Diplomarbeit von Kerstin Liekenbrock: Selbstregulation, FH Mannheim 2002
Inhalt
         5.4. Individuelle und psychotherapeutische Grundlagen des Prinzips der Selbstregulation von W. Reich

      6. Zum Kontext der Selbstregulation: ...
         6-1. Die Sexualökonomie

         6.2. W. Reichs Weg von der Psychoanalyse zur Politik



6. Zum Kontext der Selbstregulation: Ausflüge in die politischen, gesellschaftskritischen, naturwissenschaftlichen und psychotherapeutischen Forschungsbereiche und Theorien Wilhelm Reichs

6.1. Die Sexualökonomie

Aktuelle Studien belegen, dass 70 - 80% aller psychischen Erkrankungen auf Partnerschafts-, Beziehungs- und Ehekrisen zurückzuführen seien, und davon wiederum gut 70 - 80% auf sexuelle Frustrationen und Nöte. Ebenso setzt sich auch unter Schulmediziner immer mehr die Überzeugung durch, dass die meisten körperlichen Erkrankungen (Seuchen und Unfälle natürlich ausgenommen) eine Frage des Immunsystems und damit auch eine Frage der seelischen und sexuellen Harmonie sind (aus: Asanger, Wenninger 1999 : 691).

Das Basiswissen hierzu erarbeitete Wilhelm Reich. Viele seiner Arbeiten regten zu Diskussionen an, manche wurden zumindest (partiell) bestätigt, zumeist sind sie jedoch bis heute sehr umstritten, nicht zuletzt auch deshalb weil sie häufig missverstanden und missgedeutet wurden.

Den Grundpfeiler der Sexualökonomie bildet Reichs Erkenntnis, dass der Mensch mit zwei physiologischen Grundbedürfnissen zum Zwecke ihrer Befriedigung in permanenter Wechselbeziehung steht; dem Nahrungstrieb und dem Sexualbedürfnis. Seine Arbeiten bezüglich des Charakter- bzw. Körperpanzers des Menschen, verbunden mit der bioenergetischen Sichtweise von Krankheit und Gesundheit untermauern diese These.

Krankheit ist definiert durch eine Unterversorgung des bioenergetischen Systems des Organismus mit Lebensenergie d.h. die gepanzerten und blockierten Bereiche des Körpers werden nicht ausreichend von Lebensenergie durchströmt und entwickeln infolge dessen zunächst funktionelle Störungen der dementsprechenden betroffenen Organe. Bedingt durch die Unterversorgung an Energie entsteht eine Unterfunktion in diesem körperlichen Bereich - gleichzeitig wird die Energie an einer anderen Stelle aufgestaut, an der es somit zu einer Überfunktion - jeweils mit der entsprechenden psychischen und/oder physischen Veränderung kommen kann.

Durch diese sexualökonomischen Gesichtspunkte erschien u.a. auch die Neurose in einem völlig neuen Blickwinkel. Sie war demnach nicht nur das Ergebnis unausgetragener Konflikte und kindlicher Fixierungen, sondern eine grundsätzliche Störung des bioelektrischen Energiehaushaltes. Reich sah die Energiequelle der Neurose, in der Differenz zwischen Energieaufbau und Energieabbau im Körper (die Energie des - im weiteren Sinne - sexuellen Triebes), also eine Stauung der Libido. "Während die Sexualerregung rein körperlicher Art ist, ist der Konflikt der Neurose seelischer Art: Ein geringer Konflikt führt zu einer Störung des Energiehaushaltes. Diese kleine Stauung verstärkt den Konflikt, dieser wiederum die Stauung usw. So bricht letztlich die Psychoneurose aus und nährt sich ihrerseits energetisch aus der Stauungsenergie" (Kriz 1989 : 83 f.).

Reich unterschied hierbei zwischen der Psychoneurose und der Stauungsneurose und lehnte sich in diesem Punkt an die ursprünglichen Freudschen Theorien an (Freud benannte die Stauungsneurose als Aktualneurose).

Als Symptomatik der Stauungsneurose kann mangelnde Energieabfuhr gesehen werden, welche in der Regel mit den aktuellen Lebensumständen zusammenhängt. Wird die Energie der sexuellen Erregung nicht oder nur unzureichend entladen, verwandelt sie sich in Angst. Lust und Angst basieren hierbei auf einem funktionell identischen Vorgang; einer Strömung bioelektrischer Energie - nur in zwei konträre Richtungen. Lust richtet sich nach außen, zur Welt hin, sie öffnet (Emotion heißt wörtlich Herausbewegung), während die Strömung der Angst nach innen, von der Welt weg fließt (körperliche Symptome der Angst sind Kontraktionen wie Erstarrung, Herzbeklemmung, sehr flacher, stockender Atem usw.).

So kann man sowohl die Stauungsneurose, als z.B. auch sexuelle Störungen, als Schutzmechanismen gegen irrationale oft unbewusste Ängste und Konflikte auffassen, deren letztendliche Ursache eine mangelnden Energieabfuhr darstellt.

Die Stauungsneurose besitzt demnach einen psychoneurotischen Überbau, während die Ursachen der Psychoneurose in der frühen Kindheit (verbunden mit dem lebensgeschichtlichen Kontext) liegen und man daher von einem stauungsneurotischen Kern sprechen kann. (vergl. Reich 1984 : 27ff., 32ff.)

Die bioenergetische Grundfunktion und auch Voraussetzung für Gesundheit ist, nach Reich, das freie Strömen und Pulsieren der Lebensenergie im Organismus. Dieser Energiefluss im Körper sollte durch keine Panzerung unterbrochen werden, sondern die Möglichkeit bekommen, sich in Wellenbewegungen im ganzen Organismus auszubreiten, um sich anschließend wieder spontan entladen zu können. Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Entladung von überschüssiger Energie (vergl. hierzu auch Punkt 5.3.); die vollständigste vollzieht sich im Orgasmus. Dieser reguliert u.a. den Energiehaushalt des Organismus, bildet also eine Grundlage für psychosomatische Gesundheit und gewinnt dadurch eine fundamentale Bedeutung in Reichs Arbeiten.

Reich meinte jedoch nicht, wie oft missgedeutet, den Orgasmus als phallisch - narzisstische, leistungsbetonte Potenz, er meinte die Intensität des sexuellen Erlebens.

Diese Zusammenhänge realisierte er durch seine klinischen Erfahrungen in psychoanalytischen Behandlungen. Bemerkenswert dabei war, dass Patienten zwar geschlechtlich verkehren konnten, jedoch die wirkliche Befriedigung, die Endlust, gestört war.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Psychoanalyse hinterfragte Reich nicht nur die Quantität des Geschlechtverkehrs, sondern richtete sein Augenmerk auf die emotionale Intensität der sexuellen Empfindungsfähigkeit. Er stellte dabei fest, dass beim Mann hinter der erektiven Potenz bzw. bei der Frau hinter dem klitoralen Orgasmus sich durchaus eine mehr oder weniger starke Blockierung der sexuellen Erlebnisfähigkeit und eine Unfähigkeit zur psychischen und physischen Hingabe verbergen kann (womit er eine gewisse Emotionslosigkeit meinte, das Gefühl von Leere, Angst, Leistungsdruck, Selbstdarstellung, Erstarrung oder auch regelmäßig ablenkende Gedanken und (z.B. sado-masochistische) Phantasien während des Geschlechtverkehrs). Vor dem Hintergrund, dass die Blockaden der spontanen Emotionen auf der Abpanzerung des Organismus gegen seine eigene vegetative Lebendigkeit wurzeln, kam Reich zu dem Ergebnis, dass unerfüllte Sexualität in engem Zusammenhang steht mit allen psychischen und psychosomatischen Erkrankungen. (vergl. Schrauth u. Geuter 1997: 93).

"Es ist nicht das Ficken, verstehen Sie, nicht die Umarmung, nicht der Geschlechtsverkehr. Was ich meine, ist die emotionale, die primär emotionale Erfahrung der Verschmelzung zweier Organismen. Die wirkliche emotionale Erfahrung des Ich-Verlustes, des gesamten geistigen Selbst." (Reich 1967 zitiert von D. Fuckert 1997 : 157)

In diesem Zusammenhang prägte er den Begriff der "orgastischen Potenz". Gemeint ist dabei eine vollständige emotionale und körperliche Hingabefähigkeit; die Verschmelzung mit dem Partner bei der geschlechtlichen Umarmung, verbunden mit den unwillkürlichen Zuckungen des ganzen Körpers und dem Bewusstseins- und Ich-Verlust im Orgasmus.

Orgastische Potenz drückt sich in der gesamten Persönlichkeit des Menschen aus, in allen Lebensbereichen (Hingabefähigkeit zur Arbeit, zur Natur, Freunden, Hobbies ect.). Sie zeigt sich in der Fähigkeit des freien emotionalen Ausdrucks des Menschen (Gestik, körperlicher Ausdruck, Sprache, Stimme ect.) und ist ein unwillkürlicher, einheitlicher, weicher Ganzkörperreflex. (vergl. D. Fuckert, 1997: 140 f.)

Die orgastische Potenz erwächst demnach aus einem vollkommenen Körpergenuss, nicht aus den Genitalien. Es ist sowohl eine emotionale Haltung liebender Zärtlichkeit zu seinem Sexualpartner, als auch die psychische Fähigkeit, die starken bioenergetischen Strömungen zu tolerieren und sich ihnen hinzugeben.

Voraussetzung für diese Fähigkeit, dieses Los-lassen-könnens, ist die Abwesenheit einer muskulären und psychischen Panzerung, verbunden mit dem Überwinden von Urängsten vor Verletzungen und Kontrollverlust, sowie eine grundsätzliche Beziehungs- und Bindungsfähigkeit.

Reich beobachtete, dass alle Charakterpanzerungen (besonderst die von frühkindlich Traumatisierten) einhergehen mit einer mehr oder weniger ausgeprägten Störung der Entladung des ganzen Erregungspotentials und der sexuellen Empfindungsfähigkeit. Diese Stauung sexueller Energie wird auf diese Weise zur Quelle von neurotischen Symptomen bzw. psychosomatischer Krankheit. Die Ursache gründet in dem Prozess der (frühkindlichen) Sexualverdrängung, verbunden mit der tiefen, existentiellen Angst vor dem vegetativ autonomen, energetischen Prozess, vor Kontrollverlust und Selbstaufgabe; Angst vor der Verschmelzung im Orgasmus.

"Die Schwere jeder Art seelischer Erkrankung steht in direktem Verhältnis zur Schwere der Genitalstörung. Die Heilungsaussichten und Heilerfolge hängen direkt von der Möglichkeit ab, die volle genitale Befriedigungsfähigkeit herzustellen" (Reich 1987 : 77)

Für die Psychotherapie wurde damit die Aufgabe formuliert, die Orgasmusfähigkeit in diesem Sinne herzustellen. Erst dann sei allen Krankheitssymptomen die Basisenergie entzogen und die Gefahr von Rückfällen gebannt. Er räumte jedoch ein, dass die aufgrund dieser ursprünglichen Sexualstauung entstandenen seelischen Komplikationen, auf das genitale Erleben zurückwirken und diesbezüglich Hemmungen aggravieren. So können schon kleine Störungen des sexuellen Energieausgleichs, unterstützt durch den neurotischen Überbau zu fundamentalen Orgasmusproblemen und Neurosen Anlass geben.

Für Reich besitzt allein der gesunde genitale Charakter die Fähigkeit zu einer intensiven Kontaktaufnahme, er ist authentisch, d.h. verbunden mit seinen primären Bedürfnissen und Gefühlen, daher kann anstelle eines neurotischen Selbstkontrollmechanismus die Fähigkeit zur Selbststeuerung treten.

Als Reich Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre von der "Sexuellen Revolution" sprach, hatte er die autoritären Familienstrukturen dieser Zeit vor Augen und setzte sich für eine sexualbejahende Erziehung ein. Sein Ziel war es durch Aufklärung und Thematisierung der sexuellen Bedürfnisse und emotionalen Konflikte von Kindern und Jugendlichen ein freieres Meinungsklima zu schaffen, um auf dieser Grundlage soziale Tabus zu lockern und neurotische Zwanghaftigkeit zu entschärfen.

Leider musste er jedoch feststellen, dass mit der Lockerung dieser starren Schranken und moralischen Tabus, welche die Gesellschaft um die Sexualität und deren Ausdrucksformen gelegt hatte, sich keineswegs Beziehungen, welche auf gegenseitiger Akzeptanz und Liebe basierten, sich freier und unpervertierter entwickeln konnten, sondern dass diese sexuelle Lockerung und Freiheit im verstärkten Maße im Ausleben kranker und sadistischer Triebe bestand. Reich warnte nun deutlich vor dem höchst zerstörerischen Potential bezüglich der "Sexuellen Revolution", für die er sich so eingesetzt und gearbeitet hatte. Der natürliche Wunsch nach Sexualität, verbunden mit dem Bedürfnis sich einer anderen Person hinzugeben, wurde völlig verwechselt mit dem Drang, gestörte und abgespaltene sexuelle Impulse zu befreien.

"Gerade das Verhalten jener, die von Orgasmus zu Orgasmus streben, um andere und sich - besonders im Sinn der damaligen "Männlichkeit" in der Wiener Gesellschaft - ihre Potenz zu beweisen, ist nach Reich ein eindeutiges Zeichen für schwere Störungen der vollen orgastischen Befriedigungsfähigkeit" (Kriz 1989 : 81 f.)

Reich kritisierte beide extreme Ausdrucksformen der Sexualität; für ihn waren die kirchlichen Moralapostel, wie auch die Pornographen (der "falschen Sexualisierung") aus dem selben Holz geschnitzt und standen beide im Gegensatz zur sexualökonomischen Selbststeuerung. Wobei anzumerken ist, dass die Problematiken, welche die heutigen Sexualnormen mit sich führen, sich wesentlich differenzierter gestalten.

Das Missverständnis, welches dieser "falschen Sexualisierung" unterliegt ist, dass sich das sexuelle Gefühl proportional zur Intensität des Stimulus verhalte, der es erregen soll (je mehr Stimulation, desto mehr sexuelle Intensität; eine klassische Kompensation). Jedoch besitzt ein natürlicher, gesunder Mensch seine eigenen individuellen Rhythmen der Erregung, welche sich an dem liebenden Menschen orientieren und daher nicht abhängig sein sollten vom äußeren Stimulus wie z.B. Sexualtechniken (die wiederum zur Depersonalisierung und Stress im Sexualleben führen).

Zudem impliziert das Leistungssystem unserer Gesellschaft zusätzlich noch Aggressionen und Gewalt in die Sexualität. Durch die sogenannte Freiheit geraten zusehends Kinder und Jugendliche unter Druck bzw. Zugzwang und in ein gewisses Konkurrenzverhalten untereinander. In dieser Leistungsgesellschaft kommt Sexualität fast schon einem Wettkampf (der Geschlechter) gleich; sexuelle Befriedigung wird demnach nicht mehr als Geschenk des Sexualpartners dankbar entgegengenommen, sondern als Eigentum am Körper des anderen verlangt bzw. zur Selbstdarstellung missbraucht (Sex wird als "Life Art" designed bzw. zum ästhetisches Problem). Die anscheinende sexuelle Freiheit unserer Generation sollte daher nicht mit sexueller "Gesundheit" verwechselt werden.

Auch das übertriebene Interesse an Sex kommt, so Reich, aus seiner Unterdrückung und Tabuisierung; aus der nicht vollständig entladenen sexuellen Spannung, die sowohl beim abstinenten, ängstlichen Moralisten, als auch beim orgastisch impotenten Don Juan im Organismus verbleibt. Wird die sexuelle Energie in einer befriedigenden Sexualität vollständig entladen, ist eine Zeit lang (je nach Individualität) kein sexuelles Bedürfnis mehr vorhanden. Bei sexueller Stauung beschäftigt sich der Organismus jedoch permanent mit Sexualität (häufig auch in pervertierter Form), Liebesgefühle werden beeinträchtigt, Reizbarkeit und Entfremdung entsteht (z.B. picken sich Partner dann gerne, ohne den wahren Grund zu kennen, speziell die störenden Charaktereigenschaften am Partner raus...).

Ebenso waren, für Reich, destruktive Aggressionen und sadistische Gewalt keine angeborenen, natürlichen Triebe, sondern eine Reaktion auf (zumeist unbewusste) Enttäuschungen und Frustrationen dieser verloren gegangenen Fähigkeit zur Hingabe oder auf (frühkindlichen) Liebesverlust, welchen wir dann durch alle möglichen zerstörerischen, unnatürlichen Formen der Aggression bzw. Autoaggression zu kompensieren versuchen.

Bezüglich der weiblichen Sexualität vertrat Reich die Auffassung, dass funktionell kein Unterschied bestehe in der Sexualität zwischen Männern und Frauen (vergl. hierzu auch Punkt 5.3). Der erektive und der vaginale Orgasmus untersteht demnach der gleichen Grundfunktion der freien Pulsation des lebendigen Organismus. Unterschiedliche Ausdrucksformen und Verhaltensmuster in der Sexualität (z.B. passives Verhalten der Frau) führte er auf (zumeist pathologisch) individuelle und gesellschaftliche Erziehungsnormen zurück. (vergl hierzu J. Mitchell 1985 : 234 f.)

Die Effizienz des sexuellen Sozialisationsprozesses, hängt in hohem Maße davon ab wie befriedigend und authentisch die Eltern die vermittelnden Sexualideale empfinden. Gesellschaftlich postulierte Sexualideale unterliegen heute oftmals einer Fehlvermittlung d.h. es bestehen starke Widersprüche zwischen tatsächlicher Befriedigung und verdrängter Unzufriedenheit (stark geschürt durch die Massenmedien). Die Ursache dieser Ambivalenzen liegt sehr oft in der medienpolitischen Tendenzen, dass sich Perversion und sexuelle Abweichung gut verkaufen lässt, durch diese aufreißerische Form der Enttabuisierung entstehet aber auch Unsicherheit und ein gewisser Gesellschafts- und Leistungsdruck für den Einzelnen, verbunden mit Tatsache, dass Perversionen und sexuellen Abweichungen dadurch gesellschaftsfähig gemacht werden.

Gesellschaftliche Sexualnormen bedürfen oftmals eines hohen Maßes an Selbsttäuschung und Verdrängung, um diese erträglich zu machen. Diesen Teufelskreis dann wieder zu stoppen, ist äußerst schwierig, da die individuelle Wahrnehmung des Grundes der eigener Unzufriedenheit verzerrt ist und dies dann nahezu unmöglich macht.

Das unbewusste kulturelle Bewusstsein und seine Wertschätzung offenbaren sich z.B. auch in dem verachtenden und hasserfüllten Fluch aller Flüche "Fuck you !"

Reich nannte diese Lebenssituation in der wir uns - bewusst oder unbewusst - verstrickt haben, "stille Verzweiflung" bzw. "sexuelles Elend", er beschrieb wie sich durch unsere gesamte Kultur eine fast kosmische Sehnsucht nach diesem Prozess des Verschmelzens, des Eins- werdens, nach diesem Wunsch der Hingabe nach sich zieht.

Jedoch warnte er in späteren Jahren davor, seine sexualökonomischen Thesen nicht als einen Versuch misszuverstehen, den Orgasmus bzw. die orgastische Potenz zu einem Allheilmittel zu deklarieren und zu hohe Erwartungshaltungen daran anzuknüpfen. Die orgastische Potenz ist ein Ausdruck der Gesundheit und langfristiges Therapieziel (wobei angemerkt werden muss, dass nur wenige jemals dieses Therapieziel erreichen), aber kein Patentrezept zu ihrer Erlangung.



Diplomarbeit von Kerstin Liekenbrock: Selbstregulation, FH Mannheim 2002
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         5.4. Individuelle und psychotherapeutische Grundlagen des Prinzips der Selbstregulation von W. Reich

      6. Zum Kontext der Selbstregulation: ...
         6-1. Die Sexualökonomie

         6.2. W. Reichs Weg von der Psychoanalyse zur Politik