Zurück zum Inhaltsverzeichnis     Margit Zellinger: "Summerhill heute" - Diplomarbeit 1996


9. Summerhill in der Erfahrung von Absolventen

9. 1. Untersuchung von Emmanuel Bernstein

1968 besuchte der Amerikaner Emmanuel Bernstein die Schule Summerhill für einen Tag. Er war schockiert über all die Regeln, die in der Eingangshalle auf dem schwarzen Brett angeschlagen waren, und deren Nichtbefolgen Strafe nach sich zog. Ein 15jähriger Schüler erklärte ihm: "In einer freien Schule gibt es mehr Regeln als irgendwo sonst, wenn wir sie auch für uns selbst machen." 1

Bernstein sprach mit den Schülern. Er fand sehr aktive und zufriedene Schüler, aber auch Teenager, die sich langweilten. Beim abendlichen Meeting waren 75 Schüler anwesend, die neue Regeln beschlossen und alte abschafften.

Später fragte Bernstein Neill, was mit den Kindern geschehe, wenn sie Summerhill verlassen? "Sie gehen in die Kunst" antwortete dieser. Auf die Frage, ob es eine Summerhill-Persönlichkeit gebe, behauptete Neill, daß seine Schüler ausgeglichen ("well-balanced") und aufrichtig ("sincere") die Schule verlassen.

In London begann Bernstein mit seinen Studien. Er bekam einige Namen und Adressen von ehemaligen Schülern. Nachdem er sich ein Moped und eine Karte von London gekauft hatte, machte er sich auf den Weg, einen nach dem anderen der ehemaligen Schüler zu besuchen. Von ihnen erhielt er auch wieder Adressen von weiteren Ex-Summerhillianern. Bernstein machte keine Tests, sondern nur informative Diskussionen. Seine Studie war also subjektiv, aber er war in der Lage herauszufinden, was ehemalige Schüler über ihre Erfahrungen in Summerhill dachten und was aus 50 Summerhillianern geworden war. Die meisten Interviews dauerten etwa vier Stunden und wurden in den Wohnungen der ehemaligen Schüler geführt.

Bernstein sprach mit 29 Männern und 21 Frauen zwischen 16 und 49 Jahren. Das Durchschnittsalter war 23 Jahre. Die Schüler kamen zwischen 1924 und 1963 nach Summerhill. Die meisten der Gruppe waren in den letzten 20 Jahren vor der Untersuchung an der Schule, also zwischen 1948 und 1968.

Bernsteins Analyse zeigte, daß 10 der ehemaligen Schüler am meisten profitiert hatten. Diese Schüler waren überzeugt, daß sie durch Summerhill Vertrauen und Reife bekommen hatten und befähigt wurden, einen erfüllten Lebensweg zu finden. Einer dieser Gruppe meinte, die Schule hätte ihm geholfen, von seiner überdominanten Mutter wegzukommen und für sich selbst zu denken. Ein anderer, der in Summerhill ein Tyrann war, sagte, er hätte irgendwie den Haß aus sich herausgebracht. Andere meinten, es half ihnen aus dem Bedürfnis, ständig zu spielen, herauszuwachsen. Sie wurden neugierig und begannen, die Dinge zu erforschen. Drei Schüler dieser Gruppe meinten, die Schule hätte ihnen eine gesunde Einstellung zu Sexualität mitgegeben. Sie sprachen davon, daß die freie Umgebung ihnen half, ihre Persönlichkeit zu entfalten, indem sie ihren natürlichen Bedürfnissen folgen konnten. Diese 10 Personen hatten nur Lob für Summerhill. Sie waren laut Bernstein sehr kommunikative Leute. Das Durchschnittsalter dieser Gruppe war 27 Jahre.

Auf der anderen Seite gab es 7 ehemalige Schüler, die meinten, Summerhill wäre schädlich für sie gewesen. Sie waren der Meinung, daß sie durch Summerhill mehr Schwierigkeiten im Leben hätten. Die meisten beklagten die Gleichgültigkeit für akademische Gegenstände und den Mangel an guten Lehrern sowie den Mangel an Schutz gegen Tyrannen unter den Schülern. Ein Schüler sagte, er hätte das wenige Selbstvertrauen, das er hatte, in Summerhill verloren. Ein anderer, er hätte gelernt, zu schnell aufzugeben. Laut Bernstein waren diese zwei Schüler die schüchternsten Leute - beide vor und nach ihrer Summerhill Erfahrung. Das Durchschnittsalter dieser Gruppe war 26 Jahre.

Bernstein leitet daraus den Schluß ab, daß aggressivere Schüler am meisten zu profitieren schienen, während die Schule auf mehr zurückgezogene ruhige und schüchterne Schüler einen negativen Effekt ausübte.

Das für Bernstein durchschlagendste Ergebnis seiner Studie kam durch die Interviews mit 6 Personen heraus, die alle mindestens drei Jahre in Summerhill waren, die aber wieder in Regelschulen zurückgingen, bevor sie 12 Jahre alt waren. Ein kürzerer Aufenthalt schien nützlicher zu sein als die Schulzeit in Summerhill zu beenden. Fünf dieser Schüler meinten, daß sie keine Anpassungsprobleme in den Regelschulen hatten und sie waren erfreut darüber, Lernen auf eine organisierte Art präsentiert zu bekommen. Obwohl sie alle wissensmäßig im Rückstand waren, fiel es ihnen leicht, das Versäumte innerhalb eines Jahres aufzuholen. Typisch für diese Gruppe war Conny: "Ich liebte die Art, wie Lernen präsentiert wurde. Es war etwas Neues und Frisches. Und wissen sie, es war seltsam: Ich konnte nicht verstehen, warum alle anderen Kinder zu arbeiten aufhörten, wenn der Lehrer den Raum verließ."2

Bei den acht Schülern, die Summerhill nach ihrem zwölften Lebensjahr verlassen hatten, profitierten die vier am meisten, die am kürzesten dort waren.

Jene, die am längsten in Summerhill waren, schienen am ehesten Schwierigkeiten und hartnäckige Anpassungsprobleme zu haben. Von den 14 Schülern, die mehr als zehn Jahre in Summerhill waren, meinten fünf, daß sie mindestens ein Jahr nach dem Verlassen der Schule ziemlich wilde Anpassungsprobleme an die Gesellschaft hatten. Vier waren noch immer nicht seßhaft und kamen persönlich und beruflich schwer zurecht. Diese waren Mitte 20. Welcher Art ihre Probleme waren, darüber gibt Bernstein leider keine Auskunft.

20 der befragten Personen waren nicht sicher, wie ihr späteres Leben durch das Leben in Summerhill beeinflußt worden ist. Acht sagten, ihr Übergang ins geregelte Leben sei gerade deshalb leichter gewesen, weil sie Schüler in Summerhill waren

Bernstein fand heraus, daß folgende fünf positiven Punkte zu Summerhill öfter genannt wurden als andere: eine gesunde Einstellung zu Sexualität und Freundschaft mit dem anderen Geschlecht; ein natürliches Vertrauen; natürlicher Umgang mit Autoritäten; eine natürliche Entwicklung in Einheit mit persönlichen Interessen und Neigungen. Gleich danach folgte das Gefühl, daß Summerhill half, aus dem Bedürfnis, ständig zu spielen, herauszuwachsen, und es möglich machte, einfach in seriösere Beschäftigungen überzuwechseln. Außerdem waren die ehemaligen Schüler überzeugt, daß ihnen ihre Summerhillerfahrungen halfen, die eigenen Kinder besser zu verstehen und sie auf gesunde Weise zu erziehen.

Etwas mehr als die Hälfte der interviewten Summerhillianer beschwerten sich über das Fehlen von solider Bildung ("academic opportunity") und von guten Lehrern. Obwohl sich so viele beklagten, daß die Bildung in Summerhill zu gering gewesen sei, hatten zehn der 50 ehemaligen Schüler die Aufnahmeprüfung für die Universität bestanden, acht das Studium auch abgeschlossen.

Ein Ingenieur, der acht Jahre in Summerhill war, sagte zu Bernstein: "Summerhill is good for children up to about the age of 10. After that it`s too weak academically." 3

Was wurde aus diesen 50 ehemaligen Schülern?

Obwohl Neill behauptete, daß seine Schüler Künstler werden, waren weniger als 20 % der von Bernstein interviewten Schüler Künstler geworden. Es waren dies ein Tänzer, ein Musiker, zwei Artisten, ein Innenraumdekorateur und ein Schriftsteller. Die anderen waren von Beruf: Lastwagenfahrer, Fliesenleger, Verkäufer, Radiotechniker, Hausfrauen. Ein Teenager war arbeitslos (vgl. Illustration im Anhang)

Von den 11 interviewten Paaren schienen die meisten glücklich verheiratet zu sein. Drei waren geschieden, zwei davon wiederverheiratet.

Bernstein fand eine freie und unbekümmerte Art der Beziehungen in den meisten Summerhill-Familien. Die Kinder schienen glücklich und spontan. Von den elf Eltern meinten zehn, daß ihre Kinder keine Angst vor ihnen hätten. Die meisten Eltern standen dem Begriff Disziplin skeptisch gegenüber. Niemand von ihnen verwendete körperliche Bestrafung.

Drei der Eltern sandten ihre eigenen Kinder nach Summerhill, nahmen sie aber aus der Schule, bevor sie 13 Jahre alt waren. Als Grund dafür gaben sie an, daß zu wenig Wert auf Lernen im Sinne von Wissensvermittlung gelegt wurde und daß Summerhill zu wenig gute Lehrer und gute Lehrmaterialien hätte. Zwei Eltern überlegten, ihre Kinder zu einem späteren Zeitpunkt nach Summerhill zu senden. Die sechs Eltern, die ihre Kinder nicht nach Summerhill schickten, waren überzeugt, daß die Kinder bei ihren Eltern sein sollten. Drei sagten, daß sie ihre Kinder zu sehr genießen und sie deshalb nicht wegschicken möchten.

Eine 11jährige Tochter meinte: "I go to a Quaker boarding school. I don`t think Summerhill would have agreed with me. It sounds a little too loose and unorganized" 4

9. 2. Das Zustandekommen der Befragung - Schwierigkeiten und Erfolge

Emmanuel Bernstein hatte die Möglichkeit, einen ganzen Sommer lang mit dem Moped durch London zu fahren und 50 ehemalige Summerhillianer zu besuchen und zu interviewen. Aufgrund meiner drei kleinen Kinder bin ich an zu Hause gebunden und konnte daher bis auf einige Gespräche in Summerhill keine Interviews mit ehemaligen Schülern machen. So blieb mir nur die Möglichkeit, einen Fragebogen zu erstellen und auf Adressen und Antworten zu warten. Trotzdem ist ein Vergleich meiner Ergebnisse mit denen von Bernstein, der ein ähnliches Ziel verfolgte, für mich interessant und anstrebenswert, wenngleich die geringe Fragebogenquote die Vergleichbarkeit der Ergebnisse einschränkt.

Beim Aufbau des Fragebogens habe ich mich in erster Linie an meinen persönlichen Interessen und Fragen orientiert. Wie entwickeln sich die Schüler, nachdem sie Summerhill wieder verlassen? Hat diese freie Art des Lebens ihre Persönlichkeit gefestigt, oder hat sie ihnen geschadet? Waren sie vorbereitet auf das "Leben draußen"? Ausgehend von diesen Hauptfragestellungen habe ich einen Fragebogen mit 41 Fragen entwickelt. Während der Erarbeitung der Literatur entdeckte ich die Untersuchung von Emmanuel Bernstein. Sie enthält einige sehr interessante Aussagen. Deshalb habe ich mich bemüht, meine Fragen so zu stellen beziehungsweise zu ergänzen, daß ich die Ergebnisse mit denen von Bernstein vergleichen kann.

Die 41 Fragen lassen sich in sechs Hauptgruppen zusammenfassen:
 

  1. Schuleintritt und die erste Zeit in Summerhill: Gründe für den Schuleintritt, schulische Vorerfahrungen, erste Eindrücke.
  2. Fragen, die den Unterricht betreffen: Unterrichtsbesuch, Lehrer, Prüfungen, Unterschiede zur Regelschule,....
  3. Beziehungen: Trennung von den Eltern, Beziehung zu den houseparents in Summerhill, Freunde, Lehrer.
  4. Erfahrungen, die nicht mit dem Unterricht zusammenhängen: Freizeit, Aufgaben, die sich aus der Selbstverwaltung ergeben.
  5. Beurteilung der eigenen Persönlichkeitsentwicklung und Auswirkungen von Summerhill auf das weitere Leben, sowie ein kurzer Lebenslauf.
  6. Auskünfte zur Person: Alter, Geschlecht,...


Ich habe im Fragebogen bewußt viele offene Fragen gestellt, um persönliche Antworten zu erhalten. Die Aussendung der Fragebögen gestaltete sich äußerst schwierig. Ich habe in Summerhill angefragt, um Adressen von ehemaligen Schülern zu bekommen, beziehungsweise gebeten, ob sie eventuell frankierte Kuverts mit Fragebögen an Schüler senden würden, falls es Probleme mit dem Datenschutz gäbe. Von der Schule bekam ich keine Antwort. Nach einer telefonischen Intervention wurde mir gesagt, ich solle mich an die "Friends of Summerhill Trust" wenden, was ich auch tat. Wieder keine schriftliche Antwort. Am Telefon sagte mir Albert Lamb, der Sekretär des Trust, daß es schwierig sei, Adressen zur Verfügung zu stellen, ich solle erst einmal die endgültige Fassung des Fragebogens senden, was ich auch tat. Wieder keine Antwort. Schließlich fand im Juli 93 das jährliche Sommerwochenende in Summerhill statt, zu dem Freunde und ehemalige Schüler eingeladen waren. Mit 50 Fragebögen bepackt, fuhr ich nach England. Noch am ersten Abend konnte ich mit Albert Lamb sprechen. Er äußerte sich lobend über den Fragebogen, wollte mir aber trotzdem keine Adressen geben. Ein Grund dafür war, daß die Friends of Summerhill gerade auf Computer umstellten und selbst versuchten, ihre ehemaligen Schüler auszuforschen. Angeblich hatten sie zu dieser Zeit nur ca. 150 Adressen. Von den anderen Schülern wußten sie nichts. Außerdem wollten sie auch selbst erheben, was aus ehemaligen Schülern geworden ist, und Albert fand es nicht gut, wenn zu viele kommen und immer wieder dasselbe fragen. Also: Keine Hilfe von seiten der Schule, keine Hilfe von seiten der Friends of Summerhill.

An diesem Sommerwochenende hatte ich die Gelegenheit, einige Interviews mit ehemaligen Schülern zu machen und natürlich auch Fragebögen auszuteilen. Eine junge Engländerin, die mit ehemaligen Summerhillianern befreundet ist, erklärte sich bereit, zehn Fragebögen an ihre Freunde weiterzugeben. Ein ehemaliger Schüler aus Deutschland schickte fünf Fragebögen an ehemalige Schulkollegen. Eine Schülerin sandte mir mit dem beantworteten Fragebogen auch eine Liste mit acht Adressen. Schließlich bekam ich auch eine Liste mit ca. 100 Adressen von angeblichen ehemaligen Schülern, die sich später alle bloß als Freunde von Summerhill herausstellten.

Das Ergebnis all meiner Bemühungen war, daß ca. 30 ehemalige Schüler meine Fragebögen bekommen haben dürften, 15 bekam ich zurück. Ich war erstaunt, welch ausführliche und bereitwillige Auskünfte ich bekommen habe. Kein einziger wollte anonym bleiben. Jeder gab mir seine Adresse und Telefonnummer bekannt. Manche fügten dem Fragebogen persönliche Briefe bei. Diese Erfahrung steht in krassem Gegensatz dazu, wie sich die Schulleitung und die "Friends of Summerhill" verhalten haben. Während diese sehr darauf bedacht waren, ihre Abgänger vor derartigen Befragungen zu schützen, zeigten sich Ex-Summerhillianer sehr entgegenkommend. Zwei luden mich sogar ein, sie zu besuchen. Mein Hauptproblem war, daß ich zu wenig Adressen bekommen konnte.

Trotz der geringen Zahl auswertbarer Fragebögen, habe ich versucht, die Daten nicht nur inhaltsanalytisch sondern auch statistisch auszuwerten. Es ist mir bewußt, daß N mit 15 sehr gering ist. Ich habe daher einen nicht parametrischen Test, den Kendall Korrelationskoeffizient, gewählt. Besonders auffällige Ergebnisse werde ich in der Beschreibung und Auswertung der Antworten berücksichtigen.

Daß Summerhill in pädagogischen und soziologischen Fachkreisen noch immer von großem Interesse ist, erkannte ich daran, daß sich zwei deutsche Erziehungswissenschafter und eine brasilianische Soziologin bei mir über den Stand meiner Arbeit erkundigten. Einer der beiden Professoren, Mag. Axel D. Kühn (Diplompädagoge), schrieb an einer Monographie über A.S. Neill, die 1995 im Rowohlt Verlag erschienen ist. Der andere, Dr. Peter Ludwig (Diplompädagoge, Uni Augsburg) arbeitet an einem Buch über aktuelle reformpädagogische Bewegungen. Er berücksichtigt auch Summerhill und zeigte großes Interesse daran, was aus ehemaligen Schülern geworden ist. Vom 27. - 29. 1. 1995 fand an der Evangelischen Akademie Bad Boll (Deutschland) eine Tagung unter dem Titel: "Summerhill und danach - ein neuer Start in die Reformpädagogik" statt. Es wäre also durchaus interessant, ausgehend von den vorliegenden Ergebnissen eine umfangreichere weiterführende Studie durchzuführen.

9. 3. Auswertung der Fragebögen

Elf Männer und vier Frauen im Alter von 21 - 67 Jahren haben meinen Fragebogen beantwortet. Das Durchschnittsalter betrug 37 Jahre. Diese Personen kamen zwischen 1938 und 1985 als Schüler nach Summerhill. Die kürzeste Aufenthaltszeit war zwei Jahre (zwei Personen), die längste elf Jahre (ein Schüler). Drei Schüler waren neun Jahre dort. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer betrug 5,8 Jahre. (vergleiche dazu Diagramm 2)


Diagramm 2
 
 

Ein Schüler kam bereits mit vier Jahren nach Summerhill, eine Schülerin erst mit 14. Die anderen waren zwischen sieben und zwölf Jahre alt, Sie hatten alle schon Erfahrungen in Regelschulen, einer in einer Internatsschule, alle anderen in day schools. Sieben Schüler gaben an, Probleme in ihrer vorigen Schule gehabt zu haben.

Zehn Schüler kamen aus England, zwei aus Schottland, einer aus der Schweiz, einer aus Frankreich, eine Schülerin aus Deutschland.

9. 3. 1. Warum kamen diese Schüler nach Summerhill?

Sieben der 15 Schüler hatten Probleme in ihrer vorigen Schule. Deshalb wollten die Eltern ihnen helfen und schickten sie nach Summerhill. Treibende Kraft waren meist die Mütter, die von Summerhill lasen und davon begeistert waren. In zwei der Fälle waren die Väter sogar dagegen, aber sie fügten sich schließlich in den Wunsch und die Entscheidung ihrer Kinder ("... but he saw, how much I wanted to go") (Nr. 25)

Bei den anderen Schüler, die keine Probleme in der Regelschule hatten, waren die Gründe für eine Umschulung nach Summerhill unterschiedlich. Den Eltern gefiel Summerhill. Ein Bruder oder eine Schwester war schon an der Schule, und nachdem die Eltern genug Geld hatten, konnten sie auch ein weiteres Kind hinschicken. Die Eltern gingen auf Europatournee, und die Kinder entschieden sich für Summerhill anstatt mitzureisen. In einer anderen Familie trennten sich die Eltern, und der 9jährige Sohn mußte vorübergehend in ein Internat, damit die Mutter arbeiten konnte. Als die Mutter ihren Sohn nach einem Jahr wieder nach Hause holen wollte, weigerte er sich, Summerhill zu verlassen, und blieb schließlich sechs Jahre dort.

Diese Schüler kamen alle aus der Mittel- und Oberschicht. Ihre Eltern waren z.B. Lehrer, Baumeister, Krankenschwestern und Künstler.
 

9. 3. 2. Die ersten Eindrücke

Was waren die ersten Eindrücke der Schüler in Summerhill? Was gefiel ihnen, was nicht?

Die Schülern lobten vor allem die praktische Seite an der Schule (Holzarbeit, Kunst,...) und das weite Gelände mit vielen Bäumen, auf denen man Baumhütten bauen konnte. Die Möglichkeit, Baumhütten zu bauen, erwähnten sie immer wieder. Ein Schüler, der 10 Jahre nicht in den Unterricht ging und den ich fragte, was er mit der vielen Freizeit gemacht hätte, erklärte mir folgendes: "...Nein, ich war nicht faul. Ich arbeitete sehr hart. Ich lernte Dinge, die die meisten Jugendlichen heute nicht können, zum Beispiel wie man auf einen Baum klettert. Ich konnte auf einen Baum klettern wie ein Affe. Ich war völlig sicher und fiel niemals herunter, obwohl ich immer kletterte. Ich konnte Baumhütten bauen und wußte, was zu tun war, damit sie nicht herunterfallen. Das war nicht nur Spiel. Das war harte Arbeit, und ich lernte das von den älteren Kindern. Es war keine gewöhnliche Hütte, es war ein Haus mit einer Tür, in das auch kein Wasser hineinkam. Für so ein kleines Kind war das schon eine Leistung. Und heute kann ich viel mehr Dinge machen als die durchschnittlichen Leute. Ich kann mauern, verputzen, Elektroleitungen verlegen, installieren, Fliesen legen. Ich kann fast alles, und das, weil ich als junges Kind viel praktisch arbeitete. Ich lernte das von den älteren Kindern. Sie zeigten mir, wie man eine Schaufel und einen Spaten benutzt. Viele junge Leute können das nicht. Die Menschen kommen immer weiter von manueller Arbeit weg aufgrund des Überhandnehmens der Maschinen. Aber es ist nicht nur das. Wir lernten schon in sehr jungen Jahren für Dinge verantwortlich zu sein, die im Leben wirklich wichtig sind." Das illustrierte er auch anhand eines Beispiels: "If your aeroplan suddenly crashed on a dessert island, you want a few Summerhillians about because they would really be able to survife immediately." (Nr. 14)

Weiters gefiel den Schülern die Freiheit in Summerhill. "Ich konnte fast alles machen, was ich wollte" (Nr. 8), und "es bestand kein Zwang, das zu tun, was ich nicht wollte" (Nr. 5). Die Kinder waren freundlich zu den Neuankömmlingen. Jeder schaute auf den anderen. Man wurde nicht als kleines Kind behandelt, sondern als gleichwertige Person.

Ein einziger Schüler schrieb, daß ihm sehr wenig gefiel. Es gab aus seiner Sicht viel Lärm, Schmutz und Tyrannei durch andere Schüler. Dieser Schüler ist auch der einzige, der meint, Summerhill hätte ihm hauptsächlich geschadet. Manchen Schülern gefiel das Essen in Summerhill nicht. Ältere nannten die Kälte und das Schlaflager. (Damals gabe es noch keine Heizung in den Schlafbaracken). Ein deutschsprachiger Schüler erwähnte, daß es für ihn schwer gewesen war, weil er kein Wort Englisch konnte, niemanden kannte, und weil er die deutschsprachigen Schüler anfangs als sehr unfreundlich empfand, weil sie nicht mit ihm deutsch sprachen. Einige fühlten sich am Anfang einsam und langweilten sich. Eine Schülerin empfand es problematisch, daß sie zu brav gewesen war und es sehr lange gedauert habe, bis sie zum erstenmal im meeting bestraft wurde. Als besonders negativ in der Anfangszeit empfanden die Schüler die Trennung von den Eltern. Sie hatten besonders im ersten Term Heimweh.
 

9. 3. 3. Heimweh?

Interessant ist, wie die Schüler die lange Trennung von den Eltern beurteilten. Sechs gaben an, damit nie Probleme gehabt zu haben. Eine Schülerin meinte sogar, sie wäre über die Trennung von den Eltern froh gewesen, nur zeitweise vermißte sie die ungeteilte Aufmerksamkeit, die ihre Eltern ihr geben konnten. Sie kam mit elf Jahren nach Summerhill.

Sechs Schüler haben in der ersten Zeit (ca. ein Term lang) die Eltern bzw. die Mutter sehr vermißt, waren aber bald in Summerhill so glücklich, daß die Trennung kein Problem mehr war. "Es war eher so, daß der Abreisetag am Ende des Terms für die meisten ein sehr trauriger Tag war, und man war froh, sich nach den Ferien wiederzusehen" (Nr. 1). "In fact I used to miss Summerhill more when I was at home than I missed my parents when I was in Summerhill" (Nr.2). Daraus schließe ich, daß das Elternhaus seinen wichtigen Stellenwert als Heimat mit der Zeit verliert und stattdessen Summerhill die neue Heimat der Schüler wird.
 

9. 3. 4. Bezugspersonen in Summerhill

Wenn nicht die Eltern die wichtigsten Bezugspersonen waren, wer dann? Sieben der 15 befragten Schüler kannten Neill aus ihrer Summerhillzeit. Alle anderen waren erst dort, als Neill schon tot war und Ena die Schule leitete, vier davon erlebten auch Zoe als Leiterin der Schule.

Von den sieben Schülern, die Neill noch kannten, nannten ihn drei als wichtige Bezugsperson. Ein Schüler, der schon als Vierjähriger nach Summerhill gekommen war, erwähnte, daß Neill sich in Distanz hielt. Da dieser Schüler zehn Jahre nicht in den Unterricht ging, hatte er mit ihm wenig zu tun. Wichtige Bezugspersonen für ihn waren, als er noch klein war, die houseparents, später dann seine Freunde. Keiner der Schüler nannte nur eine einzige Bezugsperson als die wichtigste. Viele Personen waren eben wichtig. Vor allem die Freunde und Lehrer, wobei die Schüler betonen, daß die Lehrer gleichzeitig auch Freunde waren.

Aus dem Rahmen fällt ein Schüler, der nur Erwachsene als bedeutende Bezugspersonen nennt. Die Hauptbeschäftigung dieses Schülers in Summerhill war es, alleine spazierenzugehen. Er ist auch derjenige, der heute überzeugt ist, daß Summerhill ihm geschadet hat.

Von vier Schülern werden die "houseparents" genannt, aber nicht ausschließlich als wichtigste Bezugsperson. Zoe meinte einmal, es wäre für die Kinder wichtig, sich schon sehr früh von den Eltern lösen zu können, auch von ihnen weg zu sein, Kontakte zu Gleichaltrigen zu pflegen und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.6

Außer drei Schülern, die sehr kurz in Summerhill waren, hatten alle Schüler mehrere houseparents. Drei über 50jährige erinnern sich nicht mehr daran, wie viele es waren, die restlichen hatten durchschnittlich drei bis vier, im Extremfall sechs houseparents während ihres Aufenthalts in Summerhill.

Houseparents machen alle anfallenden Hausarbeiten wie Kleider waschen, Socken stopfen und Betten machen. Die kleineren Kinder werden von ihnen gebadet und mit einer Gute-Nacht-Geschichte zu Bett gebracht. Wenn sie einen Brief schreiben wollen, wird ihnen geholfen, und ihr Geld wird von ihren houseparents verwaltet. Die älteren Kinder schätzen es, daß sie von ihren houseparents in Ruhe gelassen werden, diese aber trotzdem da sind, wenn sie sich zum Beispiel mit ihnen gemütlich zusammensetzen, Kaffee trinken und plaudern wollen. Ein Schüler formuliert das folgendermaßen: "Als ich klein war, daß sie sich persönlich um mich gekümmert haben; als ich groß war, daß sie mich auch in Ruhe gelassen haben" (Nr. 1). Das klingt auch bei den anderen Ehemaligen durch. Es war wichtig, daß jemand da war, wenn man jemanden brauchte, aber daß man sonst seinen Weg gehen konnte.
 

9. 3. 5. Freizeitbeschäftigung

Als Hauptfreizeitbeschäftigungen nannten die meisten Schüler sportliche Tätigkeiten, Spiele im Wald, Musik hören und selber musizieren, mit Freunden zusammensitzen, einfach plaudern oder Spiele spielen. Zu den sportlichen Tätigkeiten gehörten Radfahren, Schwimmen und Tanzen. Im Wald kletterten die Kinder auf Bäume, bauten Baumhütten und schwangen sich an einem langen Seil herunter. Es wurden auch Lesen, Nähen, das Arbeiten im Kunstraum oder einfach Herumhängen genannt. Ein Schüler nannte als seine Hauptfreizeitbeschäftigung alleine spazieren gehen.
 

9. 3. 6. Unterrichtsbesuch

In welchem Umfang besuchen die Schüler den Unterricht? Gibt es einen Zusammenhang zwischen negativer schulischer Vorerfahrung in der Regelschule und dem späteren Unterrichtsbesuch in Summerhill?

Neill behauptete, daß Schüler mit längerer und negativer Regelschul-erfahrung erst einmal einige Zeit brauchen, bis sie freiwillig in den Unterricht gehen. Je länger die Regelschulerfahrung war, desto länger würden die Kinder vom Unterricht fernbleiben. Dieser Zusammenhang bestätigte sich bei meinen 15 ehemaligen Schülern nicht. Der einzige Schüler, der schon als Vierjähriger nach Summerhill kam und überhaupt keine schulische Vorerfahrung hatte, besuchte in Summerhill zehn Jahre keine Lessons. Er ist dies übrigends jener Summerhillabsolvent, der über seine harte Arbeit in der Freizeit berichtete (vgl. Zit. oben)

Vier der acht Schüler mit vorhergehender langjähriger negativer Schulerfahrung gingen in Summerhill von Anfang an in den Unterricht. Ein Schüler brauchte drei Monate, zwei andere zwei bzw. fünf Jahre. Einer ging zunächst ein Jahr in den Unterricht und blieb dann vierJahre fern. Als 12jähriger kam er wieder.

Sechs Schüler hatten keine negativen Erfahrungen in ihren vorigen Schulen. Drei davon besuchten von Anfang an den Unterricht. Einer ging nach drei Monaten, einer nach drei Jahren in den Unterricht. Ein Schüler ging zunächst zwei Jahre, dann blieb er vier Jahre fern. Nicht nur Schüler mit negativen Vorerfahrungen brauchen mitunter jahrelang, ehe sie freiwillig in Summerhill den Unterricht besuchen. Auch Schüler, die angeben, keine negativen Regelschulerfahrungen zu haben, ziehen das freie Spielen dem strukturierten Lernen vor, was ja nicht ausschließt, daß sie trotzdem eine Menge lernen.

In Summerhill besteht die Möglichkeit, im Alter von ca. 16 Jahren Abschlußprüfungen, die sogenannten GCSE-Prüfungen, zu absolvieren. (vgl. dazu auch S. 74 und 76). Machen die Schüler davon Gebrauch?

Von den 15 befragten Schülern haben fünf keine Abschlußprüfungen in Summerhill abgelegt. Es sind dies die Älteren (40-67 Jahre). Das Durchschnittsalter dieser Gruppe beträgt 50,8 Jahre. Zwei heute über 60jährige gaben an, Abschlußprüfungen gemacht zu haben, es ist mir aber nicht bekannt, welcher Art diese Prüfungen zur damaligen Zeit waren. Das Durchschnittsalter der restlichen acht Schüler die Prüfungen machten, ist 23 Jahre. Ich sehe darin eine Bestätigung für Zoes Aussage, daß heute die meisten Schüler GCSE Abschlußprüfungen machen. Viele besuchen dann höhere Schulen, um sich noch weiterzubilden.7

Vier der Schüler, die Prüfungen absolvierten, taten das nicht nur aus eigener Überzeugung. Sie wurden von anderen von der Wichtigkeit eines Abschlusses überzeugt ("mein Vater überzeugte mich von der Wichtigkeit" (Nr.2), "jeder schien zu denken, es würde die Dinge später einfacher machen" (Nr. 4), "es wurde mir gesagt, daß es nützlich wäre" (Nr.5). Die anderen entschieden sich für Prüfungen, weil ihnen die Gegenstände Spaß machten, weil sie wußten, daß sie es leicht schaffen konnten, also warum nicht. Andere wußten, daß sie die Prüfungen brauchten,um weiterstudieren zu können.

Der Vollständigkeit halber sollte man wissen, daß es GCSE Prüfungen in England erst seit 1988 gibt. Der älteste Schüler war aber schon 1938 in Summerhill. Inzwischen haben sich die Prüfungsmodalitäten in England mehrfach geändert. Man kann also vor allem die Gruppe der älteren nicht mit den jüngeren Schulabgängern vergleichen. Alle Schüler, die Summerhill nach 1980 verlassen haben, gaben an, zwischen ein bis sechs GCSE Prüfungen (bzw. früher "O"-level) gemacht zu haben. Der Durchschnitt all jener, die Prüfungen ablegten, lag bei 3,3 Gegenständen, wobei die Prüfungsgegenstände nicht immer mit den Lieblingsgegen-ständen der Schüler übereinstimmten.
 

9. 3. 7. Summerhill versus Regelschule

9. 3. 7. 1. Unterschiede zur Regelschule

Wordurch unterscheidet sich die Unterrichtsgestaltung in Summerhill von der in der Regelschule? Der Lehrplan in Summerhill ist derselbe wie in den staatlichen Schulen. Es werden ähnliche Themen behandelt. Und doch schreibt ein Schüler: "Der Unterricht war über Dinge, die du lernen wolltest, und nicht über Dinge, von denen der Lehrer dachte, du solltest sie wissen." (Nr. 3) Alle ehemaligen Schüler lobten die kleinen Klassen, in denen die Schüler um ein bis zwei Tische herumsaßen. Im Durchschnitt gab es acht Schüler pro Klasse, manchmal aber auch nur einen Schüler in einem Gegenstand. Aufgrund der kleinen Klassen wurde mehr "individuelle Aufmerksamkeit" erreicht, man konnte z.B. mehr Fragen stellen als in der Regelschule. Es herrrschte eine "entspannte und freundliche Atmosphäre", ohne Druck. Die Lehrer waren keine Autoritätspersonen, sondern Freunde, mit denen man auch über ganz persönliche Themen reden konnte. "Lernen war ein sehr aktiver und selbstbestimmter Prozeß. Es herrschte eine gute Balance zwischen Kooperation und Wettbewerb" (Nr.5). Die Schüler konnten den Unterricht beeinflussen oder auch einmal abbrechen, wenn das Wetter zu schön war, um zu lernen, und sie lieber schwimmen gehen wollten.

Die Frage, was ihnen am Unterricht nicht gefiel, beantworteten neun von fünfzehn Schülern mit "nichts". Zwei beklagten die vielen Unterbrechungen oder Wiederholungen, wenn jemand die vorige Stunde versäumt hatte. Ein heute 23-jähriger Schüler wünschte sich mehr Workshops, in denen er gelernt hätte, für sich zu sorgen, das heißt zu kochen, Wäsche zu waschen, etc. Gleichzeitig erwähnte er, daß es nach seinem Weggang eingeführt wurde, daß einige Kinder einmal pro Woche die Küche übernehmen und für alle kochen. Eine 23-jährige ehemalige Schülerin beklagte, daß zu wenig Gegenstände unterrichtet worden sind (ihr fehlte im nachhinein Geschichte, Geographie und Soziologie) und daß die Leiterin die wenigen von ihr als schlecht empfundenen Lehrer nicht hinaus-geworfen hat, obwohl auch der Mehrheit der Schüler deren Unterricht nicht gefiel.(Nr. 7)
 

9. 3. 7. 2. Vorbildcharakter für die Regelschule?

Kann Summerhill für die Regelschule ein Vorbild sein? Ist es möglich, bestimmte Elemente zu übertragen? Einige Schüler meinten, daß Summerhill schon für viele Schulen auf der ganzen Welt ein Beispiel gegeben und auch vieles verändert hat. Summerhill heute sei nicht mehr so weit entfernt von der Regelschule wie früher.

In Summerhill haben die Schüler viel Platz, viele Räumlichkeiten verstreut in einem weiten Gelände. Als Lehrer in einer normalen Schule hat man viele Schüler in einem kleinen Klassenraum zusammengedrängt; man darf nicht zuviel Lärm machen, um die Schüler in anderen Klassen nicht zu stören. In Summerhill kommt auf ca. acht Schüler ein Lehrer. Mehr Platz und weniger Schüler in einer Klasse ist eine der Hauptforderungen der ehemaligen Summerhillschüler fürs Regelschulwesen. Erst dann lassen sich die anderen Forderungen verwirklichen. Als Vorbild könnte die Lehrer-Schüler-Beziehung von Summerhill dienen. Die Freundschaften zwischen Jung und Alt in Summerhill sind beeindruckend. Eine Schülerin schreibt, daß Summerhill zeigt, daß Kinder in der Lage sind, ihr eigenes Leben verantwortungsvoll zu leben. Sie meint, daß die Regelschule den Schülern lernen könnte, sie selbst zu sein, ihre eigene Meinung zu entwickeln, unabhängig zu sein und mit anderen Menschen zu kommunizieren. (Nr.2) Ein heute 52-jähriger ehemaliger Schüler meint: "We did learn in a very young age to become competent in things that really matter in live" (Nr. 14). Ein heute 69-jähriger Pensionist zum selben Thema: "The traditionall school teaches you really how to avoid doing things" (Nr. 15).
 

9. 3. 7. 3. Summerhill-Lehrer versus Regelschul-Lehrer

Alle 15 ehemaligen Schüler meinten, daß sich die Lehrer in Summerhill von den Lehrern an den Regelschulen unterscheiden. Die meisten erwähnten das freundschaftliche Lehrer-Schüler-Verhältnis. Es war immer Zeit für ein persönliches Gespräch. Die Lehrer behandelten die Schüler gleichwertig und waren auch dafür offen, etwas über sich selbst zu lernen. Sie förderten die Schüler, aber drängten sie nicht in eine bestimmte Richtung. Summerhillehrer zeigen im allgemeinen mehr persönliches Engagement für die Schule als Regelschullehrer, was alleine auch dadurch notwendig ist, da sie in der Schule auch mit den Schülern zusammenwohnen.
 

9. 3. 8. "Meeting" und "Tribunal"

Bis auf eine Schülerin, deren Mutter in Leiston arbeitete, kamen alle Schüler nur dreimal pro Jahr während der Ferien zu ihren Eltern nach Hause. Die andere Zeit lebten sie in der Schule und mußten lernen zusammenzuleben. Das Herz dieses gemeinsamen Lebens war und ist das wöchentliche "meeting", wo alles besprochen wird, was für ein reibungsloses Zusammenleben notwendig ist.

Was waren die am häufigsten besprochenen Themen bei den wöchentlichen "meetings"? Am meisten genannt wurde "bullying" (tyrannisieren). Immer wieder muß und mußte sich die Gemeinschaft überlegen, wie sie mit schwierigen Kindern umgeht. Kann man ihnen helfen? Wie lange kann man sie mittragen? Muß man sie hinauswerfen? Das zweitwichtigste Thema waren die "bedtimes". Die Kinder wollen länger aufbleiben. Wie wird damit umgegangen? Oft wurden auch Diebstähle im meeting besprochen. Außerdem mußte geklärt werden, ob und wo man rauchen oder Alkohol trinken darf und ab welchem Alter. Gesetze mußten erlassen, abgeändert oder abgeschafft werden. Was kann man tun, wenn das Essen nicht schmeckt, wenn die Schüler zu spät aufstehen oder zu viel Lärm machen? Zwei ehemalige Schüler beschreiben diese Entscheidungsprozesse folgendermaßen: "Im wöchentlichen Treffen brauchte es lange, um etwas zu entscheiden, aber es war wichtig, daß die Kinder durch alle Abschnitte der Entscheidungsfindung durchgingen" (Nr. 15). "As in most meetings a lot of it was in fact a waste of time, but you don`t realise that until afterwards" (Nr.4)

Im wöchentlichen Tribunal wurden zwei der ehemaligen Schüler nie bestraft, zwei eher häufig, der Rest wurde eher selten bestraft.
 

9. 3. 9. Summerhill und Persönlichkeitsentwicklung

Zehn der 15 Schüler glauben, daß Summerhill sie in ihrer Persönlichkeits-entwicklung im positiven Sinn entscheidend beeinflußt hat. Summerhill half, daß sich die Talente und Persönlichkeiten des einzelnen vollständig entwickeln konnten. (Nr. 9) Es hat zu einem positiven Verständnis für die Umwelt und die Gesellschaft beigetragen und die Art, mit sich selbst und mit anderen Menschen umzugehen, beeinflußt. (Nr. 1,2,6) "I am good in getting on with people, even if they are disagreeable". (Nr.7) Vier ehemalige Schüler schrieben, sie wurden selbstsicherer und unabhängiger. Nach Summerhill fühlten sie sich in vielen Bereichen zufriedener und glücklicher als zuvor. (Nr. 2,7,8,12) "Summerhill enabled me to be me".(Nr. 13) Im Vergleich zu anderen Leuten hatten sie das Gefühl, nicht so viele Sorgen zu haben. Die Abgänger fühlen sich in der Lage, ihre Meinung zu sagen, auch zu kritisieren, und haben keine Angst vor Autorität. (Nr.10)

Ein einziger ehemaliger Schüler, der Summerhill sehr ablehnend gegenübersteht, meint, Summerhill hätte ihn beeinflußt "only in the negative sense of reacting against it". (Nr. 11)

Die restlichen vier sind sich über die Art der Beeinflussung nicht sicher. Einer davon meinte: "All the things that happen to you change and mould you as you grow". Aber auch diese vier sind überzeugt, daß sie von Summerhill einiges profitiert haben.

Auf die Frage, was sie durch Summerhill profitiert haben, antworteten die Schüler folgendermaßen: "Der Optimismus der Schule und die positive Einstellung zu Menschen, verschaffen eine positive Sicht der Welt" (Nr. 5). Einer hat das Gefühl in etwas weltweit Wertvolles miteinbezogen zu sein (Nr. 4). Durch die Internationalität der Schule fanden viele Summerhillianer Freunde auf der ganzen Welt. Ein Schüler meinte, Summerhill hätte ihm Entfaltungsmöglichkeiten in seiner Kindheit und Jugend gegeben, die er bei seinen Eltern oder in einer staatlichen Schule nie gehabt hätte. (Nr. 1) Ein anderer betonte, daß er ein Gefühl dafür entwickelt hätte, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. (Nr. 8) Weitere Dinge, die sie profitiert haben waren: Handwerkliches Geschick (Nr. 14), Toleranz (Nr 15), Kreativität (Nr. 6), Unabhängigkeit, Selbstvertrauen, ein Verständnis für andere (Nr. 2) und Respekt vor Kindern als vollwertige Person ( Nr. 6,9), die Freiheit nichts zu tun und zu denken (Nr. 10), a developed musical talent (Nr. 4). "I am more able to cope with the abnormalities of others" (Nr. 13).

Die Frage, ob Summerhill ihnen geschadet hätte, beantworteten sieben Schüler klar mit nein. Zwei Schülerinnen meinten, daß man im Endeffekt von Summerhill profitiere, aber daß es bei ihnen eine Zeit gab, wo sie sich ein bißchen ungebildet bzw. nicht so intelligent wie Schüler des gleichen Alters, die Summerhill nicht besuchten, vorkamen. (Nr. 2, 12). "I had virtually no knowledge of anything other than myself and how to talk to people" (Nr. 2). Aber schließlich erkannten sie, daß es in ihrer Macht stand, sich Wissen anzueignen. "So in all I see it a slight disadvantage, but the education at Summerhill enables me to have the strenght to do what every I want" (Nr. 2). Auch fünf weitere erwähnten einen Mangel in der schulischen Bildung. Einer hätte sich mehr Druck gewünscht, damit er Abchluß-rüfungen macht, ein anderer mehr Fächer, in denen es möglich gewesen wäre, GCSE Prüfungen zu machen. Wieder ein anderer meinte, daß einige Lehrer nicht gerade großartig waren, aber er relativiert seine Aussage gleich und meint, das wäre wohl in allen Schulen so.

Ein Schüler ist überzeugt, Summerhill hätte ihm hauptsächlich geschadet und er wäre dadurch später stark benachteiligt gewesen. Es fehlten ihm klare Strukturen in Summerhill und er fühlte sich zu wenig gefordert, da keine Notwendigkeit bestand, sich an irgendetwas zu beteiligen. Es war leicht möglich völlig "ziellos" zu sein. Die Lehrer zu seiner Zeit (1934-43) empfand er als "Idealisten" und "Aussteiger", die houseparents beschreibt er als "very inadequate". Seine Hauptbenachteiligung im späteren Leben sieht er darin, daß er in Summerhill zu wenig gelernt hatte und er sich sehr anstrengen mußte, um sich genügend Wissen anzueignen, um studieren zu können. Auf die Frage, was er profitiert hätte, antwortete er: "A desire to make up for the knowledge which I never aquired there".

Bernsteins Schüler nannten fünf positive Punkte zu Summerhill besonders oft (vgl. oben). Auf meine Frage, was rückblickend in Summerhill besonders wichtig war, wurden zwei Punkte am häufigsten an vorderster Stelle gereiht. Es waren dies: "Self-government" und "kindliches Spielbedürfnis ausleben können". Auch bei anderen Antworten klang immer wieder an für wie wichtig die Ex-Summerhillianer die "Selbstverwaltung" erachten. Der "natürliche Umgang mit Sexualität" wurde eher an hinterster Stelle gereiht. Da waren vorher noch wichtiger: "mit vielen Kindern zusammenzusein", "kein Zwang in den Unterricht zu gehen" und das "partnerschaftliche Verhältnis zu den Lehrern und houseparents". Ein Schüler nannte: 1. Liebe, 2. Freiheit, 3. Individualität, um beides zu entfalten.
 

9. 3. 10. Anpassungsprobleme nach dem Verlassen der Schule

Als die Schüler im Alter von durchschnittlich 16 Jahren Summerhill verließen, hatten sie also nicht so viel Wissen wie andere Gleichaltrige. Außerdem lebten sie laut Aussagen einiger Kritiker abseits wie auf einer Insel in einer heilen Welt, ohne Vorbereitung auf das reale Leben, ohne Leistungsdruck und Machtkampf. Wie fanden sie sich dann in dieser Gesellschaft zurecht? Hatten sie private oder berufliche Anpassungs-probleme?

Der Überstieg war für einige schwierig, weil alle bisherigen Freunde in Summerhill waren und sie dieses "Zuhause" vermißten, solange sie keine neuen Beziehungen aufgebaut hatten. In der neuen viel größeren Schule fühlten sich manche sehr einsam: "I was unprepared after being such a `big personality` in Summerhill (everyone is) for such a big place and felt quite isolated" (Nr. 4). Ein anderer hatte Probleme, da er alles Wissen in englischer Sprache gelernt hatte und nun daheim in der französischen Schule die Begriffe in die französische Sprache übertragen mußte. Ein weiterer Schüler hatte anfangs Probleme, die erforderlichen Standards zu erreichen, um an die UNI gehen zu können. Er wurde später dennoch Universitätsprofessor. Schließlich hatte ein Summerhill-Abgänger viele Jahre nachdem er Summerhill verlassen hatte, Probleme in seinem Beruf, nämlich als er Lehrer wurde. Er wollte seinen Schülern Freiheit und Gleichheit, ähnlich wie er es in Summerhill erlebt hatte, ermöglichen, was aber mit dem herkömmlichen Schulsystem nicht zu vereinbaren war (Nr. 15). Ein ehemaliger Schüler gab an, mit der Gesellschaftsform der zivilisierten Welt zunächst ein Jahr lang nicht zurechtgekommen zu sein.

Schüler, die sich selbst als introvertiert, eher ruhig oder schüchtern bezeichneten, gaben vermehrt an, Anpassungsprobleme im Anschluß an die Schule gehabt zu haben. Sie hatten länger Probleme, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden, als Schüler, die sich als extrovertiert bezeichneten. Laut statistischer Berechnung mit dem Kendal Korrelationskoeffizienten hatten introvertierte Schüler signifikant mehr private Anpassungsprobleme als extrovertierte (vgl. v 32/v28). v 32: introvertiert/extrovertiert v 28: private Anpassungsschwierigkeiten
 
 

---  K E N D A L L    C O R R E L A T I O N    C O E F F I C I E N T S  ---

V32
,6172
N(         13)
SIG     ,033
V28
V 32: introvertiert/extrovertiert
V 28: private Anpasungsschwierigkeiten


Das und auch die Tatsache, daß sich der Schüler, dem Summerhill nur geschadet hatte, als "schüchtern" und "leicht ängstlich" bezeichnete (Nr.11), bestätigen Bernsteins These, daß aggressivere Schüler in Summerhill am meisten profitieren, während die Schule auf die ruhigeren und schüchternen Schülern einen eher negativen Einfluß ausübe. Hier stellt sich mir allerdings die Frage, inwieweit dieses Ergebnis nicht auch außerhalb von Summerhill gültig ist. Ich vermute, daß auch in der Regelschule extrovertierte Schüler mehr profitieren als ruhigere und schüchterne Schüler. Doch gerade in Summerhill dürfte das doch nicht der Fall sein. Das Ziel ist doch, jeden nach seinen Fähigkeiten zu fördern und niemandem zu schaden.

Sechs Schüler hatten nach eigenen Aussagen nach dem Verlassen von Summerhill keine Anpassungsschwierigkeiten.

Ein weiterer interessanter statistischer Zusammenhang besteht darin, daß unproblematische Schüler, die sich selbst oft auch als schüchtern und ängstlich bezeichneten, sich signifikant öfter unterfordert fühlten als Schüler, die sich selbst als schwierig einschätzten (vgl. v31/v16).
 
 

---  K E N D A L L    C O R R E L A T I O N    C O E F F I C I E N T S  ---

V31
,6708
N(         11)
SIG     ,034
V16
V 31: eher unproblematisches Kind/ eher schwieriges Kind
V 16: unterfordert in Summerhill?


Ich führe das darauf zurück, daß ruhigere Schüler weniger in das Gemeinschaftsleben integriert waren und daher auch weniger Ansprüche und Erwartungen an sie gestellt wurden. So berichtete zum Beispiel eine Schülerin, daß sie überfordert gewesen sei, weil sie in der Prüfungszeit, wo sie lernen wollte, von den jüngeren Schülern gebeten wurde, Ombudsfrau zu sein. Schüler, die sich eher zurückziehen, werden wahrscheinlich weniger um Dienste in der Gemeinschaft gebeten. Auch hier sehe ich Bernsteins These bestätigt, daß ruhiger Schüler in Summerhill weniger profitieren als aggressivere.

Bernsteins weitere These, daß ein kürzerer Aufenthalt in Summerhill nützlicher wäre, als die Schulzeit dort zu beenden, kann ich weder bestätigen noch verwerfen. Er fand dieses Ergebnis durch Schüler, die wieder in die Regelschule wechselten, bevor sie 12 Jahre als waren (vgl. S. 101f). Die 15 Schüler, die meinen Fragebogen beantwortet haben, beendeten bis auf einen ihre Schulzeit in Summerhill. Sie waren zwischen 15 und 17 Jahre alt als sie weggingen. Es ist also nicht möglich, hier Vergleiche anzustellen.

Bernsteins Behauptung, daß die Schüler, die am längsten in Summerhill waren am ehesten Schwierigkeiten und hartnäckige Anpassungsprobleme zu haben schienen (vgl. S. 102), hat sich in meiner Befragung nicht bestätigt. Berufliche oder private Anpassungsprobleme zu haben dürfte weniger mit der Dauer des Aufenthalts in Summerhill zusammenhängen, als vielmehr in der Persönlichkeit des Einzelnen begründet sein. (vgl. dazu S. 120).

Bernstein führte in diesem Zusammenhang an, daß vier Ehemalige noch immer nicht seßhaft waren und persönlich und beruflich schwer zurecht kamen. Sie waren Mitte 20 (vgl. S. 102). Auch mir ist aufgefallen, daß die Jugendlichen, nachdem sie Summerhill verlassen haben, oft verschiedene Dinge ausprobieren und zu Neuem wechseln, wenn sie draufkommen, daß ihnen das andere nicht entspricht (z.B. _ Jahr studieren, Abbruch, Au-pai um Geld zu verdienen, Weltreise). Ich würde das nicht so sehr als Anpassungsprobleme bewerten, sondern eher auf eine gewisse Flexibilität und Weltoffenheit schließen, da ich bei den älteren befragten Personen sehe, daß sie später durchaus ihren Weg finden, seßhaft werden und einem Beruf nachgehen.
 

9. 3. 11. Beruflicher Werdegang

Was wird nun aus den Schülern von Summerhill? Können sie in unserer Gesellschaft überhaupt bestehen? Welchen weiteren Bildungs- und Berufsweg beschreiten sie?

Ein Drittel der 15 Abgänger haben eine Universität (drei Personen) bzw. ein Lehrer Collage (zwei Personen) abgeschlossen. Zwei studieren noch. Fünf haben das Maturaniveau erreicht, zwei haben sich nach Summerhill noch weitergebildet (z.B. GCSE-Prüfungen an verschiedenen Instituten gemacht).

Das nachfolgende Diagramm zeigt die Abschlüsse der 15 ehemaligen Schüler.
 
 

Diagramm 3
 

Neill sagte auf die Frage, was aus seinen Schülern werde, sie würden Künstler . Drei der 15 ehemaligen Schüler wurden tatsächlich Künstler8, zwei Musiker, ein Maler (Fresken und Innenraumdekoration). Auch in Bernsteins Untersuchung waren etwa 20 % Künstler geworden.

Drei meiner befragten Schüler, die schon in Pension sind, waren Lehrer bzw. einer davon Universitätsprofessor. Der Schüler, der in Summerhill fast nie im Unterricht war, ging nach der Schule zur Arbeit als Forstarbeiter und besuchte daneben immer wieder Kurse, die für seine Arbeit wichtig waren. So hat er sich im Lauf der Jahre zum "forest manager" hochgearbeitet und verwaltet heute den Betrieb, in dem er als kleiner Arbeiter begonnen hat.

Eine 30jährige Frau arbeitet als "Research Assistent" in der Erforschung von Brustkrebs. Ein 42jähriger Mann wurde Computeringenieur. Auf einer Nordseeplattform entwickelte er Spezialteile für Roboter und bekam dafür ein Patent. Nach diversen Unterrichtstätigkeiten an Universitäten will er sich jetzt verändern und später im therapeutischen Bereich tätig sein.

Von den jüngeren Abgängern besuchen derzeit zwei (20 Jahre bzw. 25 Jahre) die Universität, eine davon will Karriere als Möbeldesignerin machen. Zwei haben das Studium nach einem halben Jahr abgebrochen, weil sie erkannten, daß das nichts für sie wäre. Eine davon (22 Jahre) ging daraufhin als Au-pair Mädchen nach Isarael und anschließend auf Weltreise, eine andere (21 Jahre) arbeitet derzeit als Babysitter und Reinigungskraft. Ein 24jähriger Schüler macht sein Abitur in Deutschland, und eine 22jährige Frau arbeitet als "Garden Center Plant Adviser" und will später noch studieren.

Von den 15 Personen waren fünf verheiratet, einer Witwer, einer geschieden. Von den verheirateten hatten alle bis auf einen Kinder, wobei auffällt, daß sie überdurchschnittlich viele Kinder hatten, eine Lehrerin sechs, ein Künstler sieben, die anderen zweimal drei, je einmal zwei und eines.

Niemand von ihnen schickte die Kinder nach Summerhill zur Schule. Zwei hätten es sich grundsätzlich vorstellen können, wenn sie genügend Geld für das Schulgeld gehabt hätten. Einer hätte sich Summerhill als Tagesschule für seine Kinder gewünscht, aber bei sieben Kinder war das finanziell nicht möglich. Einer meinte, Summerhill wäre als Schule inadäquat, und außerdem lehne er Internatsschulen ab. Ein verheirateter Mann, der noch keine Kinder hat, würde seine Kinder nicht nach Summerhill schicken. Er empfindet Kinder in erster Linie als Bereicherung und nicht als Belastung und möchte das Wachsen seiner Kinder miterleben und ihnen zu Hause die geeigneten Möglichkeiten zur Entfaltung und Entwicklung schaffen. (Nr. 1)

Von den anderen der 15 Befragten sind fünf noch Singles und drei leben mit ihrem Partner zusammen. Niemand von ihnen hat Kinder. Einer würde seine Kinder nicht in eine Internatsschule schicken, daher auch nicht nach Summerhill. Die anderen sieben würden ihre Kinder grundsätzlich schon nach Summerhill schicken, allerdings mit der Einschränkung, wenn ihre Kinder das wollten und sie genügend Geld dafür hätten. Manche würden Summerhill auch noch vorher besuchen, ehe sie eine Entscheidung treffen.
 

9. 3. 12. Hauptbeschwerde der ehemaligen Schüler

Die Hauptbeschwerde der 50 Ex-Summerhillianer in Bernsteins Untersuchung war: das Fehlen von solider Bildung und der Mangel an guten Lehrern. Diese Klage finde ich auch in meinen 15 Fragebögen immer wieder und auch im Gespräch mit ehemaligen Summerhill Schülern taucht sie auf. Diese Beschwerde zieht sich offenbar durch Summerhills Geschichte durch. Heutige Pensionisten, die schon in der Vorkriegszeit in Summerhill waren, bemängeln die schlechte Bildung genauso wie Abgänger der letzten zehn Jahre. Auch in den Berichten der Schulinspektoren taucht diese Kritik immer wieder auf. Ich frage mich, warum darauf von Seiten der Schule nicht reagiert wird. Lassen sich zu wenig gute Lehrer finden, die bereit sind, die Kinder Tag und Nacht um sich zu haben und dafür weniger bezahlt zu bekommen als in der Regelschule? Könnte man nicht attraktives Unterrichtsmaterial kaufen oder machen? Oder ist der Mangel an Bildung in der Freiheit des Einzelnen begründet und letztlich auch vom Einzelnen selbst zu verantworten? Freiheit dem Unterricht fern zu bleiben bedeutet auch weniger Bildung, wenn man fernbleibt.
 

9. 3. 13. Die typische Summerhill-Persönlichkeit

Neill wurde gefragt, ob es eine typische Summerhill-Persönlichkeit gebe. Er nannte Ausgeglichenheit und Aufrichtigkeit als wichtige Perönlichkeitsmerkmale seiner Schüler9. Auf meine Frage, ob es typische Eigenschaften gebe, die Summerhillianer charakterisieren, gaben fünf keine Antwort. Die restlichen zehn nannten folgende Eigenschaften: unabhängig, selbstsicher, glücklich, offen, ausgeglichen, entschieden, friedliebend und tolerant zu sein.



<< 1 zit. n. Bernstein, 1968, S. 38

<< 2 ebd. S. 40

<< 3 ebd. S. 41

<< 4 ebd. S. 71

<< 5 die Nummern in Klammern beziehen sich auf die Fragebogennummern

<< 6 vgl. Gesprächsprotokoll mit Zöe Redhead, 1992

<< 7 ebd. 1992

<< 8 vgl. Bernstein, S. 38

<< 9 vgl. Bernstein, 1968