Diss: Axel Kühn: Alexander Neill
Zurück zum Inhaltsverzeichnis
zurück (& Dr. h.c. mult. Neill)
     (& Freedom not License! 1966)

Fortsetzung (& SEGEFJORD 1968)



* BERNSTEIN 1967/1968

Die Studie von Emanuel BERNSTEIN ist nicht in Buchform sondern in drei Artikeln in drei unterschiedlichen Zeitschriften erschienen.[27] Die erste Veröffentlichung erschien in der englischen New Era und vermittelte auf einer Doppelseite einen kurzen Abriß des Untersuchungssettings und der zentralen Ergebnisse. Darin schreibt er, daß er 29 Männer und 21 Frauen interviewt habe, die durchschnittlich 4,3 Jahre in Summerhill gelebt haben. Zum Zeitpunkt der Interviews war das Durchschnittsalter der Männer und Frauen 23 Jahre in einer Altersspanne zwischen 16 und 49. Die Interviews dauerten durchschnittlich ca. 4 Stunden (!) und drehten sich darum, inwieweit die Summerhill-Absolventinnen und -Absolventen in der Lage waren, mit den Anforderungen der Gesellschaft zurechtzukommen. Als generelles Ergebnis hielt BERNSTEIN fest, daß dies durchaus der Fall sei. Lediglich sieben Personen aus seiner Untersuchungspopulation meinten, sie hätten vom Besuch der Schule nicht profitiert. Die beiden Hauptkritikpunkte an Summerhill waren die Unterbewertung akademischer Bildung und das schlecht ausgebildete Lehrpersonal (insgesamt erwähnten 26 Befragte diese Mängel).

  • In den beiden anderen Artikeln (beide in US-amerikanischen psychologischen Fachzeitschriften publiziert) ging BERNSTEIN detaillierter auf seine Untersuchungsergebnisse ein.

  • Daraufhin befragt, wie sich eine "Summerhill-Pesönlichkeit" auszeichnete, antworteten 24 Befragte, daß ein Hauptmerkmal Toleranz sei. Weitere zwölf nannten "Aufrichtigkeit".

  • Zehn Befragte lobten die Schule uneingeschränkt, sieben dagegen waren hoch kritisch. BERNSTEIN fügt an, daß es sich bei ihnen um "shy personalities" gehandelt habe, die vor und nach dem Schulbesuch Schwierigkeiten in sozialen Interaktionen hätten.

  • Am meisten profitiert hätten solche Kinder, die nach mindestens drei Jahren Aufenthalt in Summerhill vor Erreichen des Alters von zwölf Jahren auf reguläre Schule gewechselt hätten. Das sei bei sechs der Befragten der Fall gewesen.

  • Von den Jugendlichen, die bei Schuleintritt älter als zwölf waren, profitierten die am meisten, die am kürzesten in Summerhill blieben.

  • Von 14 Kindern oder Jugendlichen, die länger als zehn Jahre in Summerhill geblieben waren gaben fünf Probleme bei der Anpassung an die Außenwelt nach Verlassen der Schule an; bei vier hielten diese Probleme über einen längeren Zeitraum an. Mehr als die Hälfte von diesen 14 hatten jedoch keine Probleme.

  • Bei den Personen, die weniger als zehn Jahre in Summerhill gelebt hatten, wiesen weitere vier derartige Probleme auf, sechs hatten "leichte" Schwierigkeiten und acht gaben an, durch Summerhill optimal auf das Leben "draußen" vorbereitet worden zu sein.

  • Die fünf meist genannten Kompetenzen, die in Summerhill vermittelt würden, waren nach Angaben der Befragten: 1. positives Verhältnis zur Sexualität, 2. problemloser Umgang mit den anderen Geschlecht, 3. problemloser Umgang mit Autoritäten, 4. Wahrnehmung der Möglichkeit einer natürlichen Entwicklung und 5. Ausleben des kindlichen Spielinteresses.

  • Zehn der 50 Befragten erwarben die Zugangsberechtigung zur Universität, acht schlossen ein Studium ab.

  • Weniger als 20% der Absolventinnen und Absolventen waren in ihrem Berufsfeld im weitesten Sinne künstlerisch tätig (Neill hatte BERNSTEIN gegenüber behauptet "They go into arts").

  • BERNSTEIN hebt hervor, daß elf der Befragten verheiratet waren (davon drei geschieden und zwei von ihnen wieder verheiratet).

  • Elf hatten bereits Kinder, die sie "in a self-directed way² [Bernstein] erzogen. Nur drei sandten ihre Kinder nach Summerhhill, zwei erwogen diese Möglichkeit. Die drei, deren Kinder in Summerhill zur Schule gingen, ließen sie vor dem Alter von zwölf Jahren auf reguläre Schulen wechseln. Über die Familien schreibt BERNSTEIN: "Throughout my visits I was to find Summerhill homes filled with warmth and responsive understanding: they were happy, communicative families. The philosophy of Summerhill certainly seemed to make for warm satisfying parent-child relationships." [Bernstein in: Journal of Humanistic Psychology 1968, S.133]

BERNSTEIN resümiert: "Upon completing the five weeks of interviews, my feelings were mainly positive. Almost all the former students were working, raising responsive children, enjoying life.² [BERNSTEIN in: Psychology today 10/1968, S.70]



In den letzten zehn Jahren seines Lebens schrieb Neill ungeheuer viel. Zahllose Artikel und Leserbriefe von ihm erschienen in unterschiedlichen Zeitschriften. Außer seiner Autobiographie, deren erste Hälfte längst vorlag, hat er jedoch kein Buch mehr verfaßt. Die Artikel und Briefe nahmen häufig Stellung zu aktuellen Erziehungsfragen - oft griffen sie in hitzige Debatten über Summerhill ein und sorgten damit zusätzlich für Diskussionsstoff. Im Mai 1969 beispielsweise griff Neill den Verhaltensforscher B.F. SKINNER an. Er zöge aus Versuchen an Tauben und Ratten Rückschlüsse auf die Erziehung von Kindern [vgl. hierzu auch KOZDON in: Welt der Schule. Ausg. Grundschule 24(1971), S.361ff]. "In seiner Antwort auf meine Kritik an seinen Methoden im Observer vom 11.5.69, bei der ich Skinner die Frage gestellt hatte, ob er jemanden kenne, der weise und gütig genug wäre, um den Charakter eines anderen zu formen, hatte er geschrieben: 'Gewiß wird der Charakter geformt, und vermutlich von Männern, die weise genug sind, ihn zu formen. Ob sie gütig genug sind, oder ob sie wissen, was sie tun, ist etwas anderes. Die Gefahr liegt darin zu glauben, daß die Charakterbildner nicht benötigt würden...` Aber in Summerhill haben wir den klaren Beweis gebracht, daß sie nicht benötigt werden." [NEILL in: ADAMS 1971, S.161] Diese Replik war typisch für Neills Form der Öffentlichkeitsarbeit. Er griff Themen auf, die er anschließend auf seine Arbeit in Summerhill zurückführte. Dies gab ihm die Möglichkeit, die Schule und ihr pädagogisches Konzept ausführlich darzustellen.

Ein Artikel Neills in der Erziehungsbeilage der "Times" mit dem Titel Learning or Living? fand besonders reges Interesse und provozierte eine Reihe von Leserbriefen. In dem Artikel beschwerte er sich darüber, daß die pädagogische Diskussion weniger das Kind und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stelle als Lehrergehälter, Schulorganisation, Schulvergleiche und - gelegentlich - Unterrichtsmethoden [vgl. NEILL in: TES 17.06.1966, S.1923]. In einem Brief an R.F. Makenzie, den späteren Leiter der Summerhill-Academy im schottischen Aberdeen (die Namensgleichheit der Schulen ist ein Zufall, Mackenzies Pädagogik war allerdings stark mit Neills Denken verknüpft [vgl. MACKENZIE 1970, S.15]), schlug er im folgenden Jahr vor: "Try an experiment: write a letter to TES on the teaching of arithmetic and you no doubt will have any amount of replies² [NEILL in: CROALL 1983a, S.20; vgl. auch NEILL in: TES 06.05.1960, S.919; sowie NEILL in: Adams 1971, S.157f und NEILL in: Tribune 28.04.1972]. Mackenzie hatte einen Artikel geschrieben, in dem er das schottische Erziehungssystem, aber auch die generelle Zielsetzung von Erziehung angegriffen hatte. Er schrieb, daß Erziehung - solange sie sich die Indoktrination gesellschaftlicher Werte zum Ziel nehme - Barrieren zwischen den Generationen aufbaue [vgl. MACKENZIE in: TES 06.10.1967, S.689]. Obgleich die rege Resonanz auf Neills eigene Artikel seine Worte an Mackenzie Lügen strafte, war er der festen Überzeugung, daß das pädagogische Establishment die in seinen Augen wirklich wichtigen Aspekte der Erziehung nicht beachtete. Nichtsdestotrotz ließ das Establishment nicht ab, den Rebellen Neill zu ehren. Noch 1966 hatte Neill anläßlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Newcastle sarkastisch an Gordon Leff (den Bunny aus Die grüne Wolke) geschrieben: "An academic friend says that universities follow each other like sheep and that I shd expect a plethora of hon degrees. Almost makes me pray for a nuclear war first." [NEILL in: CROALL 1983a, S.206] Am 5. Juli 1968 erschien Neill auf dem Titelblatt der Erziehungsbeilage der "Times". Ein Foto zeigt ihn, wie er seinen zweiten Doktortitel von der Universität Exeter entgegennimmt [vgl. TES 05.07.1968, S.1; vgl. auch: CROALL 1983b, S.379; sowie HEMMINGS 1972, S.169; sowie NEILL in: CROALL 1983a, S.207, 209].

Dieselbe Ausgabe der Zeitung enthielt einen Artikel, in dem mit Erleichterung festgestellt wurde, daß die Schule in Leiston ein weiteres Mal eine Inspektion der Schulbehörde "überlebt" habe. Erneut waren die baulichen Verhältnisse stark kritisiert worden. Was jedoch auch angezweifelt wurde, war die Effektivität der Schulbildung in Summerhill [vgl. NEILL in: CROALL 1983a, S.40f; vgl. auch NEILL in: Id-Magazine No.7/1961, S.16ff]. Ein Presseartikel hatte die bevorstehende Schließung der Schule angekündigt [vgl. Bagnal in The Sunday Telegraph 16.06.1968; vgl. auch NEILL 1972, S.194], und die Kinder verhielten sich den Inspektoren gegenüber entsprechend feindselig. Die zeitgleiche Verleihung der Ehrendoktorwürde und der Einsatz von prominenten Vertretern des englischen Erziehungswesens retteten möglicherweise die Schule in letzter Minute. In einem Leserbrief an die "Times" war zu lesen: "Although many of Neill's ideas have been absorbed under the skin by modern educationalists, can we afford to loose so vital a laboratory of ideas as Summerhill?² [Morris u.a. in: The Times 11.06.1968, S.11; vgl. auch CROALL 1983b, S.371ff; sowie HEMMINGS 1972, S.169] Der Inspektion war bereits lange im Vorfeld mit Schrecken entgegengesehen worden. "Bis heute kann ich einem Schulrat nicht unbefangen gegenübertreten, obwohl mir klar ist, daß die heutigen Schulräte anders sind und viel weniger Macht haben" [NEILL 1972, S.50], sollte Neill in seiner Autobiographie wenige Jahre später schreiben, als er über die Inspektionen an der Schule seines Vaters berichtet. In einem Brief im Dezember 1967 heißt es: "We are promised a full inspection next year which may decide our fate. Meanwhile we are trying to make the place shipshape ... Joan Baez gave a concert in the Albert Hall last week for S'hill, and sent a cheque for over £1400.² [NEILL in: CROALL 1983a, S.70; vgl. auch NEILL 1967, S.34f; sowie NEILL 1972, S.196; und Segefjord 1968, S.123] Die finanzielle Hilfe ermöglichte allerdings gerade einmal die innerhalb einer Frist von sechs Monaten zu erbringenden dringenden Baumaßnahmen [vgl. CROALL 1983b, S.372; vgl. auch MacArthur in: TES 03.07.1968]; dem eigentliche Problem, dem grundsätzlichen Mißtrauen der Schulbehörde gegenüber Neills Erziehungsideen, konnte damit nicht entgegengewirkt werden.

Eine weitere akademische Ehre, die Neill 1968 angetragen wurde, bewegte ihn stärker als die beiden Ehrendoktorwürden, die er bereits erhalten hatte: die Universität in Edinburgh, an der er selbst bis 1912 studiert hatte, wählte einen neuen Rektor, und als einer der Kandidaten wurde Neill aufgestellt. Traditionell wurden Universitätsfremde in die Position des "Lord Rector" gewählt, und es waren die Studenten, die entschieden, wer den Posten bekommen sollte. An Kenneth Allsop [vgl. NEILL 1972, S.299], der in dieser Rektorwahl Neills Rivale war und schließlich die Wahl gewann, schrieb Neill: "My candidature was comic. A student, Bob Cuddihy, wrote asking me to stand. I replied with a No, saying that 95* [sic! vermutlich: %] of the students never heard of me. He said they had and I consented, partly to prove my point. I did so at the bottom. It wd have been a tragedy had I been elected [...] What a Lord Rector does I simply don't know. All I can guess is that you'll be on the side of youth all the way.² [NEILL in: CROALL 1983a, S.209; vgl. auch NEILL 1973, S.298f] Ein Jahr später lehnte der Senat der Universität Edinburgh Kenneth Allsops Vorschlag, Neill zum Ehrendoktor zu machen, ohne Begründung ab, und Neill bat Allsop, ihn nicht ein weiteres Mal vorzuschlagen [vgl. ALLSOP bzw. NEILL in: CROALL 1983a, S.211f].



Fußnoten:



Diss: Axel Kühn: Alexander Neill
Zurück zum Inhaltsverzeichnis
zurück (& Dr. h.c. mult. Neill)
     (& Freedom not License! 1966)

Fortsetzung (& SEGEFJORD 1968)