Diss: Axel Kühn: Alexander Neill
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Zusammenfassung und Fazit

Beiträge in Sammelbänden und Überblickswerken, die Neills Ideen oder das Konzept bzw. die Realität Summerhills zum Thema haben, weisen im Verlauf ihres Erscheinens folgende Entwicklung auf:

Gleich mit Einsetzen der internationalen wissenschaftlichen Beschäftigung mit Neill und Summerhill wurde Neill mit "berühmten" pädagogischen Denkern (Montessori, Dewey,...) und Praktikern (Reddie, Hahn,...) gleichgestellt und als zentraler Aspekt im Konzept Neills die Beschäftigung mit Autorität und Freiheit hervorgehoben [NASH 1966]. Die späte Aufmerksamkeit, die Neill von wissenschaftlicher Seite zuteil wurde - Summerhill bestand damals bereits 45 Jahre - hängt sicher auch damit zusammen, daß Neill in seinen zahlreichen bis dahin erschienen Büchern keinen Anspruch auf eine akademische Betrachtungsweise seines Werkes legte. Die Berichte verschlossen sich als leicht lesbare, ja vielfach humorvolle Praxisdemonstrationen einer akademischen Reflexion, die auch von ihrer Form her stets Wert auf einen seriösen Stil legt.

Die weitaus meisten Autoren von Buchbeiträgen im internationalen Bereich - weniger in der deutschen Diskussion - ordneten Neill in der Folge unter dem Stichwort "Schulreform" ein [SKIDELSKY 1969; GROSS/GROSS 1971; Stewart 1972; LAWSON/PETERSEN 1972; Sellek 1972; GRAUBARD 1974; BARROW 1978; van Dick 1979; RÖHRS 1980/1986/1991]. "Schulreform" wurde hier bewußt als Bezeichnung gewählt, da z.B. in der angelsächsischen Literatur der in Deutschland bedeutsame Begriff "Reformpädagogik" [vgl. RÖHRS a.a.O.] als historische Bestimmung keine Verwendung findet. Insofern wird Neill vielfach der "Reformpädagogik" in der Bedeutung eines Strukturbegriffs zugeordnet. Die deutsche Rezeption verwendet zwar "Reformpädagogik", unterscheidet jedoch in Bezug auf Neill nicht zwischen einer historischen oder strukturellen Einordnung. Im späteren Verlauf wurde in der internationalen Rezeption auf Neills Einfluß auf den Erziehungsstil an Schulen fokusiert, für dessen freiheitliche Beeinflussung ihm große Bedeutung zugemessen wurde [PERKINSON 1984, S.141].

In Deutschland, wo besonders viel zu Neill veröffentlicht wurde, kreiste die Diskussion in Buchbeiträgen lange und nahezu ausschließlich um Antiautorität und die Abgrenzung zur Kinderladenbewegung. Eine anonyme Titelredaktion beim Rowohlt-Verlag hatte diesbezüglich Glück und Leid über Neill und seine Schulidee gebracht. Der Titel "Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung" bewirkte einerseits einen reißenden Absatz von Neills Buch und andererseits eine Konzentration der Rezipientinnen und Rezipienten auf den politisch belegten Autoritäts-Aspekt, die dem Werk Neills nie gerecht wurde. Viele Autorinnen und Autoren versuchten nachzuweisen, daß und warum Neill nicht als Vertreter der "antiautoritären Bewegung" zu bezeichnen war [SCHMID 1971, PAFFRATH 1972; BÖNNINGHAUSEN/DREISBACH-OLSEN 1973; ENGELMAYER (Hg.) 1973; WEBER 1974; WINKEL 1974; VOSS, in: KADELBACH (Hg.) 1974; SIELSKI 1977; MASTHOFF 1981; KNAUER u.a. (Hg.) 1982, S.116]. Fast alle taten dies ohne zu berücksichtigen, daß Neill selbst sich bereits 1970 in einem Beitrag in der "Zeit" gegen eine solche Einordnung verwehrt hatte [NEILL in: Die Zeit 30.10.1970, S.25].

In der Rückschau konnte Andreas FLITNER 1992 feststellen, daß Neill stets mit seinem "Kultbuch" "Summerhill" und den um dessen Rowohlt-Titel entbrannten Diskussionen verknüpft worden sei [FLITNER 1992]. Die Diskussion um Neill und seine Schule habe trotzdem auf die deutsche Pädagogik einen ähnlich großen Einfluß gehabt wie die Publikationen von Horst-Eberhard RICHTER und Alice MILLER und die durch sie ebenfalls in den 70er Jahren ausgelösten Dispute [GIESEKE 1996]. Welcher Gestalt dieser Einfluß in einzelnen gewesen sein kann, wird deutlich, wenn die Zeitschriftenaufsätze betrachtet werden,

Es gibt - selbst wenn es sich bei den oben aufgeführten Aufsätzen um eine begrenzte Auswahl handelt - bemerkenswert wenig wissenschaftliche Zeitschriftenaufsätze über Neill und seine Schule. Möglicherweise hat dies damit zu tun, daß die explosionsartige Popularität Anfang der 70er Jahre und die vielfachen Mißinterpretationen eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem die Emotionen anregenden Thema erschwerten. Bemerkenswerterweise war das Thema "Antiautorität" kein bedeutsamer Gegenstand wissenschaftlicher Zeitschriftenaufsätze. Die zeitliche Abfolge des Erscheinens der Aufsätze über Neill und Summerhill läßt erkennen, daß das Thema tatsächlich zunächst sehr zögerlich in Fachzeitschriften aufgegriffen wurde. Als weitere Grund hierfür mag derselbe wie er für Beiträge in Sammelbänden angeführt wurde gelten: Neill wirkte auf die akademischen Pädagogen zu unseriös. Er war also in mehrfacher Hinsicht ein "heißes Eisen", mit dem sich niemand gerne öffentlich beschäftigen wollte.

Die Themenbereiche, die in wissenschaftlichen Aufsätzen über Neill und Summerhill schließlich behandelt wurden, variieren stark und es läßt sich zunächst keine erkennbare Entwicklung extrahieren. Bereits früh wurde die irreführende Titelgebung des Rowohlt-Verlags kritisiert [WEISSERT 1971, S.234]. Besonders amerikanische Autoren, die von diesem Einfluß nicht betroffen waren, beschäftigten sich eingehend mit Neills Freiheitsbegriff und dem Selbstbestimmungsaspekt in Neills Pädagogik. Daß die Kinder in Summerhill selbst über sich und ihre Gemeinschaft bestimmten bildete für die Amerikaner den revolutionärsten Anteil an Neills pädagogischer Demonstration. Der praktische Bezug hatte auch unmittelbare Auswirkungen auf die amerikanische Rezeption: Neill wurde zum Gegenstand von Schulexperimenten, die in den 70er Jahren populär wurden.

Eine Lücke in der Rezeption läßt sich für die späten 70er Jahre feststellen. Aus dieser Zeit sind keine Zeitschriftenaufsätze über den 1973 verstorbenen Neill und seine weiter bestehende Schule bekannt. Erst Anfang der 80er Jahre wandten sich vor allem die Schotten ihrem Landsmann Neill zu. Vermutlich richteten die damals schon für Aufruhr in der Tagespresse sorgenden Diskussionen um eine Schließung der Schule die Aufmerksamkeit erneut auf Summerhill.

Wieder waren es die Themen "Freedom and License" und die damit verknüpfte Wertschätzung kindlicher Eigenschaften wie Spielfreude und Lerninteresse, die die Autoren beschäftigten. Die radikale Demokratisierung einer Schule, wie sie in Summerhill praktiziert wird, wurde zum Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung. Weitere Themen, die in der Folge diskutiert wurden, waren Neills Gleichsetzung emotionaler Aspekte mit Unterrichtsstoffen in der schulischen Erziehung und die Bedeutung frühen Selbstbehauptungstrainings in Zusammenhang mit der Einübung demokratischer Strukturen in einer sich rapide wandelnden Welt.

Die Rezeption Neills ist also in weiten Strecken die eines bedeutenden, aber fehlinterpretierten Pädagogen. Stets ist dieses Interpretationsproblem Thema vor allem der deutschen Beiträge und lange leitet diese Mißinterpretation die deutsche Diskussion. Erst sehr spät wird die Bedeutung Neills in Rückblick gewürdigt, und eine Loslösung von der irreführenden Autoritätsdiskussion findet schließlich vor allem in der Diskussion in wissenschaftlichen Zeitschriften statt. Der eigentliche Kern der wissenschaftlichen Rezeption scheint in der Würdigung Neills als Verfechter kindlicher Freiheit und Selbstbestimmung zu liegen. Dies wird stets gekoppelt mit einer Auseinandersetzung darüber, wie weit diese Freiheit und Selbstbestimmung gehen kann. Schließlich wird darüber nachgedacht, inwieweit Neills Erziehungskonzept gerade den Anforderungen, die die Veränderungsprozesse in der modernen Gesellschaft an die Pädagogik stellen, weit mehr gerecht werden kann als herkömmliche Erziehungsstile. Unter dieser Perspektive bietet Neill mit seinem Erziehungskonzept noch zahlreiche weitere Anknüpfungspunkte, die einer ernsthaften akademischen Auseinandersetzung würdig sind. Sie werden im Anhang an die Zusammenfassung dieser Arbeit aufgelistet.



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