Der Standard / Österreich
Freitag, 18. September 1998


CHIFFRE 68

Antiautoritäre Erziehung

Alexander Sutherland Neill,
englischer Pädagoge (1883 - 1973), Vater der "antiautoritären Erziehung" 1924 gründete er die Internatsschule Summerhill, wo er seine Prinzipien von der repressionsfreien Entfaltung der Kinder umsetzte. Sein Buch "Theorie und Praxis in der antiautoritären Erziehung" wurde zum Kultbuch der Kinderbewegung der 68er. Im Vorjahr gab es erstmals massive Kritik wegen "mangelnder Lernerfolge" in Summerhill.

Wilhelm Reich österreichischer Psychoanalytiker (1897 - 1957), versuchte eine theoretische Verknüpfung von Psychoanalyse und Marxismus. Vergrößerte Freuds Libidotheorie zu einer umfassenden Theorie der sexuellen Befreiung, die schließlich in der Lehre von der kosmischen Lebensenergie - Orgon - mündete. Reichs Werke (z.B.: Die Funktion des Orgasmus/1927, Einbruch der Sexualmoral/1931, Massenpsychologie des Faschismus/ 1933) beeinflußten wesentlich die Kommunenbewegung und die Vorstellungen von antiautoritärer Erziehung.

Charakter, autoritärer
Schreckgespenst aller 68er, das durch wissenschaftliche Studien (z.B. Milgrams Experiment) beschrieben und im Faschismus Fleisch geworden war. Die Basis aller antiautoritärer Zielsetzungen war der Kampf gegen diesen a. C.

Kinderläden das eigentliche Erziehungsmodell der 68er. Die ersten wurden 1968 in leerstehenden Berliner Greißlereien gegründet. Aus dem vom Aktionsrat zur Befreiung der Frau formulierten Zielkatalog: "Erarbeitung revolutionärer Erziehungsmethoden und Schaffung eines emanzipatorischen Gegenmodells, das zum Kampf gegen die Institutionen benützt und später weniger privilegierten Frauen zugänglich gemacht werden sollte."
Sauberkeit Symbol der "kleinbürgerlich-repressiven" Erziehung. Sie zu vermeiden, war eine - teils von Freud abgeleitete - antiautoritäre Grundforderung, die sich auch und vor allem auf die kindliche Sexualität bezog. Ziel war die Vermeidung des autoritären und infantilen "Analcharakters".

Ich erinnere mich an einige Kinderkollektiv-Szenen, in die ich mich heute nicht mehr unbewaffnet wagen würden. Wir waren ein Wolfsrudel, in dem es angeraten war, schlau und stark zu sein...Ich war zu dieser Zeit leider weder das eine noch das andere, und ich war in der Folge ziemlich oft ziemlich verzweifelt.

(Aus Thomas Spielhofer: Ansichten eines
Versuchskaninchens, in: die 68er,
Döcker Verlag 1998)


© DER STANDARD, 18. September 1998

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