6.2.3. Politische Aktivitäten und die Umsetzung sexualpolitischer Ziele in der Sexpolbewegung
6-2-4. Zur Massenpsychologie des Faschismus
6.3. Die psychatrische Orgontherapie
Der Mensch wird erst durch Interaktionen als Mensch für andere wahrnehmbar. Diese Interaktionen stehen immer in einem gewissen Verhältnis zu gesellschaftlichen Normen. Diese Normen werden geprägt durch die Charakterstrukturen vieler.
Reich stellte fest, dass die Charakterstruktur der Masse der Menschen unter sexualökonomischen Gesichtspunkten pathologisch ist, und er folgerte daraus, dass die Lösung bestehender sozialer Konflikte eine Voraussetzung für eine positive massenhafte Veränderung der psychischen Struktur darstellt.
In einer sozialistischen Gesellschaftsstruktur und Ökonomie sah Reich die Grundlage für eine freie Entfaltung des Intellekts, der Persönlichkeit und der Sexualität.
In Verbindung mit den philosophisch-sozialwissenschaftlichen Konzepten K. Marx bezüglich seiner Entfremdungstheorie hoffte Reich, dass seine sexualökonomischen Thesen im Rahmen einer freieren, offeneren Gesellschaftsstruktur mit den Jahren realisiert werden könnten. Diese Wendung zur Politik hin, stand zu seinem eigentlichen Streben, der Psychoanalyse, in keinem Gegensatz, da er davon ausging, dass es ebenso zum Aufgabenbereich der Psychoanalyse gehört zu ergründen, wie sich die Mechanismen gestalten, die einerseits das gesellschaftliche Sein des Menschen in seiner psychischen Struktur und andererseits in Ideologien umsetzen. Reich glaubte, dass die Psychoanalyse, unverwässert angewendet, die bürgerlichen Ideologien untergräbt.
Durch die beginnende Wirtschaftskrise Anfang der 20er Jahre, erhoffte sich Reich konkret einen Umbruch bzw. eine Neuorientierung in der Arbeiterbewegung. Die Bewusstmachung individueller Unterdrückung, verbunden mit politischem Handeln waren die Beweggründe, Januar 1929 die "Sozialistische Gesellschaft für Sexualberatung" in Wien zu gründen (welche später in die Sexpol-Bewegung mündete). Diese Einrichtungen waren kostenlose Sexualberatungsstellen für Arbeiter und Angestellte.
Etwa zu der selben Zeit als die Sexpol-Bewegung entstand (Herbst 1931), formierten sich rund 80 andere Organisationen, welche alle für eine Sexualreform fochten (u.a. auch die "Weltliga für Sexualreform" unter der Leitung Magnus Hirschfelds). Insgesamt verfügten sie über rund 350000 Mitglieder. Reich machte den Vorschlag diese nebeneinander und zusammenhangslos arbeitenden Gruppen zu einer Einheitsfront zusammen zu schließen. Da die verschiedenen Reformbewegungen jedoch unüberbrückbare Differenzen aufwiesen, kam es nicht zu einer Fusion.
Die Sexpol-Bewegung verstand sich als sexualpolitische Bewegung unter der Schirmherrschaft der KPD. Sie erfreute sich, vor allem unter den Jugendlichen, größter Beliebtheit und zählte innerhalb kurzer Zeit an die 40 000 Mitglieder. In ganz Deutschland entstand bald ein Vielzahl von neue Beratungsstellen und therapeutische Kliniken.
Die Ziele der Sexpol- Bewegung waren :
1932 wurden die Aktivitäten der Sexpol-Bewegung ausgebremst, als durch die Kommunistische Partei einige der populären Broschüren, welche Reich in beinahe regelmäßigen Abständen (und mit seinem eigenen Geld) drucken ließ, in der Jugendorganisation der KPD verboten wurden.
Im Mai 1933 emigrierte Reich aus politischen Gründen nach Kopenhagen. Sechs Monate später wurde er dort aus der Kommunistischen Partei nach drei Jahren aktiver politischer Arbeit ausgeschlossen. Die Kommunisten sahen in der Sexualpolitik Reichs einen "bürgerlichen Irrweg", der vom Klassenkampf eher ablenke; zudem wurde sein Buch "Massenpsychologie des Faschismus", welches in jenem Jahr erschien, als Angriff auf ihre eigene revolutionäre Politik gewertet. Ein weiterer Grund, welcher zum Ausschluss aus der Partei führte, war, dass Reich das bürokratische, unmenschliche Verhalten kommunistischer Hilfsorganisationen heftigst kritisierte, das ihm im nachhinein als "parteifeindliches und unkommunistisches" Verhalten angelastet wurde. (vergl. Boadella 1988 : 94 f.)
1934 wurde Reich beim Luzerner Kongress aus der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft in Abwesenheit seiner Person ausgeschlossen. Die Gründe hierfür waren vordergründig zunächst rein politische: Seine Parteimitgliedschaft bei den Kommunisten, sowie seine klare Gegnerschaft zur Ideologie und Praxis der Nationalsozialisten (die Psychoanalyse entschied sich 1934 beim Luzerner Kongress klar für ein Bündnis mit den Herrschenden). Bedeutend für den Ausschluss waren natürlich auch die radikalen und für die damaligen Verhältnisse revolutionären Thesen Reichs, welche eine thematische Konfrontation mit der Psychoanalytischen Gesellschaft unumgänglich machten und demnach als Provokation wirkten.
In späteren Jahren distanzierte sich Reich klar von kommunistischen Organisationsformen, und auch allgemein von der Politik. Er kritisierte speziell den Sozialismus als ein System, welches durch persönliche Machtgelüste motiviert sei, d.h. seine sozialistischen Thesen wurden seiner Meinung nach instrumentalisiert (d.h. sie sind nicht so gemeint wie gesagt und daher nicht verantwortungsvoll, sondern irreführend). Weiter kritisierte er, dass das sozialistische System um den Widerspruch zwischen der menschlichen Sehnsucht nach Freiheit und der menschlichen Unfähigkeit, diese zu erlangen, wisse; es benutze jedoch dieses Wissen zur Stärkung seiner eigenen Machtposition und bekämpfe diejenigen, welche sich an das Problem heranwagten. Politische Macht setzte Reich gleich mit institutioneller Autorität (vergl. hierzu Punkt 2.5.5.), welche unausweichlich die Unterdrückung anderer beinhalte. Mit dieser Erkenntnis zog sich Reich ein für alle Mal aus der politischen Welt zurück.
6.2.4. Die Massenpsychologie des Faschismus
"Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muss weggehämmert werden. In meinen Ordensburgen wird eine Jugend heranwachsen, vor der sich die Welt erschrecken wird. Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich. Jugend muss das alles sein. Schmerzen muss sie ertragen. Es darf nichts Schwaches und Zärtliches an ihr sein... (ein Zitat Hitlers, aus Chamberlain 1997 : 156)
Seine konkrete Frage diesbezüglich war, wieso angesichts der massiven Krisen des Kapitalismus der große Teil der unterdrückten, verarmten und hungernden Massen der Bevölkerung nicht zur Revolte drängte, sondern seiner eigenen bevorstehenden Unterdrückung euphorisch zujubelte?
Das massenpsychologische Fundament zur Entstehung des Faschismus begründete Reich durch einen lange währenden Prozess der Sexualunterdrückung, welcher in den Menschen bzw. in den Massen autoritäre und ängstliche Charakterstrukturen verankert und sie so unfähig macht, ihre Rechte wahrzunehmen und ihr Leben vor den Übergriffen durch Staat und unmenschliche Wirtschaft zu schützen. In der sexuellen Repression sah Reich die mächtigste Waffe des gesellschaftlichen Autoritarismus.
"Rebellische und sexuelle Antriebe werden gleichermaßen mit Angst besetzt, da sie für das Kind unentwirrbar miteinander verknüpft, von den Erziehenden beide in gleicher Weise unterdrückt wurden. Furcht vor der Revolte und Furcht vor der Sexualität sind in der Charakterstruktur der Massen in gleicher Weise verankert" (Sharaf 1994 : 194) Dieses Phänomen wird auch als "Irrationalität der Arbeiterklasse" bzw. als "die Macht der Traditionen" bezeichnet.
Die faschistische Ideologie weist nach Reich drei grundlegende Elemente auf, welche an die unbewussten Ängste und Phantasien rührten und somit prädestiniert waren, Menschen zu manipulieren:
Sie unterscheidet klar zwischen Gut und Böse ("Reinheit des Blutes"), wobei sich die Menschen mit dem Arier-Mythos identifizieren konnten und ihnen somit ein Gefühl von Schutz, Reinheit und Sicherheit verliehen wurde (Krankheit, Unreinheit und Sexualität wurden den minderwertigen Randgruppen zugeschrieben). Es entstanden die "Sündenböcke", an welchen Menschen ihren Hass "abreagieren" konnten, der sowohl in ihrer sexuellen Misere, wie auch in ihrer wirtschaftlichen Not fußte.
Die patriarchische, autoritäre Familienstruktur der damaligen Zeit erwartete von ihren Kindern absoluten Gehorsam und versuchte, die Vorstellung der gegenseitigen Verpflichtung durchzusetzten. Die faschistische Ideologie verband den Stolz auf die eigene Familie mit dem Stolz auf die eigene Rasse und Nation. Mutter und Vater wurden dabei durch Hitler und die Nation ersetzt, dem man Treue und Gehorsam schuldete. Damit impliziert der Faschismus dem unselbständigen, gehorsamen Kind durch emotionale Unselbständigkeit, eine engere Bindung an den Staat, als an die eigenen Familie. Diese Charakterstruktur lässt nun kein Aufbegehren gegen den Staat mehr zu, und ihr latenter Hass wird auf untere Machthierarchiegruppierungen abgelenkt. So gelang es Hitler, sowohl die Fixierung auf, als auch die Rebellion gegen die Familie für sich auszunutzen.
Rebellische Gefühle der Jugendlichen gegen die Familie wurden ausgenutzt, indem man sie in politisch motivierte Jugendgruppen steckte. Die Akzeptanz des Faschismus wurde von traditioneller, deutscher Ehrfurcht vor- und Sehnsucht nach politischer Autorität gestützt (dem Gegenteil von rationaler Autorität). (zusammengefasst aus Boadella 1988 : 90 f.)
"Ist die Sexualität durch den Prozess der Sexualverdrängung aus den naturgemäß gegebenen Bahnen der Befriedigung ausgeschlossen, so beschreibt sie den Weg der Ersatzbefriedigung verschiedener Art. So zum Beispiel steigert sich die natürliche Aggression zum brutalen Sadismus" (Reich 1988 : 44)
Die daraus resultierenden massiven Aggressionen, setzte Hitler gezielt ein, um seine Rassenpolitik durchzusetzen und um eine Kriegsbereitschaft unter den Massen zu fördern.
"Er (Hitler) wusste, welche Loyalität er von Sadisten bekommen würde, wenn er ihnen erlaubte, ihre Mitmenschen herumzukommandieren, zu foltern und zu töten..." (Bornemann 1992 : 185 f.)
Hitler differenzierte klar zwischen dem Sexualitätsbegriff und dem Fortpflanzungsgedanken. Er machte letzteren zum Grundprinzip seiner Kulturpolitik und nicht das (ohnehin schwerer erreichbare) befriedigende Liebesleben. Der Faschismus war geprägt von sexuellen Beschränkungen und Tabus, lediglich im Hinblick auf ein zielgerichtetes Interesse der Rassenzüchtung durften Jugendliche ohne größere moralische Einschränkungen Geschlechtsverkehr haben (wobei die "Blutreinheit" gleichgesetzt wurden mit "Sündenfreiheit").
Soziale Randgruppen (z.B. Juden, Farbige, Franzosen) bekamen eine "sexuell-sinnliche" Bedeutung impliziert, d.h. ihnen wurde ein selbstbewusster Umgang mit ihrer eigenen Sexualität unterstellt. Dies stand im schmerzlichen Gegensatz zu den unbewussten Sehnsüchten der Massen nach sexueller Lebensfreude. Um sich diesen Frustrationen nicht stellen zu müssen, sah man sich gezwungen, diese Gruppierungen bekämpfen.
Die nationalsozialistische Erziehung definiert sich nicht allein nur durch die Gleichsetzung mit der autoritären Erziehung der patriarchischen Kleinfamilie. Der wesentliche Unterschied dieser beiden Erziehungsrichtungen ist der: Die autoritäre Erziehung kann als mögliche Folge ihres repressiven Charakters die Beziehungsunfähigkeit des Kindes haben. Das Erziehungsprogramm des Nationalsozialismus hingegen wurde bewusst so ausgerichtet, dass das Kind durch eine brutale und organisierte "Erziehung" beziehungsunfähig werden musste und sollte. (Chamberlain 1997 : 168 f.) Es fand eine früheste Disziplinierung des Kindes durch vollständige Missachtung aller seiner Gefühle, Befindlichkeiten, Bedürfnisse und Fähigkeiten statt (z.B. Schreien lassen, Hungern lassen, sowie durch Ignorieren aller seiner Signale, wie Laute, Blicke, Mimik; durch Zensur jeglicher Äußerungen des Kindes). Das Kleinkind machte dadurch die Erfahrung, dass seine natürlichen Zustände und deren natürlicher Ausdruck etwas zu Bestrafendes seien. Erreicht wurde damit sowohl die Zerstörung des Urvertrauens, als auch die Zerstörung der Autonomie (einschließlich Intelligenz, kritisches Denken, die Fähigkeit, Lebenserfahrungen und Begabungen zu nutzen ect.), welches die Menschen wiederum an das totalitären Regime binden sollte. (Chamberlain 1997 : 139 - 142) Die grundsätzliche Haltung und Wertschätzung, welche dem Kleinkind in dieser Zeit zugedacht wurde, war zutiefst menschenverachtend; man förderte das innere Totsein des Kindes, um nachfolgende Todesbereitschaft der Jugendlichen im Krieg zu erzielen.
Diese Sichtweise der Entstehung eines "faschistischen Charakters" von S. Chamberlain, deckt sich mit den Erkenntnissen Reichs, wenn man berücksichtigt, dass Reich einen weitgefassteren Begriff von Sexualität hat.
Hitler operierte primär nicht mit dem Denken und Wissen der Menschen, sondern mit kindlichen Gefühlsreaktionen, wie z.B. Freiheitssehnsüchten. Er versprach die Aufhebung der individuellen Freiheit, zugunsten einer nationalen Freiheit. Die Menschen waren sofort bereit, diese nationale Freiheit, welche eine illusionäre Freiheit ist, gegen die persönliche einzutauschen. Diese Identifizierung mit der Idee der illusionären Freiheit enthob sie aus der Hilflosigkeit angesichts der gesellschaftlich chaotischen Zustände, und damit auch aus jeder individuellen Verantwortung, einschließlich der Angst davor; sie mussten sich nicht persönlich erheben und in Bewegung setzten. Diese Erstarrung und Hilflosigkeit der Massen veranlasste sie zu der mystischen Identifizierung mit ihrem Führer, um diesem dann projektiv das zu übertragen, was ihnen fehlte. (zusammengefasst aus Reich 1987 : 179)
Eine konkrete psychologische Aufarbeitung bzw. Vergangenheitsbewältigung faschistischer Strukturen (vor allem auch in der Erziehung) wurde nicht nur in Deutschland bis heute unzureichend angegangen. Der wiederaufkeimende Rechtsextremismus der heutigen Tage begründet sich noch immer auf die von Reich dargestellten Strukturen.
Wie bereits erwähnt sind die heutigen Familienstrukturen nicht mehr in dieser extremen Form von Autoritätshörigkeit geprägt wie noch vor 70 Jahren, sondern kennzeichnen sich eher durch Desorientierung, Unsicherheit, persönliche und gesellschaftliche Überforderungen, Ohnmachtsgefühle und oftmals Bindungslosigkeit(!). Kinder verinnerlichen diese Unsicherheiten und Ängste der Mütter bzw. Eltern und spiegeln diese in der eigenen, persönlichen Instabilität wider. In Peer-groups suchen sie oftmals eine Aufwertung ihres Selbstwertgefühls in dem jeweiligen, unmittelbaren Bezugssystem, verbunden mit dem Wunsch nach Zusammenhalt und Zugehörigkeitsgefühl.
Gleichzeitig setzt die moderne, leistungsorientierte Klassengesellschaft ihre Kinder unter einen enormen Druck. Die Rassentheorie zeigt sich in einem neuen Kleid, in der leistungsorientierten Gesellschaft, welche wiederum die Trennung in Gut und Böse bzw. heute in Gewinner und Verlierer unterteilt. Durch diese Leistungsanforderungen, verbunden mit Statusverunsicherungen und Absturz-Ängsten der Jugendlichen, werden die alten Strukturen des Aggressionsabbaus an Sündenböcken klar ersichtlich (Ideologie der Ungleichheit, um sich persönlich aufzuwerten).
Auch die Aggressionsbereitschaft bzw. der Sadismus fußt noch immer auf sexuellen Frustrationen. In der Neo-nazi-Szene gibt es einen eindeutigen Überhang an männlichen Mitgliedern, welche ihre eigene Sexualität zu einem großen Teil als sehr problembesetzt erleben. (vergl. hierzu Wendt 1993 : 20)
Diese Aggressionsbereitschaft ist jedoch auch das Abbild unserer gesellschaftlichen Beziehungen und der Medienwelt (man beachtet in diesem Zusammenhang den zunehmend wachsenden Stellenwert der medialen Beeinflussung in der Sozialisation unserer Kinder; verbunden mit deren Deformationsprozessen durch die zunehmende Brutalisierung, pornographische Sexualisierung und Kommerzialisierung).
Präventivmaßnahmen in Form von politischen und gesellschaftlichen Umdenkungsprozessen, aber auch in Form von demokratischen Ansätzen in der kommunalen Jugendsozialarbeit sind bezüglich dieses Themas dringend erforderlich. (vergl. hierzu Wendt 1993 : 13 - 30)
6.2.3. Politische Aktivitäten und die Umsetzung sexualpolitischer Ziele in der Sexpolbewegung
6-2-4. Zur Massenpsychologie des Faschismus
6.3. Die psychatrische Orgontherapie