Diss: Axel Kühn: Alexander Neill
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Fachzeitschriften

Auf die Aufsätze, die aus wissenschaftlichen Fachzeitschriften vorliegen, weisen vor allem Datenbanken hin, in denen mittels Suchworten wie "Neill", "Summerhill" und "antiautoritär" Listen von Beiträgen ermittelt werden können. Obwohl diese Datenbanken mittlerweile häufig auf Veröffentlichungen aus der Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts zurück reichen finden sich in ihnen erstaunlich wenige Artikel zu Neill und Summerhill. Auch Literaturlisten zu Neill und Summerhill weisen deutlich mehr Zeitschriftenbeiträge eher trivialen Charakters auf als wissenschaftliche Veröffentlichungen. [84] Die nun folgende Aufstellung kann also keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.

Der erste derartige Aufsatz stammt aus dem Jahr 1971 und beschäftigt sich mit den anthropologischen Grundlagen antiautoritärer Erziehungsmodelle. Der Autor, Dieter HÖLTERSHINKEN, stellt in der Zeitschrift Blätter des Pestalozzi-Fröbel-Verbandes die Konzepte Neills und Wera Schmidts in Zusammenhang mit der Erziehung kleiner Kinder vor. Zu Neills Erziehungskonzept schreibt er: "Antiautoritäre Erziehung in Summerhill hebt Autorität im pädagogischen Sinne als ein Führungsverhältnis nicht auf, wendet sich vielmehr gegen eine Verwechslung von Zwang, Macht und Autorität, wendet sich in Praxis und Theorie gegen eine Auffassung, die Erziehung mit offener und geheimer Machtausübung verwechselt." [HÖLTERSHINKEN 1971, S.144] Trotz dieser positiven Bewertung mündet die Kritik HÖLTERSHINKENS in eine Ablehnung von Neills "ideologischer" Idee, die auf optimistisch-naive Anschauungen beruhe und kaum übertragbar auf ein staatliches Schulsystem sei [ders., S.145f].

Ähnlich argumentiert Elisabeth WEISSERT in Erziehungskunst. (Monatsschrift zur Pädagogik Rudolf Steiners), die ebenfalls 1971 auf den enormen Erfolg von Neills Buch "Summerhill" reagierend prophezeite, daß die Schule Summerhill mit Neills baldigem Tod vergehen werde. "Als Schule hat Summerhill keine Zukunft" [WEISSERT 1971, S.234]. Gleichwohl billigte sie seinen Ideen eine eingeschränkte Plausibilität zu und relativierte die durch den irreführenden deutschen Titel von Neills Buch geweckten Erwartungen. [85]

Richard L. HOPKINS veröffentlichte zwei Artikel über Neill und Summerhill. Der erste erschien 1973 im Journal of Educational Thought und beschäftigte sich mit Mißverständnissen in der Rezeption der Pädagogik Neills. Er betitelte ihn "Some Pitfalls in the Free School Movement". Der zweite Artikel erschien 1976 in Educational Theory und hieß "Freedom and Education: The Philosophy of Summerhill". Beide Artikel beschäftigen sich eingehend mit der Unterscheidung zwischen "Freiheit und Zügellosigkeit" (wie das englische "Freedom and license" übersetzt wurde). In dem zweiten deutlich umfangreicheren Artikel vergleicht HOPKINS Neills Freiheitsbegriff mit dem von ROUSSEAU, PESTALOZZI, MONTESSORI, DEWEY und KILPATRICK. Schließlich bezieht er sich auf das im vorhergehenden Abschnitt angeführte Buch von MORRIS [vgl. ŕ S.134 in diesem Text] und kommentiert dessen Einordnung von Neills Pädagogik als ein Musterbeispiel existentialistischer Erziehungstheorie. HOPKINS argumentiert, daß Neills Idee ebensogut als Beispiel für Anarchie in der Pädagogik gelten könne. Als Konklusion hebt er hervor, daß Neill sich von politischen Anschauungen und Einordnungen stets distanziert habe [HOPKINS 1976, S.188ff].

In einer Reihe von Artikeln beschreibt William MATTHIAS, mittlerweile emeritierter Professor an der Southern Illinois University, Neills Werdegang, die Idee Summerhills und die Eindrücke des Autors bei zwei Summerhill-Besuchen (1971 und 1976). Die Artikel erschienen in amerikanischen Fachzeitschriften (Childhood Education, Contemporary Education und Teacher) und leisten keinen analytischen Beitrag zur Rezeption Neills, sondern haben ausschließlich beschreibenden Charakter [vgl. MATTHIAS 1979, Sept. 1980, 1980].

In einem in Improving College and University Teaching dokumentierten Unterrichtsexperiment läßt Richard OGNIBENE seine Studentinnen und Studenten, die Neills Erfolgsbuch "Summerhill" gelesen haben, eine Krise in Summerhill durchspielen. Der Artikel handelt eigentlich von der Methode der angeleiteten Simulation einer Situation (Rollenspiel?), aber der Einfluß der Neill-Lektüre führt dazu, daß die Simulation eine unerwartete Eigendynamik entwickelt. So entscheiden die Simulierenden in einer Schulkonferenzsituation, daß der Leiter nicht rauchen dürfe und die Studentin, die die Rolle eines Schulinspektors zugewiesen bekam - OGNIBENE hatte sorgfältig Neills stärkste Kritikerin in seiner Klasse ausgewählt - ließ sich von der Entscheidung einer Schulschließung abbringen. "These decisions enriched the action beyond the bare outline I had provided." [OGNIBENE 1981, S.161]

HARRISON, LANG und MUSIAL nahmen ebenfalls Summerhill zum Gegenstand eines in Illinois School Research and Development dokumentierten Experiments: Sie ließen 326 amerikanische Studentinnen und Studenten einen kanadischen Dokumentarfilm über Summerhill aus dem Jahr 1976 ansehen und befragten sie anschließend anonym, ob sie eine Schule wie Summerhill besuchen würden. Nur 21,7% bejahten diese Frage. Diese Ergebnis überraschte die Forscher, die in der Summerhillidee vor allem den Aspekt der Demokratieerziehung im Vordergrund sahen. Sie fragten die Studierenden nach ihren Gründen. Die meisten antworteten, daß sie nicht erwarteten, in einer Schule wie Summerhill eine Ausbildung zu bekommen, die ihnen ökonomischen Erfolg im Erwachsenenleben gewährleiste. Diesem Ergebnis werden Resultate einer Studie gegenübergestellt, die nachweist, daß weniger als ein Drittel von 250 amerikanischen Lehrerinnen und Lehrern glauben, daß die demokratischen/humanistischen Ideale, die sie im Unterricht vermitteln sollen, in der gesellschaftlichen Realität Bestand haben. Die Autoren schließen mit der Feststellung, daß Schulen offenbar wenig geeignet seien, gesellschaftliche Ideale zu vermitteln [HARRISON/LANG/MUSIAL 1986].

In einem längeren Aufsatz in der Zeitschrift Educational Studies beschäftigte sich Ronald SWARTZ 1986 unter der Überschrift "Recent Research About the Life and Work of A.S.Neill" ausschließlich mit den amerikanischen Veröffentlichungen von Jonathan CROALLs Büchern. Darüber hinaus erwähnt er jedoch keine einzige der bislang in dieser Arbeit aufgeführten Veröffentlichungen. CROALLS Werk kritisiert er zu Recht als für wissenschaftliche Forschung wenig hilfreich, da es keine Quellenverweise und einen unzulänglichen Index hat. Zu Neills Wirken selbst schreibt SWARTZ, daß er - ohne sich dessen bewußt zu sein - in der Tradition SokratesŒ und Deweys stehe. Versuche, sein Konzept auf urbane Schulen zu übertragen, seien längst überfällig, stimmt er Paul GOODMAN zu [SWARTZ 1986, S.207].

In einem darstellenden Aufsatz über Neill und sein Werk nahm Ulrich KLEMM in Apropos Lernen 1989 auch eine Zusammenfassung der Kritik an Neill auf. Trotz der dort geschilderten z.T. vernichtenden Kritik schreibt KLEMM über Neill abschließend: "Ihm kommt die Bedeutung zu, weltweit zur Hoffnung und Perspektive für zahllose Menschen geworden zu sein und wie kein anderer Nachkriegspädagoge als Kultfigur - auch für Nicht-Profipädagogen - einer Erneuerungsbewegung in Sachen Bildung und Erziehung vermarktet worden zu sein." [KLEMM 1989, S.177].

Das Stichwort "Vermarktung" kann als Überleitung zum nächsten Artikel aufgegriffen werden, in dem Hans Hartmut KARG - seine Dissertation aus dem Jahr 1983 zusammenfassend - 1991 in Pädagogisches Forum eine Beschreibung von Neills Leben und Werk mit zahlreichen historischen Fehlern [86] präsentiert. KARG schreibt über die Wirkung Neills optimistisch: "Der Ertrag von Summerhill hat sich heute - wie jener zahlreicher Reformschulen - in den Schulgesetzen weitgehend manifestiert." [KARG 1991, S.41]

Die britische Rezeption von Neill setzte erst sehr spät ein. Bezeichnenderweise ist es der schottische Universitätslektor John DARLING aus Aberdeen, der in mehreren Beiträgen das Werk Neills würdigt und in Universitätskursen im Bewußtsein von Lehramtsstudierenden verfestigt. Bereits in einem Aufsatz von 1982 im Journal of Philosophy of Education verglich DARLING Neill mit ROUSSEAU unter der Fragestellung, inwieweit sich deren Auffassung kindlicher Entwicklung unterscheide. Er kam zu dem Schluß, daß die geringfügigen Unterscheide nicht überbewertet werden müßten. Neill und ROUSSEAU hätten nahezu deckungsgleiche Vorstellungen in dieser Hinsicht [DARLING 1982, S.181]. 1983 veröffentlichte er ebenfalls im Journal of Philosophy of Education einen Aufsatz über die Ernsthaftigkeit kindlichen Spiels, in dem er Neill als den "perhaps [...] most celebrated supporter of the child's right to play" [DARLING 1983, S.104] bezeichnet. In einem weit kritischeren Aufsatz behandelte er 1984 im British Journal of Educational Studies Neills Einstellung gegenüber Wissen und Lernen. Er stellt fest, daß Neill die Frage nach dem Wert von Bildungsinhalten vernachlässigte, trotz seines revolutionären Schulkonzepts traditionelle Unterrichtsmethoden bevorzugte und Lehrinhalte sowie traditionelle Unterrichtsfächer nicht in Frage stellte [DARLING 1984, S.158]. In einer etwas generellen Betrachtung Neills im Friends of Summerhill Trust Journal schreibt DARLING 1992: "If A.S.Neill didn't exist, educational theory would have to invent him. [...] Neill, unlike most writers on education, actually ran a school." [DARLING 1992, S.30] Ein Jahr später schreibt er in der gleichen Zeitschrift über Demokratie in Summerhill und die ihr zugrunde liegende Philosophie: "Neill claimed that children are innately wise and realistic. Clearly they are not. But (a) they are potentially wise and realistic, and (b) given an appropriate learning environment, they should become increasingly wise and realistic. It seems not unreasonable to argue that the exclusion of children from school government denies (a) and hinders (b)" [DARLING 1993, S.33].

Ein weiterer Schotte, David CARR, beschäftigte sich 1984 in einem Aufsatz im Journal of Philosophy of Education mit der Frage nach den Vorstellungen über Moralerziehung bei Pädagogen wie Neill. Über diesen schreibt er dort, daß er sehr simplifizierende Ansichten über Moralerziehung verbreite, indem er sie generell ablehne, gewissermaßen hinter vorgehaltener Hand jedoch ständig betreibe. Dies tue er schon mit seiner Unterscheidung zwischen "Freedom and License" [CARR 1984, S.50]. Diesem Komplex, der stetig wiederkehrenden Frage nach Freiheit und Zügellosigkeit, wendet CARR sich im darauffolgenden Jahr in einem weiteren Aufsatz in der gleichen Zeitschrift zu. Er hebt darauf ab, daß es Neill gelungen sei, aus den psychoanalytischen Erkenntnissen Sigmund Freuds Konsequenzen für die Erziehung von Kindern abzuleiten. Gleichwohl seien Neills Versuche, seine Erziehungstheorie psychoanalytisch zu begründen, stets von Mißinterpretationen der Freudschen Theorie geprägt [CARR 1985, S.55ff].

England, das Land, in dem Neill die größte Zeit seines Lebens wirkte, nimmt ihn vergleichsweise wenig wahr. Mir liegen nur drei Zeitschriftenaufsätze von englischen Autoren vor [87], zwei davon sind in Deutschland erschienen. Bei diesen handelt es sich um Überblicksbeschreibungen des ehemaligen Summerhill-Lehrers David STEPHENS in einem der Anarchie-Bewegung nahestehenden Organ mit dem Namen TRAFIK, Internationales Journal zur libertären Kultur und Politik. In diesen Aufsätzen beschreibt er die Organisationsmuster Summerhills in den 80er Jahren und kritisiert die seit 1985 amtierende Leiterin Zoë Readhead. Er stellt bedauernd fest: "So gern ich glauben möchte, daß Gemeinschaften mit kleinen Kindern ohne Gesetze möglich sind, muß ich doch zugeben, daß beim Außerkrafttreten aller Gesetze in Summerhill (nämlich durchschnittlich alle achtzehn Monate, wenn die Gebote zu undurchsichtig werden) immer wieder einmal das Chaos - und nicht Ordnung ohne Gesetze - ausbricht" [STEPHENS 1987, S.6]. In seinem Aufsatz von 1988 kritisiert er Zoë Readhead noch vehementer [vgl. STEPHENS 1988, S.35]. Er schreibt: "Andere Schulen auf der Welt haben Neills Prinzipien aufgegriffen und mitgeholfen, sie zu verbreiten und zu entwickeln. Diese Schulen und nicht Summerhill stellen sich jetzt der Herausforderung und bieten die libertären Prinzipien dort an, wo sie gebraucht werden." [STEPHENS 1988, S.39]

Der dritte englische Aufsatz schließlich stammt aus dem Jahr 1987 und wurde von Robin SMALL in Educational Theory unter dem Titel "Franz Kafka at Summerhill" veröffentlicht. Tatsächlich behandelt der Artikel das Treffen zwischen KAFKA und Neill im Jahr 1922 in Hellerau und versucht von dieser zufälligen Begegnung aus Parallelen zwischen den beiden herzustellen. Small schließt: "Although Kafka and Neill may have agreed to a large extent on the need to free education from traditional authority, their reasons were different." [SMALL 1987, S.182f]

Der einzige vorliegende französische Aufsatz - aus der englischsprachigen französischen Zeitschrift Profiles - ist eine weitere generelle Darstellung Neills und Summerhills. Offenbar verwertet der Autor, J.F. SAFFANGE, in diesem Aufsatz aus dem Jahr 1988 seine 1985 erschienene Doktorarbeit. Die historischen Angaben in der Darstellung sind völlig fehlerhaft. SAFFANGE berichtet sogar davon, daß die Schule längst geschlossen sei [SAFFANGE 1988, S.283]. Sehr originell und ohne jeden historischen Beleg schreibt SAFFANGE über Neill: "Throughout his life, like Lane and Reich, he had an immense admiration for Christ, and felt imbued with a mission. After the Second World War, he even thought that Summerhill was becoming the birthplace of a new civilization [sic!]" [SAFFANGE 1988, S.288].

Im Friends of Summerhill Trust Journal wurde 1989 der Aufsatz des Süd-koreanischen Professors Kim Eun SAN abgedruckt, in dem er auf zwei Druckseiten "An Analytic Study on AS Neill" vornimmt. Es entsteht der Eindruck, daß SAN in seiner Analyse eine knappe Zusammenfassung der analytischen Anteile der Neill-Biographie von Jonathan CROALL aus dem Jahr 1984 wiedergibt. Er schließt, daß Neills Erziehungsphilosophie in einem Land wie Südkorea, dessen Pädagogik auf Wissensvermittlung und ökonomischen Erfolg ausgerichtet ist, eine bedeutende Rolle spielen könnte [SAN 1989, S.28; mehr zur asiatischen Rezeption Neills ist einem Exkurs im Anschluß an die Literaturliste zu entnehmen (ab ŕS.191)].

Erst aus dem Jahr 1997 liegt ein weiterer Aufsatz vor, der Summerhill zum Thema hat. Klaudia SCHULTHEIS veröffentlichte in Pädagogik und Schulalltag einen Vergleich zwischen Summerhill und Haubinda. Ganz anders als in vielen Analysen vorher hebt SCHULTHEIS hervor, daß Summerhill auf die sprachlich-kognitiven Potentiale der Kinder Bezug nehme. Sie schließt ihren Vergleich mit der Feststellung: "Es scheint, als wäre das Konzept Summerhill angesichts der modernen Welt, die sich als kontingent und in dauernder Veränderung präsentiert, dieser Aufgabe [verschiedene Perspektiven einzunehmen und begründete Standpunkte zu bilden] besser gewachsen. Allerdings muß man Neill den Vorwurf machen, die Bedeutung des Unterrichts unterschätzt zu haben" [SCHULTHEIS 1997, S.580. Hinzufügung aus dem vorangehenden Text von SCHULTHEIS].



Fußnoten:

[84] Das gilt besonders auch für die Literaturliste im Anhang dieser Arbeit [ab ŕ S.153].

[85] Dies tat ebenfalls bereits J.R.Schmid1971 in einer Schweizer Veröffentlichung.

[86] Neill habe auf der Konferenz in Salzburg den Hauptvortrag gehalten, in Hellerau sei Eurythmie unterrichtet worden und Neill habe auf einer Stippvisite in England 1921 Summerhill gegründet [Karg1991, S.37].

[87] Die kurzen Beiträge, die im Times Educational Supplement erschienen sind, werden hier nicht berücksichtigt. Sie werden z.B. im vorhergehenden Abschnitt [ŕ S.85] beschrieben, da sie den Charakter aktueller Meldungen haben.



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