichen zu können (vgl. Interview, S. 136). Summerhill ist nicht nur eine Internatsschule, weil die Kinder aus aller Welt kommen, sondern auch weil die Selbstregierungsstruktur von Summerhill eine dauerhafte physische Anwesenheit der Kinder erfordert, damit sie dauerhaft Selbstbestimmung erfahren und lernen. Trotzdem gibt es sogenannte "day-children", die Summerhill täglich besuchen. Der Grund für die Entscheidung, Tageskinder aufzunehmen, war sicherlich finanzieller Natur, denn Summerhill ist zur Zeit mit 67 Schüler und Schülerinnen nicht vollkommen ausgelastet. Das Problem der Tageskinder ist natürlich, daß durch den täglichen Aufenthalt im Elternhaus die Selbstregierung stark beeinträchtigt werden kann, aber im Interesse des Fortbestands von Summerhill ist man anscheinend bereit, Kompromisse zu machen, da man auf das Schulgeld der Kinder angewiesen ist. Um den Kindern den größtmöglichen Freiraum zu schaffen, ist die Teilnahme am Unterricht freiwillig. Daraus resultiert jedoch ein immer wieder diskutierter Konflikt in der Schulversammlung, nämlich daß die Kinder, die den Unterricht regelmäßig besuchen, verärgert sind, wenn Mitschüler oder Mitschülerinnen den Unterricht nur gelegentlich besuchen und dann mit zu vielen Fragen den Fortgang des Unterrichts hemmen. Erzwungene Arbeit wird aufs schärfste abgelehnt, so daß demzufolge Hausaufgaben auch nur freiwillig angefertigt werden. Spielen, basteln oder toben wird als dem intellektuellen Lernen gleichrangig angesehen. Die Neillsche Pädagogik will in erster Linie in den Kindern die Freude am Leben wecken. "Glücklich sein" ist in Summerhill gleichbedeutend mit "am Leben interessiert sein". Ein Schuljahr teilt sich in Trimester von jeweils 12 Wochen auf.. Der Stundenplan, der zu Beginn eines jeden Trimesters ausgehängt wird, ist für Lehrpersonen verpflichtend. Die Schüler und Schülerinnen können sich hier für die Unterrichtsstunden eintragen, für die sie sich interessieren. "Lehrer in Summerhill sind zum Glück davon befreit, auch die Uninteressierten zu interessieren." (Justin Baron in: Brigitte 2/1992). Die jüngeren Kinder haben dagegen einen Klassenraum und eine Lehrperson für alle Unterrichtsfächer. Es gibt keinen Religionsunterricht in Summerhill, um Kinder in ihrer Überzeugung und Glaubensweise nicht festzulegen oder ideologisch zu beeinflussen. Ebenso wird in Summerhill auf einen regelmäßigen Sportunterricht verzichtet, da Neill der Überzeugung war, daß gesunde Kinder genügend Bewegung bekämen. Diese Ansicht hat jedoch nur Gültigkeit in ländlichen Gegenden. Heute ist der Sportunterricht nicht mehr überflüssig, um im Zeitalter der überwiegend sitzenden, auto- und fernsehverwöhnten Kindheit Haltungsschäden und Mißbildungen vorzubeugen. Während meines viertägigen Besuches in Summerhill habe ich beobachtet, daß sich sehr häufig Gruppen von Schülern und Schülerinnen zusammenfinden, um einer Ballsportart (Cricket, Baseball etc.) nachzugehen. Mir wurde ebenfalls mitgeteilt, daß im letzten Trimester ein Schüler einen Fußballclub gegründet hat, in dem sowohl Schüler und Schülerinnen als auch Lehrkräfte Mitglied sind. In den Fächern Mathematik, Englisch, Deutsch, Französisch und Naturwissenschaften wird der Unterricht in Form von altersbezogenen Kursen angeboten. Der einzelne Schüler und die einzelne Schülerin stellt sich entsprechend seinen oder ihren persönlichen Wünschen und Neigungen seinen oder ihren Stundenplan zusammen. Für die Kurswahl ausschlaggebend ist der individuelle Leistungsstand eines Schülers oder einer Schülerin. Es besteht keine Einschränkung bei der Kurswahl, jeder Schüler und jede Schülerin kann auch an einem klassenhöheren Kurs teilnehmen, wenn er oder sie zeigt, daß die erforderlichen Kenntnisse vorhanden sind. Da die Klassen klein sind und die Lehrperson sich daher den einzelnen Schülern und Schülerinnen intensiv widmen kann, ist das Aufrücken in die nächsthöhere Stufe aufgrund der erbrachten Leistung einfach und häufig. Es gibt keine Noten, wodurch noch einmal deutlich gemacht wird, daß der Interessenvertiefung und der Freude am Wissenserwerb eine größere Bedeutung zukommt, als der Kontrolle von Wissen. Jeder ist frei darin, aus sich selbst zu machen, was er oder sie gerne will. Ein schulinterner Abschluß in Summerhill ist nicht möglich. Allerdings kann das GCSE-Examen gemacht werden. Diese Prüfungen werden zentral von der Schulbehörde durchgeführt und sind somit staatlich anerkannt. Außerdem sind sie obligatorisch, wenn der Schüler oder die Schülerin sich entschließt, auf ein "College" zu gehen, um dort das entsprechende Abitur ("A-levels") zu machen. Die Kinder, die sich zu dieser staatlichen Prüfung anmelden, bestehen - laut Schulleitung - diese in der Regel. Auffallend ist, daß die Kinder den vorgeschriebenen Stoff für die Vorbereitung auf die Prüfung teilweise im Eigenstudium in wesentlich kürzerer Zeit als die Kinder in staatlichen Schulen bewältigen. Alex, ein deutscher Schüler aus Waldbrunn, der seit dem 9. Lebensjahr Summerhill besucht, hat bereits mit 12 Jahren die GCSE-Prüfung in Chemie und ein halbes Jahr später in Physik erfolgreich abgelegt. Haben sich die Kinder einmal entschieden, ihr GCSE-Examen zu absolvieren, ist die Lehrperson angehalten, einen "Attendance Register" zu führen, in dem die Anwesenheit der Schüler und Schülerinnen dokumentiert wird (vgl. Dia Nr. 54). Die Bücher, die verwendet werden, entsprechen denen an staatlichen Schulen. So wird im Deutschunterricht beispielsweise mit dem Schülerbuch "Zickzack" gearbeitet,. Die im englischen Curriculum ("Syllabus") als Prüfungsgrundlage genannten Themen, wie "Personal Identification", "House and Home", "Life at Home", "Education and Future Career", "Free-time and Entertainment", "Travel", "Holidays", "Social Relationships", "Health and Welfare", "Shopping", "Food and Drink", "Services", "Language Problems" und "Weather" werden auch im Deutschunterricht in Summerhill angesprochen. Je nach Interesse besuchen sie die Unterrichtsstunden, die ihnen am meisten gefallen. Natürlich haben sie gleichzeitig das Recht, von Unterrichtsstunden fernzubleiben, wenn ihnen das zu behandelnde Thema nicht gefällt. Die von mir per Video aufgezeichnete Unterrichtsstunde zeigt eine Chemie- bzw. Biologiestunde, zu der zwei von fünf Schülern erschienen. Für die nachfolgende Unterrichtsstunde erschien sogar kein Schüler, was natürlich die Frage aufwirft, warum Schüler oder Schülerinnen häufig nicht zum Unterricht erscheinen. Natürlich liegt ein enger Zusammenhang zwischen dem Lernstoff und den Interessen des einzelnen Kindes. Häufig ist es aber der Spieltrieb, der Kinder bewegt, nicht zum Unterricht zu gehen, sondern in Bäumen zu klettern oder mit anderen Kinder Baumhäuser zu bauen. Nach Neill ist aber diese Form der Beschäftigung auch eine Form des Lernens. Die nächste Frage, die sich hier anschließt, ist natürlich: Was motiviert die Kinder überhaupt am Unterricht teilzunehmen? Sicherlich ist zunächst das Interesse jedes Kindes ausschlaggebend für den Besuch der Unterrichtsstunden. Oft sind es auch Eltern oder andere Kinder ("peer pressure"), die ein Kind veranlassen, zum Unterricht zu gehen. Einige Kinder nehmen auch nur am Unterricht teil, weil sie gelangweilt sind und zu diesem Zeitpunkt nichts besseres vorhaben. Aus dem Interview mit Zoe Readhead (vgl.Interview, S. 138) wird ebenfalls ersichtlich, daß es durchaus Kinder gibt, die sich langweilen, doch von ihrem Standpunkt aus ist dies dennoch als konstruktiv anzusehen. Ich fragte drei Mädchen im Alter zwischen 13 bis 15 Jahren, wie häufig sie zum Unterricht gehen, worauf ich die Antwort erhielt: "I tend to go more to lessons during winter time". Und auf die Frage, was sie denn im Sommer machen würden, erwiderten sie: "Well, going swimming". Aus dem Interview mit der Schülerin Maya Mahn ging ebenfalls hervor, daß sich im Sommer fast alles am Schwimmbad abspielt. Es kann jedoch auch vorkommen, daß sich dort Gruppen von Schülern und Schülerinnen treffen, um Lehrstoff nach - beziehungsweise- vorzuarbeiten. Aufgrund des großen Andrangs von japanischen Kindern wurde kürzlich eine zweite Japanischlehrerin eingestellt. Es hat sich gezeigt, daß auch europäische Kinder viel Interesse am Japanischunterricht zeigen. Um den Kindern, die nicht aus englischsprachigen Gebieten stammen, entgegenzukommen, wird das Fach "English as a foreign language" (Englisch als Fremdsprache) angeboten. Es gibt in Summerhill eine relativ dürftig eingerichtete Schulbibliothek, in der sich die Kinder zu bestimmten Zeiten zum Lesen und zum Lernen zurückziehen können. Fächerspezifische Bücher und Lehrwerke sind in den einzelnen Klassenräumen ausgelegt. Am Ende eines jeden Trimesters wird ein Theaterstück aufgeführt, das von den Schülern und Schülerinnen selbst geschrieben wird. Dabei wird Mimik und Gestik bis hin zur Pantomime und zur Komik ein breiter Raum eingeräumt (vgl. Neill 1969, 84f). Neill vertrat die Meinung, daß die Kinder und Jugendlichen durch Tanz und Musik gestärkt werden, was eine natürliche, freiere Emotionaliät und ein gesundes Wachstum fördert. 4.2.3. Kreativer Unterricht Neben den theoriegeleiteten Unterrichtsfächern wie Mathematik, Fremdsprachen und naturwissenschaftlichen Fächern erfahren die künstlerisch-gestaltenden Fächer im Bereich Werken, Kunst und Töpfern einen regen Zulauf. Wie aus dem Stundenplan (vgl. Anhang) ersichtlich wird, stehen die Kunst- und Werkräume allen Kindern an den Vormittagen offen. Die Nachmittage sind für die Schüler und Schülerinnen reserviert, die sich für Kurse eingetragen haben, die obligatorisch für das GCSE-Examen sind. Die Kinder fertigen in der Werkstatt oder in den Kunsträumen verschiedenste Dinge an, wobei sie sich größtenteils an die Vorlagen und Vorgaben des Lehrers halten. Es kann natürlich auch vorkommen, daß in der Holzwerkstatt Dinge des täglichen Lebens hergestellt werden, so wurde mir während meines Besuchs beispielsweise ein Regal vorgeführt, daß sich ein älterer Schüler selbst zusammengebaut hatte, weil er Platz für seine Bücher benötigte. Außerdem werden hier lädierte Skateboards repariert, oder die Jüngeren bauen sich ihr eigenes Spielzeug. Es kommt auch vor, daß einzelne Schüler oder Schülerinnen im Auftrag anderer Werkstücke gegen Entgelt anfertigen. Die Kinder zeigen dabei einen sicheren Umgang mit den Arbeitswerkzeugen. Sie sind bei den eigenständigen Arbeiten sehr besonnen, helfen und beraten sich gegenseitig und nehmen regen Anteil an dem Projekt des anderen. Leistungs- und Konkurrenzdruck entfallen, da die Arbeiten in keinem festgelegten Zeitraum fertiggestellt werden müssen. Die angefertigten Werkstücke spiegeln ein beträchtliches Maß an Kreativität wider und sind in der Regel sehr gut verarbeitet, nicht zuletzt deshalb, weil sie mit viel Freude und großer Motivation hergestellt wurden. Nicht zu vergessen ist auch die Tatsache, daß die Arbeiten für die Kinder selbst häufig einen hohen Nutz-, Gebrauchs- und Lebenswert haben. Der unmittelbare Bezug der Arbeit zur Lebenswelt der Kinder ist hier gewährleistet. 4.2.4. Planung und Regeln in Summerhill "Children are encouraged to make as many decisions as possible for themselves and to enjoy the natural uninhibited play and fantasy of childhood. No moral system is inculcated except that which arises out of the practical life of the community. Freedom is the right to do what you want so long as it does not harm others or injure you physically." (Summerhill School o.J., 7). Trotz der großen Freiheit, die die Kinder in Summerhill genießen, gibt es einen Rahmenplan für die Einteilung der Wochen und Tage. So gibt es feste Zeiten für Unterricht, Frühstück, Mittag- und Abendessen und die klassischen englischen "tea breaks". Zur Zeit meines Besuches in Summerhill gab es ein Gesetz, das besagte, daß alle Kinder bis spätestens um 9.20 Uhr ihre Betten verlassen haben müssen. Die Einhaltung dieses Gesetzes beschränkte sich allerdings nur auf die Tage Montag bis Freitag und galt nicht für das Wochenende, da diese als sogenannte "slobbing days" gelten, an denen jeder solange im Bett bleiben darf, wie er möchte, auch Erwachsene. Jochen Schmidt schrieb in seinem Reisebericht 1992, daß zur Zeit seines Besuchs alle Kinder bis 9.30 Uhr in ihren Betten bleiben durften. Dies muß jedoch zu Problemen geführt haben, da die erste Unterrichtsstunde bereits um 9.30 Uhr beginnt. Um zu gewährleisten, daß die Schüler pünktlich zu ihren Unterrichtsstunden kommen, - falls sie sich denn nun entschieden haben, daran teilzunehmen - ist dieses Gesetz daraufhin geändert worden. Das Frühstück findet von 8.15 Uhr bis 9.00 Uhr statt. Wer nicht daran teilnehmen möchte, weil er beispielsweise ausschlafen möchte, kann dies tun, muß aber bis zur Teepause von 10.50 bis 11.10 Uhr warten, um etwas Eßbares zu sich nehmen zu können. Jedoch hat nur derjenige eine größere Auswahl an Cornflakes, der auch früh zum Frühstück erscheint. Daneben gibt es noch weitere Regeln oder Gesetze, die den Tagesablauf mitbestimmen. Diese Gesetze gelten unbefristet, und die Gemeinschaft wacht streng über ihre Einhaltung. Die Fülle der Gesetze - in den "Summerhill Laws from November, 95" werden 188 Gesetze aufgelistet (vgl. S. 128-133) - riß einen Lehrer zu der Behauptung hin, "Summerhill is possibly the only school in the world that has the most rules and laws than any other ordinary school." Es muß darauf hingewiesen werden, daß es mehrere Gesetze gibt, die nur erlassen wurden, weil das englische Schulrecht ähnliche Vorgaben macht. "First lunch kids not allowed downtown before one o'clock", Kinder dürfen sich vormittags nicht in der Stadt aufhalten; ist eines dieser Gesetze. Zum anderen bestehen auch Gesetze zum Schutz der Schüler und Schülerinnen: "Fire: During the fire drill, everyone must be IN the theatre", dieses etwas abgeschiedene Theatergebäude kann den Schüler und Schülerinnen Schutz während eines Feueralarms bieten. Die Sicherheitsregeln sind unwiderruflich und können nicht auf der wöchentlichen Schulversammlung geändert werden. "All laws go through the meeting except for certain health and safety laws and any other law which is mandatory in the eyes of the state". (Appleton 1991, 14). Um 9.30 Uhr beginnt in Summerhill die erste Unterrichtsstunde. Im Anschluß an die bereits erwähnte Teepause geht es mit der Unterrichtsstunde um 11.10 Uhr weiter. Das Mittagessen wird für die Jüngeren von 12.30 bis 13.15 Uhr ausgeteilt, weil der Essenssaal nur etwa 50 Personen fassen kann. Um 13.15 gibt es schließlich Essen für die älteren Kinder. In der Zeit von 12.30 Uhr bis 16.30 Uhr und von 13.10 bis 15.50 Uhr gibt es für die Größeren kein Unterrichtsangebot. Die Kinder gehen in dieser Zeit ihren aktuellen Freizeitbeschäftigungen nach. Um 16.00 Uhr treffen sich Kinder und Erwachsene noch einmal zu einer Teepause, in der wieder Tee und Gebäck gereicht werden. Eine weitere Unterrichtseinheit findet am späten Nachmittag von 15.30 bzw. 16.30 Uhr statt. Darauf folgt das Abendessen. Die Erwachsenen mischen sich hier aber nicht unter die Kinder, sondern nehmen das Abendessen im Lehrerzimmer ein. "Staff and kids mix during lunch; not during supper; staff takes it in the staff room." (Sadofsky 1995; 19). Summerhill kann durchaus als "Ganztagsschule" bezeichnet werden. Nach dem Abendessen treffen sich die Kinder häufig in Gruppen und spielen oder sehen fern. Dienstags, Mittwochs, Freitags, und Samstags findet am Abend eine Disco statt, die den Namen "gram" trägt ("gram" Abk. für "grammophone"). An manchen Abenden besuchen die älteren Kinder das Kino in Leiston. Gelegentlich werden auch spontan Veranstaltungen organisiert, wie beispielsweise ein Tischtennistunier. "Bedtimes are always a source of much debate!" (Appleton 1991, 12). Deshalb wird in jedem Trimester ein "Beddies Officer Committee" gewählt, die darüber wachen, daß die in der Schulversammlung aufgestellten Bettzeiten eingehalten werden. Bei Verstößen können die "Beddies Officer" Strafen, wie beispielsweise "als erster in der Frühstücksschlange stehen", was natürlich ein frühes Aufstehen fordert, Verzicht auf den Nachtisch oder auch eine Geldstrafe von 25 pence verhängen. 4.2.5. Kinder ohne Angst? "... the absence of fear is the finest thing that can happen to a child". (Neill in: Summerhill School o.J., 6). Die Kinder zeigen keine Angst vor Erwachsenen. Es herrscht ein entspanntes, herzhaftes und ehrliches Verhältnis zwischen Kindern und Lehrer und Lehrerinnen. Es ist ein vertrautes Bild, daß Lehrpersonen, Schüler und Schülerinnen miteinander toben oder sich in den Arm nehmen. Dazu ein kurzer Auszug aus einem Artikel der englischen Zeitung Telegraph: "[Summerhill:] a co-educational boarding school where staff hug pupils...". (Mai 1995). Auch mit Besuchern geben sie sich auf einer gleichberechtigten Ebene, in der sie mit den Menschen als Menschen umgehen und natürlich auch selbst so behandelt werden möchten. Jeder erfährt hier Akzeptanz und Wertschätzung, denn ganz gleich seiner Schwächen oder Stärken wird er hier als Person voll und ganz akzeptiert, die das freie Recht auf alles hat, sofern sie es vor sich selbst, vor der Gemeinschaft und damit vor ihren Mitmenschen verantworten kann. Dieses Zugeständnis von Freiheit könnte leicht zu dem Glauben führen, daß hier Chaos und Anarchie herrschen. Der Spiegel-Artikel von 8/1994 trägt immerhin den Titel "Von wegen Anarchie". Die damals interviewte deutsche Summerhill-Schülerin streitet die Anarchie völlig ab, denn "wir haben hier jede Menge Pflichten und Verbote" (August 1994). Ganz im Gegenteil wird Wert darauf gelegt, daß die Grenzen der Mitmenschen nicht im täglichen Zusammenleben überschritten, sondern ge- und beachtet werden. "Vielen progressiv[en], etablierten [Pädagogen], wie etwa Maria Montessori, warf Neill [in diesem Zusammenhang] vor, sie drückten den Kindern ihre Ideen auf, anstatt sie durch Selbstverwaltung zu befähigen, ihre unbewußten Züge und damit ihre Kreativität zu befreien. [Neill] nahm sich auch wenig Zeit, innovative Unterrichtsmethoden zu entwickeln, weil er die Entwicklung einer sich selbst verwaltenden Gemeinschaft für wichtiger hielt, in der Kinder wirklich Einfluß ausüben konnten." (Cannan 1985, 17). 4.3. Welche pädagogischen Absichten und Ziele werden mit diesem Tagesablauf bzw. mit dieser Organisation der Schule verfolgt ? Die im zweiten Kapitel dargestellten Erfahrungen Neills mit den englischen Schulen lassen vermuten, daß seine Kritik am Schul- und Erziehungswesen auf den dort gemachten Erfahrungen basiert. Neill gelangte zu der Überzeugung, daß das bestehende Schul- und Bildungssystem von falschen Annahmen ausgeht. Seine Arbeiten verfolgten das Ziel, "die Schule kindergeeignet zu machen - nicht die Kinder schulgeeignet". (Neill 1969, 22). Das Glück des Kindes, seine individuelle Zufriedenheit und sein Wohlbefinden sind für Neill die wichtigsten Prinzipien. Ein weiteres wichtiges schulpädagogisches Prinzip, das von Neill kreiert wurde, ist die freiwillige Teilnahme am Unterricht. Es kann natürlich vorkommen, daß Kinder jahrelang nicht am Unterricht teilnehmen. Aus Gesprächen mit mehreren Schüler und Schülerinnen ging jedoch hervor, daß Kinder, die bereits in jungen Jahren nach Summerhill kommen, den Unterricht von Anfang an besuchen. Schüler und Schülerinnen, die bereits das repressive normale Schulsystem kennengelernt hatten, zeigen ein deutliche Tendenz dahin, daß sie im ersten und zweiten Trimester vom Unterricht fern bleiben. Dazu schreibt Neill: "Kinder, die von einer anderen Schule zu uns kommen, schwören sich jedoch oft, nie wieder in ein Klassenzimmer zu gehen. Sie spielen, fahren mit dem Fahrrad, stören andere bei der Arbeit, aber sie hüten sich vor der Schulbank. In einigen Fällen dauerte das Monate. Die Zeit der Genesung' entspricht der Stärke des Hasses, den ihnen die vorige Schule eingegeben hat." (Neill 1969, 23). Diese Phase wird schulintern als "breaking-out-Phase" bezeichnet. Aus Gesprächen mit deutschen Summerhill-Schülern und Schülerinnen ging hervor, daß sie in der Regel ein bis zwei Jahre vom Unterricht fernbleiben. Es ist auffallend, daß Neill sich nicht häufig über den eigentlichen Prozeß des Lernens äußert, was zu der Annahme führt, daß der reine Glaube an das Kind, die Grundlage seiner Arbeit bildet. "Nach meiner Überzeugung ist das Kind von Natur aus verständig und realistisch. Sich selbst überlassen und unbeeinflußt von Erwachsenen entwickelt es sich entsprechend seinen Möglichkeiten [...].Von den Lehrern wird nicht erwartet, daß sie nach besonderen Lernmethoden arbeiten." (Neill 1969, 24). Zusammenfassend sollen nun im folgenden die Elemente seines antirepressiven Ansatzes aufgezeichnet werden. An dieser Stelle muß nochmals darauf hingewiesen werden, daß sein Ansatz auf der Prämisse beruht, daß das Kind von Natur aus gut sei und sich aus sich selbst heraus frei entfalten und entwickeln kann.
Im Jahre 1994 erschienen in mehreren englischen und deutschen Zeitungen Artikel, die die Existenzberechtigung der Internatsschule Summerhill in Leiston in Frage stellten. Diese Diskussion wurde entfacht, nachdem eine staatliche Inspektion gravierende Mängel in Summerhill entdeckte. Am stärksten wurde das niedrige Bildungsniveau kritisiert. "Staatliche Inspektoren hätten überdies unflätige Sprache und häufiges Schulschwänzen moniert." (Der Spiegel August 1994). Die Qualität des Unterrichtens sei aber im allgemeinen befriedigend und die Ergebnisse, die in den Abschlußprüfungen erzielt werden, ließen erwarten, daß diese Schüler und Schülerinnen problemlos ihre Schulkarriere fortführen können. Die Inspektoren bestätigten, daß Summerhills Schüler und Schülerinnen über eine hohe Selbstwertschätzung verfügen und intensive Freundschaften zwischen Erwachsenen, Schülern und Schülerinnen bestehen (vgl. The Scotsman Mai 1994). Bereits 1990 und auch 1994 wurden Mängel nicht nur bei den Lernfortschritten der Schüler und Schülerinnen festgestellt, sondern auch bei ihrer Unterbringung. Daraufhin wurden die Zimmer im Haupthaus renoviert und die geforderten zwei zusätzlichen Toiletten installiert (vgl. Times 29.12.1990). Wie aus mehreren Zeitungsartikeln aus dem Jahre 1990 hervorgeht, wurden auch die zu kleinen Klassenräume kritisiert. Noch heute versucht die Schule, zusätzliche Klassenräume zu schaffen. Festgestellte Mängel werden immer von Ultimaten begleitet, in denen sie beseitigt werden müssen. Bemängelt wurden die Unterkünfte: "living accommodation was unsatisfactory', of bleak appearance', almost all uncarpeted, and in some cases unacceptable'!" (The Guardian Mai 1994). Dazu sagt Zoe Readhead in einem Interview: "The whole idea of Summerhill was designed to fit children, and our accommodation is user-friendly [...]. It is unusual to find a child who likes a tidy room. Eight out of ten children prefer to be able to drop water on the floor and not worry about it." (ohne Angabe, Zeitungsartikel 1994). Auch der Wissensstand der Schüler und Schülerinnen wurde kritisiert: "Academic standards [...] were poor and not helped by the freedom of pupils to miss lesson or ignore entire subjects" (The Telegraph Mai 1994). Außerdem wurde moniert, daß der Standard in den Unterrichtsfächern Geographie, Geschichte, Musik und in den Naturwissenschaften zu wünschen übrig ließe. Ebenso wurde Religionsunterricht gefordert, was jedoch nicht im Einklang mit Neills Pädagogik steht. Die Tatsache, daß ein Bewertungsschema in Form von Noten fehlt, wurde ebenfalls negativ bewertet, mit der Erklärung, daß die schulischen Leistungen der Schüler und Schülerinnen nicht gemessen werden können. Der Unterricht wurde zwar als "satisfactory" (befriedigend) eingestuft, er könnte nach der Auffassung der Inspektoren jedoch durchaus verbessert werden. Diese Auflistung von Kritikpunkten zeigt die unterschiedlichen Präferenzen von normalen' Schulen im Vergleich zu Summerhill. In Summerhill wird kein Wert auf akademische Bildung gelegt. Die Teilnahme am Unterricht ist freiwillig, deshalb kann es durchaus der Fall sein, daß ein Kind Defizite in klassischen Unterrichtsfächern zeigt, jedoch zeichnen sich Summerhill-Schüler und Schülerinnen oftmals durch eine hohe Kreativität aus. Daß die Kinder in Summerhill zufrieden, ausgeglichen, glücklich und freundlich wirken, wird nur am Rande erwähnt. Daher scheint es für die Schulinspektoren zwar bemerkenswert, aber keineswegs von besonderer Relevanz gewesen zu sein. Ein weiterer Punkt, der von den Inspektoren übersehen und in ihrem Bericht nicht erwähnt wurde, sind die sogenannten "Schulversager", die auf den staatlichen Schulen nicht zurechtkamen und die Lust am Lernen verloren hatten, die aber in Summerhill Zeit und Gelegenheit bekommen, sich von ihren Verletzungen' zu erholen und einen neuen Anfang wagen können. Es stellt sich nun die Frage: Ist die Schule Summerhill durch eine restriktive und elitenorientierte Bildungspolitik der Regierung Major gefährdet? Bedenkt man, daß die staatlichen Inspektionen regulär alle vier Jahre stattfinden, so ist es verwunderlich, wenn Summerhill dieser Art von Besuchen seit dem Amtsantritt John Majors 1990 jährlich unterzogen wird. John Major forderte ein "Back to Basics", also eine Rückbesinnung auf tradtitionell-sittliche Werte, da die gegenwärtige Erziehung in der Schule den Schülern und Schülerinnen Chancen rauben würde. Aufgrund des äußerst geringen Anteils an britischen Schülern und Schülerinnen in Summerhill liegt jedoch die Vermutung nahe, daß die strenge Überwachung Summerhills verbunden jeweils mit der Publikation der Inspektionsberichte in der Presse eher dem Bereich der symbolischen Politik zuzuordnen ist. "Summerhill has had three HMI inspections recently, in 1990, 1992 and 1993. The 1990 inspection [...] was overdue, we had been more than twenty years without one. The 1992 inspection was because of the Channel Four film. The 1993 inspection was to follow up on 1992 [...] and to make sure that the school was going to live up to the requirements of the Children Act of 1989 that gives the social services new powers over boarding schools." (Lamb 1994, 7ff). Auch in den folgenden Jahren fanden in regelmäßigen Abständen Schulinspektionen statt. 1994 wurde eine größere Schulinspektion durchgeführt, deren Bericht ("report") veröffentlicht wurde und dadurch in mehreren Zeitungen erschien. Eine Woche nach meinem Besuch in Summerhill fand am 6.März 1996 ebenfalls eine kleine Inspektion statt, die die Beseitigung der in 1995 von den Inspektoren bemängelten Dinge begutachtete. Es liegt die Vermutung nahe, daß sich hinter den Punkten, die die Inspektoren bemängeln, auch eine grundsätzlichere Kritik verbirgt. Jede Inspektion, bei der Mängel moniert wurden, ermöglicht es den Inspektoren, nach sechs Monaten zu überprüfen, ob diese Mängel behoben wurden. Bei der Aufstellung der Mängelliste werden zum Vergleich stets staatliche Schulen herangezogen. Summerhill ist insofern gefährdet, als daß es so immer mehr an das staatliche Schulsystem angelehnt wird. So wirkt es paradox, wenn eine Anwesenheitsliste an einer Schule geführt werden soll, in der kein Schüler zum Erscheinen im Unterricht gezwungen werden darf? Plant das englische Kultusminsterium eine weitere intensive Schulinspektion in absehbarer Zeit, dann besteht laut Zoe Readhead Grund zum Nachdenken. "That could mean real trouble." (Readhead 1994, 9). Außerdem richtet sie in diesem Bericht einen Appell an die interessierte Öffentlichkeit, den Zeitungsartikeln nicht übermäßigen Glauben zu schenken, sondern sich direkt mit derSchule in Verbindung zu setzen, denn allen Artikeln zum Trotz ist Summerhill so stark und stabil wie nie zu vor. Die Internatsschule muß sich jedoch gegen immense Angriffen von außen bewähren, wie das folgende Beispiel zeigt. Die im Rahmen des 70. Geburtstages von Summerhill 1991 gesendete englische TV-Dokumentation belastete den Ruf Summerhills stark. Die zweite HMI-Inspektion wurde aufgrund dieser Dokumentation in die Wege geleitet. Die ausgestrahlten Szenen, wie beispielsweise mehrere ausgelassene Schüler und Schülerinnen beiderlei Geschlechts, die gemeinsam unbekleidet baden, sowie ein Schüler (der Sohn von Zoe Readhead), der mit einer Axt den Kopf eines Kaninchens abschlägt und Schüler und Schülerinnen, die sich mit freiem Oberkörper nackt massieren, schockierten die englische Bevölkerung. Ebenso zeigt der Bericht, daß die Bettzeit nicht eingehalten wird und wie Kinder, Lehrer und Lehrerinnen mit Plastikpistolen spielen. Alles, was gezeigt wird, sind unausgeschlafene und verstörte Kinder. Die Stellungnahme des "House-Parent" Matthew Appletons zu diesem Bericht stellt klar, daß der Junge, der das Kaninchen schlachtete, Sohn eines Landwirtes ist und das Kaninchen von Myxomatose befallenen war. Ferner berichtet er, daß während der Dreharbeiten zu dieser Dokumentation einige ältere Problemkinder und viele kleinere Kinder anwesend waren, die das Leben in der Gemeinschaft und das Ausüben der Selbstbestimmung nachhaltig beeinflußten. Außerdem hatten die Summerhill- Schüler und Schülerinnen in einer Schulversammlung alle bis dahin bestehenden Regeln außer Kraft gesetzt, was nicht ungewöhnlich für Summerhill ist. Bereits nach kurzer Zeit, als den Beteiligten bewußt wurde, daß so die Freiheit des einzelnen nicht gewährt werden kann, wurden die allgemeingültigen Gesetze wieder in Kraft gesetzt. Die Darstellung Summerhills in der Reportage war also nicht repräsentativ für das Leben in Summerhill. Hinzu kommt, daß auch die Zeitungsartikel, die über Summerhill berichten, fast immer einen negativen Unterton aufweisen. In einem Satz wird häufig erwähnt, daß die Schüler und Schülerinnen rauchen, küssen, fluchen und zusammen nackt baden dürfen. Die Zeitungen berichten, als ob dort jeder tun und lassen könnte, was ihm gefällt, und es sich bei den Schülern und Schülerinnen um eine "Schar Wilder handle, denen Gesetz und Manieren fremd sind" (Dietrich 1982, 135). Die Hintergründe werden nicht genannt. Und daß es sehr wohl Gesetze gibt, die einem Kind unter 14 Jahren das Rauchen verbieten, wird verborgen gehalten. Ferner bleibt anzubringen, daß ein zunehmender Bildungskonservatismus die Bildungsalternative Summerhill gefährdet, denn die Erwartungen der Eltern werden auch durch die -egoistische- Auffassung geprägt, daß ihre Kinder mit solch einem Wissen bedient werden müßten, welches ihre Karriere fördern kann. Die Gesellschaft fordert Titel, Zensuren, Zeugnisse und Prüfungsarbeiten, die den intellektuellen Status bestimmen. Diplome und akademische Titel sind fast unerläßlich, wenn ein Durchschnittsmensch angemessen leben möchte. Eliteschulen wie Eton haben daher stets einen regen Zulauf, nicht zuletzt auch, weil Schüler wie Prinz William die Schule besuchen, was sicherlich für aufstiegsorientierte, statusbewußte Eltern von größter Bedeutung ist. Dieser Aspekt scheint den Schülern und Schülerinnen von Summerhill durchaus bewußt, wenn etwa ein ehemaliger Schüler schreibt, "daß nur wenige, auf künstlerischem Gebiet hochtalentierte Menschen heute noch existieren können, ohne vor diesem System zu kapitulieren" (Popenoe 1970, 81). 5. Der Einfluß von Summerhill auf pädagogische Ansätze der Studentenbewegung Das Thema der antiautoritären Erziehung ist gerade gegen Ende der 60er Jahre in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit getreten. A.S. Neills Buch "Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung - Das Beispiel Summerhill" erlebte in dieser Zeit einen sensationellen Erfolg. Bis Ende 1970 wurden über 600 000 Exemplare verkauft, damit gehörte es zu den literarischen Bestsellern des Jahres 1970. A.S. Neills Bericht wurde bereits 1965 veröffentlicht, doch obwohl seine Schule zu dem damaligen Zeitpunkt bereits seit 34 Jahren bestand, gelang der große Durchbruch erst mit der Neuauflage. Es ist sicherlich nicht auszuschließen, daß der vom Verleger sehr wirksam gestaltete Titel Grund für diesen Durchbruch war. "Antiautoritäre Erziehung war plötzlich in." (Paffrath 1972, 10). Aus dieser Situation kann sich auch die weite Verbreitung von Neills Buch erklären, denn man glaubte hier ein Modell einer antiautoritären Erziehung zu finden. Diese Diskussion um die antiautoritäre Erziehung erreichte 1971 einen weiteren Höhepunkt, als der Sammelband "Summerhill - pro und contra" mit Stellungnahmen führender amerikanischer Fachleute veröffentlicht wurde. In den ersten beiden Jahren nach der Veröffentlichung wurden etwa 220 000 Exemplare verkauft (Rowohlt Verlag, 23. Februar 1996). Wie durchschlagend die Idee der antiautoritären Erziehung war, zeigt zum einen die überschwemmende Fülle von Büchern, Rezensionen, Zeitungs- oder Zeitschriftenartikeln und zum anderen die Aufnahme des Themas als Lehrangebot zahlreicher Hochschulen und Universitäten. Paffrath spricht in diesem Zusammenhang von einer "Volksbewegung". Ferner stellte er die Behauptung auf, daß es sich kaum eine Zeitung oder Zeitschrift erlauben konnte, zu diesem Problem nicht Stellung zu beziehen (vgl. Paffrath 1972, 12). Nachdem ich im vorigen Kapitel versucht habe, A.S. Neills Erziehungskonzept und sein Verständnis von Autorität zu skizzieren, möchte ich in diesem Kapitel den Einfluß der Pädagogik Neills und seiner Schule Summerhill auf die pädagogischen und antiautoritären Ansätze Ende der 60er Jahre umreißen. Ich möchte untersuchen, wie weit der Einfluß reichte und welche Konsequenzen er hatte. Dabei werde ich allerdings nicht ausführlich auf die "antiautoritäre Bewegung" insgesamt eingehen, da es den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Jedoch soll hier der Versuch einer Definition von Antiautorität unternommen werden, um die Komplexität des Gegenstandes darzulegen und unterschiedliche Ansätze, Ausgangspunkte und das intendierte Ziel Neills und der deutschen Bewegung darzustellen. Das Phänomen der antiautoritären Erziehung ist in einem gesellschaftspolitischen Zusammenhang zu sehen und kann daher nicht losgelöst von diesem behandelt werden. Die antiautoritäre Entstehungsgeschichte ist eng verknüpft mit der Studentenbewegung der sechziger Jahre, auf die ich im folgenden eingehen möchte. 5.1. Studentenbewegung als gesellschaftliche Entstehungbedingung antiautoritärer Erziehung Im folgenden soll versucht werden, auf die antiautoritäre Erziehungsbewegung und ihre "praktische Umsetzung" im Kontext der Studentenbewegung der sechziger Jahre einzugehen. Eine nicht abreißende Welle von studentischen Unruhen, Protestbewegungen und gewalttätigen Ausschreitungen kennzeichneten die Jahre zwischen 1965 und 1970. Diese Studentenunruhen, die es auch in den USA, Frankreich, England, Belgien gab, hatten erhebliche Auswirkungen auf die Innenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Es trat eine neue, jüngere Generation ins öffentliche Leben, die im Gegensatz zu ihren Vorgängen nicht mehr den materiellen Wohlstand als oberste Präferenz hatte, sondern Forderungen nach Mitbestimmung und einen gesellschaftlich-kulturellen Wandel erhob. Unterstützt wurde diese Bewegung auch dadurch, daß nach nahezu konstantem wirtschaftlichem Wachstum seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland die ökonomische Lage stagnierte und man erstmals mit Phänomenen wie Rezession und dem Ende der Vollbeschäftigung konfrontiert wurde. In der Krise von 1967 wurde deutlich, daß die veralteten Bildungsstrukturen den Ansprüchen nach höher qualifizierten Arbeitskräften nicht mehr gerecht werden konnten. Eine Reform des Bildungswesen war überfällig. Die Unzufriedenheit innerhalb der Studentenschaft ist jedoch nicht nur auf ökonomische Probleme zurückzuführen, ein zentraler Punkt für das zunehmende politische Engagement der Studenten und Studentinnen war die 1966 gebildete große Koalition zwischen SPD und CDU/CSU, deren innenpolitisches Konzept studentische Hoffnungen und Erwartungen hinsichtlich des Parlamentarismus nicht erfüllten. Auch wenn nun der Eindruck entstanden ist, daß der studentische Protest sich zunächst gegen politische und soziale Strukturen richtete, so muß er dennoch auch als Widerstand gegen die universitären Mißstände gesehen werden. Den Ansatzpunkt für kritische Angriffe bildeten die schlechten Studienbedingungen aufgrund von Überfüllung der Hochschulen, Unfähigkeit und Unwilligkeit der Universität zur Selbstreform, unangemessene Hochschulmaßnahmen der Länder, unüberschaubare Fakultäten, zunehmende Stoffülle, starre, vielfach berufs- und wirklichkeitsfremde Prüfungsordnungen, mangelnder Kontakt zwischen Studenten und Professoren, veraltete, erstarrte Formen dogmatischen Dozierens, eine unkontrollierte, patriarchalische Ordinarienherrschaft, verbunden mit der Zurückdrängung kritischer und fortschrittlicher Fragestellungen aus dem Wissenschaftsbetrieb sowie mangelnde Einflußmöglichkeiten der Studenten auf die Organisation ihrer Lernprozesse und auf das Selbstverständnis der Universität (vgl. Masthoff 1981, 10). Dadurch daß die Studenten und Studentinnen mit ihrer Forderung nach einer Hochschul- und Studienreform immer häufiger auf gesellschaftliche Barrieren trafen und somit in den außeruniversitären Bereich stießen, wurde der Zusammenhang zwischen hochschulpolitischen Demokratisierungsprozessen und den Gesellschaftsstrukturen sichtbar. Die Studentenbewegung lehnte "eine von ihnen als verbürgerlicht, erstarrt, verlogen, etabliert und heuchlerisch interpretierte Wohlstandsgesellschaft" ab (Masthoff 1981, 25) und wendete sich somit radikal gegen die bestehende Gesellschaft. Überlieferte gesellschaftliche Denk- und Verhaltensmuster wurden aufs schärfste bekämpft und durch andere Vorstellungs- und Verhaltensmuster ersetzt. Die Studentenschaft richtete sich eindeutig gegen autoritäre Herrschaftsbeziehungen - vor allem von Menschen über Menschen-, die Masthoff als irrationale, nicht begründete und illegitime Beziehungen beschreibt. Die Studenten und Studentinnen distanzierten sich hier klar von einer durch Machtmittel gesteuerten Gesellschaft. Ihr zentraler Denkansatz forderte vielmehr eine neue, repressionsfrei organisierte Gesellschaft der Zukunft. Der Erziehungsbereich gewann an Bedeutung. Eine Umgestaltung der Gesellschaft setzte eine Veränderung des Bewußtseins und auch der Erziehung voraus. Bei der Schaffung eines "neuen Menschen" (Masthoff 1981, 28) spielte die antiautoritäre Erziehung eine entscheidende Rolle. Antiautoritäre Erziehung sollte in gewisser Weise vor der gedankenlosen Übernahme von außen vorgegebener Ordnungen und Verhaltensmuster bewahren und damit die kritische Auseinandersetzung mit jenen Formen politischer Herrschaft, die Freiheit und Selbstbestimmung verhindern, ermöglichen. 5.2. Antiautoritäre Erziehung - Versuch einer Definition Obwohl Paffrath 1972 sagte, daß fast jeder etwas Unterschiedliches mit antiautoritärer Erziehung meint, soll hier der Versuch gemacht werden, eine allgemein gültige Definition für antiautoritäre Erziehung zu finden. Der Ansatz der antiautoritären Erziehung stellt kein Ergebnis einer wissenschaftlichen Forschung dar, sondern ist als eine erzieherische Provokation der sechziger Jahre, im Zusammenhang mit der gesellschaftskritischen Praxis der revolutionär-sozialistischen orientierten Studentenbewegung zu sehen. "Antiautoritäre Erziehung läßt sich rein formal als Ablösung der als autoritär verstandenen, herkömmlich praktizierten Erziehung fassen." (Masthoff 1981, 30). Entstehungs- und Ursachenzusammenhang hinsichtlich antiautoritärer Erziehung versteht Breiteneicher (1971, 125f) wie folgt: "Antiautoritäre Erziehung ist zunächst eine Erfindung des kleinbürgerlichen Intellektuellen, geboren aus seinem Konflikt, den er in unserer Gesellschaft durchstehen muß, den Konflikt mit den Autoritäten." Es erscheint sinnvoller, die antiautoritäre Erziehung ex negativo zu definieren: antiautoritäre Erziehung lehnt eine als repressiv verstandene Erziehung radikal ab. Bei der Abgrenzung des Begriffs antiautoritäre Erziehung sollte man die Bedeutung des Präfix "anti" hinweisen. Die ursprüngliche griechische Präposition bedeutet so viel wie: entgegen, gegen, gegenüber, im Angesicht von (vgl. Claßen 1973, 161). Die Vorsilbe "anti" drückt in deutschen Wortverbindungen wie Antifaschismus, Antisemitismus, Antiliberalismus eine "feindlich-aggressive, kämpferisch-angreifende Komponente" (Masthoff 1981, 31) aus. Eine Verbindung zu Gewaltsamkeit, Fanatismus, Auflehnung und Rebellion ist leicht herzustellen. Wer eine Anti-Haltung eingenommen hat, wird nicht zwangsläufig bereit sein, sich in einen Dialog mit anderen Positionen, in den Argumentationszusammenhang des Gegenübers einzulassen, Reflexionen eventuell kritisch zu überprüfen (vgl. Masthoff 1981, 31). Die Anti-Haltung kann leicht als starr, statisch und unflexibel verstanden werden, die sehr stark mit Affekten, Emotionen und Irrationalismen verbunden ist. Die antiautoritäre Erziehung definiert sich demnach aus den Gegensätzlichkeiten, aus dem konträren. Antiautoritäre Erziehung wendet sich gegen Autoritätselemente, die sich einer argumentativen Legitimation verweigern und sich statt dessen auf Machtbefugnisse stützen. Nach Breiteneicher (1971, 20) gehört zur antiautoritären Erziehung "Realitätstüchtigkeit und Anerkennung der objektiven Notwendigkeit. Denn wenn ein Schiff sinkt, muß man es verlassen." Wogegen wendet sich nun die antiautoritäre Erziehung?
Im folgenden sollen nun ähnliche Wörter aufgelistet werden, die häufig als Leitbegriff der antiautoritären Erziehung gebraucht werden: "freie Erziehung", "freiheitliche Erziehung", "repressionsfreie Erziehung", "repressionsarme Erziehung", "nichtrepressive Erziehung", "angstfreie Erziehung", "unautoritäre Erziehung", "autoritätsarme Erziehung", "nichtautoritäre Erziehung", "nichtfrustierende Erziehung", "Laissez-faire-Erziehung", "antiautoritative Erziehung", "kollektive Erziehung", "revolutionäre Erziehung", "sozialistische Erziehung", "antikapitalistische Erziehung", "proletarische Erziehung", "emanzipatorische Erziehung" (vgl. Kron 1973, 8ff und Paffrath 1972, 14). Die hier dokumentierte unterschiedliche Zusammenfassung unterschiedlicher Ansätze zeigt, wie schwierig es ist, den Terminus antiautoritäre Erziehung festzulegen. Paffrath konstatiert: "In Diskussionen und Gesprächen zeigt sich in letzter Zeit immer deutlicher [...] eine heillose Verständigungsschwierigkeit und Begriffsverwirrung. Fast jeder meint oder intendiert mit antiautoritärer Erziehung etwas Unterschiedliches." (Paffrath 1972, 14). Die unter antiautoritärer Erziehung subsumierten Begriffe können außerdem deshalb kein Hilfsmittel bei der Definition darstellen, da sie zum größten Teil selber inhaltlich nicht klar voneinander abzugrenzen sind. "Ein Schlagwort kann nicht das andere erklären, sondern trägt nur zu weiterer Ratlosigkeit bei." (Masthoff 1981, 39). Eine endgültige Definition ist sicherlich erst dann gefunden, wenn antiautoritäre Erziehung sich inhaltlich konkret definieren läßt. Dann besteht jedoch die Gefahr, daß durch feste Maßgaben, Normen und neu aufgebaute Positionen aus der antiautoritären Erziehung ein autoritär-dogmatisches Konzept wird. 5.2.1. Versuch einer Abgrenzung Da der Terminus "antiautoritäre Erziehung" sich nicht eindeutig definieren läßt, kann die antiautoritäre Erziehung am besten als Gegenentwurf und Alternative zu der herkömmlichen, als autoritär betrachteten Erziehung eingrenzt werden. Innerhalb der antiautoritären Erziehungbewegung lassen sich nach Paffrath (1972, 32) zwei verschiedene Grundpositionen unterscheiden: Summerhill und die sozialistischen Modelle. Auch Masthoff (1981, 84) und Kron (1973, 8) nehmen eine Unterscheidung von zwei extremen Polen vor. Das eine Extrem ist gekennzeichnet durch Selbstverständnis, Selbstregulation, Freiheit, Autonomie, Ich-Stärke, Selbstverwirklichung und Glück des Individuums. Außerdem gibt sie sich als unpolitisch aus. Genau diese antiautoritären Erziehungsbestrebungen liegen der von A.S. Neill gegründeten Internatsschule Summerhill zugrunde. Das andere Extrem wird durch eine konsequent gesellschaftspolitische Perspektive der Erziehung definiert. Erziehung ist hier im politischen Sinne zu sehen, da sie im Kontext mit Klassenkampf und Befreiungsarbeit gesehen werden muß. Es wird Kritik an den bestehenden Verhältnisse geübt und eine "revolutionäre Wandlung des tradierten Gesellschaftssystem" (Masthoff 1981, 41) gefordert. Ihre Zielposition "ist die einer revolutionären oder antikapitalistischen Erziehung als Teilziel der Revolution der bürgerlichen, d.h. der bestehenden Gesellschaft" (Kron 1973, 8). Diese sozialistische Richtung schlägt sich am deutlichsten in den Kinderläden nieder. Deutsche Landerziehungsheime und antiautoritäre Ferienlager lassen sich ebenfalls diesen Modellen zuordnen. Eine Übereinstimmung von den sozialistischen Modellen und Summerhill in manchen Punkten läßt sich nicht leugnen, so lehnen sich beide an Freuds Psychoanalyse an und eine religiöse Erziehung radikal ab. Ein bedeutender Punkt liegt darin, daß der Klassenkampf die sozialistischen Modelle, nicht jedoch das Neillsche Konzept charakterisiert. Nach Paffrath (1973, 14) läßt sich jedoch eine entscheidende Gemeinsamkeit herausarbeiten. Der Anpruch auf antiautoritäre Eziehung trifft nur dann zu, wenn Autorität nicht in jeder Form konsequent abgelehnt wird. Denn wie bereits nachgewiesen wurde, trifft dieser Anspruch ebensowenig auf Summerhill wie auch auf die sozialistischen Modelle, die mit einer klaren Zielvorgabe -der Erziehung zum Klassenkampf- arbeiten, zu. 5.3. Entwicklung und Bedeutung der Kinderladenbewegung Der erste Kinderladen wurde 1967 in Frankfurt gegründet. Einige Monate später wurden weitere Kinderläden in Berlin eröffnet. Diese weiteren Kinderläden standen in engem Zusammenhang mit den Vietnamdemonstrationen vom Januar 1968. Um an den studentischen Aktionen aktiv teilnehmen zu können, mußten die politisch engagierten Mütter eine Unterbringungsmöglichkeit für ihre Kinder finden. Leerstehende Verkaufsräume wurden angemietet und dort Kinderhorte eingerichtet, daher die Bezeichnung "Kinderläden". Eine Unterbringung der Kinder in staatlichen Kindergärten stand außer Frage, da zum einen keine Freiplätze vorhanden waren und zum anderen die dort praktizierten Methoden ihren eigenen Vorstellungen "diametral entgegenstanden und deshalb von vornherein indiskutabel waren" (Paffrath 1972, 35). Hier zeigt sich, daß Kinderläden zunächst "weder als Antwort oder Gegenmodell zu den [...] Erziehungspraktiken und -zielen der bürgerlichen Familie gedacht waren, noch primär politische Ziele die Gründungen anregten" (Masthoff 1981, 67), sondern daß sie zu Beginn als Selbsthilfeorganisationen geplant waren. Zunächst wurden die Kinderläden als "Inseln einer repressionsfreien Erziehung" angesehen, die sehr stark von Freuds Modell der Psychoanalyse beeinflußt wurden. Die repressionsfreie Erziehung lehnte Autoritätshörigkeit, Anpassung und Unterdrückung entschieden ab und forderte statt dessen Freiheit und Glück des Kindes, womit letzlich eine politische Erziehung zum Klassenkampf gemeint war. Im folgenden soll nun auf das pädagogische Konzept der Kinderläden eingegangen werden. "Autoritäre Persönlichkeit bezeichnet [...] ein Syndrom von charakterlichen Zügen und Verhaltensweisen, das das Resultat aus elterlichen Erziehungspraktiken und gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen darstellt." (Masthoff 1981, 73). Die Anwendung von Zwang, Reinlichkeitserziehung, sexualitätsverneinender und sexualitätsunterdrückender Erziehungspraxis und eine Durchsetzung äußerer Ordnungsprinzipien nach vorgegebenen Normen seien als die direkte Ursache der Entstehung einer autoritären Erwachsenenpersönlichkeit zu sehen und für die Herausbildung eines autoritären Charakters verantwortlich. Hieraus muß zwangsläufig eine nicht familienfixierte Erziehungspraxis folgen, da die "bürgerlichen Erziehungsmethoden bei Kindern die Weichen stellen für angepaßtes und autoritäres Verhalten und damit in einem Zirkelprozeß für die Beibehaltung gegebener Zustände und Verhältnisse sorgen" (Duve 1971, 115). Der Kinderladen sollte sich demnach als Institution erweisen, die dem Kind genausoviel Sicherheit bot wie die Familie, nicht jedoch deren autoritäre Strukturen besitzt. Das Kind lebt mit anderen Kindern in einem Kollektiv, um Verhaltensweisen wie Ich-Stärke, Selbstbewußtsein, Solidarität und Kritikfähigkeit einzuüben und die Isolierung aufzuheben (vgl. Masthoff 1981, 74). Das Leben im Kinderkollektiv sollte eine ausschließliche Fixierung der Kinder auf die Eltern verhindern. Das daraus resultierende Erziehungsziel wird wie folgt skizziert: "Die Kinder sollen [...] unter Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse glücklich leben und gleichzeitig zu autonomem, kompetentem, kritischem, widerstandsfähigem Handeln in Lebenssituationen befähigt werden, so daß sie in solidarischer Aktion gegen unterdrückende, irrationale Realitätsbereiche im Sinne einer radikalen Veränderung der vorfindlichen Gesellschaft angehen" (Masthoff 1981, 75) können. Basierend auf den Theorien Sigmund Freuds und Wilhelm Reichs beruht der Erziehungsansatz der Kinderläden auf dem Grundprinzip der Ermöglichung freier Bedürfnisbefriedigung und damit einer Sozialisation, die der Triebstruktur des Kindes adäquat sein soll. Selbstregulierung bedeutet jedoch nicht zielloses Handeln oder bloßes Gewährenlassen, sondern die Befähigung des Kindes, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen, zu artikulieren und zu befriedigen. Es setzt ein Klima affektiver Wärme und Zuwendung und einen Erfahrungsspielraum voraus, der keine äußerliche Einengung seitens der Erwachsenen erfahren soll, jedoch dort eine Begrenzung erhält, wo die Selbstregulierung des anderen eingeschränkt wird. Um eine Selbstregulierung zu ermöglichen, gilt es als unumgänglich, ein notwendiges Ordnungsgefüge aufzustellen, an dessen Erarbeitung die Kinder jedoch so weit wie möglich aktiv beteiligt sein sollen, um die Wahrnehmung ihrer Interessen zu gewährleisten. Mit der Möglichkeit, an der Gestaltung der äußeren Ordnung im Kinderladen aktiv mitzuwirken, ist gleichzeitig die Chance zur Selbtregulierung gegeben, denn "jede Möglichkeit [...], die dem Kind gegeben wird, seine Ordnung zu realisieren, bedeutet für es, ein Stück seiner verlorenen Autonomie zurückzuerobern" (Duve 1971, 63). Da die Sexualerziehung in Kinderläden eine wichtige Rolle einnimmt, soll kurz darauf eingegangen werden. Die Kinderläden schließen sich der Theorie Wilhelm Reichs an, nach der autoritäre Gesellschaften eine lustfeindliche Sexualmoral verordnen. Demnach stehen Sexualität und Machtsystem insofern in einem engen Zusammenhang, als das eine sexualitätsverneinende Erziehung als notwendiger Bestandteil gesellschaftlicher Herrschaftsstabilisierung angesehen wird. Selbstregulierung in sexueller Hinsicht fordert, daß die Erwachsenen sexuelle Bedürfnisse des Kindes nicht nur zur Kenntnis nehmen und dulden, sondern bejahen, was den Neillschen Auffassungen entspricht. Die studentischen Vorstellungen über eine radikale Veränderung des bestehenden kapitalistischen Gesellschaftssystem bewegte sich langsam hin zu einer marxistischen, klassenlosen Gesellschaft. "Die Erziehung in den Kinderläden kann sich nicht als Vorbereitung auf ein Leben in einer klassen- und repressionslosen Gesellschaft verstehen, sondern als Vorbereitung auf eine Klassengesellschaft, die es radikal zu verändern gilt." (Masthoff 1981, 84). Diese handlungsorientierte, explizit zielgerichtete Auffassung von antiautoritärer Erziehung entfernte sich zunehmend vom Neillschen Ideal einer selbstbestimmten Erziehung. Sozialistische Reformer erkannten dies und distanzierte sich von Neills Erziehungsmethoden, die als "schlechte Tarnung für eine Erziehung zur totalen Anpassung" (Breiteneicher et al. 1971, 48) bezeichnet wurden. 5.4. Das Ende der Antiautoritären Erziehung? - Die Alternativ-schulbewegung Versteht man autoritäre Erziehung mit seinen gesellschaftlichen Ursachen, seiner spezifischen Ausprägung und seinen konkreten Auswirkungen als einen in sich abgerundeten Prozeßabschnitt, so ist die Frage, ob die antiautoritäre Erziehung am Ende ist, sicherlich zu bejahen. Die antiautoritäre Erziehungsbewegung stand nicht wieder in dem Ausmaß zur Diskussion wie Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre (vgl. Masthoff 1981, 107). Zweifellos gibt es weiterhin Beiträge zum Thema der antiautoritären Erziehung, so allein schon in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung im akademischen Raum. An dieser Stelle ist jedoch interessant, was eigentlich durch sie erreicht worden ist? Die antiautoritäre Erziehungsbewegung hat sicherlich positiv auf die Diskussion der Problematik von Strafe, Autorität, Freiheit und Gehorsam ausgewirkt. Durch die Konfrontation mit ihr wurde eine kritische Revision von Unterricht und Schule, von Lehrinhalten, Erziehungszielen und Gesellschaftsbezug erreicht. Die antiautoritäre Erziehung bot eine Alternative zum als teilweise veraltet angesehenen traditionellen Bildungssystem. Summerhill ist in diesem Zusammenhang immerhin als ein verwirklichtes Projekte anzusehen. Doch die Bewegung ist weithin "versandet" (Paffrath 1972, 67). Fragt man nach den Ursachen des Scheitern der antiautoritären Erziehungsbewegung, so gibt es eine Reihe von offenliegenden Gründen, versteckten Motiven oder sich bereits von Anfang an abzeichnenden Tendenzen, die im folgenden kurz skizziert werden sollen.
5.5. Modelle und Konzeptionen alternativer Pädagogik in der Bundesrepublik Deutschland Die Alternativschulbewegung, die allerdings nicht als unmittelbare und nahtlose Fortsetzung der antiautoritären Bewegung angesehen werden kann, ist insofern an ihre Stelle getreten, als daß ihre Kritik an der bestehenden institutionalisierten Regelschule teilweise der Neillschen Kritik des traditionellen Schulsystems entspricht, ihre Problemlösungsansätze sich jedoch von denen Neills unterscheiden. Paffrath formulierte bereits 1972, daß die antiautoritäre Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland keine Perspektive mehr habe und sie durch die Alternativschulbewegung überholt werden müsse. Es kann nicht von einer einheitlichen Alternativschulbewegung gesprochen werden, da die Strukturen der alternativen Schulen sehr heterogen waren. Diese Heterogenität bezieht sich auf die Entstehungssituation, Konzeption und die praktische Durchführung. Ihr Homogenität besteht jedoch darin, daß sie sich alle als Versuch zur Entdeckung und Eröffnung neuer Lern-, Erfahrungs-, Arbeits- und Lebensmöglichkeiten in selbstverantworteten, selbstorganisierten Bildungsinitiativen, die sich vom Kindergarten bis zur beruflichen Bildung erstrecken, verstehen. Auf einige der damals gegründeten Alternativschulen wird nun kurz eingegangen. 5.5.1. Alternativschulen in der Bundesrepublik Deutschland Im folgenden sollen nun die Gemeinsamkeiten der Alternativschulen und ihre Kritik am bestehenden Regelschulwesen aufgezeigt werden. Die Glocksee-Schule bei Hannover ist die am längsten genehmigte Alternativschule in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Masthoff 1981, 113). Sie besteht seit 1972/73 und umfaßt 6 Klassen mit ca. 150 Jungen und Mädchen im Alter von sechs bis zwölf Jahren (vgl. Ziehe 1979, 53). Das Land Niedersachsen finanziert diesen Schulversuch. Freiwillige Teilnahme an von Lehrkräften wie Schülern und Schülerinnen geplanten Aktivitäten ist ein zentrales Charakteristikum dieser Schule, deshalb herrscht keine zeitliche Unterteilung eines Vormittags vor. Es gibt keine Noten und keine Jahrgangsklassen. Ein wichtiges Prinzip ist die Selbstregierung, was in Glocksee bedeutet, "unabhängig von Erwachsenenverboten seine kindlich-gesellschaftlichen Konflikte ausleben zu dürfen, um sie wahrnehmen zu können und zu erfahren, daß auch andere Kinder dieselben Probleme haben. So wird ein Fundament geschaffen für gegenseitiges Helfen und Verstehen, das auf keine Weise mit der verordneten Rücksichtnahme' einer traditionellen Schulordnung zu vergleichen ist." (van Dick 1979, 192f). Für die Lehrkräfte bedeutet die Selbstregulierung der Kinder, daß sie nicht passiv zusehen, sondern beobachten, anregen, helfen, unterstützen und Lernanlässe initiieren sollen. Im Mittelpunkt stehen erfahrungsnahe Unterrichtsprojekte, die von Fragestellungen der Kinder ausgehen. Die Eltern kooperieren mit den Lehrkräften. Ihr primäres Anliegen ist es, eine Schule zu schaffen, die einen angstfreien Erfahrungsraum für die Schüler und Schülerinnen darstellt. Die Geschichte der Freien Schule Frankfurt hängt unmittelbar mit der Geschichte der Kinderladenbewegung zusammen. Als 1969 abzusehen war, daß die erste Kindergruppe bald schulpflichtig würde, stellte sich für die Eltern die Frage: Was kommt nach den Kinderläden? "Antiautoritär erzogene Kinder und Schule sind im landläufigen Vorurteil genauso unvereinbar wie Elefanten und Porzellanläden - wobei die Haut der Kinder leider erheblich dünner und Schulen unzerbrechlich sind." (von Werder, 1977, 167). Es wurde ein Verein von Eltern gegründet, der nicht von Anfang an eine Schulgründung in Betracht zog, weil ihre Kinder nicht isoliert sein sollten, da sie sich so nicht genug für die Verbesserung der Schulbedingungen für alle Schüler und Schülerinnen einsetzen konnten und sie zudem das Gefühl hatten "auszusteigen". Es wurde die Bürgerinitiative "Verändert die Schule - jetzt!" gegründet (vgl. van Dick 1979, 176) und eine Versuchsklasse in einer Grundschule in Frankfurt-Rödelheim eingerichtet. Aus diesem Modell heraus entstand der Gedanke, die bereits gemachten Erfahrungen in einer eigenen Schule fortzusetzen. Die Freie Schule Frankfurt besteht seit 1974 und ist seit 1986 eine genehmigte Kindertagesstätte und eine genehmigte Grundschule und Förderstufe (vgl. Informationsprospekt der Freien Schule Frankfurt 1996). 47 Jungen und Mädchen im Alter von 3 bis 13 Jahren besuchen diese Schule. In der Freien Schule Frankfurt geht es darum, die Kinder Schule als angstfreien Erfahrungsraum erleben zu lassen und sich den Alltagserfahrungen und Bedürfnissen des Kindes zu orientieren. Dem Kind wird eine weitgehende Selbstregulierung ermöglicht. Eine Verbindung zwischen Elternhaus und Schule wird durch engagierte Mitarbeit der Eltern gewährleistet. Leistungskontrolle durch Notengebung findet nicht statt, ebensowenig gibt es Hausaufgaben und das Wiederholen von Klassenstufen. Ausführliche Gutachten und regelmäßige Berichte auf dem wöchentlichen Elternabend geben ein Bild über den Leistungsstand der Schüler und Schülerinnen ab. Die Schule arbeitet nicht in Jahrgangsklassen, sondern in 3 Lerngruppen, die jedoch durchlässig sind, indem sie sich nach den individuellen Lernbedürfnissen des Kindes richten. Das Hauptanliegen der Freien Schule Frankfurt ist es, Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten in die Schülergruppen zu integrieren und nicht auszusondern. Es gibt 7 Erwachsene, die sich um die Kinder kümmern. Zusätzlich bieten andere Erwachsene (z.B. Musiklehrkräfte) an verschiedenen Tagen in der Woche Kurse an. Ein Koch sorgt für die gemeinsamen Mahlzeiten: das Frühstück, das Mittagessen und den Kakao zum Schulschluß. Die Freie Schule Essen war anfangs die Gründung einer eigenständigen und ganztägigen Versuchsschule im Grundschulbereich. Aus dem Seminar "Das Ende der Schule" an der Universität Essen entwickelte sich 1975 der Arbeitskreis "Freie Schule Essen"; 1976 wurde ein Papier "Leben ohne Angst" erarbeitet und dann eine umfangreiche pädagogische Konzeption für eine zu gründende Freie Schule Essen vorgelegt (Kanauer et al. 1979, 183). 1977 wurde dann ein offizieller Antrag zwecks der Errichtung eines Schulversuchs an das nordrhein-westfälische Kultusministerium geschickt. Ohne konkrete Stellungnahme vom Kultusministerium begannen im Oktober 1977 nicht genehmigungspflichtige pädagogische Aktivitäten (vgl. Masthoff 1981, 115). Vormittags findet ein von Eltern gestalteter alternativer Kindergarten statt; nachmittags werden Kurse, wie Kochen, Töpfern, Fotografieren, Musizieren, Spielen und Hausaufgaben angeboten. Zusätzlich findet eine Kindertheraphie statt (vgl. Winkel 1979, 57). Die Schule wird von Spenden, von Mitgliedsbeiträgen der Vollmitglieder des Vereins (1% vom Nettogehalt) und durch Einnahmen aus Publikationen und Vorträgen finanziert (vgl. Winkel 1979, 57). Im Frühjahr 1978 bot das Kultusministerium einen Kompromiß an, der besagte, daß die Freie Schule Essen als Unterstützung eines vierjährigen einklassigen Schulversuchs in einer benachbarten Grundschule mit finanziellen Mitteln von Land und Stadt existieren sollte, wobei die nachmittaglichen Aktivitäten weiterhin in Essen-Katernberg stattfinden sollten. Dieser Kompromiß führte zu heftigen Auseinandersetzungen: "Der Schulversuch in Öffentlicher Trägerschaft würde zwar die finanzielle Absicherung bringen, aber gleichzeitig droht die pädagogische Abwässerung; umgekehrt würde der Status einer privaten Ersatzschule die pädagogische Konzeption größtenteils bewahren, jedoch den finanziellen Kollaps heraufbeschwören." (Winkel 1979, 58). Nachdem Korrekturen vorgenommen worden waren, stand die Genehmigung als öffentlich finanzierter Schulversuch im Jahre 1980 immer noch aus. Das Konzept der Freien Schule Essen läßt sich anhand folgender Merkmale umreißen:
Die oben aufgeführten Projekte und Modelle zeigen, wie weit Interessen und Modelle divergieren und daß es nicht "die" Alternativschule gibt. Außerdem wird deutlich, daß keine Alternativschule den Anspruch erhebt, die jeweils einzig mögliche Alternativschulform zu sein. Nach Ramseger (1975, 124) verstehen sich Alternativschulen als eine Demonstration der in der Praxis der Regelschule ignorierten Tatsache, daß "Freiheit funktioniert". Die deutsche Alternativschulbewegung muß als ein Versuch angesehen werden, die außerhalb des öffentlichen Schulwesens erworbenen Erfahrungen, Erkenntnisse und Perspektiven in die Schulrealität umzusetzen, um das Ziel zu erreichen, das "die Schulreform in ihrer besten Zeit intendierte: die Veränderung der Schule zu einem demokratischen Erfahrungs- und Lernbereich für alle Kinder, zu einer Schule ohne Angst" (zit. n. Borchert, Derichs-Kunstmann 1977, 199). Die Kritik, die die Alternativschulbewegung an die Institution Schule richtet, soll im folgenden dargestellt werden. Das Lernen in der Regelschule wird als "passive Rezeption vorgedachter Sinnstrukturen" (Ramseger 1979, 226) definiert. Der Lernbegriff, der die Praxis der Alternativschulen kennzeichnet, wird als selbständige, spontan-entdeckende, erfahrungsorientierte Auseinandersetzung mit Menschen und Sachverhalten verstanden. Regelschulen zeigen dem Schüler und der Schülerin täglich, wie inkompetent und unwissend er oder sie ist. In der Alternativschule soll Lernen nicht als "diskriminierender und verunsichernder Prozeß" erlebt werden, sondern "als alltagsverstehend und -bewältigend, als ein Mittel zur Befreiung" (van Dick 1979, 156). Lernen in der Regelschule wird mit "Zwangsbelehrung" (Masthoff 1981, 117) gleichgesetzt. Lernen ist ein fremdbestimmter Prozeß, da der Unterricht zum einen durch ministerielle Strukturen vorbestimmt wird und zum anderen die Entscheidungsräume der Lehrkräfte zu gering sind. "Lernen hat sich an einer minutiös präformierten Lernzielmatrix zu orientieren" (Masthoff 1981, 117), so daß es unmöglich gemacht wird, vom Neuen und noch nicht Erfahrenen auszugehen. In der Alternativschule werden Inhalte und Organisationen dagegen selbstimmend organisiert. Hier entscheiden Schüler, Schülerinnen und Lehrkräfte gemeinsam, was getan wird, wie, wann, wo und wie lange. Lehrkräfte, Schüler und Schülerinnen erfahren keine Einengung durch verpflichtende, lückenlos fixierte Lernpläne. Lehrplanentwicklungen werden in einem selbstverantwortenden Prozeß von den Beteiligten selbst gemacht. Masthoff weist in diesem Zusammenhang jedoch darauf hin, daß die Beliebigkeit der Inhalte, die Unbekümmertheit im Sinne eines Laissez-faire und das Fehlen einer jeglichen systematischen Planung Konzeptlosigkeit bedeutet, was nämlich vielfach angenommen wurde, nämlich das antiautoritäre Erziehung mit Laisse-Faire gleichgesetzt wurde. Der Betroffene erfährt Unterricht als eine Sache, die ihn selbst angeht und die er selbst bestimmt. In der Regelschule sind verschiedene Fächer einzuhalten, die in Zeiteinheiten von 45 Minuten fixiert und verplant sind. In Alternativschulen geschieht Lernen dagegen in fächerübergreifendem Unterricht, z.B. in offenem Unterricht oder in Projektarbeit. Borchert und Derichs-Kunstmann fordern eine Abschaffung der Unerrichtseinteilung in Schulstunden und Pausen. "Interessen von Schülern und Lehrern lassen sich nun einmal nicht in ein festes Leitkorsett von Stundeneinheiten und -plänen pressen. Individualisierung des Lernens, das Anknüpfen an spontane Bedürfnisse und die Versuche zur Selbstregulierung werden nämlich behindert, wenn nicht gar unmöglich gemacht." (Borchert, Derichs-Kunstmann 1979, 139). In der Regelschule wird das affektive und soziale Lernen zugunsten einer einseitigen Dominanz des kognitiven Lernens vernachlässigt. In der Alternativschule werden dagegen affekt-emotionale und soziale Lernprozesse angesprochen. Lernen bedeutet hier nicht nur Wissenserwerb, sondern betrifft ebenso auch Gefühle und das Verhalten sich selbst und anderen gegenüber. Da in der Regelschule eine deutliche Trennung zwischen Theorie und Praxis, Wissen und Handeln herrscht, wird die Lebenswelt der Schüler und Schülerinnen in der gesellschaftlichen Umwelt kaum berücksichtigt. Lerninhalte bleiben oftmals abstrakt und nicht nachvollziehbar und eine Wirklichkeit wird immer nur simuliert. In der Alternativschule wird versucht, diese Isolierung aufzuheben, indem sie Erfahrungen der Kinder zum Gegenstand von Unterricht werden lassen, aus dem konkrete Erfahrungen resultieren. Wünsche, Probleme, Interessen und Konflikte der Kinder werden bewußt in den Schulalltag miteinbezogen. In diesem Sinne versteht Kunstmann die Alternativschule als eine "auf lebenspraktische Vorzüge gerichtete Wissenaneigung" (Kunstmann 1979, 192). Die Regelschule geht davon aus, daß Jahrgangsklassen nicht nur eine Altershomogenität, sondern auch eine Homogenität der Motivation, der Lernfähigkeit, des Lerntempos, des Lernrhythmus und der Interessen besteht. Die Alternativschule geht jedoch davon aus, daß jedes der Kinder anders lernt und dementsprechend behandelt werden muß. Daraus folgt die pädagogische Konsequenz, daß der geschlossene Klassenverband zugunsten einer informellen, flexiblen Unterrichtsorganisation aufgehoben werden muß, in der Kinder alleine oder in kleinen Gruppen, an verschiedenen Orten, zu verschiedenen Zeiten, auf verschiedene Weise und in unterschiedlichen Aktivitäten lernen. Zwang, Druck, Gehorsam und Unterordnung sind wichtige Faktoren, die die Regelschule kennzeichnen. Selbstregierung bildete das wichtigste Prinzip der Alternativschule. Autorität im Sinne von Herrschaft und Gewalt ist nicht vorhanden, da es der Selbstregulierung entgegenwirkt. Selbstregierung heißt, "den Kindern soweit irgend möglich die Gelegenheit zu geben, ihre Angelegenheiten in die eigenen Hände zu nehmen" (Borchert, Derichs-Kunstmann 1979, 140). Lernen in der Regelschule ist sehr stark mit Angst verbunden, hervorgerufen durch Sitzenbleiben, Zensuren und Strafen. Schulisches Lernen wird "tendenziell vom Interesse an den jeweiligen Inhalten abgekoppelt und auf das formale Interesse an "guten" Noten ausgerichtet." (Kunstmann 1979, 194). "Lernen ohne Zwang" bedeutet für die Alternativschulen einen völligen Verzicht auf Auslesemechanismen. "Daß Zensuren sozialschädliches Verhalten bewirken, Konkurrenz aufbauen, Lernfreude zerstören und immer mehr Kinder in Krankheiten treiben, ist für die Alternativschulen an sich ja schon Argument genug für die konsequente Abschaffung des Notenterrors." (Borchert, Derichs-Kunstmann 1979, 141). In der Regelschule findet eine traditionell definierte Abgrenzung zwischen Schüler-, Lehrer- und Elternrolle statt. Die Alternativschule sieht eine Veränderung der "gleichgültig-resignativen oder aggressiven Schülerrolle in Richtung auf spontan-konstruktive, eigenverantwortete Mitgestaltung der Lernprozesse vor" (Masthoff 1981, 120). Eltern werden aktiv an Planung, Erarbeitung und Durchführung beteiligt. Die bislang dominierende, unangreifbare Stellung des Lehrers soll unter der Perspektive seiner Bereitschaft zur Hilfestellung bei Organisation und Durchführung von Lernprozessen umstrukturiert werden. Das Verhältnis zwischen Lehrkräften, Schülern und Schülerinnen basiert auf gegenseitigem Vertrauen. Daraus entwickelt sich eine positive Zuwendung anstelle einer angsteinflößenden Beurteilung, ein partnerschaftliches Verhalten anstelle eines autoritären Verhaltens und ein Miteinander anstelle eines Gegeneinanders. 5.6. Wo hat die deutsche Alternativschulbewegung Neillsche Ansätze übernommen? Nach van Dick (1979, 223) haben die Gründer der Freien Schule Essen intensiv Bücher über ausländische Schulen studiert und auch Schulversuche im Ausland besucht, besonders in Großbritannien. Es ist sicherlich davon auszugehen, daß diese Gruppe, die sich aus einigen Pädagogikstudenten und Pädagogikstudentinnen, Lehrkräften, Sozialarbeitern, einer Sekretärin und einem Biologen zusammensetzte, auch die Internatsschule Summerhill besuchte und sich von dem Neillschen Erziehungskonzept beeinflussen ließen. Für die Glocksee-Schule und für die Laborschule in Bielefeld trifft dies im wesentlichen auch zu. Aus einem Schreiben von der Freien Frankfurter Schule ging hervor, daß Summerhill natürlich 1967 für die Gründer ein wesentliches "Vorbild" war. Das Prinzip der Selbstregulation und das Lernen der Kinder von Kindern ist bis heute noch eines der Grundpfeiler dieser Schule. Die wichtigsten Prinzipien wie Selbstbestimmung, Freiheit und Selbstdisziplin spielen in den hier aufgeführten Alternativschulen eine zentrale Rolle. Allerdings müssen die Schüler und Schülerinnen sich innerhalb einer Anzahl angebotener Kurse orientieren; eine Möglichkeit des generellen "opting out" aus dem Lehrangebot, wie in Summerhill, besteht jedoch nicht. Generell läßt sich sagen, daß das in seiner Unschärfe schon dargestellte Konzept des Antiautoritären eine Gemeinsamkeit von deutschen Alternativschulen und Summerhill darstellt. Die unterschiedliche Struktur der Schulen - die deutschen Schulen sind hauptsächlich Tagesschulen, - und die teilweise stark differierende Schülerzahl verbunden mit einer unterschiedlich-ideologischen Verwurzelung der Schulgründer läßt kaum Gemeinsamkeiten, abgesehen von den in Schlagwörtern in Selbstbestimmung usw. erkennen. 6. Kritische Analyse der antiautoritären Erziehung Neills und seiner Schule Summerhill Der Neillsche "kompromißlos liberale Ansatz" (Klemm 1989, 176) einer Freiheitspädagogik als Gegenbewegung zum bestehenden Verhältnis von Bildung und Erziehung rief vehemente Kritik sowohl von der "linken Seite" als auch von der etablierten Erziehungswissenschaft hervor, die bis heute anhält. Mit dem Buch "Summerhill: Pro und Contra" (Hart 1970) wurde zum erstenmal ein Diskurs hervorgerufen, in dem sich Autoren wie Erich Fromm, John Holt, Paul Goodmann oder Bruno Bettelheim mit Neill und seiner Schulgründung auseinandersetzten. Zu großen Mißverständnissen und Auseinandersetzungen führte auch das Problem, daß Neill seine Erziehungsansichten- und praxis weder theoretisch zu fundieren noch wissenschaftlich zu begründen versuchte. Desweiteren führte die fehlende Wissenschaftlichkeit von Neills Menschenkenntnis zu Irrtümern in seiner Erziehungslehre. Im folgenden sollen nun auf kritische Einwände gegen Neills Pädagogik und seine Schule Summerhill eingegangen werden. 6.1. Kritik an Neillschen Präferenzen 6.1.1. Emotionale Fähigkeiten versus kognitive Fähigkeiten Es wurde bereits erwähnt, daß für Neill die emotionalen Fähigkeiten wichtiger sind als die kognitiven. Emotionen haben nicht nur im Alltag eine immense Bedeutung, sondern auch im Erziehungs- und Unterrichtswesen, doch sie sind im Zuge der Förderung des Kognitiven stark vernachlässigt worden. Die zahlreichen "Freien Schulen" in der Bundesrepublik Deutschland, deren Curriculum auf Freiwilligkeit und Selbstbestimmung basiert, haben die Wichtigkeit von emotionalen Faktoren aufgegriffen. In bezug auf Neills Menschenbild und sein pädagogisches Konzept stellt sich natürlich die Frage, ob der Bereich der Emotionalität nicht eine Überbetonung erfahren hat. Denn umgekehrt fehlt bei Neill die Überlegung, wie die Fähigkeit zu denken und wie Wissen anders als durch Schulung, Anregung und Übung erworben werden kann. Neill unterschätzt die Bedeutung eines intellektuellen Begreifens der Welt und auch die geistige Befriedigung, die die intellektuelle Tätigkeit bieten kann (vgl. Fromm in: Neill 1969, 16). In dem mangelndem Verständnis für das Verhältnis von emotionalem und kognitivem Lernen ist auch der Grund zu sehen, warum Neill der Bildung, dem Unterricht und der Förderung geistiger Fähigkeiten eine untergeordnete Rolle zukommen ließ. 6.1.2. Freiheit versus Wissen: Was ist wichtiger? Wiederholt wird Neill der Vorwurf gemacht, daß er auf die Vermittlung von Bildungsgütern keinen Wert legt und somit eine Anti-Haltung gegen jegliche intellektuelle Förderung einnimmt (vgl. Fromm in: Neill 1969, 16; Montagu 1971, 48). Das englische Unterrichtsministerium nimmt ebenfalls Bezug auf diese Frage im Jahre 1949: "Im großen und ganzen sind die Ergebnisse dieser Methode nicht gerade eindrucksvoll. Die Kinder arbeiten zwar willig und mit sehr erfreulichem Interesse, ihre tatsächlichen Leistungen sind aber doch recht schwach [...]. Die pädagogischen Theorien des Schulleiters machen Summmerhill zu einer Schule, die außergewöhnlich gut geeignet ist für eine Erziehungs- und Bildungsmethode, die so wesentlich auf die Interessen der Kinder abgestellt ist und bei der der Unterricht nicht über Gebühr vom Prüfungsanforderungen bestimmt wird. Es ist eine Leistung, eine Atmosphäre geschaffen zu haben, in der geistige Bildung gedeihen könnte; nur gedeiht sie leider nicht, und so wird eine gute Möglichkeit vertan." (Neill 1969, 92 u. 97 f). 41 Jahre später heißt es in einem Bericht von Inspektoren: "...the freedom not to attend classes, exercised by pupils particularly in the early secondary years, may in some instances inhibit more than it enhances the eventual realisation of their full potential [...]. Important components of a broad curriculum are missing and there is a lack of balance." (HMI 1990, 18 u. 19). Obwohl zwischen diesen Berichten vom Unterrichtsministerium liegen 41 Jahre, bezweifeln sie beide die Tatsache, daß Summerhill den Schülern und Schülerinnen auf geistiger Ebene alles gibt, was sie brauchen. In den Bereichen Unterricht und Bildung kommt es Neill darauf an, daß die Kinder nicht das Gefühl haben sollen, unter Zwang zu handeln, sondern daß sie das Gefühl haben, aus eigenem inneren Antrieb zu handeln. In diesem Zusammenhang ist die Teilnahme am Unterricht freiwillig. Die meisten Schüler und Schülerinnen, die Summerhill verlassen, wählen Berufe mit künstlerische Gestaltungsmöglichkeiten Offenbar deshalb, weil die Schule die Akzente statt auf intellektuelle Ausbildung auf Originalität, handwerkliche Fähigkeiten und kreative Selbstverwirklichung setzt, da Neill der akademischen Ausbildung wenig Bedeutung beigemessen hatte. "Neuartige Lernmethoden" (Neill 1969, 23) sind unwichtig und der Unterricht an sich spielt keine große Rolle. An dieser Stelle ist leicht nachzuvollziehen, daß Neill sich auch nicht um eine Didaktik bemühte. Der Vorwurf des didaktischen und schulischen Desinteresses kann wohl kaum erspart bleiben, wenn Neill sich nicht fragt, welche Bedeutung Anregung, Vorbild, Training und Begeisterung bezüglich des Lernens haben (vgl. Schmidt-Herrmann 1987, 190). Für Neill ist die Freiheit des Kindes entscheidend: wie und was es lerne, sei ohne Belang (vgl. Neill 1969, 43). "Bücherwissen" und das Lernen aus Büchern hält er grundsätzlich für unwichtig (vgl. Neill 1969, 42). Aus seinem Gesamtwerk läßt sich leicht entnehmen, was unwichtig ist zu lernen, doch was nun eigentlich gelehrt werden soll, geht kaum hervor. Spricht Neill von "Bildung", so ist lediglich ein nutzloses Aneinanderreihen von Fakten gemeint, bei dem wertlose Kenntnisse vermittelt werden und das Denken nicht geschult wird. Neill scheint auch nicht die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, daß über Unterricht, Lehre, Aufklärung und Bildung etwas über die Menschen, die Kultur und die Welt, in der der junge Mensch aufwächst, zu erfahren ist. "Erst in der Bildung, verstanden als Einführung, Aneignung und Hineinwachsen in eine Kultur, können die humanen Möglichkeiten wirklich zur vollständigen Entfaltung gebracht werden." (Schmidt-Herrmann 1987, 192). Auf dem Hintergrund moderner Bildungsvorstellungen ist es fast unmöglich, einen nach Neills Erziehungsziel selbständigen und freien Mensch hervorzubringen. Der Mensch kann Selbstbewußtsein, Freiheit und Gestaltungsfähigkeit nach abendländischen Traditionen erst dann gewinnen, wenn er in seine geschichtlich-gesellschaftliche und kulturelle Welt hineinwächst. Nach Neills Erziehungskonzept wird dem Kind Selbstvertrauen vermittelt, das ihn zu einem verantwortungsbewußtes Mitglied der Gesellschaft werden läßt, jedoch erfährt die Bedeutung für die Emanzipation des Individuums eine Unterschätzung darin, daß, um kulturell-gesellschaftliche Wirklichkeit zu erwerben, keine Anregung und Begeisterung geweckt wird. Dazu schreibt Montagu (1971, 59): "Ich glaube aber, daß Neill einen Fehler macht, wenn er übersieht oder unterschätzt, wie wichtig es ist, daß das Kind verstehen lernt, wie unser gegenwärtiges Leben in der Geschichte seine Wurzeln hat. Denn erst dadurch hat das Kind den Grund unter den Füßen, von dem aus es sich zur Selbständigkeit aufschwingen kann." Es kann Neill also der Vorwurf gemacht werden, daß in Summerhill hinsichtlich der späteren Anforderungen auf das gesellschaftliche und kulturelle Leben zu wenig gelernt wird. Die Erziehung zu einem selbständigen, unabhängigen Menschen leidet nicht, wenn dieser Mensch über seine Herkunft, soziale Klasse usw. Bescheid weiß, sondern fördert sie, solange keine Indoktrination erfolgt, wie es beispielsweise in sozialistischen Alternativschulen möglich sein kann. 6.1.3. Individuum versus Gemeinschaft - leidet die soziale Kompetenz unter der Betonung des Individuums? In der Erziehungskonzeption Neills nimmt das Individuum die zentrale Position ein. Schmidt-Hermann (1986, 194) weist nun darauf hin, daß Neill die Rolle der Gemeinschaft vernachlässigt, da ein funktionierendes Zusammenleben mit der Gemeinschaft, mit dem Umfeld von ihm als Resultat der Selbstfindung des Individuums gesehen wird. Neill betont, daß das primäre Interesse beispielsweise eines achtjährigen Kindes es selbst sei (Neill 1969, 300) und in diesem Alter noch kein Pflicht- und Gemeinschaftsgefühl existiere. Pflicht- und Gemeinschaftsgefühl entsteht, wenn das Kind seine gewissermaßen "egoistische Phase" überwunden habe. Demgegenüber betont Schmidt-Hermann, daß auch bei Achtjährigen durchaus ein Interesse am Gegenüber parallel zum Eigeninteresse vorhanden sei (vgl. Schmidt-Hermann 1987, 198). Sie kritisiert die Vernachlässigung einer wie auch immer gearteten sozialen Komponente durch Neill und betont, daß das Glück des Individuums auch Resultat des Glücks des Gegenübers sein kann. Allerdings ist diese Debatte eine eher akademische: Neill negiert nicht, daß das Individuum Glück durch das Glück des Gegenübers erfahren kann; er betont lediglich die eine Seite, nämlich das Glück des Individuums, das er sich zum Ziel seiner Erziehung gesetzt hat. Wenn das Glück des Individuums nun also vom Glück des Gegenübers abhängt, so eröffnet sich hier kein konflikthaftes, sondern ein komplementäres Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft. Es ist ein Trugschluß, wenn angenommen wird, daß das Glück des Individuums nur auf Kosten der Gemeinschaft zu verwirklichen wäre. Allerdings muß hier unterschieden werden zwischen dem Glück der Individuen, welches eine hinreichende Bedingung des Glücks der Gemeinschaft ist, und dem Glück der Gemeinschaft, welches nur eine notwendige, aber keineswegs hinreichende Bedingung für das Glück des Individuums ist. Neill sieht durchaus, daß Gemeinschaft in Beziehung zum Glück des Individuums steht, aber sein einziges Ziel ist das Glück des Individuums. Wenn das Individuum in der Gemeinschaft zu sich selbst und damit zu einem dauerhaften individuellen Glück findet, so geschieht dies eben nicht zwangsläufig auf Kosten, sondern in der Regel in Einklang mit der Gesellschaft, die ihrerseits durch das Glück des Individuums in den Genuß von Synergieeffekten kommt. Wenn Neill also das individuelle Glück betont, so ist damit das Glück der Gemeinschaften nicht gefährdet, sondern durch das Erreichen des Glückszustandes innerhalb von Gemeinschaft sogar leichter zu verwirklichen. Eine generelle Opposition des Individuum zur Gemeinschaft ist nicht vorhanden, und da in Summerhill das Individuum innerhalb einer Gemeinschaft zu sich selbst findet, ist dieser Einwand in bezug auf Neill als Kritik meiner Meinung nach zwar sicherlich zulässig, aber er beleuchtet letztlich nur einen Punkt, den Neill vielleicht vernachlässigt hat - eine Falsifikation der Neillschen Pädagogik auf dieser Basis ist nicht möglich. 6.2. "Bordell oder heilige Stätte": die kindliche Sexualität In der Auseinandersetzung mit Summerhill hat es sehr skeptische und leidenschaftliche Diskussionen gegeben, was die folgenden zwei Zitate unterstreichen. Rafferty (1971, 13) wendet sich gegen Neills Eriehungskonzept, indem er sagt: "Rousseau hat eine aberwitzige Erziehungstheorie ausgeheckt, die nun, nachdem sie zwei Jahrhunderte lang in den Wehen gelegen hat, noch einmal einen Bastard zur Welt gebracht hat: Neills steinzeitliche Version jener heiligen Hallen der platonischen Akademie - Summerhill. [...] Ich könnte eines meiner Kinder ebensogut in einem Bordell anmelden wie in Summerhill [...]. Summerhill ist ein schlechter Witz. Es bringt das wahre Lernen auf die Ebene einer Orgie herunter, in der alle Ordnung sich auflöst. Aus dem Lehrer macht es den kichernden Vorführer eines Herrenfilms. Die Schule verwandelt es in eine Kreuzung aus Tollhaus und Kesselschmiede. Das Ganze ist eine Karikatur der Erziehung." Culkin (1971b, 28) schreibt dagegen, daß Summerhill eine "heilige Stätte und das Buch Summerhill eine heilige Schrift, voller Weisheit und Liebe ist". Raffertys Kritik beruht im Wesentlichen auf der in Summerhill befürworteten und praktizierten kindlichen Sexualität. Während Neill (1969, 200) die Auffassung vertrat, daß heterosexuelles Spiel in der Kindheit der beste Weg zu einem gesunden, ausgeglichenen Geschlechtsleben im späteren Leben ist, so entgegnet Rafferty, daß wahllose sexuelle Experimente im Jugendalter durchaus zu einem unmoralischen Sexualleben im späteren Leben führen können. Ferner führt Neill an, daß die Jugend wenig Gelegenheit zu wirklicher Liebe hat und daß etwas Schönes und Freude machendes allzuoft in etwas Sündhaftes und Schmutziges verwandelt wird. Die Position, die Rafferty zur Sexualität vertritt, wird heute von der Gesellschaft weitgehend als überholt angesehen. Zwar kann durchaus diskutiert werden, ob Neill und Freud sowie seine Anhänger die Sexualität überbewertet haben, jedoch ist auch zu sagen, daß die tatsächliche Situation in Summerhill mit dem von Rafferty beschriebenen "Bordell" nur sehr begrenzt übereinstimmt. Wie aus einem Interview mit einer Ex-Summerhill-Schülerin hervorging, müssen auch in bezug auf Sexualität Regeln, die für die Gemeinschaft gelten, eingehalten werden. So wird zunächst in der Versammlung gemeinsam diskutiert, ob es einem Schüler oder einer Schülerin gestattet werden soll, in einem Raum gemeinsam mit seiner Partnerin oder ihrem Partner zu übernachten. Beachtet wird hierbei natürlich das britische Recht, das unter 16-jährigen den Geschlechtsverkehr untersagt. Schon Neill fürchtete oft, daß eine Schülerin ein Kind bekommen würde und dies als Grund für die Schließung Summerhills angesehen werden könnte. Diese Furcht besteht auch noch seitens Zoe Readhead, der jetzigen Leiterin Summerhills, deshalb werden sogenannte "sex talks" abgehalten, Verhütungsmittel ausgegeben und jederzeit Fragen zur Sexualität beantwortet. Ein offener Umgang mit Sexualität, wie er in Summerhill praktiziert wird, ist sicherlich besser als eine restriktive Haltung, die lediglich zur Folge hätte, daß dieselben sexuellen Vorgänge heimlich praktiziert würden, was aufgrund wahrscheinlich geringerer Informiertheit das Risiko einer ungewollten Schwangerschaft erhöhen könnte. 6.3. Fehlt der gesellschaftliche Bezug? Neill wurde häufig der Vorwurf gemacht, daß sein Erziehungskonzept einen mangelnden Bezug zur Gesellschaft darstellt (vgl. Paffrath 1972, 21). Ebenfalls kritisch betrachtet wird die Tatsache, daß Summerhill-Schüler und Schülerinnen nicht nur zu Freiheit und Selbstbestimmung erzogen werden, sondern auch zu Individualisten. Es tritt nun zwangsläufig die Frage auf, was für eine Stellung Summerhill-Schüler und Schülerinnen zur Gesellschaft haben. Neill verzichtet darauf, seine Schüler und Schülerinnen an die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse, an eine "schlechte Welt, die durch Korruption und Konkurrenzkampf" (Neill 1969, 273) geprägt ist, anzupassen. Nach Hechinger (1971, 33) bleibt zu bedenken, ob Erwachsene das Recht haben, Kinder aufwachsen zu lassen, ohne sie auf die Anforderungen des Konkurrenzkampfes vorzubereiten, damit sie ihnen gewachsen sind. Den Summerhill-Schülern und Schülerinnen kann ebenfalls der Vorwurf gemacht werden, sie haben keinen Bezug zur Politik. Neills Verhältnis zur Politik ist ausgesprochen negativ. Politik ist nach Neill ein schmutziges Geschäft. Seine Kinder zeigen wenig Interesse für die Politik. Neill erklärt es sich dadurch, daß die Kinder, die Summerhill besuchen, zu ehrlich und zu aufrichtig sind, um politisch zu sein, denn Politiker, so Neill, können über diese Eigenschaften nicht verfügen. Auch wenn Summerhill-Schüler und Schülerinnen sich von "der" Politik eher distanzieren, so bleibt jedoch festzuhalten, daß sie durch ihr Schulparlament, das ihnen echte Entscheidungen zugesteht, auf eine demokratische Ordnung vorbereitet werden. Eine Demokratie fordert die Initiative eines jeden einzelnen Bürgers. In Summerhill wird also kein direkter Bezug zur Politik hergestellt, jedoch erfahren die Schüler und Schülerinnen durch die Selbstregierungsprozesse sehr deutlich die Bedeutung einer Demokratie. Ein Desinteresse der Schüler und Schülerinnen an Politik kann natürlich auch daraus resultieren, daß in den europäischen repräsentationsdemokratischen Systemen die Responsivität der Vertreter der Bürger für Belange ihrer Klientel äußerst unterschiedlich sein können. Ein Schüler oder eine Schülerin, der oder die Summerhill besuchte, dürfte in der Regel von der Schwerfälligkeit und Verflochtenheit politischer Systeme, die eine direkte Transformation von Bürgerwillen in politischem Handeln leisten können, enttäuscht sein. Wer ein gut funktionierendes demokratisches System kennt und ein weniger gutes kennenlernt, ist zwangsläufig unzufrieden. 6.4. Ist Summerhill eine Schule für eine privilegierte Minderheit? Summerhill ist keine staatlich anerkannte Schule, deshalb finanziert sie sich aus den Schulgebühren und aus Spenden. Die Gebühren für Schüler über 12 Jahren betragen 1996 2,079.00 Pfund (ca. 4.885 DM bei einem Wechselkurs von zur Zeit 2,35 DM je Pfund) für ein Trimester, also 6.237.00 Pfund (ca. 14.657 DM) per annum. Im Jahr 1972 betrug das jährliche Schulgeld für Schüler und Schülerinnen über 12 Jahren ca. 800 Pfund, was zu dem damaligen Wechselkurs 3500 DM entsprach (vgl. van Dick 1979, 115-116). Die Höhe der Schulgebühren läßt darauf schließen, das nur diejenigen Schüler und Schülerinnen von Summerhill werden können, deren Eltern über überdurchschnittliche finanzielle Mittel verfügen. Zoe Readhead führt in dem vom 2. März 1996 geführten Interview an, daß die Eltern der Kinder sich der sogenannten "lower middle class" zuordnen. Außerdem erwähnt sie, daß die Eltern der asiatischen Kinder sicherlich als sehr wohlhabend angesehen werden können. Aber es ist auch der Fall bekannt, daß ein Elternehepaar sich das Geld geliehen hatte, um seinem Kind den Besuch von Summerhill ermöglichen zu können. Ein anderer Ausweg aus dem finanziellen Dilemma bot sich einem anderen Elternpaar, das nach Leiston zog, um sein Kind ohne die Kosten für Internatsunterbringung als "Day-Child" Summerhill besuchen zu lassen. Allein die Tatsache, daß die Eltern dreimal im Jahr Kosten für die Heimreise ihrer Kinder aufbringen müssen, da die Internatsschule über Weihnachten, Ostern und zwei Monate im Sommer geschlossen ist, macht deutlich, daß die Eltern über gewisse finanzielle Mittel verfügen müssen. Es gibt noch eine weitere daraus resultierende Konsequenz. Es ist letztlich von geringer Wichtigkeit, wie die Kinder die Schule verlassen, da sie durch ihre Familien häufig materiell abgesichert sind. Dem Zeitfaktor kommt dadurch auch eine andere Bedeutung zu, denn die Kinder können sich oftmals Zeit lassen zu entdecken, zu experimentieren und zu spielen. So können sie durchaus ihren Schulabschluß zwei Jahre später absolvieren. Noch einmal wird Neills Abneigung gegen eine dominierende geistige Arbeit bei gleichzeitigem Mangel an handwerklicher Arbeit und liebevoller Atmosphäre ersichtlich. Neill vertritt die Auffassung, daß die Gefühle eines Kindes unendlich viel wichtiger sind als seine intellektuellen Fortschritte. Sieht man dies jedoch in dem Zusammenhang, daß unsere Gesellschaft für Schulabgänger und Schulabgängerinnen ohne anerkannten Abschluß kaum Perspektiven bietet, scheint der Vorwurf, daß Summerhill nur für Schüler und Schülerinnen einer privilegierten Minderheit zugänglich sei, gerechtfertigt. Neill schreibt selbst dazu: "Wir sind aber noch nie in der Lage gewesen, Kinder armer Eltern aufzunehmen. Das ist bedauerlich, denn so mußten wir unsere Beobachtungen auf Kinder der Mittelklasse beschränken." (Neill 1969, 34). Allerdings ist aus der Tatsache, daß nur Kinder, die der Mittelschicht angehören, Summerhill besuchen, Neill kein Vorwurf zu machen, da der fast ausschließlichen Aufnahme von Mittelschicht-Kindern keine normative Überzeugung zugrundeliegt, sondern sie lediglich eine Folge materieller Zwänge ist. 6.5. Erreichen alle Summerhill-Absolventen ihr "Lebensglück"? Neill verneint die Frage, ob er die Schicksale seiner ehemaligen Schüler und Schülerinnen verfolgt (vgl. Neill 1971a, 40). Diese Aussage trifft jedoch nicht ganz zu, wenn man bedenkt, daß Neill an verschiedenen Stellen erwähnt, welche Berufe Summerhill-Absolventen und Absolventinnen erlangt haben, so zum Beispiel Kameramann, Werkzeugmacher, Mathematikprofessor, Künstler, Arzt (vgl. Neill 1969, 45ff). Außerdem nennt Neill den Aufsatz von Emmanuel Bernstein, in dem dieser sich mit den Berufen von Summerhill-Absolventen und Absolventinnen auseinandersetzt. Insgesamt läßt sich sagen, daß die Schüler und Schülerinnen sich durchaus in die Gesellschaft integrieren können. Bereits die Untersuchungen der britischen Schulinspektoren im Jahre 1949 haben gezeigt, daß Schüler und Schülerinnen von Summerhill nicht zwangsläufig ohne Erfolg bleiben müssen (vgl. Neill 1969, 97). Im Gegenteil, diese Kinder zeichneten sich durch eine erstaunlich große Toleranz, Aufrichtigkeit, eine gesunde Einstellung zur Sexualität und zum anderen Geschlecht, Selbstvertrauen und Unbefangenheit aus. Ein mit einer Ex-Summerhill-Schülerin geführtes Interview im Rahmen dieser Arbeit zeigte mir, daß diese Kinder später durchaus ihr Lebensglück finden können. Die Schülerin hat zwei Jahre lang Summerhill besucht und ihr Wunsch ist es, Psychologie zu studieren, um später als Therapeutin für somatische Krankheiten tätig zu sein. Dieses Beispiel macht deutlich, daß auch heute noch der Drang verspürt wird, einen durchaus hoch angesehenen Beruf zu ergreifen, was ja angesichts der bisherigen Ausbildung der Schülerin ein durchaus ehrgeiziges Ziel ist. Obwohl Neill darauf hinweist, daß Schüler und Schülerinnen ihre Defizite bezüglich des Lernpensums leicht nachholen, so zeigt dieses Beispiel, das dies nicht so einfach ist, wie er sich das damals vorstellte. Diese Schülerin mußte zunächst ihre Realschulprüfung nachholen, da die in England bereits bestandenen zwei GCSE-Prüfungen in Deutsch und Mathematik in Rheinland-Pfalz nicht anerkannt werden. Es mußte nun der zeitlich richtige Moment für eine Einschulung gefunden werden. Nur ein halbes Schuljahr und eine zweimonatige Nachholphase zu Hause haben ausgereicht, um diese Prüfung gut zu bestehen. Doch nun folgt auch für sie ein dreijähriger Besuch der Oberstufe, um das Abitur zu machen. 6.6. Illusion einer natürlichen Erziehung? "Es ist falsch, irgend etwas durch Autorität zu erzwingen. Das Kind sollte etwas so lange nicht tun, bis es selbst überzeugt ist, daß es das tun sollte." (Neill 1969, 123). Neill vertritt die Idee einer natürlichen Erziehung, d.h. daß das Kind sich aus eigenem Antrieb entsprechend seinen Möglichkeiten entfaltet, wenn man es in Freiheit aufwachsen läßt. Ein Kind wird in Summerhill nicht zum Lernen gezwungen. Diese Auffassung hat in der Öffentlichkeit starken Protest hervorgerufen. Montagu (1971a, 48) wirft Neill vor, daß er der Erlernung gewisser elementarer Dinge nicht genug Bedeutung einräumt. Nach Auffassung Hechingers (1971a, 38) hat weder die Geschichte der Menschheit noch die Geschichte der Pädagogik deutlich bewiesen, daß ein Kind sich ganz aus eigenem Antrieb entsprechend seinen Möglichkeiten entfalten konnte. Es stellt sich nun die Frage, ob in Summerhill genügend Anregung, Motivation, Ansporn und Herausforderung vorhanden sind, um ein entsprechend begabtes Kind dazu zu bewegen, seinen Intellekt zu entwickeln. An dieser Stelle müssen zwei Punkte genannt werden: Zum einen wird auf die wissenschaftlichen Unterrichtsfächer sehr wenig Wert gelegt, auf der anderen Seite muß gewährleistet werden, daß wirklich gute Lehrkräfte dort unterrichten. Die Berichte der Inspektoren haben immer wieder auf die mangelnde Qualität des Unterrichts hingewiesen, so daß es fragwürdig erscheint, ob Summerhill in der Lage ist, den Kindern geistig alles zu geben, was sie benötigen. Rafferty (1971a, 14) vertritt die Auffassung: "Geistige Bildung ist keineswegs ein natürlicher Vorgang. Sie ist etwas höchst Künstliches. Kein normaler Junge hatte je das Bedürfnis, das Einmaleins oder historische Jahreszahlen zu lernen, wenn er Kaninchen jagen oder auf Bäumen herumklettern konnte." Es bleibt natürlich die Frage, ob so manches Talent in Summerhill unentdeckt blieb, weil die notwendigen Stimuli zur Entfaltung dieser Fähigkeiten nicht vorhanden waren. Auch die Lernmethode ist von entscheidender Bedeutung. Neill behauptet, daß ein Kind, das etwas lernen wolle, es lerne, ganz gleich, nach welcher Methode es unterrichtet werde. Dies halte ich jedoch für zweifelhaft. Denn erwähnt Neill nicht an anderer Stelle, daß ein Kind ihn gefragt hatte, ob er einen formalen oder informellen Unterricht halten würde und daraufhin dem Unterricht fernblieb, weil Neill ihm zuvor erklärt hatte, daß er informell unterrichten würde. Dieses Beispiel zeigt, wie sehr Kinder sich von der Lernmethode leiten lassen. Es ist nachvollziehbar, daß Kinder ihr Interesse an bestimmten Unterrichtsfächern verlieren, wenn der Unterricht schlecht ist. Wie häufig hört man einen Schüler oder eine Schülerin sagen, daß er einen bestimmten Unterricht nicht mochte, weil er oder sie mit der Lehrer nicht zurechtgekommen ist. Das Interview mit Maya Mahn bestätigte dies. Sie hatte am Gitarrenunterricht nicht teilgenommen, weil es Differenzen zwischen ihr und dem Lehrkraft gab. Außerdem erwähnte sie, daß sie vor ihrem Besuch in Summerhill nur schlechte Noten in Mathematik bekam, was sie auf den schlechten Unterricht und das daraus hervorgehende Desinteresse für das Fach Mathematik zurückführte. In Summerhill dagegen kam sie mit dem Mathematiklehrer sehr gut aus und entwickelte plötzlich ein besonderes Interesse für dieses Fach. Schließlich entschloß sie sich, ihre GCSE-Prüfung in diesem Fach abzulegen und bekam eine sehr gute Abschlußnote. Dies unterstreicht nochmals, wie wichtig die Person des Lehrers für eine erfolgreiche Wissensvermittlung ist, da das Interesse an einem Fach maßgeblich davon mitbestimmt wird, wie dieses Fach vermittelt wird - wer Interesse oder Desinteresse von Schüler und Schülerinnen an bestimmten Fächern nur anhand der dort zu vermittelnden Sachverhalte zu erklären sucht, erfaßt meiner Ansicht nach das komplexe Gefüge von Reizen, das notwendig ist, um Interesse für eine Sache hervorzurufen, nur partiell. 6.7. Summerhill: Provokation oder Alternative? Es drängt sich hier die Frage auf, welcher Stellenwert dem Modell zukommt? Ist die Auffassung, Summerhill sei revolutionierend und provokativ, gerechtfertigt? Die Begeisterung, die dieses Modell in den ersten Gründerjahren und insbesondere Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre, gewann, ist weithin gewichen. Doch Summerhill hat dennoch seine Standhaftigkeit bewiesen, denn es besteht ununterbrochen seit 75 Jahren. Auf der einen Seite, ist Summerhill als "utopische Seifenblase" bezeichnet worden, doch auf der anderen Seite ist es ein ernstzunehmendes Modell, das weltweit großen Einfluß auf Erziehungstheorien ausübte. Leshan (1971a, 103) vertritt sogar die Auffassung, wir könnten "nicht mehr die gleichen sein, wie zuvor, seit wir den Traum von Summerhill kennengelernt hätten". Aus einer marxistischen Perspektive ist es einem Berliner Autorenkollektiv unbegreiflich, warum Neills Schrift noch nicht vom Bundesfamilienministerium als Pflichtlektüre für angehende Eltern verteilt worden sei, denn ein besseres Erziehungskonzept könne sich eine kapitalistische Gesellschaft gar nicht ausdenken. Es ist sicherlich richtig, daß Neills Buch "Theorie und Praxis einer antiautoritären Erziehung" von vielen Eltern gelesen wurde und sich ihre Begeisterung insofern zeigt, daß sie ihre Kinder nach Neills Erziehungsprinzipien erzogen, so zum Beispiel auch die Familien der Kinder, die ich wegen einiger Interviews aufsuchte. Es bleibt jedoch der Einwand, daß Neills Erziehungskonzept zwar einigen Kindern aus aller Welt nütze, jedoch nicht den Kindern, die nicht in den Genuß eines Besuchs in Summerhill kommen. Summerhill ist weitgehend von der Welt isoliert, in der die meisten von uns leben. "Es erscheint uns wie eine imaginäre Insel schöner menschlicher Beziehungen, herausgehoben aus dem stürmischen Meer, in dem wir uns mühsam über Wasser halten." (LeShan 1971a, 104). Gerade Außenstehende gewinnen sehr schnell den Eindruck, daß in Summerhill eben doch Zügellosigkeit herrscht. Dazu ein Beispiel: Der Junge, der erzählte, er habe ein paar Fensterscheiben eingeworfen, wurde von Neill dazu ermuntert, ruhig noch ein paar mehr einzuwerfen - vorausgesetzt, daß er sie auch bezahlen könne. Bezogen auf die Gesellschaft ist es jedoch selten gestattet, destruktiven Neigungen freien Lauf zu lassen, auch wenn der Verursacher hinterher für den angerichteten Schaden aufkommt. Vergessen bleiben sollte jedoch nicht, daß Summerhill auf bedeutende Alternativschulen in der ganzen Welt einen entscheidenden Einfluß genommen hat. So stieß ich während meiner Recherchen auf weitere Schulen, die sich sehr stark an Neills Prinzipien und seiner Schule richten: "Sudbury Valley School" und "Sands School". Ihr Grundprinzip ist die Freiheit. Spielen, kreative Dinge können auch hier ausgelebt, eigene Ideen verwirklicht werden. Keine Lehrpläne, Noten oder Zeugnisse hemmen das Kind in seinem Tun. Der heutige noch starke Einfluß zeigt sich auch in neuen Schulgründungen. In dem "Summerhill Journal" stieß ich auf eine Anzeige, die an "Dear Friends of Summerhill" gerichtet war. Die Tochter eines ehemaligen Summerhill-Schülers in den fünfziger Jahren, erzählt, daß sie und ihre Geschwister gemäß der Neillschen Prinzipien erzogen worden sind, nach denen sie nun auch ihre eigenen Kinder erzieht. Sie gründete die "Orchard Open School", die sich Summerhillsche Prinzipien zu eigen machte. Diese Schule ist nun auf finanzielle Spenden angewiesen, um den neun Kinder bessere Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen als ein umfunktioniertes Wohnzimmer bei einer Privatperson. Ein modifiziertes Modell zu Summerhill, das den Namen "Kinokuni" trägt, besteht auch in Japan. Es handelt sich hierbei um eine vom japanischen Kultusministerium anerkannte Schule, ihr Status ist insofern einzigartig. A.S. Neills Pädagogik ist seit der Veröffentlichung des Buches "The Problem Child" im Jahre 1930 in Japan bekannt. Dieses Bekanntwerden war einem Grundschullehrer für Kunst, Sheishi Shimoda, zu verdanken, der nicht nur Neills Werke ins japanische übersetzte, sondern auch eigene Bücher über dieses Erziehungskonzept veröffentlichte. Nach seinem Tod im Jahre 1973 wurde diese Arbeit von Shinichiro Hori weitergeführt. Begeistert von den Ideen Shimodas eröffnete er 1992 eine Internatsschule ähnlich wie Summerhill, in der die Teilnahme am Unterricht freigestellt ist und wo Selbstregierung und Freiheit Schüler und Schülerinnen zu glücklichen und freien Menschen heranwachsen lassen sollen. Der Gründer sah jedoch die Notwendigkeit einer Modifizierung bezüglich der Methoden, die Selbstentscheidung, Individualität und Erfahrung betreffen, vorzunehmen. Stehen die Schulversammlungen im Zentrum von Summerhill, so ist es die Projektarbeit in Kinokuni. In Kinokuni tragen die Schüler und Schülerinnen ihre Entscheidungen selbst hinsichtlich der Projektarbeit. Es besteht kein Zwang zum Lernen. Shinichiro Hori nahm diese heute immer mehr gefragte Lernmethode auf, weil er einen strengen Dualismus zwischen Intellekt und Emotionen für nicht zu vertretbar hielt. Nicht nur das japanische Ministerium für Erziehung und Bildung beschäftigt sich mit der Weiterführung und der Administration der Schule, sondern auch Unternehmen haben ihr Interesse gezeigt, indem sie finanzielle Unterstützung anboten und auch Lehrkräfte zur Verfügung stellten. Dieser Einsatz zeigt, daß Summerhillsche Ideen noch immer auf begeisterte Vertreter stoßen und zahlreiche Schulen nach deren Grundsätzen geleitet werden. 7. Relevanz für die Schule von heute 7.1. Ist Neills Erziehungskonzept auch außerhalb Summerhills durchsetzbar? "Ich glaube nicht, daß die Welt die Erziehungsmethode Summerhills sehr lange anwenden wird - sollte sie sie überhaupt jemals anwenden. Vielleicht findet sie eine bessere Methode. Nur ein Hohlkopf würde annehmen, daß mit seiner Arbeit das letzte Wort zum Thema gesprochen worden ist. Die Welt muß einen besseren Weg finden. Denn die Politik wird die Menschheit nicht retten." (Neill 1969, 103f). Neill verdeutlicht hier, daß er seine Arbeit nicht überbewertet. Die Pädagogik hat nach Neill die Aufgabe, die Menschen durch ihren Einfluß und ihre Maßnahmen von der Inhumanität zu befreien. Nach Karg (1983, 255) klingt dieses Zitat nicht nur bescheiden sondern auch missionarisch und kerygmatisch. Die Frage nach der Durchsetzbarkeit von Erziehungskonzepten außerhalb Summerhills hat er selbst beantwortet, weil ihm bezüglich dieser Thematik wiederholt die Frage gestellt worden ist: "Wie können die Prinzipien von Summerhill in staatlichen Schulen angewandt werden?" (Neill 1971a, 110). Neill bemerkt, daß diese Frage im allgemeinen von jungen Lehrkräften gestellt wird, die mit mehr Freiheit erziehen wollen und die dieses Prinzip auch durchaus durchsetzen können. Neill identifiziert sich insofern mit dieser Gruppe von Menschen, weil er auf seine Kontroverse mit dem Leiter der King-Alfred-School, John Russel, verweist. Seine Erfahrungen in der damaligen Zeit haben ihm gezeigt, daß an einer staatlichen Schule keine Freiheit ausgebaut werden kann, wenn die Schulleitung dies nicht unterstützt. Er geht so weit, daß er sie zum "Establishment" rechnet, welches pädagogische Freiheit verweigern kann. Neben dieser Kernaussage, daß der Lehrkörper nur so viel Freiheit einführen kann, wie die Schulleitung zuläßt, vernachlässigt Neill die ebenso große Bedeutung des Lehrerkollegiums. Nach Karg (1983, 256) räumt Neill dem Lehrerkollegium weniger Bedeutung zu, da schließlich seine eigenen Erfahrungen mit dem Kollegium an der King-Alfred-School und an weiteren Schulen ihm gezeigt haben, daß Haß, Intriganz, Unaufrichtigkeit und Rivalität in fast jedem Lehrerkollegium zu finden seien (vgl. Neill 1969, 38) und somit einen großen Einfluß auf alles Neue ausüben können. Hinzu kommt die Tatsache, daß jede Schule ihre Sitten und Gebräuche hat, von denen sie abweichen kann (vgl. Neill 1971a, 110). Die Möglichkeit, neue Elemente eines neuen und freieren Erziehungkonzeptes einzuführen, scheint durch diese beiden Hemmschwellen genommen zu sein. In diesem Zusammenhang scheint Neill einen wichtigen Punkt zu übersehen: die rechtliche Stellung der Schulleitung. Die Schulleitung einer staatlichen Schule hat wesentlich weniger Rechte als Neill in Summerhill. Neill ist gleichzeitig Schulleiter und Eigentümer von Summerhill. So verfügt Neill beispielsweise über die Freiheit, eine Lehrkraft zu entlassen. Dies ist an einer deutschen Schule, die an beamtenrechtliche und schulrechtliche Normen gebunden ist, nicht möglich. Die Schulleitung einer staatlichen Schule ist deshalb gezwungen, auch Lehrkräfte in ihrem Kollegium zu behalten, die kein Interesse an einen freiheitlichen Erziehung zeigen. Während Neill auf das Erziehungsgeschehen einen großen Einfluß üben kann, so kann die Schulleitung an staatlichen Schulen nur bedingt ihren Einfluß geltend machen, da letztere die im Gesetz verankerten Artikel befolgen muß. Neben der Rolle der Schulleitung und des Lehrerkollegiums nennt Neill aber noch weitere Faktoren, die eine Durchsetzung verhindern. Zunächst sind hier die Eltern zu nennen, die den Bereich der Freiheit zu sehr einengen. Neill erwähnt selbst, daß die Eltern, die ihre Kinder nach Summerhill schicken, die dort praktizierten Erziehungsprinzipien nicht nur verstehen, sondern auch in ihrem eigenen Elternhaus leben. Es bedarf somit einer großen Umstellung des Kindes, wenn es seine Ferien im Elternhaus verbringt. Ein weiterer Punkt, der der Anwendung der Summerhillschen Prinzipien entgegenwirkt, ist die Dominanz des Unterrichtens. Erst wenn in der entsprechenden Schule die Meinung vertreten wird, daß das Vermitteln von theoretischem Wissen sekundär ist und die Bedeutung der traditionellen Unterrichtsfächer geschwächt wird, kann die Möglichkeit geschaffen werden, die Teilnahme am Unterricht freizustellen. Die Einteilung von Unterrichtsfächern in Haupt- und Nebenfächern muß entfallen, um den musisch-ästhetischen Fächern eine ebenso große Bedeutung zukommen zu lassen. Um dies realisieren zu können, muß genügend Platz für eine Holz- und Metallwerkstatt, Töpferei, Kunst- und Musikräume und Räume für textiles Gestalten vorhanden sein. Der Mangel an Gebäuden und an Platz zum Spielen erschwert jedoch die Umsetzung dieses Prinzips. Eine rigide Schulordnung verhindert ebenfalls einen Transfer. Von außen aufgesetzte Regeln und Bestimmungen ersticken jeden Versuch der Etablierung von selbstbestimmender Demokratie. Die hierarchische Ordnung von Schüler-Lehrer-Schulleiter und Kultusministerium wirkt dieser Demokratie in der Schule entgegen. Die Klassengröße an staatlichen Schulen ist zu groß, als daß Summerhillsche Prinzipien dort verwirklicht werden können. Hier liegt ein großer Widerspruch vor: auf der einen Seite steht die Forderung der meist jungen Lehrer und Lehrerinnen nach mehr Freiheit in der Schule, doch steht dem die Sparpolitik der einzelnen Bundesländer entgegen, die für Lehrkräfte, die in Pension gehen keine Neueinstellungen vornehmen und, um das Defizit an Lehrern auszugleichen, die Klassenstärke erhöhen. Diese Schulpolitik steht in entgegemgesetztem Verhältnis zu dem Wunsch, die Schule kindgerechter zu machen. Es besteht die Gefahr, daß bei der bestehenden Tendenz zur Kleinfamilie die Kinder zuwenig unter Gleichaltrigen sind und dadurch in zunehmendem Maße unter dem Einfluß von Erwachsenen stehen. Neill vertrat die Auffassung, daß es sich nachteilig auswirkt, wenn ein Kinder in einer Umgebung aufwächst, in der es sich nur mit seinen Eltern messen kann. Daher scheint die Notwendigkeit von Internaten heute größer zu sein als in der Vergangenheit, als Großfamilien eine häusliche Gemeinschaft aufwiesen und ein homogenes und in der Regel intaktes soziales System darstellen. Da sich Neills Prinzipien im wesentlichen auf das Individuum und die Gemeinschaft einer Schule beziehen, kann eine Durchsetzung dieser Prinzipien nur gewährleistet werden, wenn die rechtliche Voraussetzungen für eine Schulversammlung bestehen, in der Schüler und Schülerinnen sowie Erzieher in gleichen Maßen über Debatten und Mehrheitsentscheidungen ihre Interessen vertreten. Nach Karg (1983, 257) dürfen in Lehrerkonferenzen nicht nur rechtliche und organisatorische Dinge sowie Termine zu Tagespunkten gemacht werden, sondern auch pädagogische Anliegen. Mit der Größe der Schule wachsen auch die administrativen und organisatorischen Probleme, die in den Konferenzen Zeit beanspruchen. Es ist daher empfehlenswert, auf kleinere Einheiten im Bereich der Schülerzahl und des Lehrkörpers zurückzugreifen. Wichtige pädagogische Entscheidungen sollen in der Schülerversammlung diskutiert werden. Nach Karg (1983, 258) besteht jedoch die Problematik, daß die Durchsetzung von Entscheidungen der Schule und dem Individuum Schaden zufügen könnten, sofern dem Schulleiter ein Vetorecht oder Revisionsrecht eingeräumt wird. Ferner besteht das Problem, daß die Diskussionen primär zwischen Schulleitung und Lehrkraft oder zwischen zwei Lehrkräften verlaufen, so daß gerade die jüngeren Schüler und Schülerinnen von einer aktiven Teilnahme abgeschreckt sein könnten, und am Beispiel Summerhill zeigt sich auch, daß Zweifel, ob junge Schüler und Schülerinnen ihre Interessen vertreten können, weitgehend unbegründet sind. Auch siebenjährige Schüler und Schülerinnnen haben keine Schwierigkeiten, sich ungehemmt während der Schulversammlungen zu artikulieren. Meiner Meinung nach entfällt diese Problematik, sobald jedem Teilnehmenden ob Erwachsener oder Schüler eine gleiche Stimme eingeräumt wird. Um eine Dominanz von Erwachsenen auszuschließen, ist es ratsam, den Vorsitz in einem regelmäßigen Wechsel von einem Schüler oder einer Schülerin ausführen zu lassen. Neills positives Menschenbild schließt den Glauben an das Gute im Kind und an seine Fähigkeit zu eigenverantwortlicher, selbständiger Lebensgestaltung ein, so daß einem Gelingen nichts mehr im Wege stehen dürfte. Schulleitung und Erwachsene müssen diesen Glauben an das Kind nicht nur annehmen, sondern ihn auch in seiner Selbstregierungsphase unterstützen. Bei der Übernahme Neillscher Erziehungsprinzipien in das deutsche Schulsystem muß der Aspekt der verschiedenen Schultypen berücksichtigt werden. Summerhill ist eine Internatsschule, die meisten staatlichen Schulen in der Bundesrepublik Deutschland sind Halbtagsschulen. Während in Summerhill somit ein großer Einfluß auf die Kinder ausgeübt werden kann, ist es schwierig, an klassischen deutschen Schulen Selbstregierungs- und Selbstbestimmungsprozesse zu verwirklichen. Das Kind wird zu sehr durch seine Außenwelt beeinflußt, die nicht darauf vorbereitet ist, nach solchen Prinzipien zu leben. 7.2. Ziele des Bildungsplans und Summerhill: ein Vergleich Wenn man aufmerksam rezipiert, was für die Grund-, Haupt- und Realschule als Zielvorgabe, als "Erziehungs- und Bildungsauftrag", in Baden-Württemberg vorgegeben wird, so findet man eine erstaunliche Parallelität zu dem, was A.S. Neill als Zielsetzung seiner Pädagogik im allgemeinen und seines Schulmodells im besonderen genannt hat. Für die Grundschule wird davon gesprochen, daß sie "Freiräume für Eigenaktivitäten der Kinder" bieten soll und daß die Grundschule zum "Lebensraum für das Kind" werden soll. Spielen wird explizit als "eine Form des Lernens" betrachtet, und die "Schöpferische Phantasie und Gestaltungskraft der Kinder" soll gefördert werden. Freiarbeit wird im Bildungsplan als Bestandteil der regulären Grundschulausbildung genannt, selbständiges Handeln soll erreicht werden; dem Lehrer einer Grundschulklasse kommt ebenso wie den Lehrern für die unteren Altersgruppen in Summerhill die ausdrücklich genannte Rolle einer "Bezugsperson" zu. In dem "Erziehungs- und Bildungsauftrag" für Haupt- und Realschule ist die Rede von einer "persönlichen Entfaltung" des Heranwachsenden. "Bildung eines Charakters", "Verantwortungsbereitschaft" sowie die Erziehung zu Rücksicht und Toleranz sind nicht nur Ziele der deutschen Regelschule sondern auch von Summerhill. Weitere kleine Ansätze der Neillschen Erziehungsgrundsätze sind im Schulwesen bereits übernommen worden. So gibt es beispielsweise im seit 1994 gültigen Erziehungs- und Bildungsauftrags Baden-Württembergs die "Schülermitverantwortung", die den Schülern und Schülerinnen die Möglichkeit gibt, sich für die Schulgemeinschaft einzusetzen, um somit partiell aktiver am Schulleben teilnehmen zu können. Ferner sieht der deutsche Bildungsplan die Einrichtung "psychologische Beratungsstellen", "Beratungslehrer und Lehrerinnen" oder Schulpsychologen vor, die lern- und verhaltensschwierigen Kindern bei ihrer Problembewältigung behilflich sein sollen. Um eine vertrauensvolle Lernatmosphäre zu schaffen, sieht der "Erziehungs- und Bildungsauftrag" vor, die Zusammenarbeit mit den Eltern und außerschulischen Einrichtungen zu fördern. In der sogenannten "Schülerkonferenz" kommen nicht nur Schüler, Schülerinnen, Lehrkörper, sondern auch Eltern zusammen, um Schulbelange zu diskutieren. In Summerhill kommt dem kreativen Bereich eine entscheidende Bedeutung zu. Im Bildungsplan für Baden Württemberg wird ebenfalls hervorgehoben, daß der musisch-kreative Bereich und gemeinsam geplante Aktivitäten, wie beispielsweise Feste, Wandertage und Ausflüge einen positiven Einfluß auf das "Schulklima" ausüben. Man hat erkannt, daß das "Lernen" dadurch erleichtert und das "Wohlwollen" gefördert werden kann. Gemeinsames Hauptziel der dreigliedrigen Schultypen ist es, "die Schülerinnen und Schüler zu verantwortungsbewußten, mündigen Menschen zu erziehen". Es stellt sich natürlich die Frage, ob Prinzipien von Summerhill in der deutschen Regelschule teilweise vertreten sind? Hier muß klar differenziert werden: während einige Ziele übereinstimmen, so gibt in der deutschen Regelschule jedoch kaum Methoden, um diese zu verwirklichen. Die Verwirklichung von Zielen in Summerhill erfolgt durch Strukturen, wie beispielsweise die Freiwilligkeit am Unterricht teilzunehmen, die Schulversammlungen oder die Gleichstellung von Schülern, Schülerinnen und Erwachsenen. In der Regelschule, die das Prinzip Freiheit nicht kennt, erfolgt die Umsetzung solcher Ziele nur durch die Persönlichkeit der Lehrkraft und ihr Engagement. Ein weiterer fundamentaler Unterschied besteht darin, daß Summerhill-Schüler und Schülerinnen zum individuellen Glück in einem repressionsarmen System erzogen werden, Regelschüler und Regelschülerinnen werden jedoch zum Funktionieren in einem teilweise repressiven System erzogen. Betrachtet man die Zielvorstellungen, wird deutlich, daß der Akzent unterschiedlich gesetzt wird: Summerhill-Schüler und Schülerinnen sollen glückliche Mitglieder der Gemeinschaft werden, deutsche Regelschüler und Regelschülerinnen funktionierende Mitglieder der Gesellschaft. Im Gegensatz zu Summerhill wird für die deutsche Schule eine explizite Erziehung zu "sittlichen, religiösen, sozialen, freiheitlich-demokratischen" Menschen gefordert. Hier findet in bezug auf die sittliche und religiöse Erziehung eine Normsetzung statt, wenn von einer Erziehung im Sinne der "christlich-abendländischen Kultur" (dies gilt interessanterweise nur für Hauptschüler und Hauptschülerinnen) gesprochen wird. Eine solche abstrakte Normsetzung ist in Summerhill undenkbar - alles, was an Normsetzung über den Bereich des unmittelbaren Zusammenlebens hinausgeht, ist ein Eingriff in die Freiheit des Individuums. Ein weiteres Problem des Bildungsplans ist, daß im großen Umfang mit den oben genannten Schlagwörtern gearbeitet wird, die jedoch kaum konkretisiert werden. Es wird gesagt, daß eine Erziehung im Sinne "christlich-abendländischer Kultur" oder "Sittlichkeit" erfolgen soll, aber es wird nicht definiert, was überhaupt eine "christlich-abendländische Kultur" oder "Sittlichkeit" ist, geschweige wie eine Erziehung zu diesen Werten konkret stattfinden soll. Somit läßt sich festhalten, daß wichtige Zielsetzungen Neills auch in bezug auf die Bildungspläne zu finden sind - ob sie verwirklicht werden oder überhaupt verwirklicht werden können, ist kaum nachzuprüfen. Welche Folge eine stärkere Akzentuierung dieser Prinzipien in den Regelschulen hätte, wird im nächsten Abschnitt genauer betrachtet. 7.3. Chancen und Restriktionen bei der Implementation von Prinzipien der Selbstregulierung in der deutschen Regelschule Hier möchte ich erläutern, wie die Regelschule verändert werden müßte, um eine weitergehende Implementation von Summerhill-Prinzipien zu ermöglichen. Die Argumentation folgte zwei Strängen: einem, der sich mit der strukturellen Problematik der Implementation befaßt und einem, der die Akzente auf institutionell-hierarchische Probleme setzt. Eine wichtiges strukturelles Problem, daß der Implementation entgegenspricht, ist die zu große Schülerschaft. Bei einem Versuch der Selbstregulierung in Schulen mit einen Schülerzahl von 500-1000 Schüler und Schülerinnen kann es leicht zur Elitenbildung kommen, denn es besteht kaum die Möglichkeit, effizient eine Schülerversammlung mit derart vielen Personen durchzuführen, in der jüngere wie älter Schüler und Schülerinnen die gleichen Stimmen haben und zu gleichen Teilen zu Wort kommen können. Die Gefahr des Scheiterns von Selbstregierungsprozessen in Halbtagsschulen besteht, wenn außerhalb der Schule, wie beispielsweise in der Familie oder in Freizeitvereinen, ein autoritäres Klima vorherrscht. Ein weiterer Punkt, den es zu betrachten gilt, ist die Tatsache, daß derart große Zahlen von "neillmäßig" erzogenen Kindern wahrscheinlich nicht befriedigend ins Erwerbsleben integriert werden können. Die Erwerbsgesellschaft braucht einen großen Teil Menschen, die das ausführen müssen, was sie gesagt bekommen, auch wenn es ihren Wünschen und Neigungen zuwiderläuft. Auf der anderen Seite sprechen auch das hierarchische Gefälle im Schüler-Lehrer-Verhältnis gegen eine Implementation von Selbstregierungsprinzipien. Eine klare Trennung mit Weisungsbefugnissen definiert die Rollen in der Institution Schule. Die damit verbundene Schulpflicht, die besagt, daß ein Kind bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres die Schule besuchen muß, kann ebenfalls nicht dazu beitragen, daß Kinder erfolgreiche Selbstregierungsprozesse erleben können. Außerdem besteht der Druck durch die Gesellschaft auf die Schule, ein gewisses Maß an intellektuellem Wissen zu vermitteln. Es besteht eine gesamtgesellschaftliche Qualifikationsanforderung. So wird vorausgesetzt, daß ein erwerbstätiger Mensch grundlegende Techniken, wie Schreiben, Lesen und Rechnen beherrscht, um sich in der Gesellschaft auszudrücken und zurechtzufinden. Weitere Hemmnisse sind finanzieller Natur. Um Selbstregierung ermöglichen zu können, ist es notwendig, den Lehrkräftebestand bedeutend zu erhöhen. Doch heute wird es kaum möglich sein, 8-10 Kinder auf eine Lehrperson kommen zu lassen, wie es in Summerhill der Fall ist. Ein letzter wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist, daß Selbstregierung nur dann funktioniert, wenn ein Lehrkörper auch bereit ist, den Schüler oder die Schülerin als äquivalent zu akzeptieren. Trotz eines Altersunterschiedes ist es notwendig, daß sich der Lehrer oder die Lehrerin "auf die Seite des Kindes" stellt und ihm Respekt und Achtung entgegenbringt. Abschließend bleibt festzuhalten, daß die heute existierende institutionell-hierarchische und strukturelle Institution Schule eine Implementation von Prinzipien der Selbstregierung unmöglich macht. Die Schule müßte eine grundlegende Änderung im strukturellen sowie im personellen Bereich erfahren, um Selbstregierungsprozesse möglich machen zu können. Zusätzlich zu kleineren Lerneinheiten müßte das Prinzip der Freiheit eingeführt werden, ohne das eine Selbstregierung nicht möglich wäre, was dem traditionellen Schulbegriff diametral entgegensteht und daher auf breiter Ebene wahrscheinlich nie verwirklicht werden kann. 7.5. Schlußbetrachtung Neills Pädagogik und seine Schule Summerhill stellen einen großen Anreiz zur Auseinandersetzung dar. Dies liegt vor allem darin, daß Neill ein Praktiker war, der durch die zum größten Teil sehr oberflächlichen und undifferenzierten Begründungen seiner Theorie und die schulischen Beispiele, die er als Beleg aufführt, natürlich eine breite Angriffsfläche für seine Kritiker bietet. Es zeichnet sich jedoch ab, daß Neill in der Realisierung seiner "Schwarz-Weiß-Malerei" sehr konsequent war und nie den Anspruch erhob, Vorbild für Regelschulen zu sein. Besonders fragwürdig erscheint der große Unterschied zwischen Freizeit und Unterricht. Während die Kinder in ihrer Freizeit ihre Interessen und Neigungen ausleben können, so ist der Unterricht selbst in Summerhill eher konservativ, außer der Tatsache, daß der Unterrichtsbesuch freiwillig ist. So versteht Neill es nicht, Unterricht und Spiel miteinander zu verbinden, ja er lehnt spielerische Lernformen sogar ab. Neill war zu sehr von seiner Zeit geprägt, in der der Lernstoff in keinerlei Zusammenhang mit dem Leben der Kinder stand. Daher ist für ihn Lernen als Spiel im Unterricht Mittel zu dem Zweck, langweilige Themen interessant zu gestalten. Die dort praktizierten Lernmethoden sind bis heute dieselben geblieben und entsprechen denen der Regelschule, bis auf die Tatsache, daß die Klassen wesentlich kleiner sind. Sie sind altmodisch und traditionell und bedürfen einer Reformierung. Der Glaube an das Gute im Kind scheint zweifelhaft zu sein, wenn die Tatsache in Betracht gezogen wird, daß Kinder von der Schule verwiesen wurden, weil sie zu sehr störten und es ihnen nicht möglich war, sich nach den dort herrschenden Prinzipien zu richten. Auch zeichnet sich in den Aussagen Zoe Readheads ein Widerspruch ab, indem sie sagt, daß sie die Aufnahme von Problemkindern vermeidet, weil diese der Schule zu viel Schaden zufügen könnten. Wenn Neill selbst sagt, daß Summerhill der geeignetste Ort sei, um Schüler und Schülerinnen zu Selbständigkeit, Selbstsicherheit und emotionaler Reife erziehen zu können, dann müßten auch Kinder mit Problemen in der Lage sein, dort ihr Glück und Interesse am Leben zu finden. Wenn Kinder aufgrund von Liebesentzug zu despotischem Handeln neigen, dann müßten sie sich, wenn man sich auf ihre Seite stellt und ihnen Liebe und Zuneigung schenkt, bald zu "normalen" Kindern entwickeln. Durch die Tatsache jedoch, daß Kinder bereits von der Schule verwiesen wurden, nachdem ein Beschluß in der Schulversammlung einen Abgang veranlaßte, wird seine Auffassung vom prinzipiell guten Menschen zwar nicht widerlegt, aber es wird gezeigt, daß seine pädagogischen Auffassungen nicht universell wirksam sind. Neill kann der Vorwurf gemacht werden, daß er nur von aufgeweckten und intelligenten Kindern ausgeht, die auf natürliche Weise Interesse an vielen Dingen bekommen, so auch daran, den Unterricht zu besuchen. Ferner stellt sich dem kritischen Beobachter leicht die Frage, ob Neill wirklich das Prinzip von Strafe und Belohnung ablehnt, wenn man bedenkt, daß die Kinder eigentlich nichts anderes in einer Gerichtsverhandlung machen, als Strafen bzw. Belohnungen auszusprechen, um denjenigen, der gegen die Regeln verstoßen hat, zu disziplinieren. Strafen nach dem herkömmlichen Prinzip werden hier zwar nicht vorgenommen, jedoch sind Beobachter in Summerhill gelegentlich der Meinung, daß die Strafen, die von Summerhill-Schülern und Schülerinnen während des "tribunal" verhängt werden, zu hoch sind. Dies war zum Beispiel der Fall, während ich einer Gerichtsversammlung beiwohnte und ein Junge "angeklagt" wurde, der im Unterricht "Game-boy" spielte und mehrmals ermahnt werden mußte, um sein Spielen zu stoppen. Es war nicht genug, ihm das Spielen mit dem "Game-boy" für eine geraume Zeit zu untersagen, sondern das Spielen mit sämtlichen Computerspielen, die in Summerhill möglich sind, wurde ihm für eine Woche untersagt. Außerdem hatte er eine Geldstrafe von 20 pence zu zahlen, weil er wie oben bereits erwähnt, mehrere Male zum Beenden des Spiels ermahnt werden mußte. Hier besteht also kein Unterschied zu normalen Schulen in bezug auf das Strafmaß, sondern nur bezug auf die aussprechende Instanz. Ein weiterer Kritikpunkt an der Umsetzung der Neillschen Erziehungsprinzipien ist geschlechterspezifischer Natur. Neill behauptet, daß Jungen handwerklich begabt sind und oft von zu Hause weggehen, Mädchen dagegen gerne handarbeiten und lieber zu Hause bleiben. Wenn Neill Jungen und Mädchen so unterschiedlich sieht, bedeutet dies auch, daß die Förderung von Mädchen und Jungen unterschiedlich sein muß. Nun fällt aber auf, daß in Summerhill eine Holzwerkstatt vorhanden ist, nicht jedoch ein Raum für Handarbeiten oder ähnliches. Dies wiederum legt den Schluß nahe, daß für Neill die Förderung von Jungen wichtiger gewesen ist als die von Mädchen, obwohl er seine Schule von jeher für beide Geschlechter offenhielt und auch versucht hat, ein relatives Equilibrium von männlichen und weiblichen Schülern zu erreichen. Neills unterschiedliche Sichtweise der Fähigkeiten und "natürlichen Veranlagungen" von Mädchen und Jungen ist heute kaum mehr zeitgemäß, insofern hat sich dieser Kritikpunkt an Summerhill quasi von selbst erledigt. Trotzdem bleibt die Frage offen, warum immer noch nur einseitig handwerkliches Arbeiten mit Holz oder ähnlichen Werkstoffen angeboten ist, jedoch kein Handarbeitsraum oder auch ein Webstuhl vorhanden ist - unabhängig davon, ob diese Einrichtungen bevorzugt von Jungen oder von Mädchen benutzt werden würden. Der letzte Punkt betrifft den Bereich der Ökologie. Angesichts der Tatsache, daß Summerhill einen regen Zulauf von deutschen Familien erhält, deren Erziehungsideen denen in Summerhill entsprechen und die ihr Leben stark ökologisch ausrichten, d.h. daß sie Müll recyceln, ökologisch bauen, sich mit Vollwertkost ernähren usw., wäre zu überlegen, ob Summerhill nicht auch beginnen sollte, sich diesbezüglich zu ändern, um umweltbewußter zu leben. Summerhill könnte sich so einen weiteren Vorsprung gegenüber dem staatlichen englischen Schulwesen, welches im Gegensatz beispielsweise zum deutschen eine Erziehung zu ökologischem Verhalten kaum kennt, sichern. Außerdem könnte Summerhill hierdurch seinem Anspruch, die Schüler und Schülerinnen nicht nur mit Wissen zu versehen, sondern auch zu glücklichen Menschen zu erziehen, die sich selbst verwirklichen und in Einklang mit ihrer Umwelt bzw. der Natur leben, einen Schritt näherkommen. Einen Versuch, die Prinzipien von Summerhill und ökologische Gesichtspunkte miteinander zu verbinden, habe ich kennengelernt, als ich die ehemalige Summerhill-Schülerin Maya Mahn traf, um sie über ihre Schulzeit in Summerhill zu befragen. Ihre Familie lebt in einer Gemeinschaft mit vier weiteren Familien auf einem alten Bauernhof im Hunsrück, der unter der ausschließlichen Verwendung von traditionellem Baumaterial, wie Lehm und Holz, ökologisch restauriert wurde. Der Bedarf der Gemeinschaft an Grundnahrungsmitteln wird durch eine eigenen Viehhaltung und ökologischen Landbau in einem großen Garten weitgehend selbst erzeugt. Diese Gemeinschaft gründete den Verein "ÖGEK e.V." (Ökologie, Gesundheit, Erziehung, Kultur), der ein heilpädagogisches Kleinheim für Problemkinder betreibt, in dem diese durch sinnvolle Beschäftigung und ein Leben, das sich an Summerhill-Prinzipien orientiert, resozialisiert werden sollen. An diesem Projekt beteiligen sich Psychiater, Architekten, Lehrer und Erzieher. Ein weiteres Projekt der Gemeinschaft ist, durch das Angebot von Arbeit und Bildung Aussiedlern die Abhängigkeit von der Sozialhilfe zu ersparen. Sie erhalten Deutschunterricht und erwerben zusätzlich handwerkliche Fähigkeiten, wie beispielsweise mauern und Fliesen verlegen. Es werden also -wie in Summerhill- gleichermaßen körperliche, handwerkliche und geistig-intellektuelle Fähigkeiten vermittelt. Dieser erfolgreiche Versuch, die Prinzipien von Summerhill auch auf andere Bereiche wie die schulische Ausbildung von Kindern anzuwenden, verbunden mit einem deutlichen ökologischen Akzent, kann auch nützliche Anregungen für die Entwicklung von Summerhill selbst liefern. Summerhill ist häufig mit finanziellen Problemen konfrontiert. Dies wird am Zustand der Räumlichkeiten und der Einrichtung sowie dem Angebot an Freizeitaktivitäten deutlich. Summerhill ist heute ein Ort, an dem sich Kinder aus verschiedenen Kulturen treffen, der jedoch in den Sommermonaten seine Türen schließt. Hier wäre zu überlegen, ob Summerhill nicht das große kreative Potential innerhalb der Schülerschaft ausnützen könnte, um die Renovierung der Gebäude in Angriff zu nehmen. Zu diesem Zweck könnte man ebenfalls erwägen, ein internationales Workcamp zu organisieren, das nach ökologischen Gesichtspunkten die Einrichtungen renoviert. Summerhill könnte dadurch einerseits zu einem Ort werden, an dem nicht nur Schüler und Schülerinnen, sondern alle möglichen Menschen der unterschiedlichsten Nationalitäten zusammentreffen, und seine Ideale dadurch, daß bei derartigen Veranstaltungen Hemmnisse wie beispielsweise das hohe Schulgeld wegfallen, einer größeren Anzahl von interessierten Menschen vermitteln. Ein ebenso positiver Aspekt wäre es, daß die ständige Gefahr einer Schließung der Schule aufgrund untragbarer baulicher Zustände wirksam entgegengetreten werden könnte, ohne daß dies die finanziellen Möglichkeiten der Schule überfordern würde, da lediglich Kost, Logis sowie das verwendete Material gestellt werden müßte. Dies würde den Unterstützern und Freunden von Summerhill, die nicht über große finanzielle Ressourcen verfügen, die Möglichkeit geben, aktiv zum Erhalt der Schule beizutragen. Ein letzter Punkt ist, daß die Schule dadurch, daß langfristig massive Kosteneinsparungen möglich werden, eventuell in der Lage wäre, die Höhe des Schulgelds zu reduzieren, um dadurch die letztlich doch sehr hohen Hürden für den Besuch Summerhills etwas abzubauen und dieses alternative Schulmodell für eine größere Zahl Interessierter erschwinglich zu machen. Denn hier gilt es eine Tradition weiterzuführen, die sich bereits seit 75 Jahren erfolgreich gegen innere und äußere Angriffe behauptet hat. LITERATURVERZEICHNIS Appleton, Matthew: A law unto themselves, in: Libertarian Education, 1991, Heft 16, S.11-14 Auchter, Thomas: Zur Kritik der antiautoritären Erziehung, Freiburg im Breisgau 1973 Behr, Michael; Jeske, Werner: Schul-Alternativen. Modelle anderer Schulwirklichkeit, Düsseldorf 1982 Bönninghausen, Inge von; Dreisbach-Olsen, Jutta: Experiment Erziehung. 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One 12 can go downtown on bike (after they pass the test). A 14 and over can take two 11s on bike. A 13 can cycle in a 5 miles radius (& test) if you give all details to your houseparent. Two 14s can go to a radius of fifty miles. Mao can go 15 miles radius from school cycling provided he checks details with his houseparent. A 16 can go to a radius of one hundred miles. No sheath knives downtown. No one allowed on railway track. No one under 16 can smoke downtown. Staff and parents can take you downtown after dark. Hill Farm is an annex to the school but not after 20:00. Cinema-goers can come back at 21:30. On a cinema trip with House and San kids: - Staff must supervise kids crossing roads. - You must walk on the pavements. Kids must sign out on the board if they are going downtown; elsewhere tell your houseparent. You are not allowed to go to people's houses unless you have been invited by an adult and they have been in touch with the school. Sitting Rooms Communal TV & video: only to watch a video, put it back straight afterwards; sign them out. You can't eat or drink in LKSR (Little kids sitting room). You can watch TV after you have finished your meal. No TV or computer games during lesson times (including Game-Boys). Catriona can watch TV from 17:00-18:00. Little kids allowed to chuck big kids out of little kids' sitting room. You can't take cushions out of the sitting room or the library. Videos that aren't for a certain age group can't be shown in the LKSR during the little kids' times. The people watching have got to make sure that no-one under age is watching. BO (Bed officers) turn off corridor lights at night (1 Lounge, backdoor, bathroom(toilet) Smoking People can smoke around Michael's caravan but not past it. Only Shack and over can smoke. You have to be 16 or Carriage to smoke downtown. You can bring people up for having full ashtrays in their rooms. If someone smokes in your room you get fined. No smoking by the dining room bench, the front porch. Not allowed to smoke on the carriage path: from top of girl's carriages to bottom of boys' carriages. You have to announce at the beginning of term that you are a smoker, and you'll have to go to the seminar. Smokers must read and sign the certificate each term. Smokers list: Lizzie, Will, Nao, Sara, Jesse, Aimee, Sophie, Bruce, Camilla, Hana, Tsuyoshi, Maureen. Gram Gram: the gram committee people have to go on the ground to evaluate sound level. You have to be 13 to be on the gram committee. New gram members can't play the gram until someone has shown them how to do it properly. Only gram committee can play the gram or touch records. Only 3 people allowed in the gram box at once. No gram records allowed outside of the gram box. On EOT (End of Term) the gram must be turned down at 1:00 to a reasonable level. Everyone in the lounge must agree on this. Gram times: Tues, Fri and Sat: 19:00 to half an hour before San lights out. On EOT Sunday, Gram can be played during Clear-Up, and 19:00-20:00. Gram box locked during EOT decoration. Bans Little kids can't go in the theatre without a big kid or staff. Julie or Sara can't go downtown on their bikes. Hana & Mao: no contact with San/House kids after lights out or goes home; banned from top corridor; can't talk to Ruri or Tatsuo without a big Japanese kid present. Roger can't play fight with house and San kids; can only borrow money/things from Shack and over. Josh and Roger can't buy things out of each other's bill. Damian & Chris banned from Pei Shuen's room. Damian: banned from the San area (from front stairs or from fire door); not allowed to talk to San kids; banned from Misha's room and not allowed to ask him for anything, ever. Jamie can go upstairs but ombudsmen can ban him again until tribunal. Damian not allowed in the Beeston. Miscellaneous No-one can't take class 1 kids out of the class. No-one can call Vita "flea" or Carman "car". No-one is allowed in people's rooms unless invited. Shops: Put sign up on notice board and make it clear if they have no food. You can't have a shop when a committee is raising money. You can't camp or make a hut on the hockey field. Pets: You can't bring animals back here without asking the meeting. You can't have more than one pet - except if that's already the case. Litter goes in the fire. It is carried in bin bags. Rabbit shit goes on compost heap. If you don't clean your rabbit's cage once a week - 50p fine. Committees need an external treasurer to help with the account books; all transactions have to be signed and dated. New kids and staff cannot be on committees in their first term. Bar committees cannot transfer money to the fines. You need to announce it at the meeting if you quit a comittee. You can't run for a committee if you are taking the book around. Library: no food, no drink, no mess. Sign out the books you take out. School magazines go to the library. Don't use jos-stick in the top corridor before lunch. No playing with water inside. No balls inside. No littering in S'hill or downtown (50p fine). People must leave any area the cleaners are cleaning. No one must harrass day staff. No-one allowed in Beeston except for washing. You must be over 12 and have been here 2 terms to be an Ombudsman. No baths 9:00-14:00 or 16:30-19:00 in the house. Only House kids can use the house baths between 21:00 and lights out. No-one can sit on the table-tennis table. Investigation committee's powers: - search any part of anyone's room at anytime. - see people's bank books. - contact with parents. - force people to talk to them. No one can take any one else's stuff out of the school without writing formally to the Office. Poc (pocket money) If you collect kids poc they go to the front of the queue. You can only owe up to £1 less than your POC. San kids San kids cups don't go out of the kitchen & dining room. Fine for using them - if you are not San. Don't eat noodles in bed after lights out. No-one allowed to stand on Sophie's bed. San kids need 2 Carriage kids or staffs before they can swap, lend, buy or sell anything. San kids can only have ½ their poc on Pay on Poc and can't owe more than 50p to any shop. San kids can't do Pay on Poc with private traders. San and House kids cannot have TV's, cassette recorders, computer games etc. (but battery rechargers and gameboys etc.-yes): Nathan & Neillie & Yuu can go downtown together. San kids can't chuck each other out of their rooms. Dangerous things Swimming Pool: No running around the pool. Pool: you can't play with the whistle (£1 fine). When the whistle blows, Everyone has to leave the water immediately. No jumping in or diving from the side past the filter. After diving no swimming back from the ladder under water. No pushing people in. You can't stand or walk on the pool dividing wall. Fire: During the fire drill, everyone must be IN the theatre. The outside fire exit door in the top corridor can only be opened in a fire or fire practice. Only Shack and over are allowed matches and lighters. House and under must be with a Carriage to light a firework. No matches and lighters inside. Fireworks are only allowed on the hockey field. Fire escapes are out of bounds except in case of fire or fire practice. Roofs are out of bounds. Big Beech is out of bounds when it's dark or wet. You can't build tree huts by the road. 12 and over can have sheath knives. Modelling knives, scalpels and stanley knives can only be used in class. Only House and over are allowed pen-knives. Shurikens and catapults are not allowed, including balloon ones. Cross bows and arrows allowed only on Hockey Field if noon is around. BB guns are banned from Summerhill forever. San and House cannot fit electrical plugs. Doors must not be locked at night. No one may lock people in rooms (including using ropes). No weapons with blades against DT's even if they come into Summerhill. Bikes You must have a working front and back brake on your bike. House & up can't ride San kids bikes even with permission. House and under must pass Simon's test before they can cycle downtown. No wheels inside. You can't ride bikes near moving vehicles, especially vans coming into the school. You can't leave your bike by the back door. Motorbikes You can't ride on the hockey field. You have to wear a motorbike crash helmet to ride. £5 fine to the rider if the warning signs are not up. You can't ride motorcycles on the shack field when it's too muddy. You can't go out of first gear going to the woods. Parents and visitors Ex-pupils have to ask the community in advance if they want to jam at the EOT. Parents can only take other people swimming in a public pool with a qualified life-guard. If an under 16 wants to come to Summerhill they must be accompanied by their parents. Ex-pupils, visitors and families can arrive on: Saturday of Easter and Winter EOT, Friday after lunch on Summer EOT, and must leave before Monday lunch time. Ex-pupils, visitors and families can stay for Saturday, Sunday and Monday at Summerhill half-term. Visitors can only video if they ask people first. Visitors can't swing off the Big Beech. The meeting You can't propose the "business is closed" in the middle of the business. After 1 hour, there is no "meeting open". You must ask the meeting if you can camp out in the Autumn and Spring term. People who sell things privately can't get the meeting to sort out debts. The chair has ultimate power. If a chair does not take bedtimes e.g. walks out... no one gets late nights. You have to have the community's permission to record a meeting or discussion. Gram box is out of bounds during meeting. No appealing after two weeks, except from bans. If an outsider asks the meeting's permission for something they may not be present while it is discussed. You can't watch TV during the meeting. You can't change the law in the last meeting of term. People who are brought up must come to tribunal (20p fine). You have to tell people you are bringing up by Friday lunchtime. You have to be at the meeting if an ombudsman brings something up for you. No-one can call a special meeting during a party to extend it. You can't ask for a case during another case. No-one allowed in the library during meetings. Ombudsmen have to come to tribunal. If you keep money under your pillow or on your shelf - the meeting can refuse to deal with it if it gets stolen. Dining room, food and drinking Staff guests: Staff write on the board if they have guests. Guests go to the back of meal queues. Only one piece of fruit at at time. You can't walk on tables during meal times. Staff, if intending to not come to dinner, have to write it on the board before 5pm. Kids are not allowed to drink alcohol. Not even one sip. Staff get £5 fine if drunk. You may queue up before the bell but only behind the light switch. No cutlery or plates etc. outside the dining room except on the picnic table. Class 1 & 2 teachers allowed to got to 1st lunch; Bedtimes Silence hour is from house bedtime until 8:00 weekdays, 10:00 Saturdays, 11:00 Sundays in the House. In carriages, silence hour is: weekdays: 9:00, noon at weekends. No one is allowed in carriages at weekends until 10:30. Bedtimes: San: 20:00 to 21:00. Half an hour later on late nights. House: 22:00 to 22:30. Half an hour later on late nights. Shack: 22:30 to 23:00. Half an hour later on late nights. Carriages: 23:30. Half an hour later on Friday nights; 2:00 on Saturdays. Carriage kids must be alone in their rooms by 23:30. Shack kids allowed lamps on. You can't play music in the theatre during Carriage silence hour. Morning wake up is at 9:00. You have to be out of your bed and dressed at 9:20. You are not allowed to go back to bed before lunch time. If you are ill, you need to tell your house parent before 9:30 and you can't get up before lunch. You are not allowed on the top corridor after house bedtime. House doors must be kept closed after lights out or whole room is fined half an hour work fine. All carriages kids must have their curtains open from 9:30 until 13:00. You have to change into sleeping clothes before you go to bed. No one may play the piano after house lights out. You can't go to the toilet, or get medecine straight after lights out, you have to do everything you need to do and be ready 5 minutes before lights out. You can't sleep on the floor unless you arrange for someone to put the matress back, and have to ask the BO. BO can fine Shack & Carriage kids if they're in the house corridor during or after bedtime. BO's can deputize two Carriage kids (any) to be BO's. BO can give breakfast fines: you have to be first in the queue or you get fined. On Fridays BO can let people stay up 10 minutes or so later than their lights out to watch the end of a film. San kids must ask BO's before tea time if they want to camp out. BO can fine Shack and Sarriage kids to clean up at break, instead of pudding fine. The person on rota has to supervise it, or do it if no-one has been fined. BO decides if you can sleep in another room. Material IV: Interview mit Zoe Readhead, der Schulleiterin (1.März 1996) Interviewer: How many pupils do you have at the moment? Zoe Readhead: 67. Interviewer: How many non-English students do you have? Zoe Readhead: I don't know. I guess about half. Interviewer: Are there also any non-white students? Zoe Readhead: Yes, he's from Germany. Interviewer: How many German children do you have? Zoe Readhead: About 12 or 14. Interviewer: How are students accepted for Summerhill? Zoe Readhead: Well, it's very informal. They come and visit and the parents come and visit. If I don't detect any problems, then we just go ahead with it. But if I feel that there is a problem, then I would try to investigate it further. Interviewer: Which countries do the children normally come from? Zoe Readhead: Well, at the moment, we've got English, Germans, Japanese, Taiwanese, Koreans. In the past we have had children from Brazil, Spain, America, Indonesia, France. Oh, we've got a French and a Swiss boy here as well. Interviewer: Can you say that there has been a certain tendency for children to come from a certain area? Zoe Readhead: Well, it does seem to go in phases. In the sixties there were a lot of Americans here. I think it depends on how well the books are selling. But we've always had a good connection with Germany. We have had a lot of German children over the years and we've continued to always have a good batch of children. In the last ten years we've had a good steady stream of Japanese children. The Koreans and Taiwanese are quite new. Interviewer: How long do the children normally take to be able to talk in English? Zoe Readhead: The Europeans very quick. I mean Louis came last term and he spoke very little English and now he speaks very passable English. He came from France. The German child Nathalie came at the beginning of the last term and she is very small. She is already speaking good English. I think with the German children - they become understandable within two terms very easily. But the Japanese take longer. It very much depends on the child. Those children that are outgoing, tend to learn it quicker. But it's much harder with the Taiwanese and the Koreans. They certainly seem to pick it up harder. Interviewer: When they first come, would you say that they do not attend so many lessons because their English isn't good enough? Zoe Readhead: Well, we don't expect new children to attend lessons anyway, because most new children have been to other schools and in other schools there are forced to go. So, obviously the first reaction when they come here is going to be not to go. But the language will make a difference, we make no doubt about it. But on the other hand the two junior classes do EFL (English as a Foreign Language teaching). They have their own EFL teacher. So, I don't really think it is a problem. I think by the time they are ready to go they've all learned it. Interviewer: What is the average age of the children coming to your school? Zoe Readhead: I have no idea but I would guess the average between 10 and 12, it' s the biggest we take. Interviewer: How many students will take an exam? Zoe Readhead: I think all of them will take one exam - at least one. But you get occasions when they don't take any exams, but most of the children will take two or three exams. Interviewer: Is it possible to take A-levels? Zoe Readhead: No. Interviewer: How many students go on to Further Education? Zoe Readhead: I would say 80%. Interviewer: What sort of professions would most of them like to do? Zoe Readhead: Well, it's difficult. Those who are going into business will tend to go in businesses where they have their own responsibilities. But a lot of people go into the artistic side. I think because here they are able to develop it. But there really is no standard. Remember, we have students from Summerhill who have retired. 75 years is a long time and there are students who worked at Summerhill who have now died of old age. So, that the careers they have been into have been very diverse over the years. And it's not easy to give a particular thing. Some of them will do very well in their jobs and some of them will be very poor. There will be very different sorts of people. Interviewer: How much pocket money do the children get? Zoe Readhead: The San-kids get £2.50, the House-kids get £3.50, the Shack-kids get £5 and the Carriage-kids get £8. And that's each week. But then they get maybe their own money from home as well. Interviewer: Are there friendships between students from Summerhill and students from town? Zoe Readhead: Rarely. Whenever they do it causes problems. Because the children outside school have no alliegiance to the school. They are a little bit jealous anyway. Interviewer: Do you accept day-time children? Zoe Readhead: Yes, we do. 6, I think. Interviewer: Do they get along with the others? Do they attend meetings? Zoe Readhead: Yes, I like them to come in on Saturday; although some of them don't - particular the littles ones. It's not as good as boarding. But a lot of children gain a lot out of it - have a good time here. But I think they would gain more if they were living here. You see living here is a very important part. And it's probably one of the main things about the school. And it's one of the things which at this stage is very unfashionable because boarding schools have such a bad name. Parents feel that they should have their children with them. You're bad if you send your child away, but they're wrong because the children want to be here. Children need the company of other children - more than they need their parents, really, as long as they have their parents, when they want them but all the time they need the company of other children more. Interviewer: How often do they see their parents? Zoe Readhead: We have three long holidays each year so they have plenty of time. Interviewer: Would you say there is a difference when they come back from home? Do they react differently? Zoe Readhead: Some children do, other children are a little bit wild, some children get worse just before the holidays - sort of anticipating going home. Well, but it would tend to be those children who have perhaps problems at home. Interviewer: Which social class do parents of Summerhill students belong to in general? Zoe Readhead: It's difficult to say. Obviously, in order to pay £ 5.500 to £ 6.000 a year they must have more money than very poor people. But on the other hand a lot of them make great sacrifices to send their children to school. So, I mean I know of one couple who have actually borrowed money to send their child here. Undoubtably, some of the Japanese parents are probably very healthy. It's difficult to know because we don't know them personallly. Sometimes we have children from wealthy families but mostly I would say they were lower-middle class, no higher than that. Interviewer: Have there been any important changes concerning the long-time running of the school? Zoe Readhead: Not really. I think that it reaches a new understanding of itself. I think Summerhill has become more aware of itself. Probably, because I'm an ex pupil and people that I associate with often are Ex-Summerhill-pupils. I think that you come to fully understanding if you were a pupil here. It is a big advantage for me. To be able to talk to kids knowing exactly what's like for them because I did it as well. And it was a disadvantage that Neill had is that he didn't experience it as a child. Although he may have many advantages because he didn't that I don't have. That- I think - the school coming to a better understanding of itself. Perhaps being able to analyse itself a little bit more. But I wouldn't call it a major change at all. I think we are much more streamlined in our academic department now. If Summerhill is to survive, it has to have pupils and although Summerhill will never change it's outlook and never change its philosophy - because that's what makes it Summerhill - but on the other hand if you can make it a little bit more sellable to parents, then you are going to get children more which is why one of the reasons why we continue to rebuild the place - not only is it falling down but also we want it to look good when parents come, when we have the family here, we want it to look nice. Now, we wanted to look clean and warm and cosy because the children don't notice it, but parents do. And the same with the classes - we want to be offering plenty so that when parents come they'll think: Oh, yes, my child is going to maybe learn something and some of it is just glossy but if it does the job then that's good. Interviewer: Do you always have enough applicants? Zoe Readhaed: We are never full. We usually can take somebody else. Interviewer: How would you describe your principle aim today? Zoe Readhead: To keep the school running. I think the aim is what it has always been: to produce well-balanced, happy individuals who are well-equipped to cope with life, whatever life happens to throw at them. Here is reality. We deal with people every day. We deal with human problems. We deal with one anothers feelings and problems. And when you go outside it equips you very well for meeting and dealing with other people's problems. Interviewer: How would you describe a typical Summerhill student? Zoe Readhead: Responsible, caring, gentle, honest, warm, mature, with a great sense of humour, very relaxed. Interviewer: Have the children changed in the last ten years? Zoe Readhead: I mean children come and go and there are different emphases on different things but fundamentally children don't change at all. And that's one of the mistakes that education has made. Everybody assumes that things are a different thing for instance. People think now that schools are much better because we're all very liberal now and it's the ninety's and everything is much fairer- but it's not! It's all just pretend. The children are still unhappy - they are still being forced to go to classes. They're still being talked to as if they were "this big" by teachers. They're still being treated badly by teachers and in the old days it used to looked worse because they used to get smacked and the teachers used to wear suits and things. But it's just the same, it's only a little bit better, not really. The children haven't really changed. The stil want the same things. They want to play, they want to be with their friends, they want to have fun and basically it doesn't matter whether they are playing with skateboards, listening to rock n' roll or listening to jungle music. Interviewer: Do you get any children with serious problems? Zoe Readhead: I don't really take children with serious problems anymore. I try not to take very damaged children. Interviewer: Could you define "freedom" and "licence"? Zoe Readhead: Freedom is that you can wear whatever you want to wear, whatever you like . It doesn't matter what you wear if boys want to wear dresses that's fine, it's not a problem but you can't have a pee in the middle of the lounge or you can't play your trumpet at night because those things interfering other people. Interviewer: Would you say that running your school will be more difficult in the future? Zoe Readhead: No, not necessarily. I mean there are many difficulties now that did not need to be faced twenty years ago. There are many more responsibilities now. It can't get much worse - to be honest. Interviewer: In which way has the "Thatcherism" had an influence on Summerhilll? Zoe Readhead: Well, I don't really think that it has any particular influence on Summerhill- to be honest. We've had school inspectors, but any government would have sent school inspectores. I think we've been very lucky in that we've got our philosophy and that's what we are going to do. We just do it anyway. Interviewer: Do you say that it is more easy or more dificult to run your school under Labour government? Zoe Redhead: I don't think it makes any difference. As long as we can continue with pupils then we are going to continue. We dropped very low two years ago we went down to 46 children which was a little bit alarming. But we are back up again with plenty of enquiries and I mean as long as I am happy to fill my school with Koreans, Taiwanese and Japanese I can keep going but it's a pity that we don't get more English, German, French children. I think things are looking pretty good. That's always the assuming that the government inspectors leave us alone occasionally and don't demand too much and - I sometimes wonder whether they've got plans whether or they've got what we call a hidden agenda. Interviewer: When did the last inspection take place? Zoe Readhead: A year ago in the autumn. They' ve been coming almost once a year. We've had five visits since 1990. They did a report last time. They said standards were low. And all the newspaper printed that we're going to be closed and in Germany they got terribly worried about it and everybody said we were going to be closed. It wasn't true at all - it's absolute rubbish. Interviewer: What is the most common form of criticism you receive from the public? Zoe Readhead: The general public think that our children are wild, rude, unruly and they misbehave all the time Interviewer: What about swearing? Zoe Readhead: The kids do swear a lot. People outside the school think that means that they are wild. Interviewer: What is the most common form of praise? Zoe Readhead: I think the most common form of praise will be people who meet our pupils, our ex-pupils and are delighted with them. People who have preconceived ideas about the school will come aiming to criticise . But when they meet the children they realise that there is something special here and people who meet our children when they've left again they find them particulary delightful people. So I think probably our greatest praise is for that. Interviewer: Is there still a chance of getting "Private lessons"? Zoe Readhead: Neill gave private lessons up. He realized that it wasn't him that was curing the children, it was Summerhill that was curring the children. Occasionally I offer private lessons to children, we call them "PL's", just because the children like to come and talk. What normally happens is that they tell me about their love-life or it's usually that they like to have someone to talk to. Interviewer: Have you recently heard a child using the words "I'm bored"? Zoe Readhead: Yes, I have about a week ago. A fifteen-year-old girl said she's bored. It's boring here. She wants to go to a party, dating and having a good time. She hasn't been here very long. And being bored is actually a constructive thing in this particularcase. In her particular case I think it's just because she wants to be a grown-up and she's not. For the other children bordom is an important thing. It's very constructive. It teaches you how to amuse yourself and how to manage your spare time. Interviewer: How would you describe your childhood? Zoe Readhead: Brillant. Interviewer: You were once described as the happiest child in the world. Can you give me some adjectives that describe your character today? Zoe Readhead: I'm very contented. I'm very happy, yeah, well-being. If I die tomorrow I would have no regrets at all. I feel that everything in my life has been wonderful. Happiness is a strange thing to describe. What is happiness? I think if you describe someone as happy, you mean that they are generally happy with their general life. It doesn't mean that they're happy all of the time. So, yes I could have been described as being happy although I had a happy time the same as any other children. My childhood was very happy on the whole. Interviewer: And the most unpleasant thing? Zoe Readhead: Considering my life the worst thing that ever happened in my life is the "Channel 4"-Film. In my childhood, I can't really think of things. I went to Switzerland to school for two terms and that was a complete waste of time. I was very unhappy there. There were occasions when I wasn't very happy when things weren't going nicely for me: maybe my boyfriend and I had an argument. But I can't look back and criticize anything in my childhood. Interviewer: You have four children of your own. Have they all been to Summerhill? Zoe Readhead: Yes they all were. William still works here with me. Amie has been to agriculture. She's the oldest one. She is now 23, nearly 24. She went to agriculture college and did a national diploma in Agriculture. She is now working with my husband on the farm and Henry is living in Norwich and doing a bit of college and a lot of other things. He is now 19. They all slept here, but Neill doesn't, he comes homes. Sometimes they stayed at home but mostly they slept here. Interviewer: Would you interfere in the meetings? Zoe Readhead: I often talk in the meeting, yes. But I can't change the rules. Interviewer: How necessary do you find it to make safety rules? Zoe Readhead: I don't usually have to make any. The most recent safety rule I made was that I banned BB Guns. That was around the time - the term after the Channel 4-film was made. I felt that they were too dangerous and that if somebody got injured in the eyes or something, we would be held accountable for it. And I discussed it with one or two staff perhaps but basically I'm going to make that decision because I'm responsible. Interviewer: What are most English people's attitudes towards Summerhill? Zoe Readhead: Well, they think it's awful. But they wouldn't understand it. Interviewer: Do you ever have problems with boys and girls when they like each other? Zoe Readhead: I don't have a problem with it because I like it. I think it's great. They are very aware of the fact that having sex is not legal in England under 16. And they are very aware of the fact that Summerhill is special and that it is very vulnerable and they are careful. Interviewer: Do you wish that one of your children will sooner or later become the head of school? Zoe Readhead: Well, if Summerhill is going to survive then one of them will have to. I would like it because I think it's a very fulfilling thing to do. I obviously would like Summerhill to continue. But I think you don't want to get involved really until you are over 35 because it's a huge committment. You need to have your family and your life first. And then do Summerhill afterwards. And you need to be very self-contained. I think one of the real values for me to run the school is that I have my own family and my own life. And so although everything matters to me very much, I can go home at the end of the day and I have still got support in my family even when things are going very badly at school, even if I am having fights with some staff or something awful like that, I can go away and I have my own life. Whereas if I was 30 and I hadn't got my own life and family then Summerhill was everything to me, then everytime there were problems it would just be too heavy. So, I think it would be lovely for one of my children to do it. I've got four, one of them is bound to do it! Anlage für die Wissenschaftliche Hausarbeit Ich versichere, daß ich die Arbeit selbständig und nur mit den angegebenen Quellen und Hilfsmitteln angefertigt habe. Alle Stellen der Arbeit, die ich aus anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach entnommen habe, sind kenntlich gemacht. Heidelberg, den ......................................... ....................................................... Unterschrift
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