Der Wochenkommentar - Österreich
Nr. 7. Juni 1999


Erich Ledersberger

Montag, 07. Juni 1999

Das Schnitzel der Woche kommt mit einiger Verspätung. Auch, weil es mir auf Grund der Ereignisse die Sprache verschlagen hat. Es ist Krieg.

Krieg in Europa!

Und bald auf der ganzen Welt?

Nein!

Nein?

Auch wenn es ihn seit Jahrzehnten gibt, den schmutzigen Krieg in Europa ­ ich meine Nordirland und seinen verdrängten Bürgerkrieg - , nun ist er ein großer schmutziger Krieg geworden, der ein paar Kilometer von hier entfernt tobt.

Was tun? Was KANN ich tun?

Mit fiel nicht viel ein. Also tu ich, was Menschen seit Jahrhunderten tun, wenn sie etwas nicht begreifen: Ich verdränge, so gut ich kann. Und denke an die Dinge, die den Alltag beherrschen. Ich tue das, was der Fischer in Brueghels Gemälde "Der Sturz des Ikarus" tut, ich angle, damit ich morgen zu essen habe.

(Brueghels Bild zeigt einen Fischer mit einer Angel, einen Bauern mit einem Pflug, eine Stadt im Hintergrund ­ es ist ein schönes Bild mit vielen normalen Tätigkeiten. Aber was, zum Teufel, hat das alles mit Ikarus zu tun? Wer genau hinschaut, sieht endlich auch den Ikarus, diesen wagemutigen Flieger der Antike, der zu viel riskierte und stürzte: seine Füße ragen nach dem Sturz erbärmlich aus dem Meer. Er, der so Großes wollte, ist ein Unbedeutender vor den alltäglichen Tätigkeiten.)

Im übrigen spende ich hilflos Geld, wissend, dass es ein Tropfen ist auf den heißen Stein. Immerhin, ich bin ein Tropfen.

Und deshalb, trotz aller Katastrophen, heute ein bekömmliches Schnitzel, ein pädagogisches.

Pädagogische Schnitzel schmecken besonders gut, weil sie nur theoretisch gegessen werden. Nichts war zum Beispiel so schön, wie über antiautoritäre Erziehung zu reden, solange man keine eigenen Kinder hatte. Man las Alexander S. Neill und seine Theorie über Summerhill. Den Praxisteil las man meistens nicht, sonst wäre man vielleicht draufgekommen, dass das "Antiautoritäre Modell" zu einem wesentlichen Teil auf der Autorität - oder sagen wir freundlicher dem Charisma des Herrn Neill - beruhte.

Heute umgeben wir uns mit Kindern, die auf der Suche nach Ordnung sind und die einen Menschen suchen, der ihnen genau das verspricht, was wir im überfluss genießen mussten: Autorität.

A propos umgeben: Als Umgebung zu einem Schnitzel gibt es immer einen Erdäpfelsalat. (Jawolll, Erdäpfelsalat, nicht Kartoffelsalat. Wozu haben wir uns die Erdäpfel von der EU schützen lassen, wenn wir sie nur als Kartoffel benützen?)

Und damit mein Schnitzel eine hübsche Beilage hat, die Geschichte vom autoritären Thaddäus und seinen antiautoritären Eltern.

Der kleine Thaddäus ist ein hübscher und intelligenter Bub, der von seinen Eltern vergöttert wird. Leider ist er dadurch ein ganz besonderes Kind geworden, dem jeder, so er nicht dazu verpflichtet ist, aus dem Weg geht. Besonders dann, wenn die Eltern dabei sind.

Thaddäus wird so frei erzogen, dass er das Wort Konsequenz zwar tadellos aussprechen kann, aber leider nicht weiß, was es bedeutet.

Manchmal müssen auch seine Eltern ihm mitteilen, dass einer seiner Wünsche nicht in Erfüllung gehen kann. Zum Beispiel damals, als sie nach Portugal fuhren und eine kurze Pause am Fuße des Patscherkofel einlegten.

Thaddäus sah die alten Gondeln und war begeistert. Natürlich konnte man heute nicht auf den Patscherkofel fahren, man wollte schließlich an diesem Tag noch bis Frankreich fahren. Thaddäus war anderer Meinung und verlangte dringend nach einer Bergfahrt. Die Eltern lächelten zuerst liebevoll, sprachen dann begütigend auf Thaddäus ein, appellierten danach an seine Vernunft und diskutierten schließlich den Sachverhalt. Thaddäus hörte ein wenig zu, nickte bisweilen, um dann zu fragen, wann sie hinauffahren.

Als der Sohn spielen ging, waren die Eltern, alleine, bald einig: Hier half nur noch rohe Gewalt. Schließlich wollte man weiterfahren, Portugal war weit, man könnte sich nicht immer nach dem Kind richten.

Mutter und Vater waren zu allem und noch mehr entschlossen. Sie wollten ihrem Sohn mitteilen, dass sie nicht auf den Patscherkofel fahren!

Es war ein schönes Bild, das sich gegen die untergehende Sonne abzeichnete: Der Vater nahm die Hand der Mutter, sie nahm seine. Hand in Hand gingen sie die Wiese entlang, den kleinen Abhang hinunter, dorthin, wo ihr geliebtes Kind, der wunderbare Thaddäus spielte. Sie waren ein harmonisches Bild der Entschlossenheit. Zweien Rittern gleich gingen sie in die Schlacht, niemand wird sie aufhalten, nicht Kriemhilde und nicht Siegfried. Keine Achillesferse störte ihre Unverwundbarkeit. High Noon in Igls. Gary Cooper und seine Frau waren unbesiegbar.

Es dauerte keine fünf Minuten, dann kehrten zwei niedergeschlagene Erwachsene zurück, daneben ein quietschvergnügtes Kerlchen, das bereits von weitem rief:

"Wir fahren mit der Gondel. Aber nur zweimal."

"Einmal", warf sein Vater, der tapfere Don Quichotte, verzweifelt ein. Sein Sohn ist eine Windmühle, aber Papa glaubt es nicht.

Die Mutter lächelte entschuldigend. "Er hat sich so darauf gefreut. Kommen wir halt später in Portugal an."

Müde schritten sie hinaus, noch müder kehrten sie von der Bergfahrt zurück und mit letzter Kraft ließen sie sich ins Auto fallen. Thaddäus strahlte noch immer. Bald wird er in seligen Schlummer fallen, um nach seinem Erwachen voller Energie seine Eltern mit seiner Genialität zu beglücken.

Glücklicherweise durfte ich zurück bleiben.

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